„Als Sachmet ist sie zornig, als Bastet ist sie gnädig“[1]
(Hieroglyphische Inschrift im Isis-Tempel von Philae)
„Sed fortuna, quae plurimum potest cum in reliquis rebus tum praecipue in bello, parvis momentis magnas rerum commutationes efficit; ut tum accidit.“[2]
„Aber das Glück, das wie bei allen Dingen, besonders aber im Krieg, den Ausschlag gibt, führt oft auf Grund von unbedeutenden Vorfällen einen völligen Umschwung der Lage herbei.“
(Caesar, Der Bürgerkrieg, Drittes Buch, 68, S. 140)
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„Ich habe Arsinoe für heute eingeladen, so wie du vorgeschlagen hast.“
„Und wird sie kommen?“ Caesar schaut von seinem Papyrus auf und sieht mich an.
„Ich gehe davon aus.“
„Na, das wird sicher unterhaltsam.“ Die leise Ironie in seiner Stimme ist nicht zu überhören.
„Was schreibst du da eigentlich?“ Interessiert beuge ich mich über den Papyrus, auf dem Caesar gerade einige Sätze notiert hat.
„Ach nur ein paar Commentarii über den Bürgerkrieg.“
„Darf ich mal lesen?“
„Natürlich.“ Ich will mich über seine Schulter beugen, aber da umfasst er auch schon meine Taille und zieht mich auf seinen Schoß. Ich lache und lehne mich an ihn. Es trägt heute nur eine Tunika, so dass ich mich eng an ihn schmiegen kann. Seine Stimme an meinem Ohr vibriert angenehm durch meinen Körper. „Ich wollte die Kriegsberichte diesmal eigentlich zeitnah zum Geschehen verfassen, aber irgendwie werde ich in den letzten Tagen ständig abgelenkt. Hast du eine Ahnung, woran das liegen könnte?“, neckt er mich.
„Vielleicht hattest du ja Wichtigeres zu tun?“, frage ich betont unschuldig.
„Möglicherweise“, murmelt er nah an meinem Ohr und streicht mir die offenen langen Haare zur Seite. Seine Lippen an meinem Hals erzeugen wohlige kleine Schauer und ich schließe kurz genießend die Augen.
„Wolltest du nicht den Text lesen?“, fragt er amüsiert.
„Doch natürlich.“ Ich verlagere mein Gewicht auf seinem Schoß und beuge mich über seine elegante und präzise Handschrift. Mit seiner Hand auf meinem Bauch, zieht er mich noch ein bißchen näher, als ich die letzte Zeile, die er gerade geschrieben hat, laut vorlese:
„Sed fortuna, quae plurimum potest cum in reliquis rebus tum praecipue in bello, parvis momentis magnas rerum commutationes efficit; ut tum accidit.“
„Aber das Glück, das wie bei allen Dingen, besonders aber im Krieg, den Ausschlag gibt, führt oft auf Grund von unbedeutenden Vorfällen einen völligen Umschwung der Lage herbei“, übersetzt er den Satz mühelos ins Griechische.
„Worauf bezieht sich das?“
„Auf die Schlacht von Dyrrhachium“[3], antwortet er ernst. „Pompeius sah sich schon als Sieger und hat sich von seinem Erfolg blenden lassen.“
„Das war tatsächlich voreilig. Zum Glück!“ Ich spüre seine beruhigende Kraft, mit der er mich hält. Bei dem Gedanken, dass er hätte unterliegen können und jetzt nicht hier bei mir wäre, wird mir ganz schlecht.
„Und was lehrt uns das?“
Meine Finger umfassen seine Hand, mit der er mich hält und ich drehe meinen Kopf so, dass ich ihn anschauen kann. „Dass man immer mit allem rechnen sollte? Und alle Eventualitäten bedenken und einplanen muss?“
„Ja, sofern man sie einplanen kann. Ab einem bestimmten Punkt muss man trotzdem immer improvisieren – und auf Fortuna vertrauen.“
„War das bei der Testamentsverlesung auch improvisiert?“
„Was denn genau?“
Ich schlucke. „Dass du Zypern an Ägypten zurückgegeben hast.“
Er zögert einen Moment mit seiner Antwort, bevor er spricht: „Ich hatte mit dem Gedanken gespielt, Kleopatra.“ Sein Ausdruck ist undeutbar.
Ich nicke und dringe nicht weiter in ihn, doch er ergreift mein Kinn und dreht es so, dass ich ihn wieder ansehen muss. „Ich habe dir versprochen, dich wieder als Königin einzusetzen. Und ich halte mein Wort.“
„Wir haben ein Bündnis miteinander geschlossen“, bestätige ich. Mein Mund fühlt sich plötzlich trocken an.
„Ja, das haben wir.“
„Und glaubst du, dass die Gefahr nun beseitigt ist?“, frage ich zögernd.
„Wie du gerade gesagt hast, man muss mit allem rechnen und sich auf alle Eventualitäten vorbereiten. Momentan befindet sich noch vieles in der Schwebe.“
„Also wirst du Ägypten noch nicht so bald verlassen?“ Mein Herz klopft schneller bei dieser Frage.
„Möchtest du, dass ich bleibe?“, fragt er mit Wärme in der Stimme. Sein dunkler Blick fixiert meinen und ich kann nur nicken.
„Das ist gut, denn ich hatte nicht vor, sobald schon wieder aufzubrechen.“ Ich atme tief ein und merke jetzt erst, dass ich die Luft angehalten hatte. Der Gedanke, dass er schon bald wieder abreisen könnte, ist unerwartet schmerzlich. Darüber habe ich bislang nicht nachgedacht.
Aber wie lange wird er bleiben, sobald der Frieden sicher wiederhergestellt ist? Mit ihm zusammen ist alles so leicht, so mühelos und in seinen Armen fühle ich mich so sicher. Aber was soll ich tun, wenn er wieder aufbricht? Ich will nicht, dass er schon so bald wieder geht! „Ich werde mich um die Rückzahlung der Schulden an dich kümmern, sobald mir die aktuellen Zahlen vorliegen und ich wieder Einblick in die Verwaltung habe“, höre ich mich sagen.
„Tu das, aber auf ein paar Tage kommt es nicht an. Ich habe nicht vor, in den nächsten zwei oder drei Wochen aufzubrechen.“
„Hast du nicht?“
Er schmunzelt als er meine Erleichterung wahrnimmt, wird dann aber wieder ernst. „Meine Männer brauchen dringend eine Ruhepause und außerdem ist der Frieden hier in Alexandria noch lange nicht gefestigt. Wenn nichts Unvorhergesehenes dazwischenkommt, werde ich also erst einmal dafür sorgen, dass du wieder sicher auf deinem Thron sitzt. Und außerdem…“
„Und außerdem…?“, frage ich gebannt.
Er lacht und beugt sich dann vor, um meinen Hals zu küssen. „Außerdem habe ich dich gerade erst getroffen, da will ich die Zeit mit dir doch auskosten, meine schöne Göttin“, raunt er mir zu und in meinem Bauch erhebt sich ein Schwarm kleiner zarter Wüsten-Schmetterlinge, deren rascher Flügelschlag sich mit dem schnellen Pochen meines Herzens vermischt.
Eine plötzliche, laute Diskussion im Vorzimmer und ein anschließendes Klopfen an der Tür unterbricht uns. Ich springe schnell von Caesars Schoß auf und richte meinen Chiton. Wie beiläufig greife ich mir meinen gläsernen Wasserkelch vom Tisch und nippe daran, während Caesar die Wache hereinruft.
„Ave Caesar. Die Prinzessin Arsinoe möchte Euch sprechen. Es gibt da allerdings ein Problem. Sie hat ein Raubtier dabei“, kündigt die Wache an der Tür meine Schwester an.
„Ein Raubtier?“, Caesar hebt erheitert eine Augenbraue und lehnt sich zurück. „Lass sie herein.“
Der wachhabende Soldat nimmt Haltung an und lässt die Prinzessin passieren, bleibt jedoch mit seinem Kollegen skeptisch in der Tür stehen, während Arsinoe auch schon mit fließenden Schritten auf uns zukommt. Der Grund für das Unbehagen der Wachen trägt ein silbernes Halsband und bewegt sich mit graziöser Anmut neben den Beinen meiner Schwester. Sie hat außer ihren zwei Dienerinnen doch tatsächlich ihren Geparden mitgebracht!
„Prinzessin Arsinoe, wie immer ein Vergnügen. Hast du dir heute Verstärkung mitgebracht, um mich anzufauchen?“, bemerkt Caesar da auch schon spöttisch.
„Dazu brauche ich keine Verstärkung“, entgegnet Arsinoe achselzuckend. „Und Mithridates ist ganz lieb, wenn man ihn nicht reizt.“
Ich trete neben Caesars Stuhl und stelle mich dabei leicht vor ihn. Mehr als instinktive Vorsichtsmaßnahme, damit das Ganze hier nicht eskaliert. „Arsinoe, du kommst früher als erwartet. Aber ich freue mich über deinen Besuch.“ Und das meine ich ehrlich – zumindest teilweise.
Arsinoe neigt ganz leicht den Kopf, während ihr Blick von mir zu Caesar wandert. „Ich hoffe, ich störe nicht?“
„Keineswegs, aber ich glaube, die römischen Wachen sind tatsächlich beruhigter, wenn Mithras draußen wartet. Deine Hofdamen können meinen in der Zwischenzeit Gesellschaft leisten“, biete ich ihr an.
„Wie du meinst.“ Arsinoe beugt sich vor, um ihrem Geparden über das gefleckte Rückenfell zu streicheln, der darauf seinen Kopf an ihr reibt und schnurrt. „Mithridates Eupator, du musst leider draußen warten, die tapferen Söhne der Wölfin haben Angst vor dir. Also sei schön lieb, ja. Wenn du dich benimmst, bekommst du auch ein leckeres Hähnchen!“
Meine Augen huschen zu Caesar, doch der lässt sich nicht das Geringste anmerken. Nimmt er die Provokation mit Humor oder liegt es daran, dass er heute ohnehin gute Laune hat? Dass Arsinoe ihren Geparden nach dem großen Römerfeind in den mithridatischen Kriegen benannt hat, ist eine Sache, aber dass sie diese Tatsache in Gegenwart des römischen Konsuls so betont, könnte man auch sehr leicht als Affront auffassen. [4]
Ich weiß nicht, ob ich lachen oder sie zurechtweisen soll, das ist so typisch für Arsinoe!
Caesar bleibt gelassen sitzen und mustert die Prinzessin mit seinen dunklen Obsidianaugen. „So sehr ich den Anblick edler Kätzchen auch zu schätzen weiß, aber ich finde, zwei Exemplare sind bereits reizend genug. Mach meinen Wachen eine Freude und hör einfach mal zur Abwechslung auf deine Schwester.“
Arsinoe zuckt mit den Schultern und überreicht die Leine des Geparden an ihre Dienerin Nephoris. Ihre Begleiterinnen verneigen sich darauf vor mir und ihrer Herrin und verlassen zusammen mit dem zufriedenen Mithras umgehend den Raum. Charmion und Khered-Anch werden sich um Arsinoes Hofdamen kümmern.
Ich gehe ein paar Schritte auf meine Schwester zu. „Schön, dass du gekommen bist, Arsinoe. Hast du dir das Angebot mit Zypern überlegt?“, bemühe ich mich um einen freundlichen Ton.
Arsinoes Blicke wandern von mir zu Caesar und wieder zurück, bevor sie die Arme vor der Brust verschränkt. „Ihr wollt mich also wirklich loswerden?“
Caesar lächelt. „Feinde, die ich loswerden will, pflege ich normalerweise nicht mit Königreichen zu beschenken. Du bist also für mich keine Feindin, sondern eher eine Schutzbefohlene, Arsinoe. Deshalb behandele ich dich auch mit ziemlicher Nachsicht, falls dir das aufgefallen sein sollte. Ich bin bereit, dir diese Chance zu geben. Bedank dich dafür bei deiner Schwester!“
„Eine Schutzbefohlene also...“ Arsinoe betrachtet interessiert ihre Hände mit den fein manikürten Nägeln und wendet sich dann wieder mir zu: „Danke, Kleopatra.“ Ihr Lächeln ist durch und durch ironisch.
„Dann lasst uns auf die Dachterrasse gehen, um die Details zu besprechen“, beschließt Caesar. Und mit diesen Worten ist er auch schon neben mich getreten und reicht mir wie selbstverständlich seine rechte Hand, die ich sofort ergreife, während Arsinoe ihn einen Augenblick abwägend betrachtet und dann zögernd seine andere Hand akzeptiert. Was sind wir doch für eine harmonische und glückliche Familie!
~*~
Wir sitzen auf im Halbkreis angeordneten Klinen unter einem Sonnenschatten, der von kunstvoll gefertigten Säulen mit Lotoskapitellen getragen wird, während Palmen in Blumenkübeln zusätzliche, sich bewegende Schattenmuster auf den Mosaikboden zaubern. Zwei Katzen liegen dort und beobachten uns träge, ohne sich von uns Menschen, oder dem Schwarm, der über uns kreisenden Silbermöwen stören zu lassen. Hier oben sind wir ungestört, abgesehen von meinen Hofdamen, die ab und zu heraufkommen, um Getränke und Erfrischungen nachzufüllen. Vom Hafen dringen Musik und Lärm gedämpft zu uns herauf und bilden eine beruhigende Geräuschkulisse. Vor dem azurblauen Himmel und der Weite des Meeres zeichnet sich in der Ferne das strahlende Weiß des Leuchtturmes ab und von dort aus weht eine kühle Brise zu uns herüber, die das Wetter in Alexandria trotz der Hitze des Tages angenehm macht. In Oberägypten ist es mit Sicherheit gerade unerträglich heiß. Ich nippe aus meinem gläsernen Kelch und schaue Caesar und Arsinoe aufmerksam an, die ebenfalls ihre Gläser erhoben haben. Meine Schwester und ich sind inzwischen zu verdünntem Wein übergegangen, während Caesar Wasser bevorzugt.
„Darf ich also annehmen, dass du geneigt bist, unser Angebot zu akzeptieren?“, fragt Caesar gerade und beobachtet Arsinoes Gesichtsausdruck.
Meine Schwester dreht den gläsernen Stil ihres Kelches gedankenvoll zwischen den Fingern, so dass die darin eingelassenen Goldfäden das Sonnenlicht reflektierten. „Wenn ich das alles richtig verstanden habe, soll Zypern einen beträchtlichen Teil der Schulden unseres Vaters an Rom übernehmen. Der Großteil der Einnahmen aus dem Handel mit Kupfer, Holz, Öl, Wein und Getreide geht an Ägypten und Rom. Mit wirklichem Gewinn könnte ich also erst in ein paar Jahren rechnen“, fasst Arsinoe die Verhandlungen der letzten halben Stunde in Kurzform zusammen.
„Ihr seid beide die Töchter und Erbinnen des Pharaos, da ist es doch nur gerecht, wenn Ihr euch die Schuldenlast teilt“, bestätigt Caesar das Gesagte.
„Und weshalb soll ich mir die Herrschaft dann auch noch mit Maios teilen? Nicht dass ich meinen kleinen Bruder nicht mögen würde, aber er ist tatsächlich noch ein Kind und die Entscheidungen würde deshalb ohnehin ich allein treffen. Zusammen mit meinen Beratern natürlich.“
„Das ist richtig, Arsinoe“, erwidert Caesar geduldig. „Aber in Rom würde man deine Regentschaft nur akzeptieren, wenn die Insel offiziell von einem Königspaar regiert wird.“
„Und warum?“
Caesar lächelt. „Nenn es von mir aus ungerecht und kleingeistig, aber in Rom traut man Frauen nicht zu, vernünftige politische Entscheidungen zu treffen oder gar solch unbegrenzte Macht auszuüben, wie das hier in Ägypten Tradition hat.“
„Ach und was ist mit meiner Schwester? Oder gelten bei Kleopatra mal wieder andere Regeln?“
„Wieso? Deine Schwester ist mit Ptolemaios verheiratet. Die beiden herrschen ebenfalls als Königspaar, wo ist das Problem?“
Arsinoe schnaubt. „Das ist doch nichts als eine Farce. Ptolemaios hat in dieser Konstellation doch überhaupt nichts zu sagen und die Ehe besteht nur auf dem Papyrus. Oder irre ich mich da?“
Caesar zuckt elegant mit den Schultern und lächelt spöttisch. „Solange der Schein gewahrt bleibt, sehe ich kein Problem in der Herrschaft einer fähigen Regentin. Zumindest, wenn sie soviel Diplomatie besitzt, sich an bestimmte Regeln zu halten.“
„Ach und die Regeln bestimmst du?“
„Nein, leider nicht. Die Regeln bestimmt die Gesellschaft, in der wir leben. Ich bestimme nur, welche außenpolitischen Entscheidungen du triffst. Die hast du mit mir abzustimmen. Genau wie deine Schwester. Und ich rate dir, das zu beherzigen!“ In Caesars Stimme schwingt wieder seine natürliche, befehlsgewohnte Autorität mit, aber auch eine leise, unüberhörbare Drohung.
Arsinoe hat den Kopf gesenkt und betrachtet wieder ihr Weinglas. „Berenike hätte sich nicht auf so einen Kompromiss eingelassen. Berenike hat immer für ihre Belange gekämpft“, sagt sie gepresst.
„Berenike ist tot“, erwidere ich sanft.
In Arsinoes Augen blitzt es einen Moment lang trotzig auf und ihre Hände zittern leicht, aber dann gibt sie sich einen Ruck und nickt entschlossen. „Na schön, von mir aus. Ich heirate Maios, aber nur pro forma. Zufrieden?“
„Wunderbar, dann müssen wir das nur noch euren Brüdern und Beratern beibringen“, schlägt Caesar einen betont fröhlichen Ton an, was mich zum Lachen und Arsinoe zum Schnauben bringt.
„Wie viel Geld schuldet Ägypten dir nochmal?“, wendet sich Arsinoe wieder an Caesar.
„10 Millionen Drachmen. Ursprünglich waren es 17 ½ Millionen, aber das habe ich bereits reduziert.“
„Wie viel ist das in Talenten?“, fragt Arsinoe und erinnert mich dabei unwillkürlich an Ptolemaios.
„1670 Talente“, informiere ich sie. „Und Zypern muss dazu weniger als ein Drittel beisteuern.“
„1670 Talente!“ Arsinoe blickt Caesar empört an. „Wollten die Piraten, die dich in deiner Jugend gefangennahmen nicht bloß 20 Talente Lösegeld für dich haben?“
Caesar lacht und auch ich muss grinsen. Wenn sie will, kann Arsinoe richtig unterhaltsam sein. Und irgendwie hat dieses interne Gespräch unter sechs Augen sie ein wenig besänftigt. Oder liegt das an Caesars charmanter Seite, die er heute voll ausspielt? „Ja, damals war ich noch günstig zu haben, Prinzessin. Aber trotzdem habe ich selbst da schon darauf bestanden, dass ich mindestens 50 Talente wert bin.“
„Jetzt bist du unbezahlbar.“ Der Satz ist mir einfach so herausgerutscht und ich erröte ein wenig, als ich das erfreute Blitzen in Caesars Augen sehe.
„Na, wenn die reichste Frau der Welt das sagt, dann werde ich nicht widersprechen.“
Die reichste Frau der Welt. Ja, da hat er Recht, als Königin von Ägypten bin ich das tatsächlich und er hat mich wieder dazu gemacht. „Aber auch die verschuldeteste Frau der Welt“, gebe ich zu bedenken.
„Ägypten ist unermesslich reich, das solltest du doch in absehbarer Zeit bewältigen können, besonders jetzt, wo Zypern einen Teil der Zahlungen übernimmt.“
„Das werde ich auch.“ Ich lächele ihn an. Aber gleichzeitig weiß ich, dass diese Rückzahlung ein Balanceakt werden wird – in Anbetracht der niedrigen Nilflut und der zu erwartenden schlechten Ernte in einigen Monaten. Aber das bespreche ich lieber mit ihm allein, sobald mir die Zahlen vorliegen.
Ich stehe auf, um mir ein bisschen die Beine zu vertreten. Das gleißend helle Licht blendet mich einen Augenblick, als ich den schützenden Sonnenschatten verlasse. Eine Windböe erfasst meinen Chiton und meine offenen langen Haare, als ich mich dem hohen Geländer nähere, das die Dachterasse umgibt. Von hier oben kann man das emsige Treiben am Hafen beobachten, ohne selbst gesehen zu werden. Schiffe werden gelöscht und beladen. Von Alexandria aus wird ägyptisches Getreide, Glas, Öl, Papyrus und Leinen in alle Welt exportiert. Gleichzeitig ist hier der Umschlagplatz für kostbare Stoffe und Gewürze, Teppiche und Edelsteine. Die Alexandriner feiern und singen bei der Arbeit. Alles unter dem ewigen Blick der monumentalen Statuen meiner göttlichen Ahninnen Kleopatra Soteira und Kleopatra Euergetis, die von ihren erhabenen Sockeln aus Rosengranit die Hafeneinfahrt überwachen und die Besucher willkommen heißen. Alexandria blüht und gedeiht, es gibt hunderte von Theatern, Tempeln und Gärten. Florierender Handel, exquisite Handwerkskunst und weltberühmte Stätten der Gelehrsamkeit. Ich muss mir keine Sorgen machen. Selbst, wenn diese Nilschwemme niedrig ausfällt, Ägypten kann das kompensieren und auch noch die Schulden an Caesar zahlen. Ich muss die dafür nötigen Steuern nur umsichtig planen und berechnen.
Arsinoe ist schweigend an meine Seite getreten. Gemeinsam beobachten wir einen Moment lang den Großen Hafen unter uns. Sie trinkt aus ihrem nun wieder nachgefüllten Weinkelch. Irgendwie wirkt sie auf einmal seltsam jung und unsicher, völlig entgegengesetzt zu ihrem sonstigen selbstbewussten und provokanten Auftreten.
„Zypern ist wunderschön und Maios ein aufgeweckter und intelligenter Junge. Ich glaube ihr beide könnt als Königspaar dort sehr erfolgreich sein“, ergreife ich das Wort.
„Vielleicht suche ich mir ja wirklich einen Liebhaber!“, sagt sie leise. Und bei dem vertrauten Trotz in ihrer Stimme muss ich unwillkürlich grinsen.
„Ich will das gar nicht wissen, Arsinoe! Tu, was du nicht lassen kannst, aber sei um der Götter Willen diskret dabei!“
Arsinoe lacht. „Du meinst, diskreter als du? Das dürfte doch zu schaffen sein! Wie hältst du das mit ihm aus? Er ist ja noch selbstherrlicher und bestimmender als Vater es war. Alles muss nach seinem Willen gehen!“
Ich schmunzele „Er ist der mächtigste Mann der Welt und ein Eroberer. Was hast du denn erwartet?“
„Ja und Macht ist für dich unwiderstehlich, ich weiß. Mit Vaters Launen bist du ja auch prima klargekommen. Du warst ja immer sein Liebling!“
Nicht dieses Thema schon wieder! Ich stöhne innerlich auf. „Das nennt man Diplomatie, Arsinoe. Ich weiß, dass du das Wort nicht einmal buchstabieren kannst.“
„Diplomatie? Ich glaube eher, er hat dich betört und völlig um den Finger gewickelt. Du fügst dich ja brav all seinen Wünschen!“
„Caesar ist der neue Patron Ägyptens, Arsinoe. Und du tätest gut daran, das endlich ebenfalls zu akzeptieren!“
„Was tue ich denn hier gerade? Aber deshalb muss es mir noch lange nicht gefallen! Wir Ptolemäerinnen sind wilde Löwinnen und keine zahmen Hauskätzchen!“
„Ach und um das zu unterstreichen, hast du Mithras aus dem Zoo geholt, läufst hier mit einem Geparden durch die Flure und machst lächerliche Anspielungen auf Mithridates Eupator? Sei froh, dass Caesar das nicht ernst genommen hat!“
Sie zuckt mit den Schultern und lächelt. „Wenigstens hatten die römischen Wachen ein bisschen Angst vor ihm.“
„Na wenn dich das glücklich macht.“ Ich schüttele belustigt den Kopf und gehe zurück zu den Klinen. Caesar hat sich zurückgelehnt und beobachtet uns aufmerksam. Ich bin nicht sicher, wie viel er von unserem leisen Wortwechsel verstanden hat, aber wie immer habe ich das Gefühl, dass ihm nichts entgeht.
Eine der beiden Palastkatzen hat sich erhoben und beäugt uns träge. So klein und zierlich und doch über alles erhaben, wie die Göttin Bastet persönlich. Ich gehe zum Tisch und greife mir eine Schale, die ich mit verdünnter Ziegenmilch fülle und dann auf den Boden vor dem heiligen Tier abstelle. Sofort kommt die zarte weiße Katze näher und schmiegt sich schnurrend an mich, bevor sie sich der Schale zuwendet. Aus meiner hockenden Position vom Boden aus, lächele ich Caesar an, der mich amüsiert betrachtet.
„Ach, muss Liebe schön sein!“, höre ich Arsinoes zynischen Kommentar.
Caesars Augen wandern von mir zu Arsinoe und wieder zurück. „Kein Wunder, dass Katzen in Ägypten heilig sind. Euch Königstöchter zu beobachten, ist, als würde man zwei Raubkatzen in freier Wildbahn erleben.“
„Gibt es denn in Rom nur domestizierte Katzen?“, frage ich schelmisch lächelnd.
„Entweder domestizierte oder gefangene, wie die, welche für die Spiele bestimmt sind.“ Die Worte beziehen sich auf die römischen Gladiatorenspiele und Tierhetzen, doch irgendetwas daran lässt mich schaudern. Und das liegt nicht daran, dass ich diese römische Art der Unterhaltung für barbarisch erachte. Doch das Gefühl ist vorbei, ehe ich es greifen kann.
„Und bedauerst du das?“, frage ich nach.
Caesar lächelt. „Zumindest verstehe ich jetzt, warum man Katzen hier als Erscheinungsformen der Göttin verehrt.“
„Unser Vater hat uns manchmal mit Bastet und Sachmet verglichen, der Katzen- und der Löwengöttin. Kleopatra war natürlich immer die liebliche Katze und ich die wilde Löwin.“ Arsinoe schnaubt bei dem Gedanken.
„Nicht immer“, widerspreche ich. „Manchmal war es auch umgekehrt. Aber eigentlich verkörpern die Katze und die Löwin ohnehin die beiden Seiten derselben Göttin. Als Katze ist sie die in sich ruhende Seele der Isis, als Löwin heißt sie Hathor-Tefnut und ist die feurige Tochter des Re. Sie erscheint auch als Stirnschlange der Pharaonen und allsehendes Sonnenauge. Die Priester von Philae sagen, sie sei zornig in ihrer Gestalt als Sachmet und fröhlich, beziehungsweise gnädig als Bastet.“
„Tja, die Göttin hat eben manchmal gute Laune und manchmal schlechte“, ergänzt Arsinoe in ihrer unnachahmlich respektlosen Art.
„Und wie besänftigt man sie, wenn sie schlechte Laune hat?“, fragt Caesar belustigt.
Ich lächele. „Der Legende nach durch Lieder und Gesänge, Tanz und Musik und den Klang der Sistren.“
„Und durch Alkohol, hast du vergessen“, ergänzt Arsinoe und leert ihren Weinkelch in einem Zug.
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[1] Ägyptologische Aussprache der Transkription: nSn=s m sXmt, Htp=s m Bstt / nSn=s m sXmt, Htp=s m Bstt (Neschem es em Sachmet, Hetep es em Bastet).
Das Wort „gnädig“ (Htp) kann auch als fröhlich, friedlich oder barmherzig übersetzt werden. Junker übersetzt die Zeile mit: „Zornig ist sie als Sechmet und fröhlich als Bast“ (Hermann Junker, Die Onurislegende, Wien, 1917, 164); siehe auch: Louise Gestermann, Zorn und Gnade ägyptischer Götter, 26, in: Forschungen zum Alten Testament 2.33, Tübingen 2008; Amgad Joseph, Divine Wrath in Ancient Egypt, 11, in: Études et Travaux XXXI, 2018.
[2] Lateinischer Text: https://la.wikisource.org/wiki/Commentarii_de_bello_civili/Liber_III#68; deutsche Übersetzung: Marieluise Deißmann, Gaius Julius Caesar, Der Bürgerkrieg, 68, Stuttgart, 2008, S. 140.
[3] In der Schlacht von Dyrrhachium (im heutigen Albanien) am 10. Juli 48 v. Chr wurde Caesars Armee von Pompeius beinahe vernichtend geschlagen. Caesar konnte eine militärische Katastrophe nur durch einen Rückzug abwenden und hatte hohe Verluste zu beklagen. Pompeius sah sich zu dieser Zeit schon als Sieger im Bürgerkrieg, wurde aber etwa einen Monat später von Caesar bei Pharsalos besiegt.
[4] Mithridates VI. Eupator (132-63 v. Chr.), König von Pontos und erbitterter Gegner Roms in den drei mithridatischen Kriegen.