Das erste, was mir auffällt, als ich in Charmions Begleitung mein Büro betrete, sind große Stapel von Papyrusrollen, mit deren Bearbeitung Seleukos, Ammonius und Saras offensichtlich bereits seit geraumer Zeit beschäftigt sind.
„Was sind das für Briefe hier?“, frage ich irritiert angesichts eines weiteren Berges von Papyri, die sich auf meinem Arbeitsplatz auftürmen und die gestern definitiv noch nicht dort lagen.
„Diese Briefe stammen aus der Verwaltung des Dioiketes. Es handelt sich um Rechnungen, sowie persönliche Anfragen und Bitten an Euch, Majestät“, antwortet Seleukos mit säuerlichem Gesichtsausdruck.
Ich setzte mich und wechsele einen Blick mit Charmion, der ich bedeute, neben mir an meinem Arbeitstisch Platz zu nehmen. Dann wende mich an meinen Sekretär: „Nun gut, Seleukos. Damit befassen wir uns später. Wie steht es um die Getreidelieferungen für die römischen Legionen und die Auxiliar Truppen?“, komme ich auf die wichtigste Frage auf meiner Prioritätenliste zu sprechen: die Versorgung von Caesars Armee, mit der ich mich nun schon seit Tagen befasse.
„Ab heute wollte der Dioiketes die Lieferungen direkt aus den königlichen Speichern veranlassen“, informiert mich Seleukos und reicht mir das entsprechende Schreiben.
Ich studiere es kurz und lege es dann beiseite. „Das klingt zunächst einmal gut.“ Das Problem ist allerdings, dass ich dem Minister nicht traue und allmählich habe ich die Nase voll von Potheinos‘ ständigen Ausflüchten wegen der verdorbenen Getreidelieferungen, vor allem, da die Sache auf mich zurückfallen würde. Caesar ist alles andere als begeistert darüber.
„Doch wo wir schon einmal bei den Anordnungen des Dioiketes sind: Die persönlichen Haushaltsgegenstände von Prinz Ptolemaios müssen unverzüglich zurückerstattet werden“, besinne ich mich auf mein Versprechen, das ich Maios gegeben habe.
„Soll ich das als königliche Anordnung verfassen?“, fragt Seleukos diensteifrig nach. Ich überlege kurz. Diese Art von prostágmata[1] werden ohne einleitende Grußformeln oder Höflichkeitsfloskeln verfasst. Doch die Höflichkeit haben wir ohnehin hinter uns gelassen und auch Caesar behandelt Potheinos von oben herab. Ein Blick auf Seleukos bestätigt mir, dass auch mein Sekretär den Minister mit größtem Vergnügen herumkommandieren würde.
„Ja, schreib einfach: Auf Anordnung der Königin!“, beschließe ich und diktiere dann einen entsprechenden Befehl, in dem ich Potheinos dazu auffordere, seine diesbezüglichen Anordnungen zu widerrufen und die beschlagnahmten Besitztümer an Maios zurückzugeben. „Und ich möchte, dass dies noch heute umgesetzt wird!“, füge ich nachdrücklich hinzu.
„Ja, Majestät.“ Mein Sekretär räuspert sich. „Allerdings weigern sich die Beamten der Dioiketes-Verwaltung – aus Sicherheitsgründen, wie sie behaupten – Befehle mit den alten Siegeln zu bearbeiten und die neuen Siegel sind entgegen der Versicherung des Epistographos, des Leiters der königlichen Kanzlei…noch nicht eingetroffen.“
Das darf doch nicht wahr sein! „Was sind das überhaupt für neue Siegel?“, will ich wissen.
„Soweit ich weiß, tragen sie die neue Doppeltitular der Theoi Philopatores Philadelphoi – der vater- und geschwisterliebenden Götter. Der Minister hat offiziell festgelegt, dass Eure Versöhnung mit Eurem Bruder und Wiedereinsetzung als Königin ab sofort aus den offiziellen Siegelabdrücken ersichtlich sein muss, Majestät.“
Ich schnaube innerlich. Daran kann ich formal leider nichts aussetzen. Potheinos ist wie ein glitschiger Frosch, der sich aus allem herauswindet und für alles eine Begründung parat hat. „Wenn der Dioiketes es für so wichtig hält, die Verwaltung zu optimieren, dann muss er auch dafür sorgen, dass die dafür benötigten Materialen fristgerecht ausgeliefert werden. Ansonsten zweifle ich allmählich an seiner Kompetenz!“, bemerke ich mit einem Blick auf all die unerledigten Dokumente auf meinem Tisch.
„Ja, Majestät. Ich habe bereits eine entsprechende Beschwerde an den Dioiketes und auch an das Schatzamt geschickt, das die königlichen Siegel ausliefern sollte“, versichert mir Seleukos.
„Sehr gut. In der Zwischenzeit benötige ich die Baupläne dieses Palastes. Bitte sorge dafür, dass die entsprechenden Pläne aus der Museionsbibliothek noch heute zu mir gebracht werden!“
„Ja, Majestät. Ich werde mich umgehend darum kümmern.“
Ich nicke ihm zu, bevor ich nach der ersten Schriftrolle auf meinem Arbeitsplatz greife und zu lesen beginne.
Es handelt sich um eine Beschwerde über Caesars Soldaten, genauer gesagt über deren Schuhe, die mit Nägeln beschlagenen Caligae. Je mehr ich lese, desto höher wandern meine Augenbrauen, schließlich reiche ich die Rolle kommentarlos an Charmion weiter, die mich neugierig beäugt hat und wende mich dann wieder an Seleukos.
„Im Ernst? Die Verwaltung stellt Caesar die Beschädigung der Bodenmosaiken durch die Soldatenschuhe seiner Legionäre in Rechnung?“ Wohlgemerkt geht es dabei nicht um bereits entstandene Beschädigungen. Nein, die Forderung enthält eine Hochrechnung über noch zu erwartende Schäden und deren geschätzte Kosten, fein säuberlich nach Wochen berechnet, je nachdem wie lange Caesars Aufenthalt hier dauern wird. Der Brief endet mit der Empfehlung, während des Aufenthaltes in einer Weltmetropole, doch geeigneteres Schuhwerk zu tragen. Caesar wird begeistert sein.
„Sind die anderen Briefe von ähnlich wichtiger Brisanz?“, frage ich zynisch.
„Eher noch trivialer: Nachbarschaftsstreitigkeiten, Erbschaftsangelegenheiten und so weiter“, antwortet Seleukos mit verkniffenem Gesichtsausdruck.
„Und warum haben die Scheiber des Dioiketes sich dann nicht um die Beantwortung gekümmert?“
„Das habe ich den zuständigen Beamten auch gefragt, Majestät. Er sagte, er habe seine Anweisung direkt vom Dioiketes und der habe ihm gesagt, niemand sei würdig, eigenmächtig im Namen der göttlichen Isis zu entscheiden, der höchsten Richterin, die allein befugt ist, sich der Sorgen ihrer Untertanen anzunehmen.“
„War dem Beamten nicht klar, dass die höchste Richterin ihn genau dafür bezahlt, ihr unnötige Arbeiten abzunehmen?“, frage ich sarkastisch.
„Offenbar nicht, Majestät.“
Potheinos innerlich verfluchend, beginne ich damit, den nächsten Brief zu lesen und eine Antwort an Seleukos zu diktieren.
~*~
Als ich zwei Stunden später gemeinsam mit Charmion wieder den Gang zu meinem Ankleidezimmer einschlage, warten dort bereits mehrere königliche Wachen und zahlreiche Träger, die sich bei meinem Anblick tief verneigen. Die Wachen des Schatzhauses. Stephanos hat die Erbstücke meiner Tante bereits herbringen lassen.
„Majestät, schön, dass ich Euch noch antreffe“, versichert mir der alte Kronenbewahrer, nachdem ich ihn hereingebeten habe. „Meine Gehilfen haben sich bemüht, alle Schmuckstücke und Regalien der Königin bringen zu lassen. Aber wie vermutet, befindet sich leider kein Siegelring darunter. Und ein solcher Ring findet sich auch nicht in den Verzeichnissen ihrer Grabausstattung.“
Nun, wenigstens befreit mich das von der Option, das Grab meiner Tante öffnen zu lassen. „Danke trotzdem für deine Mühe, Stephanos. Dann zeige mir doch bitte die Stücke im Einzelnen und erzähle, was du darüber weisst“, weise ich ihn freundlich an und nehme auf meinem vergoldeten Stuhl Platz, während Charmion die Mädchen anweist, ein paar Erfrischungen zu bringen. Wie zu erwarten, nimmt die Präsentation einige Zeit in Anspruch, denn der Kronenbewahrer hat zu jedem der Schmuckstücke, Zepter und Kronen etwas zu sagen.
Ein Klopfen an der Tür unterbricht uns, als die Wachen einen Botenjungen ankündigen und ich ihn hereinwinke. Schüchtern tritt ein vielleicht 11jähriger Knabe vor mich hin, der in die Farben der Palastdiener gekleidet ist. Er fällt vor mir auf die Knie, die Augen fest auf den Boden gerichtet, so dass ich nur seine dunklen Locken sehe.
„Du kannst dich erheben. Wie heißt du?“, frage ich freundlich.
„Eros, Majestät.“, antwortet der Junge, der auf meine Erlaubnis hin zögerlich aufsteht.
„Und du bringst eine Botschaft?“
„Vom römischen Konsul, Majestät“, antwortet er schüchtern, die Augen weiterhin auf den Boden gerichtet.
Ich nicke Charmion zu und sie nimmt die Papyrusrolle entgegen und überreicht sie mir. Mit erwartungsvoll klopfendem Herzen, erbreche das Siegel und beginne zu lesen:
Meine schöne Göttin,
Ich hoffe, Du hattest angenehme Träume. Ich wollte Dich heute Morgen nicht wecken. Du siehst einfach zu süß aus, wenn Du schläfst. Deine Geschwister haben heute wieder zugesagt, mit uns zu speisen. Ich erwarte Dich also um die fünfte Stunde in meinen Räumen. Bis gleich.
C. Iulius Caesar
Ein Lächeln zupft bei diesen Worten an meinen Mundwinkeln und eine angenehme Wärme durchströmt mich. „Richte dem Konsul aus, dass ich die Einladung mit Freuden annehme!“, beauftrage ich Eros und bedeute Charmion, ihm zur Belohnung ein paar Münzen zu schenken. Der Junge betrachtet ehrfürchtig die Drachmen in seinen Händen und sein Blick huscht von meinem bronzenen Portrait auf den Münzen unwillkürlich zu mir, als könne er nicht ganz glauben, dass er gerade wirklich der Gottkönigin Ägyptens gegenübersteht. Dann beginnen seine Augen zu strahlen und er erinnert sich gerade noch daran, sich nochmals tief zu verneigen, bevor er aus dem Raum eilt, um meinen Auftrag auszuführen.
Belustigt wende ich mich wieder an Stephanos, der nun eine mit Perlmuttintarsien verzierte Schatulle vor mir öffnet, in der sich ein Paar großer goldener Ohrringe befindet. „Dies waren die Lieblingsohrringe eurer Tante. Sie hat sie eigentlich ständig getragen. Das Besondere sind die dunkelroten Rubine bester Qualität, sowie die eingearbeiteten hieroglyphischen Kartuschen an den Enden der Goldringe. Es handelt sich um eine besonders feine alexandrinische Goldschmiedearbeit, die damals vom königlichen Goldschmiedemeister nach dem Entwurf der Königin hergestellt wurde, Majestät.“
Ich greife in das Kästchen und hebe die kostbaren Schmuckstücke heraus, um sie mir genauer anzusehen. An den schweren Ohrgehängen sind Rubine, kleine Perlen und massive Ringe aus reinem Gold befestigt, die an den Enden tatsächlich erhabene Kartuschen mit hieroglyphischen Namen aufweisen. Als ich sie drehe, um die Inschriften lesen zu können, fällt mir sofort die Ähnlichkeit der Goldschmiedearbeit zu meinem eigenen Siegelring auf, der an meinem Ringfinger glänzt. Auch in der Kartusche des einen Ohrrings steht der Name „Kleopatra“ und in der anderen die offizielle Namenstitulatur meiner Tante: „Die Regentin, die hochgelobte Berenike.“
Ich betrachte die Ohrringe und blinzele. Mein Blick trifft den von Charmion. Auch ihre Augen sind vor Überraschung geweitet. Wir denken gerade definitiv dasselbe. Das Siegel der Königin, aber nicht in Form eines Ringes, sondern zweier Ohrringe! Lässt sich damit die unterirdische Tür öffnen? Und warum sind es zwei Siegel, statt nur einem? Gibt es am Ende da unten noch mehr Türen und Geheimnisse?
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[1]Königiche Anordnungen, die mit der Genetivus-absolutus-Formel verfasst wurden: basiléos prostáxantos („auf Anordnung des Königs“), siehe: Werner Huss, Die Verwaltung des Ptolemaiischen Reiches, 9, https://books.openedition.org/chbeck/1237