Langsam trinke ich einen Schluck Wein und fixiere Caesar meinerseits, bevor ich den Kelch entschlossen abstelle und beginne: „Du hast in deinem Brief angeboten, den Thronstreit auf diplomatischem Weg zu lösen und zwischen meinem Bruder und mir zu vermitteln. Ich wollte diesen Bürgerkrieg nicht und bin bereit, ihn zu beenden, wenn du meinen Thronanspruch bestätigst. Wenn du mich wieder zur Regentin machst, bin ich bereit, die Schulden meines Vaters an Rom zu begleichen. Gold und Getreide im Wert von 5000 Talenten, Nahrung und Sold für deine Armeen. Deswegen bist du doch hier, nicht wahr?"
„Da magst du recht haben, doch die Berater deines Bruders haben mir schon dasselbe Angebot unterbreitet. Und sie verfügen momentan – das musst du zugeben – auch über die bessere Position, ihr Angebot in die Tat umzusetzen. Weshalb sollte ich also deine Seite vorziehen?"
Seine Stimme klingt weiterhin einnehmend und freundlich, doch mit seinen wohlgesetzten Worten analysiert er meine momentane Lage gnadenlos. „Deine Armee ist der deines Bruders nicht nur zahlenmäßig unterlegen, Kleopatra. Das ist zwar kein Hindernis, um dennoch den Sieg zu erringen, aber – mit Verlaub – du bist kein erfahrener Stratege, sondern ein junges Mädchen. Deinen Mut hast du bewiesen, aber dir fehlt es an Erfahrung."
Unter seinem hypnotischen Blick regt sich mein Widerstand. Doch als ich antworte, ist meine Stimme ruhig und klar: „Ich bin die legitime Thronerbin Ägyptens und werde nicht wie mein Bruder von einem Regentschaftsrat ehrgeiziger Männer manipuliert. Ich wäre dir eine treue und verlässliche Verbündete. Nicht nur heute und morgen, sondern auch in allen zukünftigen Jahren. Und Ich bin bereit zu lernen, o Caesar... Ich vertraue mich gerne deiner Führung an."
„Eine eigene Königin, die in meinem Interesse agiert. Das ist fürwahr ein interessantes Argument", nickt er langsam und wieder fühle ich diesen intensiven dunklen Blick, der in mein Innerstes zu dringen scheint. Einen Augenblick herrscht eine fast greifbare Spannung zwischen uns, doch dann wandelt sich Caesars Miene wieder zu einem entwaffnenden Lächeln und er fährt wie beiläufig fort: „Ich will ehrlich sein, Kleopatra. Ich verspüre wenig Lust dazu, schon wieder einen Bürgerkrieg auszufechten, nicht wenn es vermeidbar ist. In erster Linie ist mir also an einer Versöhnung zwischen dir und deinem Bruder gelegen, das wäre der einfachste Weg, um diesen Streit zu beenden. Wir werden also zunächst sehen, ob der diplomatische Weg möglich ist. Und in der Zwischenzeit bist du mein Gast und stehst unter meinem persönlichen Schutz, wie ich es dir versprochen habe."
„Wenn du eine offizielle Versöhnung mit Ptolemaios bewirken könntest und ich wieder neben ihm auf dem Thron sitze, dann bleibt trotzdem das Problem des Regentschaftsrates. Diese Männer sind die wirklichen Herrscher hinter dem Thron und auch das eigentliche Problem", gebe ich zu bedenken.
„Das ist mir durchaus klar, Kleopatra, aber lass das bitte meine Sorge sein. Ich weiß sehr gut, wie man solche Probleme aus dem Weg räumt, glaub mir einfach." Wieder dieses gefährliche Lächeln.
„Ich danke dir, Caesar“, erwidere ich automatisch, während ich begreife, dass er mit genau diesem Lächeln Todesurteile auszusprechen pflegt.
Wieder wird mir bewusst: Mir gegenüber sitzt de facto der Herrscher des römischen Reiches. Der einzige Mann, der die Macht hat, mir meinen Thron und meine Macht zurückzugeben, oder sie mir zu nehmen – und doch tändele und scherze ich hier mit ihm und finde zunehmend Gefallen daran.
Eingehend betrachte ich sein Gesicht, studiere seine edlen und aristokratischen Züge, die sich trotz des Alters eine gewisse Jugendlichkeit bewahrt haben. Sein dunkles Haar ist teilweise ergraut, aber das tut seiner Ausstrahlung keinen Abbruch, sondern lässt ihn eher noch einschüchternder und überlegener wirken. Caesar erwidert meinen Blick gelassen, seine Bewegungen und seine Körperhaltung strahlen Kraft und Energie aus und wieder beginnt sich diese eigentümliche Spannung zwischen uns aufzubauen.
Dieser Mann hat Ausstrahlung und Humor, ist rhetorisch brillant und verfügt über ein gigantisches Selbstvertrauen, das auf Lebenserfahrung und den vielen Siegen beruht, die er errungen hat. Ist es denn so abwegig zu glauben, dass ein Gott ihn überschattet?
Um ihn nicht einfach nur anzustarren, biete ich meine Hilfe an: „Was genau kann ich in der Zwischenzeit tun? Was erwartest du von mir?" Und damit stelle ich schließlich die Frage, die mir im Grunde schon die ganze Zeit auf der Zunge brennt, seitdem ich die Geschichten über ihn gehört habe, seitdem ich seine Briefe gelesen habe – seitdem er mich mit diesen stechenden Augen mustert.
Caesar hat sich entspannt zurückgelehnt und wirkt wie ein König auf seinem Thron: „Tja, was soll ich mit dir machen – in der Zwischenzeit?" Wieder dieses ironische Lächeln, mit dem er mir zu verstehen gibt, dass ihm da durchaus das ein oder andere einfallen würde.
Ich blicke auf meine Hände und merke, wie mir Hitze in die Wangen steigt. Wie kann es sein, dass er mich so leicht in Verlegenheit bringen kann, allein mit dem Klang seiner Stimme?
„Vielleicht könnte ich dir bei der Korrespondenz helfen. Ich spreche neun Sprachen und habe Rhetorik studiert", schlage ich vor, um ihn (und mich) auf andere Gedanken zu bringen.
„Die Königin von Ägypten als meine persönliche Beraterin und Übersetzerin, ein verführerischer Gedanke. Ich dachte Königinnen verbringen ihre Tage beim Baden in Eselsmilch oder bei Banketten."
Ich lache. „Ja, das tun sie hin und wieder auch, aber die meiste Zeit beschäftigen wir uns doch mit der Verwaltung eines Landes – wenn wir uns nicht gerade in einem staubigen Heerlager befinden und Belagerungspläne besprechen."
„Kleopatra, ich gebe zu, dass die römischen Klischeevorstellungen nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben. Neun Sprachen?! Ich bin beeindruckt und nehme deine Hilfe gerne in Anspruch. Allerdings muss ich darauf bestehen, dass alle militärischen Entscheidungen ab sofort mir obliegen. Oder anders ausgedrückt: Deine Armee untersteht ab sofort meinem Oberbefehl und ich werde entscheiden, wie weiter vorzugehen ist. Und bevor du Einwände erhebst: Dies ist keine Missachtung deiner Kompetenz, sondern eine Frage des Vertrauens. Wenn du möchtest, dass ich dir vertraue, dann musst du zuerst mir vertrauen."
Widerwillen steigt in mir hoch und ich versuche ihn zu unterdrücken. Immer wieder diese römische Bevormundung und Arroganz! Bleib ruhig! ermahne ich mich selbst. Er hat recht – ,ich vertraue mich gerne deiner Führung an' – das habe ich mir selbst eingebrockt. Ich muss ihm jetzt nachgeben, eine andere Wahl habe ich nicht.
Ich nicke knapp. „Also gut, in der augenblicklichen Lage folgt meine Armee deinen Anweisungen, Caesar. Aber ich bleibe nominell die Befehlshaberin, etwas anderes würde den ägyptischen Nationalstolz provozieren. Die Soldaten würden reihenweise desertieren und die Potheinos-Fraktion würde jubeln."
„Gut", beschließt er. „Dann darfst du meine Befehle unterschreiben. Vielleicht diktiere ich sie dir sogar", zieht er mich auf.
„Wie du möchtest." Aber sicher doch, wie mein Herr und Gebieter befiehlt...
„Für eine ptolemäische Königin bist du ganz schön nachgiebig. Ich hatte eigentlich mit mehr Widerspruch gerechnet."
„Ich bin noch eine Königin in der Ausbildung und habe gerade meinen Lehrmeister gefunden!", entgegne ich sarkastisch.
„Auch noch mit Humor und Schlagfertigkeit gesegnet, das nenne ich eine seltene Kombination."
„Aber vielleicht kannst du trotz deiner Weisheit und Erfahrung auch das ein oder andere von mir lernen, Caesar", erwidere ich trocken, „oder soll ich dich lieber Patron nennen?“
Er lächelt. „Als meine Klientin kannst du das natürlich gerne tun. Und ich würde gerne mehr über dich erfahren. Erzähl mir von dir! Wie ist dir zum Beispiel die Flucht aus Alexandria gelungen?", fragt er mit echtem Interesse – und so beginne ich zu berichten.
Ich erzähle ihm von meinen ersten Regierungsjahren, meinen Reisen nach Oberägypten und dem Versuch meiner Feinde, die Bevölkerung Alexandrias gegen mich aufzubringen. Ich berichte vom Mut meiner Getreuen und der Zeit des Exils. Caesar ist ein aufmerksamer Zuhörer und schon bald erzählt auch er mir die ein oder andere Kriegsgeschichte und Anekdote. Fasziniert lausche ich seinen Berichten, während er mir Wein nachschenkt und eine angenehme Brise vom Meer durch die hohen Fenster hereinweht.
„Und du hast den Kapitän zur Kapitulation aufgefordert, obwohl seine Flotte in der Übermacht war und er hat sich daraufhin tatsächlich ergeben?", frage ich ungläubig nach, als er mir von seiner waghalsigen Überquerung des Hellespont[1] nach der Schlacht von Pharsalos erzählt.
„Manche Siege erringt man durch Schlachten, andere allein durch Worte und manchmal muss man schnelle Entscheidungen treffen und auf Fortuna vertrauen, Kleopatra", sagt er ernst. „Und ich weiß, dass du das besser verstehst als die meisten anderen Menschen, denn du hast heute auch alles auf eine Karte gesetzt und bist zu mir gekommen."
Er blickt mich anerkennend an und fährt nach einer kurzen Pause wie beiläufig fort, ohne mich aus den Augen zu lassen: „Die Nacht ist inzwischen fortgeschritten, Kleopatra. In Anbetracht der Lage im Palast ist es das Beste, wenn du in diesen Räumen bleibst und ab sofort hier bei mir wohnst, ich denke die Gemächer sind groß genug für uns beide."
Ich werfe ihm einen skeptischen Blick zu: „Caesar, ich danke dir und weiß dein Angebot zu schätzen, aber dir ist doch sicher klar, was man am Hof reden wird, wenn ich die Nacht in deinen Gemächern verbringe? Das wäre nicht gerade diplomatisch", gebe ich zu bedenken.
„Wäre das ein Problem für dich?", kommt die belustigte Gegenfrage. Oh ja, dieser Gedanke scheint ihn köstlich zu amüsieren...Und mir wird glasklar bewusst, auf was das hier gerade hinausläuft – als ob ich es nicht geahnt hätte!
„Deine Geliebte zu werden oder die Leute das glauben zu lassen und die Unterstützer meines Bruders damit noch mehr gegen mich aufzubringen als ohnehin schon?", frage ich offen heraus.
„Kleopatra", sagt er langsam, jede Silbe meines Namens betonend, „Solange ich in Ägypten weile, bin ich der Repräsentant Roms und meine Entscheidungen sind Gesetz – auch hier im ägyptischen Königspalast. Nur wenn der Regentschaftsrat das begreift, ist ein Friede überhaupt möglich. Und je schneller er es begreift, desto besser. Deshalb werde ich ganz bestimmt keine Rücksicht auf die moralischen Gefühle irgendwelcher Höflinge nehmen. Im Gegenteil: Caesar tut und bekommt, was er will! Diese Botschaft möchte ich gerne übermitteln, und dabei kannst du mir durchaus behilflich sein. So oder so."
Das gibt mir zu denken. „Was genau meinst du mit so oder so?"
Er wirft mir ein amüsiertes Lächeln zu und als er mir antwortet, klingt seine Stimme eine Nuance dunkler: „Das liegt ganz bei dir, mein Kätzchen. Wenn du es gerne möchtest, kann ich natürlich auch in dieser Hinsicht dein – wie hast du so schön gesagt - Lehrmeister sein."
Eine Hitzewelle durchfährt mich bei diesen Worten und ich wende den Blick ab, gleichzeitig regt sich mein Widerstand: Dieser arrogante römische Mistkerl!
Laut sage ich mit honigsüßer Stimme: „Mein lieber Caesar, es tut mir sehr leid, doch ich bin eine lebende Göttin, die Inkarnation der Isis auf Erden und kann mich nur einem Gott oder Halbgott hingeben. So will es unser jahrtausendealter Brauch. Ich muss deshalb dankend ablehnen, tut mir sehr leid."
„Du weißt nicht, was dir entgeht", antwortet er spöttisch.
„Und ich denke, du hast keinen Mangel an willigen Frauen. Soll ich dir vielleicht eine Liebesdienerin für heute Nacht bestellen?", biete ich an, während ich nach meinem Weinkelch greife und einen Schluck nehme.
Caesar lehnt sich mit provozierender Langsamkeit zurück, und fixiert mich wieder mit diesem stechenden Blick bevor er gelassen erwidert: „Für eine Jungfrau bist du ganz schön frech."
Ich verschlucke mich bei seinen Worten und muss husten, während mir das Blut in den Ohren rauscht.
Caesar schaut mir belustigt zu, während ich wieder zu Atem komme und hakt dann nach: „Nun, du scheinst bisher keinen Gott oder Halbgott getroffen zu haben. Was ist denn aus der berühmten ptolemäischen Geschwisterliebe geworden?"
Ich fasse mich und antworte mit der offiziellen höfischen Floskel: „Ich bin die legitime Gemahlin meines Bruders, doch unsere Ehe wurde aufgrund seines jugendlichen Alters bisher nicht vollzogen." Ich bin eine ägyptische Prinzessin und normalerweise stolz auf meine Keuschheit! Doch mit dem römischen Feldherrn darüber zu sprechen ist ein weiterer Schritt auf unbekanntem und gefährlichem Gelände.
Doch statt einer weiteren spöttischen Antwort, höre ich Caesar mit ernster Stimme sagen: „Sehr gut, du wärst an diesen Bengel nur verschwendet!"
„Er ist immerhin der König von Ägypten und mein Gemahl", gebe ich zu bedenken.
„Eine unerfreuliche Tatsache."
„Aber wenn du darauf bestehst, dass wir uns versöhnen, wird er genau auf dem Vollzug dieser Ehe bestehen, schon allein, weil seine Berater ihn dazu drängen werden." Und wenn dann auch nur der leiseste Zweifel an meiner ehelichen Treue besteht, kann er mich in die Verbannung schicken – oder Schlimmeres!
„Dazu wird es nicht kommen!" Die Bestimmtheit in Caesars Stimme lässt mich aufhorchen.
„Und warum nicht?"
„Weil ich es verbieten werde. Diese Ehe wird nicht vollzogen, ich habe andere Pläne mit dir."
Ich schaue ihn an. Liegt das wirklich in seiner Macht? Ja, wird mir klar, wenn er es so will, wird sich keiner widersetzen. Wenn ich es zulasse, wird er mich beschützen – doch alles hat seinen Preis. „Du verlangst wirklich, dass ich mich dir ganz und gar ausliefere, oder?"
„Das hast du schon in dem Moment, als du diese Schwelle übertreten hast. Die Würfel sind gefallen, Kleopatra." Er streckt die Hand aus und seine Stimme klingt auf einmal sanft: „Komm her!"
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[1] Hellespont war die antike Bezeichnung der Dardanellen, der Meerenge, die das Ägäische Meer mit dem Marmarameer verbindet.