„Natürlich kannst du dich zurückziehen, Arsinoe.“, erwidert Caesar nonchalant. „Ich möchte doch nicht, dass dein zartes Gemüt Schaden erleiden könnte. Ich danke dir für dieses schöne Fest und wünsche angenehme Träume.“
Meine Schwester bedenkt unseren Patron nur mit einem vernichtenden Blick und hebt das Kinn noch eine Spur höher, bevor sie mitsamt ihrem Gefolge durch den Mittelgang davonrauscht. Eine ihrer Hofdamen kollidiert dabei fast mit einer Schar lachender Hetären, die von einigen Römern verfolgt werden. Nach anfänglichem Sträuben lassen sich die leicht bekleideten Frauen willig von den Männern einfangen und auf die Klinen ziehen.
Ich beobachte das Treiben fasziniert. „Stellen deine Männer da gerade den Raub der Sabinerinnen nach?“
„Hm, offenbar die alexandrinische Version davon. Es sei ihnen vergönnt. Solange sie keine weitere Schlägerei anfangen!“
Meine Augen gleiten über die miteinander beschäftigten Paare und verweilen einen Augenblick lang auf Tiberius, der sich inzwischen mit entrücktem Ausdruck auf seiner Kline zurückgelehnt hat, während die Hetäre zwischen seinen Beinen kniet und den Kopf über seinen Unterleib gebeugt hat.
„Ich würde vorschlagen, dass wir uns ebenfalls zurückziehen, meine Liebe“, höre ich Caesars amüsierte Stimme nahe an meinem Ohr. „Es sei denn, du möchtest noch länger zuschauen?“
„Nein. Lass uns gehen!“, erwidere ich schnell und löse meinen Blick von der Szene. Caesar hat sich bereits geschmeidig erhoben und ich ergreife seine dargebotene Hand.
Doch bevor wir uns zurückziehen, müssen wir uns noch von meinem Bruder verabschieden, der uns mit fragendem Gesichtsausdruck entgegenblickt. Als wir die königliche Kline erreichen, erheben meine Hofdamen sich augenblicklich, um ihre Plätze hinter mir einzunehmen. Für einen Sekundenbruchteil registriere ich dabei Charmions Erleichterung und Khered-Anchs scheu gesenkten Blick.
„Was war denn gerade mit Arsinoe?“, fragt Ptolemaios mit gerunzelter Stirn.
„Sie empfand die Darbietungen wohl als unangemessen“, entgegne ich möglichst neutral und sehe, wie der Blick meines Bruders unwillkürlich zu den römischen Gästen und Hetären huscht.
„Und ihr wollt auch schon gehen?“
„Ja, es ist Zeit für die Damen, ins Bett zu gehen. Aber du möchtest sicherlich noch bis zum Ende bleiben?“, übernimmt Caesar die Konversation. Pointiert lässt auch er seinen Blick über die angetrunkenen Gäste wandern.
„Warum auch nicht, ich bin schließlich der König“, antwortet Ptolemaios, wobei sich seine knabenhafte Stimme beim Versuch, souverän zu klingen, überschlägt.
„Dann wünsche ich noch viel Vergnügen, junger Mann!“, verabschiedet sich Caesar mit einem Schmunzeln.
„Gute Nacht, Bruder“, verabschiede auch ich mich möglichst schnell.
„Gute Nacht, Schwester“, murmelt Ptolemaios, worauf Caesar sich zum Gehen wendet und ich ihm durch den Mittelgang folge. Stillschweigend reiht sich unser Gefolge hinter uns ein, während Ganymedes in salbungsvollem Ton verkündet, dass die Königin das Fest verlässt und alle sich noch einmal verneigen. Zumindest diejenigen, die noch nüchtern genug sind. Doch Caesar macht noch einmal Halt, um Sextus zu sich zu winken.
„Du bleibst bis zum Ende und behältst die Stimmung im Auge. Und du hast freie Hand in der anderen Sache, die wir besprochen haben“, höre ich seine leise auf Latein gesprochenen Worte, bevor er Sextus freundschaftlich auf die Schulter klopft und dieser sich grinsend abwendet.
Ob er damit auf Arsinoe anspielt? Ich nehme mir vor, ihn später danach zu fragen, während ich an Caesars Seite in den erleuchteten Vorhof trete, wo die römische Eskorte samt unseren Trägern bereits wartet.
Für meine Hofdamen stehen eigene Sänften bereit, doch ich bedeute Charmion und Khered-Anch, neben mir in der königlichen Sänfte Platz zu nehmen. Caesar hat inzwischen die Zügel seines Hengstes entgegengenommen und sich in den Sattel geschwungen. Er nickt mir noch einmal zu, bevor er sein Pferd neben das von Rufio lenkt, um dem Zug voranzureiten.
„Was wollte der Pharao von dir, Khered-Anch?“ wende ich mich fragend an die Priesterin, sobald die Vorhänge der Sänfte geschlossen sind.
„Er hat mich ausgefragt, Majestät. Über meinen Vater, meine Familie und ob ich verlobt bin“, antwortet sie mit gesenktem Kopf, während die Träger die Säfte mit einem Ruck anheben und dann in einen schaukelnden Rhythmus verfallen.
„Und was hast du geantwortet?“
„Ich bin noch nicht offiziell verlobt, Majestät. Auch wenn es einige Bewerber um meine Hand gibt. Mein Vater zögert noch mit der Entscheidung. Ich bin seine älteste Tochter und da ich keine Brüder habe, wäre mein zukünftiger Ehemann zugleich sein möglicher Nachfolger als Hohepriester des Ptah.“ Und als Gemahlin des nächsten Hohepriesters würde Khered-Anch zukünftig eine Schlüsselposition innerhalb der geistlichen Elite unseres Landes einnehmen.
„Was habt ihr noch besprochen?“
„Verschiedene Dinge, Majestät…Der König hat sich über Prinzessin Arsinoe beschwert. Dass er seinen Hund nie mitnehmen kann, wenn sie ihren Geparden dabei hat. Weil ihr Gepard seinen Zerberus sonst fressen könnte. Er hat… bitte verzeiht mir, Majestät, irgendwie dreht sich alles.“ Stöhnend hält Khered-Anch sich die Hand vor die Stirn und schließt die Augen.
„Sie ist völlig betrunken!“, flüstert Charmion. „Der König hat ihr immer und immer wieder Wein nachschenken lassen und jetzt ist ihr schlecht. Sie verträgt nicht viel!“
Ich seufze „In Ordnung, Khered-Anch. Ruh dich aus. Wir sprechen morgen!“
Mit einem erleichtert-gequälten Lächeln lässt Khered-Anch sich in die Kissen der Sänfte zurücksinken, während Charmion sich näher zu mir beugt: „Was gesprochen wurde, war im Grunde harmlos“, vervollständigt meine erste Hofdame den Bericht und erzählt noch einige weitere Details der Unterhaltung. „Der König war sehr um Freundlichkeit bemüht, zumindest am Anfang."
"Später nicht mehr?"
"Doch, aber da war er selbst etwas... abgelenkt von den Entwicklungen im Saal und hat nicht mehr viel gefragt. Und wir haben auch nicht viel erzählt. Aber… ich glaube, er interessiert sich für Khered-Anch – oder zumindest für ihre Beziehungen zur Priesterschaft des Ptah.“
Ich seufze. Das hatte ich befürchtet. „Danke, Charmion. Was auch immer die Motive meines Bruders sind. Wir müssen vorsichtig sein.“
Charmion nickt verstehend und fragt dann zögernd. „Ist mit… ähm Caesar wieder alles in Ordnung?“
„Ja, keine Sorge… es war nur eine kleine Meinungsverschiedenheit“, versichere ich und ergreife kurz ihre Hand, um sie aufmunternd zu drücken. „Und das andere bekommen wir auch hin!“
Charmion setzt an, um noch etwas zu erwidern, aber in diesem Moment kommt die Bewegung der Sänfte zum Stillstand. Als ich die Vorhänge zur Seite schiebe, erkenne ich, dass wir uns bereits innerhalb der Umfassungsmauern unseres Palastes befinden. Auf den Stufen vor dem Eingang warten Diener mit Fackeln, um uns den Weg zu beleuchten.
Noch bevor die Träger die Sänfte herablassen, lenkt Caesar sein Pferd neben uns und beugt sich zu mir herüber. „Ich muss noch etwas mit Rufio und Faberius besprechen. Aber es wird nicht lange dauern. Wir sehen uns gleich, Kleopatra.“ Sein Ton und sein wissendes Lächeln lassen mein Herz unwillkürlich schneller schlagen. Für einen Moment erwidere ich seinen dunklen Blick, der mir ganz genau sagt, was er gleich mit mir vorhat.
~*~
Getrieben von diesem aufregend verlockenden Gefühl durchquere ich zusammen mit meinen Hofdamen die vom Schein der Öllampen erhellten Gänge. Der Weg führt uns zunächst ins Bad und dann in meine Gemächer. Nachdem ich die rituellen Worte gesprochen habe, um die Krone mit der heiligen Uräusschlange sicher in ihrem Schrein zu verwahren, ist Charmion mir beim Umkleiden behilflich. Khered-Anch geht es mittlerweile so schlecht, dass ich ihr kurzerhand befehle, sich auf eine der Klinen zu legen, was sie mit einem leidenden Gesichtsausdruck denn auch tut.
„Mir ist einfach nur schlecht und alles dreht sich. Es tut mir so leid, Majestät“, flüstert sie unglücklich und hat inzwischen auch noch einen Schluckauf bekommen. Ich wechsele mit Charmion einen vielsagenden Blick.
„Sieh zu, dass sie ins Bett kommt und kümmere dich um sie! Und falls es schlimmer wird, schicke nach Olympos! Ansonsten, ruht euch einfach aus. Morgen könnt ihr beide ausschlafen!“ Denn das habe ich ebenfalls vor, falls Caesar mich lässt…
Ich entlasse die beiden für heute und durchquere mit klopfendem Herzen die wenigen Räume, die mich von Caesars und meinem Schlafgemach trennen. Die stummen Wachen an den Türen zeigen wie üblich keine Reaktion, als ich in den kleinen Vorraum zum Besprechungsraum einbiege. Niemand ist hier und alles scheint zu dieser nächtlichen Stunde in eine friedliche Ruhe getaucht zu sein. Bis auf die unheimlichen Schatten in den Ecken, die durch die flackernden Lichter der Öllampen scheinbar zum Leben erwachen. Im Vorbeigehen fällt mein Blick auf den Kartentisch und die übrigen Möbel, die im Mondlicht sanft glänzen. Meine Schritte auf dem Mosaikboden erzeugen einen leisen Hall, als ich den Raum rasch durchquere und in den Flur zu unserem Schlafgemach einbiege. Die Lichter der Lampen werden hier von bronzenen Platten und Schilden an den Wänden reflektiert, die alles in einen warmen goldenen Ton tauchen. Im Vorrübergehen betrachte ich mein Spiegelbild in einer der blankpolierten, reflektierenden Flächen. Das zarte weiße Gewand, das ich für die Nacht angelegt habe und meine langen dunklen Haare, die mir in sanften Wellen offen über die Schultern fallen.
„Du siehst wie immer bezaubernd aus, meine Königin. “ Lautlos ist Caesar in der Tür des Schlafgemachs erschienen und betrachtet mich versonnen, bevor er langsam die Hand nach mir ausstreckt und leise hinzufügt: „Lass uns die Nacht für die angenehmen Dinge des Lebens nutzen, meine schöne Gefährtin“, wobei er für Gefährtin das Wort hetaira[1] benutzt und die Doppeldeutigkeit in diesem Kosenamen klingt verrucht und verlockend zugleich. Einen Moment sehen wir uns nur schweigend in die Augen, dann überwinde ich die wenigen trennenden Schritte und versinke in seinen Armen.
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[1] Hetaira „Gefährtin“ ist im Griechischen dasselbe Wort wie Hetäre.