„Als Caesar nach Asien kam, erfuhr er, T. Ampius (Titus Ampius Balbus) habe versucht, den Tempelschatz aus dem Heiligtum der Diana in Ephesus fortzuschaffen, und zu diesem Zweck alle Senatoren aus der Provinz zu sich gerufen, damit sie bei der Feststellung der Summe Zeugen wären. Doch sei er dadurch, daß Caesar eintraf gestört worden und habe die Flucht ergriffen. So rettete Caesar zweimal den Tempelschatz von Ephesus…Es stellte sich auch folgendes heraus: Wenn man die einzelnen Tage zurückrechnete und abzählte, hatte sich an dem Tag, als Caesar die siegreiche Schlacht schlug, im Tempel der Minerva in Elis das Standbild der Victoria, das vorher unmittelbar vor der Minerva gestanden hatte und deren Standbild zugekehrt war, nach der Tür und der Schwelle des Tempels umgewandt. Am selben Tage vernahm man in Antiochia in Syrien zweimal derart laut das Schlachtgeschrei eines Heeres und den Klang der Tuben, daß die Bürgerschaft zu den Waffen griff und sich auf den Stadtmauern verteilte. Dasselbe geschah in Ptolemais (heute: Acca), und in Pergamon dröhnten Pauken in dem geheimen und verborgenen Tempelbezirk, den außer den Priestern niemand betreten darf und der bei den Griechen Adyton heißt. Ebenso zeigte sich in Tralles im Tempel der Victoria, wo man eine Statue Caesars geweiht hatte, eine Palme, die in diesen Tagen zwischen den Steinen aus dem Pflaster emporgewachsen war.“
(Caesar, Der Bürgerkrieg, Drittes Buch, 105)
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Kurze Zeit später betritt unsere kleine Versammlung eins von Caesars internen Besprechungszimmern. Die Liktoren und römischen Soldaten bleiben vor der Tür zurück und bewachen den Eingang. Wie überall in diesem Teil des Palastes, ist die Wandbemalung ägyptisch gehalten und zeigt detailverliebte Nillandschaften mit Fischen und Wasservögeln. Die Einrichtung ist schlicht, aber exquisit. Doch statt bequemen Klinen, stehen hier sechs Stühle um einen Tisch herum bereit. Ich setze mich und lasse meine Augen von einem zum anderen wandern: Neben mir haben Caesar und Psenamounis Platz genommen und uns gegenüber sitzt mein Bruder, der von Potheinos und Theodotos flankiert wird.
Ohne Umschweife kommt Caesar zur Sache: „Habt Ihr mir etwas zu sagen, Minister?“
Potheinus sieht Caesar mit stoischer Miene an, sein Gesicht verrät keine Regung, das muss man ihm lassen. „Verehrter Konsul. Mit allem gebührendem Respekt. Aber selbst wenn wir, der Kronrat und der König einverstanden sind, das Testament und den Willen des zum Himmel geflogenen Falken anzuerkennen: Inzwischen steht nicht nur der Bürgerkrieg einer vollen Wiedereinsetzung der Königin im Wege, sondern mit Verlaub, auch Eure eigenmächtige Vertiefung der ägyptisch-römischen Freundschaft, wenn man so will. Und selbst wenn Seine Majestät so großzügig ist, darüber hinwegzusehen, so bleibt doch der Aufruhr in der Bevölkerung.“
„Es wäre klüger, Ihre Majestät nur zur Königsgemahlin zu ernennen“, pflichtet Theodotos mit gespielt teilnahmsvoller Miene bei. „Die Basilissa sollte sich einfach eine Weile demütig im Schatten bewegen und auf die Regentschaft verzichten, bis sich die Empörung gelegt hat.“
Natürlich wollen sie mich entmachten, bis sie einen Weg gefunden haben, um mich still und leise zu beseitigen. Mein Herz krampft sich vor Furcht zusammen.
Doch Psenamounis ergreift sofort Partei für mich: „Was Ihr als eigenmächtige Vertiefung der ägyptisch-römischen Freundschaft bezeichnet, werter Minister, ist in Wahrheit der Wille der Götter. Die Verbindung zwischen der Königin und dem Imperator ist sakrosankt und von der ägyptischen Priesterschaft anerkannt. Caesar ist ein Sohn des Amun und der neue Alexander, das könnt Ihr nicht leugnen, denn die Wunder, die in Ephesos geschehen sind, sprechen für sich.“
Theodotos zieht seine feingezupften grauen Augenbrauen zusammen und fixiert Psenamounis scharf, bevor er antwortet: „Das sind große Worte, Priester. Lehnt Ihr Euch damit nicht ein bisschen zu weit aus dem Fenster?“
„Ich wüsste nicht warum, Erzieher! Dies ist nicht nur meine Meinung, sondern die der gesamten Priesterschaft. Ich spreche hier im Namen des Hohepriesters des Ptah von Memphis und aller Tempel Ägyptens. Und sind es nicht wir Priester, die die Zeichen der Götter deuten und erkennen?!“
Theodotos schnaubt: „Wir sind hier nicht in Oberägypten, sondern in Alexandria. Die Ägypter mögt Ihr mir Eurer göttlichen Deutung beschwichtigen, verehrter Psenamounis, nicht aber die Griechen.“
Und Potheinos wendet sich wieder an Caesar: „Wenn Ihr die Regentschaft Königin Kleopatras auch für den Moment durchsetzen könnt, verehrter Konsul, so wird sie sich doch nicht halten können, sobald Ihr wieder abgereist seid. Das Volk wird den König zwingen, sie in ihre Schranken zu weisen oder in die Verbannung zu schicken.“
Caesars Miene ist unlesbar, als er darauf antwortet: „Und was wäre nötig, um die öffentliche Meinung – auch der Griechen – dahingehend zu beeinflussen, dass sie bereit sind, das Ganze als göttliche Entscheidung anzuerkennen?“
„Ich wüsste nicht, wie Ihr das bewirken wollt. Ihr kommt hierher und stellt Forderungen. Ägypten ist bereits verschuldet und Ihr verlangt eine unmögliche Summe zur Finanzierung Eures Bürgerkrieges, die dem Jahreseinkommen unseres Landes entspricht!“
„Wir reden also über Geld, sagt das doch gleich, verehrter Finanzminister. Ihr habt ein unsagbares Glück, das ich es bin, der hier ist, um die überfälligen Rückzahlungen Ägyptens an Rom entgegenzunehmen. Jeder andere wäre nicht so großzügig und geduldig!“
Unmerklich verkrampfen sich meine Hände im goldenen Stoff meines Kleides. Eigentlich müsste ich diejenige sein, die mit Caesar über diese Summe verhandelt, denn als Königin vertrete ich die Interessen Ägyptens. Doch in dieser Situation kann ich ihn unmöglich um irgend etwas bitten, da er gerade meine Interessen gegen Potheinos und Theodotos verteidigt.
Ich spüre Caesars Blick auf mir und als ich ihn erwidere, sehe ich wieder diese analytische Skrupellosigkeit darin. Schätzt er gerade meinen Wert ab? Bin ich nur eine Ware, um die hier verhandelt wird? Doch dann tritt wieder dieser warme, beruhigende Glanz in seine dunklen Augen, wie so oft, wenn er mich ansieht und der Augenblick des Zweifels und der Angst ist verflogen.
„Rom verlangt 5000 Talente von Ägypten, das sind 30 Millionen Drachmen. Nennt Ihr das vielleicht großzügig?“, beginnt Potheinos mit den Verhandlungen.
„Um das abzukürzen, Minister, ich habe nicht den ganzen Tag Zeit. Wie viele Schulden sind von dieser ursprünglichen Summe bereits abbezahlt? Und hier meine ich Getreide- und sonstige Warenlieferungen an Rom, Hilfstruppen, Schiffs- und Waffenkontingente an Pompeius – ich will mal nicht so sein – abzüglich der üblichen Zinsen und Zölle versteht sich. Und die Verpflegung meiner Armee, abzüglich der verdorbenen Getreidelieferungen, nicht zu vergessen! Und bitte langweilt mich nicht mit Details.“
„Die Restschuld Ägyptens beträgt momentan etwa 17 ½ Millionen Drachmen,“ erwidert Potheinos mit ausdrucksloser Stimme.
„Na also, ich wusste doch, dass Ihr rechnen könnt, Minister. Nun, ich wäre bereit, König Ptolemaios und Königin Kleopatra 7 ½ Millionen Drachmen davon zu erlassen. Damit blieben nur noch 10 Millionen Drachmen als Restschuld, das sollte doch zu stemmen sein, nicht wahr?!“ So lässig Caesar diese Summe auch nennt, mir und auch Potheinos wird bei seinem Ton klar, dass dies nicht verhandelbar ist. Caesar kannte die Zahlen auch schon vorher ganz genau und hat sich das sehr gut überlegt. Noch mehr wird er nicht mit dem Preis heruntergehen, denn schließlich muss auch er seinen Krieg finanzieren und seine Legionäre bezahlen. Und Caesar ist niemand, der mit sich feilschen lässt.
„Wie viel ist das?“, will Ptolemaios wissen.
„Stell dir eine Flotte aus 1600 Segelschiffen vor“, erkläre ich ihm.
„Oh.“ Mein Bruder macht große Augen.
„Das wird nicht genügen“, setzt Theodotos an.
„Was? 1600 Schiffe?“, fragt Caesar spöttisch.
„Ihr wisst genau, was ich meine, Imperator!“ Theodotos funkelt ihn wütend an. „Euch mag diese Geste großzügig erscheinen, aber die Bürger von Alexandria sehen nur, dass sie seit Jahrzehnten Schulden an Rom abbezahlen, deren Sinn sie nicht einsehen. Ihr mögt der neue Alexander in den Augen Roms sein und meinethalben auch in den Augen der Epheser, die Euch als Gott verehren, doch hier in Ägypten sieht man Euch in erster Linie als Römer. Und Rom hat uns in der Vergangenheit alles genommen, Stück für Stück! So könnt Ihr den Thron Eurer Geliebten nicht sichern!“
Caesar sieht ihn scharf an, meint dann aber nur kryptisch: „Wir werden sehen.“
~*~
Als wir den Thronsaal wieder betreten, hat sich die Besucherzahl vervielfacht, denn inzwischen sind auch die geladenen Gäste für das abendliche Fest eingetroffen, die sich hier versammelt haben, um den Versöhnungsfeierlichkeiten vor dem Bankett beizuwohnen. Caesar hat meine Hand ergriffen und geleitet mich persönlich zu meinem Thron, während mein Bruder von Potheinos und Theodotos eskortiert wird und Psenamounis sich wieder zu den Abgesandten der Priesterschaft begibt. Neben meinem Thron wartet Charmion auf mich, die tief auf die Knie sinkt, als wir uns nähern. Auch Arsinoe wartet bereits, zwar nicht auf den Knien, aber immerhin ist sie aufgestanden. Ich schaue zu Ptolemaios und wir setzen uns zeitgleich auf unsere Throne. Eine wellenartige Bewegung geht durch die Menge, als auch die knienden Höflinge sich nun erheben.
Der Thronsaal ist gefüllt mit Abgesandten aus allen Bezirken Alexandrias. Zusätzlich zu den Bürgermeistern der fünf Stadtteile haben sich jetzt auch die ihnen untergeordneten Gemeindevorsteher eingefunden. Da jeder Stadtteil in 12 Gemeinden unterteilt ist, macht das allein 65 Männer, die teilweise noch in Begleitung ihrer Familien erschienen sind und jetzt dichtgedrängt in der Mitte des Saals stehen.
Im linken Drittel des Thronsaals haben sich weitere einflussreiche Persönlichkeiten Alexandrias versammelt. Dazu zählen Vertreter des Hochadels und reiche Kaufleute, aber auch Wissenschaftler aus dem Museion, wie Philosophen, Historiker, Schriftgelehrte, Naturwissenschaftler, Ärzte und Ingenieure. Mit Freude entdecke ich meinen alten Astronomielehrer Sosigenes und den königlichen Leibarzt Olympos in der ersten Reihe.
Das rechte Drittel des Saals wird inzwischen allein von den Abgesandten der Priesterschaft eingenommen, dazu zählen die Vorsteher der verschiedenen Tempel und Kulte Alexandrias, die Hohepriester des Serapeums, des Tempels der Isis Lochias und des Agathos Daimon Harpokrates, die Athlophoren, Kenophoren und andere Ahnenpriesterinnen der Ptolemäer, der Epistates des Museions, der Kronenbewahrer Stephanos, sowie die memphitische Gesandtschaft, in der Priester aus allen Teilen Ägyptens vertreten sind. Ganz vorne hat Psenamounis seinen Platz eingenommen. Einen Moment lang treffen sich unsere Blicke und er nickt mir ermutigend zu. Zumindest die ägyptische Priesterschaft steht geschlossen hinter mir. Doch über dem Saal liegt eine fast greifbare Spannung. Die römischen Soldaten sind überall präsent und haben vermutlich jeden Besucher auf Waffen kontrolliert. Doch die Stimmung der Alexandriener kann genauso gefährlich sein, wie ein verborgenes Messer. Auch Caesar, der immer noch neben meinem Thron steht, beobachtet die Menge aufmerksam. Dass mein Bruder und ich hier in trauter Einigkeit auftreten, sollte die Gemüter zumindest ein bisschen beruhigen. Aber wird das reichen?
Potheinos tritt vor, begrüßt die Menge und fasst die Entwicklungen der vorhergehenden Sitzung in diplomatischen Worten relativ neutral und kurz für alle zusammen, wobei er den nun wiederhergestellten Frieden zwischen meinem Bruder und mir betont und auch den Schuldenerlass von Seiten Roms erwähnt. Ein Murmeln geht durch die Menge, doch wie vorhersehbar, klingt darin nicht nur Zustimmung mit.
Die Stimmung darf auf keinen Fall in einen offenen Aufruhr umschlagen. Ich hoffe, dass die religiösen Riten zur Besserung der Stimmung beitragen und nicke Psenamounis kurz zu und er beginnt mit der feierlichen Versöhnungszeremonie und einer Hymne zur Anrufung der Göttin Isis als Geberin von Sitte und Recht:
„Reichtumgebende Königin der Götter, Herrin Hermuthis, Allesbeherrschende, Göttin guten Gelingens, Isis mit den großen Namen, Oberste Deo (Demeter). Alle Menschen, die auf der unendlichen Erde leben…sprechen Deinen schönen Namen, der bei allen hochgeehrt ist, in ihrer Sprache, in ihrer Heimat, aus. Die Syrer nennen dich Astarte, Artemis, Anaia, die Völker der Lykier nennen dich Herrin Leto, die thrakischen Männer rufen dich „Mutter der Götter“, die Griechen Hera auf dem großen Thron und Aphrodite und gute Hestia und Rhea und Demeter, aber die Ägypter „Thiuis“ (die Eine), weil du, die Eine, alle anderen Göttinnen bist, welche die Völker mit ihren Namen benennen...“[1]
Ich bewundere Psenamounis‘ Feingefühlt, gerade diese Hymne gewählt zu haben, denn damit schafft er eine Brücke zwischen Ägyptern, Griechen und allen anderen Nationen Alexandrias. Nun, mit Ausnahme der hier versammelten Vertreter der jüdischen Gemeinden vielleicht, die ihren eigenen namenlosen Gott verehren und prinzipiell keine Göttinnen anerkennen. Aber davon abgesehen fühlt sich jeder angesprochen. Das ist eins der Geheimnisse der ägyptischen Kultur und einer der Gründe, warum sie drei Jahrtausende überdauert hat. Alles Fremde wird integriert. Und so wurden auch meine makedonischen Vorfahren mit der Zeit immer mehr zu Ägyptern, zumindest teilweise.
Eine Wolke aus Weihrauch umschwebt das Thronpodest und ich atme den heiligen Duft der Götter tief ein. Zusammen mit den Hohepriestern Alexandrias segnet Psenamounis meinen Bruder und mich und richtet weitere Hymnen und Gebete an Isis und Sarapis, Ptah und Harpokrates. Begleitet wird das Ganze vom zeremoniellen Sistrumspiel und dem Gesang der Musikpriesterinnen. Eine der jungen Priesterinnen kommt mir merkwürdig bekannt vor, doch ich komme gerade nicht darauf, woher ich sie kenne und muss mich im nächsten Moment wieder auf Psenamounis konzentrieren, der als Stellvertreter des Hohenpriestes Psen-Ptah nun damit begonnen hat, uns im Namen der Götter die formellen Fragen zu stellen:
„Bist Du gewillt König Ptolemaios Theos Philopator Netjer Meri-itef, deine Schwester Kleopatra Thea Philopator Nejeret Merit-ites wieder als Mitregentin zu akzeptieren und alle feindlichen und kriegerischen Handlungen gegen sie aufzugeben, zum Wohle Ägyptens und im Einklang mit den Gesetzen der Götter?“
„Ja, das bin ich,“ antwortet mein Bruder.
„Bist Du gewillt Königin Kleopatra Thea Philopator Nejeret Merit-ites deinen Bruder Ptolemaios Theos Philopator Netjer Meri-itef wieder als Mitregenten zu akzeptieren und alle feindlichen und kriegerischen Handlungen gegen ihn aufzugeben, zum Wohle Ägyptens und im Einklang mit den Gesetzen der Götter?“
„Ja, das bin ich,“ antworte ich mit fester Stimme.
„So reicht euch wieder die Hände in Frieden und regiert fortan nach dem Willen Eures Vaters und dem Gesetz der Götter als Theoi Philopatores Philadelphoi in Einigkeit und Frieden von Ewigkeit zu Ewigkeit.“
Wir tun wie geheißen und ich drücke Ptolemaios‘ Hand aufmunternd, bevor ich sie wieder loslasse. Immerhin ist sein Händedruck nicht mehr ganz so lasch, wie noch bei unserer Krönung vor drei Jahren. Irgendwie wird das schon funktionieren – hoffe ich. Danach werden noch einmal unsere Titel verlesen: Die Königin, die Herrin beider Länder, die von Isis und Ptah geliebte… und ich höre nach langer Zeit zum ersten Mal wieder meine volle Krönungs-Titulatur in ägyptischer Sprache – der heiligen Sprache der Götter:
Weret, Nebet Neferu, Achet Sah, Weret, Tut-en-ites, Kleopatra, Netjeret Merit-ites
(Die Große, die Herrin der Vollkommenheit, die nützlich ist in der Ratsversammlung [2], Die Große, das Ebenbild ihres Vaters, Kleopatra, die vaterliebende Göttin)
Psenamounis schenkt mir noch ein aufmunterndes Lächeln, bevor er sich abwendet und den Platz für Theodotos freimacht.
Der Rhetoriklehrer tritt nach vorne und beginnt mit seiner abschließenden Rede:
„Das Königspaar ist nun wieder versöhnt und das verdanken wir allein dem unermüdlichen Vermittlungsgeschick des römischen Konsuls Gaius Julius Caesar. In ganz aufopfernder Weise hat er sich Tag und Nacht darum bemüht, die ägyptischen Interessen besser kennenzulernen.“
Ich merke, wie auch Caesar neben mir erstarrt und zu spät erkenne ich das fanatische Glitzern in Theodotos‘ Augen, als dieser uns einen höhnischen Blick zuwirft und in seinem kaum verhohlenen sarkastischen Ton fortfährt: „Caesars Ruf eilt ihm Voraus und das nicht nur als Feldherr. Nach der Schlacht von Pharsalos hat man ihn in Ephesos als Gott begrüßt, denn er hat durch sein Erscheinen dort den Tempelschatz der Artemis gleich zweimal vor der Plünderung bewahrt, weshalb die Epheser ihm verständlicherweise zu Dank verpflichtet sind. Aber damit nicht genug: Statuen haben sich bewegt, der Schlachtenlärm war an fernen Orten zu hören und im Tempel der Siegesgöttin, vor der man eine Statue Caesars geweiht hatte, wuchs über Nacht eine Palme aus dem Boden. Auch dies ein Zeichen des Sieges. So sagt man. Das größte Zeichen hat er jedoch hier in Ägypten gewirkt. Als Abkömmling der Göttin Venus hat er die alten Traditionen neu belebt und sich unserer Königin genährt, wie Zeus und Amun es so gerne in den Legenden bei jungen Frauen zu tun pflegen.“
Ein Murmeln geht durch die Reihen und Theodotos lächelt vielsagend, bevor er fortfährt: „Die Priesterschaft bestätigt ihn im Übrigen darin. Als Sohn des Amun ist das fürwahr sein Recht. So wurde auch einst Alexander in Ägypten begrüßt. Und er wirkte ein gewaltiges Zeichen, indem er uns von der Herrschaft der Perser befreite. So wollen wir auch Euch heute hier begrüßen, großer Caesar und bitten Euch, um ein Zeichen, damit wir Euch einen Tempel errichten und Eure göttliche Abkunft gebührend verehren können!“
Theodotos beendet seine Rede und sieht Caesar mit zorniger Genugtuung herausfordernd an. Verabscheut er uns so sehr, dass es ihm egal ist, dass dies die letzte Rede war, die er jemals in Alexandria gehalten hat? Und er kann den Göttern auf Knien danken, wenn er mit dem Leben davonkommt. Doch er hat sein Ziel erreicht: das Gemurmel der Menge wird von Sekunde zu Sekunde lauter.
„Ein Zeichen!... Ist er wirklich der neue Alexander?...Diese Römer denken, sie können sich alles erlauben!...Unsere junge Königin, wie kann er es wagen? Aber wenn er tatsächlich ein Gott ist…Ist er wirklich ein Sohn Amuns?...Wir verlangen ein Zeichen!...Er soll uns von den Römern befreien, das wäre ein Zeichen!“, dringen die Rufe und Gesprächsfetzen bis zu meinem Thron. Nur die Priesterschaft wahrt eisiges Schweigen. Doch Caesar ist bereits nach vorne getreten, sodass ich nur noch seinen Rücken sehen kann. Mit einer gebieterischen Geste bringt er die Menge zum Schweigen, die nun gespannt an seinen Lippen hängt.
„Mein lieber Theodotos, ich danke Euch für Eure aufrichtigen Worte. Mit einer solch herzlichen Gastfreundschaft hier in Ägypten, hätte ich niemals gerechnet. Das werde ich Euch nie vergessen. Ich bestehe darauf, dass ihr Ephesos besucht, um all die von Euch beschriebenen Wunder mit eigenen Augen sehen zu können. Ihr könnt Euch dort meiner unbegrenzten Gastfreundschaft gewiss sein. Der Tempel ist um diese Jahreszeit von fesselnder Schönheit.“
Bei Caesars trügerisch freundlich gesprochenen Worten, stellen sich mir die Nackenhaare auf. Doch dann wechselt Caesars Ton, als er sich von Theodotos ab - und der Menge zuwendet. Und auf einmal liegt kein Sarkasmus mehr darin, sondern neben seinem Charme und Charisma auch echte Freundlichkeit und ein feierlicher Ernst: „Volk von Alexandria und Ägypten, Ich selbst hätte in meiner Bescheidenheit niemals auf so eine Geste der Verehrung bestanden, doch da Ihr sie mir mit solcher Herzlichkeit entgegenbringt, soll Euer treuer Glaube belohnt werden. Als Zeichen meines guten Willens schenke ich der Regentin Königin Kleopatra und ganz Ägypten ein Pfand zur Untermauerung der neuen Freundschaft, die zwischen unseren beiden Ländern entstanden ist. Im Namen des Senates und Volkes von Rom: Mit dem heutigen Tage an gebe ich die Insel Zypern an das Haus Ptolemaios zurück!“
Mein Atem setzt aus, Caesars so liebenswürdig gesprochene Worte sind wie ein Erdbeben, das den Boden unter mir schwanken lässt. Auch alle anderen starrten ihn mit offenen Mündern an, man könnte in der plötzlichen Stille eine Nadel fallen hören.
Dann erschallen vereinzelte Jubelrufe.
Psenamounis findet als erster die Sprache wieder und tritt nach vorn. „Der Sohn Amuns hat in Ägypten ein Zeichen gewirkt. Gesegnet sei der Tag, als er Ägypten betreten hat, Gaius Julius Caesar, die Priesterschaft des Ptah heißt Euch als Sohn des Amun und der Isis willkommen!“
Der verhaltene Jubel wird lauter und steigert sich zu einem Crescendo, bis die Menge vor Begeisterung tobt. Die Annektierung Zyperns durch Rom, die meinem Onkel das Leben kostete, meinen Vater ins Exil zwang und zum Tod meiner Schwester Berenike führte, der Grund für so viel Krieg, Leid und Blutvergießen – Caesar hat sie einfach mit einem Satz rückgängig gemacht!
Sprachlos starre ich ihn an, doch Caesar lächelt nur, tritt neben meinen Thron und ergreift meine Hand. Ich erhebe mich, ohne darüber nachzudenken und verschränke meine Finger mit seinen. Unsere Blicke fließen ineinander, er sieht meine Freude und Überraschung, ich das Lächeln in seinen Augen. Mehr lässt er sich in der Öffentlichkeit nicht anmerken. Unbeirrt wendet er sich wieder an die Menge und verkündet die weiteren Details der Schenkung. Seine Stimme ist angenehm und tragend, seine Argumentation brillant. Wäre ich nicht schon in ihn verliebt, ich würde mich jetzt auf der Stelle in ihn verlieben. Ich bin verliebt, geht mir auf, wirklich und wahrhaftig.
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[1] Hymne an die Göttin Isis bei Isidoros von Narmuthis, 1. Jh. v. Chr. (leicht gekürzt, zitiert nach Reinhold Merkelbach, Isis Regina – Zeus Sarapis, München; Leipzig, 2001, S. 95).
[2] Sah (sH) habe ich hier als Ratsversammlung und nicht als Gotteshalle übersetzt, da es einfach mehr Sinn macht, als die oft gebräuchliche Übersetzung „die nützlich (oder verklärt) ist in der Gotteshalle“. „Die mit nützlichem Rat“ oder „die, deren Rat nützlich ist“ wäre auch noch eine Alternative. Zu den verschiedenen Bedeutungen von sH: (Ratshalle, Amtshalle, Ratsversammlung, Zelt, Halle usw.) und sH-nTr (Gotteshalle) vgl. Rainer Hannig, Großes Handwörterbuch Ägyptisch-Deutsch, Die Sprache der Pharaonen, 4. Auflage, 2006, S. 793.