Nach Kypros möchte ich ziehen, der Insel der Aphrodite,
wo die Eroten wohnen, die der Menschen Herz bezaubern,
und nach Paphos, das der Strom des Barbarenflusses mit hundert Armen befruchtet,
von keinem Regen gespeist.
Euripides, die Bacchantinnen, 2. Chorlied[1]
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Arsinoe blinzelt von mir zu Caesar. Doch ihre großen, mit schwarzen Lidstrichen umrandeten Augen blicken nicht länger angriffslustig, sondern abwägend. Vielleicht auch ein wenig unsicher. Unter Caesars forschendem Blick senkt sie sogar als erste die Augen und beugt sich hinunter, um Mithras‘ Kopf zu streicheln, der sich wie ein Kätzchen neben unserer Kline zusammengerollt hat. Caesar wechselt einen Blick mit dem uns am nächsten stehenden römischen Wachsoldaten und schüttelt kaum merklich den Kopf, worauf dieser sich ein wenig zurückzieht.
Eine Weile betrachten wir Arsinoe schweigend. Die schimmernden Perlen in ihrem Halbmond-Diadem bilden einen starken Kontrast zu ihrem nachtschwarzen Haar, das ihr in glänzenden Locken über die Schultern fällt. Und die hauchfeinen Silberschuppen auf ihrem Chiton reflektieren das Licht wie die Rüstung einer Kriegerin. Oder wie das Federmuster auf den Kleidern der Göttinnen und auf alten ägyptischen Sarkophagen.
Noch einmal streichelt meine Schwester über den Kopf ihres Geparden, bevor sie sich mit einem energischen Ruck aufrichtet. Resolut schaut sie sich im Raum um und winkt dann eine der Dienerinnen heran, die Platten voller Trauben vor sich hertragen, um sie an die Gäste zu verteilen. Mit einer Handgeste bedeutet sie dem Mädchen, eine der Fruchtschalen vor uns abzustellen.
„Diese Trauben sind heute früh direkt aus Zypern eingetroffen. Habt ihr sie schon probiert? Sie sind so süß wie Honig.“ Und damit greift Arsinoe selbst nach einer Traube und steckt sich eine der blauglänzenden Weinbeeren in den Mund.
„Später vielleicht. Momentan würde mich eher interessieren, worüber du nachgedacht hast, Arsinoe. Du kennst also deinen Platz?“, fragt Caesar pointiert.
Arsinoe betrachtet die Traube in ihrer Hand und bricht eine weitere Weinbeere davon ab, während sie antwortet: „Als diese Trauben eingeschifft wurden, waren sie noch römisch. Jetzt gehören die Weinstöcke wieder zum Ptolemäerreich. Ich… ich möchte dir in aller Form für das großzügige Geschenk danken, dass du Ägypten und meiner Familie gemacht hast, Caesar.“ Ihr Ton klingt eher widerwillig als dankbar, aber mir ist bewusst, dass allein die Worte eine Überwindung für sie darstellen müssen.
„Die Insel an das Haus Ptolemaios zurückzugeben war mir ein Anliegen und eine Freude, Arsinoe“, erwidert Caesar bedächtig. „Und ich bin gerne bereit, dich als Freundin und Bundesgenossin Roms anzuerkennen, solange du dich – genauso wie deine Geschwister – als treue Verbündete erweist.“
„Natürlich, Imperator“, entgegnet sie erstaunlich fügsam. „Ich bin bereit, nach Zypern aufzubrechen und die Regentschaft dort anzutreten.“
„Ich freue mich, dass du deine neue Aufgabe ernst nimmst. Dann sollten wir in den nächsten Tagen die Verträge unterzeichnen. Außerdem müssen wir deine Verlobung mit Maios öffentlich bekanntgeben.“
„Vielleicht in Zusammenhang mit dem Imhotep-Fest in Alexandria“, schlage ich vor, mich an unsere Unterhaltung mit Psenamounis erinnernd.
„Eine gute Idee“, greift Caesar den Gedanken auf, „dann hätte das Volk noch einen weiteren Grund zum Feiern.“
„Ich habe mir bezüglich des Festes auch einige Gedanken gemacht“, wirft Arsinoe ein, bevor sie ihre nächsten Worte an mich richtet: „Ach übrigens, Kleopatra, bevor ich es vergesse: Ptolemaios möchte deine neue Hofdame sprechen. Die Tochter des Hohepriesters von Memphis.“
„Hat er gesagt warum?“, frage ich irritiert.
„Er erwähnte nur, dass er sie gerne kennenlernen möchte.“ Arsinoe zuckt mit den Schultern, bevor sie sich eine weitere Weintraube in den Mund steckt.
Mein Blick huscht zu Charmion, die sich bereits alarmiert aufgerichtet hat. Khered-Anch, die neben ihr sitzt, wirkt hingegen wie eine erschrockene Gazelle. Hat Ptolemaios meine Hofdamen heute nicht schon genug geärgert?
„Charmion, bitte begleite Khered-Anch zu meinem Bruder. Der König gewährt ihr die Ehre einer Audienz“, weise ich meine erste Hofdame an – in der Hoffnung, dass sie bei der Unterhaltung dabei sein kann. Pflichtschuldig erheben die beiden sich sogleich und begeben sich zur Kline des Königs. Überraschenderweise wirkt Ptolemaios nicht länger verdrießlich, sondern sogar erfreut, als die jungen Frauen sich anmutig vor ihm verneigen. Er richtet das Wort an die beiden und ich sehe Charmion und Khered-Anch mit respektvoll gesenkten Köpfen antworten. Leider kann ich aus dieser Entfernung nichts von dem Wortwechsel verstehen.
Meine Schwester zählt indessen auf, wie sie sich die Details ihrer Verlobungsfeier vorstellt: „…Ich möchte auf jeden Fall ein paar Wildkatzen rund um mein Thronpodest! Meine Vorfahrinnen liefen mit sechs Geparden durch die Flure, statt nur mit einem!“
Caesar hebt eine Braue. „Mein Stellvertreter Marcus Antonius spannt Löwen vor seinen Wagen und fährt damit durch Rom! Nur zu!“
„Das tut er wirklich?“, frage ich, widerwillig beeindruckt.
Caesar wirft mir einen spöttischen Seitenblick zu. „Manchmal. Er hat eine Vorliebe für alles Exotische.“
„Potheinos hat mich übrigens heute morgen aufgesucht. Falls es von Interesse sein sollte“, wirft Arsinoe ein. „Er wollte eigentlich auch zum Symposion kommen, hat sich aber kurzfristig entschuldigen lassen.“
„Und was wollte er?“, erkundigt sich Caesar interessiert.
„Ach, er wollte ebenfalls mit mir über die Verlobung und die Krönungsfeier in Zusammenhang mit Zypern sprechen. Aber ich war noch mit der Planung des Abends beschäftigt und habe ihn an Ganymedes verwiesen. Wenn die Verlobung nun schon stattfinden muss, dann wünsche ich mir natürlich eine prächtige Feier“, erklärt meine Schwester, während sie nebenbei die letzten ihrer Weintrauben isst. „Danach würden Maios und ich dann so bald wie möglich nach Zypern aufbrechen.“
„Ganz so schnell wird das nicht gehen, Arsinoe. Die Nordostwinde werden bald einsetzen und es wäre vernünftiger, sie abzuwarten. Außerdem muss der römische Magistrat auf Zypern informiert werden, um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten. Die Details sollten wir vorher festlegen, am besten zusammen mit Ganymedes und einem Stab aus vernünftigen Männern, die dir auf Zypern als Lehrer und Berater zur Seite stehen werden.“
„Von welchen Männern sprichst du da?“, fragt sie irritiert.
„Einige erfahrene Männer aus dem Kreis der Freunde des Königs.“ Caesar hebt vielsagend eine Braue. „Ich werde mich darüber mit Kleopatra beraten. Aber du kannst natürlich Vorschläge machen.“
„Vorschläge? Ich dachte ich soll Königin sein. Eine Königin macht keine Vorschläge. Eine Königin wählt ihre Berater selbst!“, begehrt Arsinoe nun doch auf.
„Eine Königin macht ihrem Patron gegenüber sehr wohl Vorschläge“, erwidere ich leise. „Vor allem aber beherzigt sie den Rat von Leuten, die wissen, wovon sie reden.“
„Eine Insel zu regieren ist kein Kinderspiel, Arsinoe“, stellt Caesar klar. Seine Stimme klingt ruhig aber bestimmt. „Ich traue dir schon zu, in die Rolle einer Regentin von Zypern hineinzuwachsen, doch jeder Herrscher braucht gute Lehrer und Ratgeber mit der nötigen Erfahrung. Gerade wenn man noch so jung ist wie du und dein Bruder.“ Er lächelt ironisch. „Keine Angst, ich werde schon niemanden aussuchen, der dir völlig missfällt.“
Arsinoe schnaubt. „Solange du mir nicht deinen Cousin mit nach Zypern schickst, von mir aus!“
„Sextus?“ Caesar betrachtet Arsinoe spöttisch. „Oh, er hätte gewiss seine Freude daran.“
„Er hat sich mir gegenüber respektlos verhalten und anzügliche Andeutungen gemacht. Du solltest ihn dafür zur Rechenschaft ziehen!“, meint sie schnippisch.
„Und wofür? Weil er sich wie ein römischer Patrizier verhält, statt wie ein ptolemäischer Eunuch? Ich denke, du brauchst keine Hilfe, wenn es darum geht, jemandem deinen Standpunkt klarzumachen, Arsinoe.“ Caesars Haltung ist noch immer entspannt, aber in seinem Ton klingt nun die Befehlsstimme des Feldherrn mit. „Aber wo du gerade meine Entscheidungen angesprochen hast: Ich werde in den nächsten Tagen einen Unterrichtsplan für dich und Maios erstellen. Bevor Ihr aufbrecht, wünsche ich, dass Ihr alles über die Geschichte, Bevölkerung und Bedeutung Zyperns lernt, was es zu lernen gibt. Zusätzlich wirst du dich von nun an zwei Stunden täglich mit den verschiedenen Bereichen der Verwaltung sowie der Innen- und Außenpolitik auseinandersetzen. Deine Lehrer und Berater werden mir über deine Fortschritte regelmäßig Bericht erstatten und von dir erwarte ich, dass du dir Mühe gibst!“
Arsinoes Augen sind bei Caesars Worten immer größer geworden. „Du kannst mir nicht vorschreiben, was ich wann und wie zu tun habe!“
„Und warum sollte ich das nicht können?“
„Du bist nicht mein Vater und ich bin kein kleines Mädchen mehr!“
„Aber ich bin dein Vormund, Arsinoe“, stellt Caesar befehlsgewohnt klar. „Und es ist an der Zeit, dass du das begreifst. Sei froh, dass ich bisher so nachsichtig war. Wenn ich deine ganzen Äußerungen nicht als kindischen Unsinn ansehen würde, sähe die Sache anders aus! Was sollte zum Beispiel vorhin die Anspielung auf die Wölfe?“ Und in seiner letzten Frage klingt nun wirklich Schärfe mit.
„Ich…das… Ich habe nur auf den Mythos von Artemis und Aktaion angespielt!“
„Du weißt ganz genau, was du da angedeutet hast, Arsinoe! Von der Regentin Zyperns erwarte ich jedoch die Einhaltung gewisser diplomatischer Regeln. Und öffentliche Drohungen gegen einen Tribun aus meiner Familie gehören nicht dazu. Was du privat mit Sextus machst oder ihm an den Kopf wirfst, ist mir völlig egal. Er kann damit umgehen. Aber in der Öffentlichkeit wirst du dich von nun an in Diplomatie üben. Haben wir uns verstanden?“
Ich sehe wie Arsinoe gepresst die Luft ausstößt. Wären wir unter uns, hätte sie ihm schon längst irgendeine Antwort an den Kopf geschleudert. Aber diesmal reißt sie sich erstaunlicherweise zusammen. Sie funkelt Caesar nur trotzig an und und presst dann ein zynisches „Ja, Imperator“, hervor. „Erlaubst du mir, dass ich mich nun zurückziehe! Ich habe noch andere Gäste, um die ich mich kümmern muss. Und ich soll doch meinen diplomatischen Pflichten nachkommen!“
Caesar lächelt charmant. „Aber natürlich, Prinzessin Arsinoe. Das Gespräch mit dir war wie immer eine Freude.“
Arsinoe wirft Caesar noch einen vernichtenden Blick zu, bevor sie sich hoheitsvoll aufrichtet, nach Mithras‘ Leine greift und mit stolzen Schritten in Richtung ihrer Kline entschwindet, wo sie sofort von einer Traube ihrer Hofdamen umringt wird.
„So kleinlaut habe ich Arsinoe lange nicht mehr erlebt. Du hast genau den richtigen Ton getroffen“, sinniere ich fasziniert.
„Mit Freundlichkeit kommt man bei ihr nicht weiter. Und offen gesagt, reicht es mir allmählich mit ihrem Trotz. Sie will Königin sein? Dann muss sie sich ab sofort auch wie eine benehmen!“
„Immerhin hat sie sich diesmal benommen“, gebe ich zu bedenken.
„Immerhin. Es besteht Hoffnung.“ Caesar wirft Arsinoe noch einen letzten zynischen Blick zu und schenkt mir dann ein warmes Lächeln. „Und jetzt lass uns von etwas anderem reden, Kleopatra. Für heute habe ich wahrlich genug von deiner Schwester!“
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[1] http://12koerbe.de/mosaiken/bakchai2.htm#zweites%20Chorlied