„…denn mit dem Wagen siegte bereits mein Großvater Ptolemaios, als er sein Pferd über die Rennbahn Olympia trieb und die Mutter meines Vaters, Berenike. Wiederum, mit dem Wagen holte den Sieg der König, Sohn eines Königs. Alle drei Siege errang Arsinoe in einem einzigen Wettkampf. Heiliges Geschlecht von Frauen. Solch erstaunliche Leistungen hat Olympia mit dem Wagen gesehen (…) Besingt, Ihr Makedoninnen, den Siegeskranz der Königin Berenike für den Sieg in den Wettkämpfen mit Quadrigen und erwachsenen Pferden.“
(Epigramm des Hofdichters Poseidippos von Pella über die Siege der Olympionikin Königin Berenike II. und die Siege ihrer Ahnen bei den olympischen Spielen)[1]
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Charmion und ich lassen uns nichts anmerken und begutachten auch noch die restlichen Erbstücke meiner Tante. Aber innerlich brennen wir beide darauf, auszuprobieren, ob sich die unterirdische Tür mit ihrem Siegel öffnen lässt. Um mein Interesse nicht allzu offensichtlich zu zeigen, wähle ich neben den Ohrringen noch einige andere Schmuckstücke aus dem Besitz meiner Tante aus, was von Stephanos‘ Gehilfen sorgfältig auf einem Papyrus notiert wird. Charmion führt indessen ihre eigene Liste und gibt meinen Mädchen Anweisungen, die Schmuckstücke sorgfältig zu verstauen. Als meine erste Hofdame hat sie inzwischen auch dafür Sorge getragen, dass mein Ankleidezimmer wie ein eleganter Präsentationsraum für höfische Kleidung wirkt. Jedes Gewand und sämtliche Schmuckstücke sind von den Mädchen ordentlich drapiert, sortiert und auf Listen notiert worden und bereits mit den Beständen des Schatzhauses abgeglichen.
Den Rest lässt Stephanos wieder einpacken und verabschiedet sich schließlich mit einer tiefen Verbeugung von mir. Ich sehe das aufrichtige Lächeln in seinen gütigen Augen und blicke dem alten Kronenbewahrer samt seinen Trägern und Wachen noch einen Augenblick nach.
„Möchtest du die Ohrringe heute tragen, Kleopatra?“, fragt Charmion leise.
„Nein, nimm du sie lieber. Ich möchte keine Aufmerksamkeit darauf lenken.“ Charmion nickt verständnisvoll und verstaut die kostbaren Schmuckstücke in einem kleinen verschließbaren Zylinder aus ziseliertem Silber, den sie als Schmuckelement an ihrem Gürtel befestigt. Auf diese Weise kann sie die Siegel und andere Wertgegenstände unauffällig bei sich tragen.
Gerade als ich mich anschicken will, zum Essen mit Caesar und meinen Geschwistern aufzubrechen, melden die Wachen einen weiteren Besucher. Also lehne ich mich wieder auf meinem Thronstuhl zurück und winke ihn herein. „Was kann ich für dich tun, Ammonius?“, frage ich meinen Schreiber, nachdem er sich verneigt hat.
Der junge Beamte mit den gekräuselten schwarzen Haaren richtet sich mit einem verlegenen Lächeln auf. Er wirkt ein wenig außer Atem. „Majestät, der königliche Sekretär Seleukos schickt mich. Er bekam gerade die Nachricht von einem Boten aus der Museionsbibliothek. Die von Euch angeforderten Baupläne sind leider nicht als Kopien verfügbar, weil diese bereits von anderer Stelle angefordert wurden. Da der Befehl von Euch direkt kam, könnt Ihr auch das Original bestellen, allerdings wollte der zuständige Bibliothekar zuvor abklären, wie eilig es ist, da er sonst für Euch eine neue Kopie erstellen würde.“ Die Originale verlassen normalerweise nicht die Bibliothek, außer auf direkten Befehl des Herrschers oder der königlichen Verwaltung.
„Wer hat die Kopie der Baupläne angefordert?“, frage ich stirnrunzelnd.
„Das Büro des Dioiketes, Majestät. Soll ich die Kopie von dort für Euch anfordern? Das würde wahrscheinlich am schnellsten gehen“, schlägt er hilfsbereit vor.
„Nein, nicht nötig, Ammonius“, erwidere ich möglichst neutral. Das ist nicht gut, das ist alles andere als gut! Blitzschnell gehe ich im Kopf die Möglichkeiten durch: Wenn ich Glück habe, dann handelt es sich nur um eine Routinemaßnahme, die in Zusammenhang der Bereitstellung des Palastes für die römischen Gäste erfolgte. Wenn nicht…dann weiß auch Potheinos möglicherweise von dem Gang – falls er denn auf den Plänen überhaupt verzeichnet ist. Doch falls er ihn nicht kennt, würde ich ihn durch meine Nachfrage vielleicht erst auf diese Spur bringen. Nein, es ist unwahrscheinlich, dass Potheinos davon weiß, sonst hätte er die Tür sicherlich bereits selbst geöffnet, bevor Caesar hier überhaupt eingezogen ist. Oder der Dioiketes interessiert sich für etwas ganz anderes im Zusammenhang mit diesem Palast. Was immer dort unten auch ist, Potheinos muss nicht wissen, dass auch ich mich für die Baupläne interessiere… „Die Angelegenheit eilt nicht, der Bibliothekar kann in Ruhe eine Kopie für mich anfertigen, das ist ausreichend. Vielen Dank, Ammonius“, erwidere ich möglichst beiläufig und entlasse ihn mit einem freundlichen Nicken.
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In Begleitung von Charmion und Khered-Anch betrete ich wenig später Caesars persönliche Gemächer. Die römischen Wachen lassen uns einfach kommentarlos passieren und machen sich nicht einmal die Mühe, mich anzukündigen. Caesar muss den Befehl dazu gegeben haben. Beschwingt durchquere ich das Portal. Auch wenn ich die Königin bin und dieser Palast im Grunde mir gehört, ist das alles andere als selbstverständlich, sondern ein weiterer Vertrauensbeweis.
Als ich den Besprechungssaal betrete, bietet sich mir ein ungewohntes Bild: Meine Geschwister stehen zusammen mit Julius Caesar und seinem Cousin Sextus am Kartentisch. Arsinoe deutet gerade auf den dort ausgebreiteten Stadtplan: „Ich würde sagen, wir sollten den Zoologischen Garten lieber morgens besuchen, nachmittags liegen die Tiere eher im Schatten und wollen ihre Ruhe.“
Caesars aufmerksamer Blick wandert sofort zu mir. „Ah, Kleopatra, schön dass du da bist“, sagt er mit Wärme in der Stimme. Ich erwidere sein Lächeln und nicke dann auch Sextus und meinen Geschwistern zu, die meine Begrüßung erwidern.
„Wir hatten gerade überlegt, heute nachmittag einen Ausflug durch die Stadt zu machen. Was würdest du vorschlagen, meine Liebe?“ Caesar macht eine einladende Geste und winkt mich an seine Seite. Ich trete neben ihn – Maios hat sofort seinen Platz für mich geräumt – und bin mir Caesars machtvoller Ausstrahlung augenblicklich wieder bewusst. Sie umhüllt mich wie ein schützender Schild, und doch pocht mein Herz in seiner Gegenwart unwillkürlich schneller. Natürlich lasse ich mir nichts anmerken, sondern deute geschäftig auf ein Gebäude, das westlich von uns in der Nähe des Großen Hafens gelegen ist. „Während der Hitze des Tages würde ich die Museionsbibliothek vorschlagen, wegen der dicken Mauern ist es dort angenehm kühl.“ Und mit etwas Glück könnte ich bei der Gelegenheit auch noch einen Blick auf die Originalbaupläne dieses Palastes werfen. „Wolltest du dich nicht ohnehin mit Sosigenes wegen des Kalenders besprechen, Caesar?“, versuche ich ihn für die Idee zu begeistern.
„Das ist mir in der Tat ein besonderes Anliegen“, räumt Caesar ein, „aber lass uns das lieber auf morgen verschieben, Kleopatra. Ich muss heute anschließend noch zu den Soldaten“, fügt er hinzu und wechselt mit Sextus über den Tisch hinweg einen vielsagenden Blick.
„Caesar, können wir nicht einfach mitkommen, wenn du deine Truppen inspizierst?“, fragt darauf Maios mit leuchtenden Augen.
Der Feldherr schmunzelt über die Begeisterung des Prinzen, sieht aber mich an, als er einen Augenblick überlegt und dann antwortet: „Nun gut, dann widmen wir uns heute komplett dem Militär. Ich kann euch mit zu meinen gallischen und germanischen Auxiliartruppen nehmen. Die Reiterei ist ganz in der Nähe untergebracht, hinter dem Theater des Dionysos.“ Ich nicke erfreut und realisiere beglückt, dass er das mir zu Liebe macht, weil ich ihn gestern auch schon gebeten habe, mich mitzunehmen.
„Bei den alten Kasernen und königlichen Stallungen?“, fragt der König interessiert.
„In der Tat, Ptolemaios. Meine Kavallerie nutzt das Gelände für ihre Übungen. Wenn Ihr mitkommt, kann ich gerne dafür sorgen, dass sie ein paar Reiterspiele vorführen, wie man sie aus Gallien kennt.“
„Die gallischen Reiter sind berühmt für ihre Wendigkeit“, fügt Sextus mit seinem üblichen charmanten Lächeln hinzu.
„Ich denke nicht, dass sie mit unserer Reiterei mithalten können“, erwidert meine Schwester unbeeindruckt und blickt Sextus dabei kühl an.
„Dann überzeugt Euch selbst, Prinzessin. Wir können ja Wetten abschließen“, schlägt dieser grinsend vor. In seinen Augen blitzt es herausfordernd.
„Von mir aus. Wenn du gerne verlierst, Tribun – dann nur zu!“, erwidert Arsinoe in ihrem üblichen hochmütigen Ton von oben herab.
Sextus kneift leicht die Augen zusammen und mustert sie lässig. „Abgemacht.“
„Ich bin dabei“, verkündet der König und unterbricht damit das subtile Blickduell der beiden.
„Wunderbar“, beschließt Caesar, der den Tisch halb umrundet und seinem Cousin eine Hand auf die Schulter legt. „Sextus, sei so gut und bereite unseren Besuch vor.“ Und mit der Anweisung, eine entsprechende Eskorte zu organisieren, schickt er ihn schon einmal vor. Sextus Julius Caesar verabschiedet sich und bricht umgehend auf, wobei er es sich nicht nehmen lässt, Khered-Anch im Vorbeigehen zuzuzwinkern. Die junge Priesterin läuft tiefrot an und blickt verlegen auf die Riemen ihrer weißen Sandalen. Meine Augen huschen zu Caesar und sein wissender Blick verrät mir, dass ihm das ebenfalls nicht entgangen ist.
„Bevor wir aufbrechen, sollten wir noch eine Kleinigkeit zu uns nehmen“, meint er jedoch nur, ohne das Beobachtete weiter zu kommentieren. Besitzergreifend legt er eine Hand um meine Taille und die andere um Ptolemaios‘ Schulter, um uns in die gewünschte Richtung zu delegieren. Die anderen folgen.
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[1] Zitiert nach Michael Pfrommer, Königinnen vom Nil, S. 45-48. Ob die ptolemäischen Königinnen bei den Spielen wirklich selbst gefahren sind, oder einen Wagenlenker beauftragten, wie die spartanische Königin Kynista, ist umstritten. In den Epigrammen des Poseidippos klingt es aber sehr danach, als seien sie selbst gefahren und dass ptolemäische Königinnen reiten und fahren konnten, ist vielfach bezeugt.