Nach einem verzauberten Augenblick der Stille, setzen die Gespräche wieder ein. Diener eilen hin und her und der großzügige Speisesaal der Bibliothek gleicht bald wieder einem summenden Bienenstock. Ich begegne Caesars aufmerksamen Blick und schenke ihm ein Lächeln, bevor ich meine Augen weiter durch den Raum wandern lasse. Die Gelehrten und unser Gefolge lagern auf gepolsterten Klinen, die entlang der prächtig bemalten Wände platziert sind. Die Priester und Astronomen haben wieder angefangen, über den Kalender zu debattieren. An dem Disput zwischen Sosigenes, Acoreus und Psenamounis beteiligen sich inzwischen auch Pakhom und Pa-amon-paeni. Es wird lebhaft argumentiert, aber ich sehe auch versöhnliche und zustimmende Gesten.
„Die Diskussion hat offensichtlich an Schärfe verloren, jetzt wo du zugesichert hast, dass in Ägypten vorerst alles beim Alten bleiben wird“, meint Caesar mit einem Blick auf die Gruppe.
„Das ist ein schwieriges Thema mit der Priesterschaft. Aber Sosigenes ist überglücklich. Er wird dir gerne nach Rom folgen, Caesar.“
„Durch so eine Reform sichert er sich einen Platz in der Geschichte. Aber ich denke, seine Hauptmotivation ist tatsächlich die Liebe zur Forschung“, meint er nachdenklich.
„Ist das nicht bei allen großen Gelehrten der Fall?“, frage ich verwundert.
„Das mag für Alexandria gelten. Aber von den Gelehrten und Architekten, die mich auf meinen Feldzügen begleiten – den praefecti fabrum – erwarte ich ganz konkrete und militärisch relevante Lösungen.“
„Militärische Erfindungen sind hier ebenfalls entstanden, aber die Forschung ist frei, auch wenn das Königshaus natürlich Aufträge vergibt“, erwidere ich überzeugt und blicke durch den Speisesaal, der erbaut wurde, damit die Gelehrten sich ohne materielle Sorgen ganz auf ihre Forschung konzentrieren können. „Verpflegung und Unterkunft wird ihnen unabhängig vom konkreten Nutzen ihrer Arbeiten zur Verfügung gestellt. Aber es sind dennoch – oder gerade deswegen – die Leistungen der Gelehrten, welche die Bibliothek von Alexandria weltberühmt gemacht haben.“
„Menschen sind zu Höchstleistungen fähig, wenn man ihre Talente fördert und ihre Leistungen honoriert. Und hier scheint dieses Konzept aufzugehen. Sie alle stehen in einem Wettstreit der konstruktiven Art. Die Suche nach Erkenntnis allein um der Erkenntnis willen, wie mir scheint.“
„Du hast Recht. Und dennoch sind die meisten zwischen Glauben, Tradition und Erwartungen gefangen. Selbst bei der Erforschung des Universums und der Berechnung der Gesetze der Zeit.“ Und damit wandern meine Augen wieder zu den Priestern und Astronomen.
„Menschen bleiben Menschen“, gibt er zu bedenken, „und es sind stets nur wenige, die bereit sind, neue Wege zu beschreiten. Trotzdem ist dies hier ein ganz besonderer Ort, der solche Forschung überhaupt ermöglicht. So etwas sollte es auch in Rom geben.“
„Ich bin froh, dass du so denkst“, flüstere ich und wieder treffen sich unsere Blicke in einem Augenblick wortloser Übereinstimmung.
Ptolemaios reicht indessen eine Schale verdünnten Wein an Caesar weiter, die zu Ehren der Götter die Runde macht und auch ich nehme einen kleinen Schluck davon, bevor ich sie Charmion gebe, die sie an Sextus auf der Nachbarkline weiterreicht.
Caesars Cousin nickt kurz zu seinem Feldherrn und mir herüber, bevor er sich wieder seinem Gespräch mit Diodorus widmet: „…und wie genau kam es dazu, dass die Haarpracht einer ptolemäischen Königin zu einem Sternbild am Himmel wurde?“
„Nicht die Haare der Königin, sondern nur eine ihrer Locken!“, korrigiert Diodorus, dessen schlichter Philosophenmantel einen auffälligen Kontrast zur blitzenden Uniform des neben ihm sitzenden, römischen Offiziers bildet. „Berenike Euergetis – die erhabene Vorfahrin unseres Königspaares – war eine Prinzessin aus Kyrene[4]. Sie hatte sich gerade mit dem König von Ägypten vermählt, als ihr Gemahl Ptolemaios Euergetes in den Laodike-Krieg ziehen musste. Die Königin liebte ihren Gemahl innig und flehte Isis an, ihn zu beschützen. Die Bitte der jungen Königin wurde erhört und der König kehrte unversehrt zu ihr zurück. Aus Dankbarkeit opferte Berenike eine Locke ihres Haares im Tempel der Göttin. Doch als die Priester am nächsten Morgen den Tempel betraten, da war die Locke verschwunden. Noch in derselben Nacht entdeckten die Astronomen ein neues Sternbild am Himmel – das Haar der Berenike, oder Coma Berenices, wie es im Lateinischen bezeichnet wird.“
„Eine sehr romantische Geschichte“, erklingt Caesars dunkle Stimme nahe an meinem Ohr, „war das nicht dieselbe Königin Berenike, die Acoreus vorhin erwähnt hat?“
Ein feiner Schauder kribbelt über meinen Rücken, als ich mich langsam wieder zu ihm umdrehe. „Ja, so ist es. Königin Berenikes Gemahl führte später die Kalenderreform durch.“, erwidere ich leise.
„Eine Gemahlin als Sternbild am Himmel – wie passend für einen Herrscher, der sich vorgenommen hat, die Gesetze der Zeit zu ändern“, resümiert er bedächtig. „Dann muss ich mir für dich wohl auch etwas überlegen, wenn ich meine Kalenderreform vornehme, meine schöne Göttin.“
„Ich würde für dich auch eine Locke im Tempel der Isis opfern“, flüstere ich. „Auch wenn ich nicht daran zweifele, dass du aus jeder Schlacht als Sieger hervorgehst.“
„Das würdest du tun?“ Er beugt sich noch ein bisschen näher zu mir und betrachtet mich aufmerksam. In seinen Augen liegt ein warmer Glanz.
„Wenn nicht für dich, für wen denn dann?“
Das Lächeln in seinen Augen vertieft sich. „Um es mit den Worten der Dichter zu sagen: deine schönen Locken würden es bedauern, von dir getrennt zu sein. Aber wenn du tatsächlich eine davon opfern möchtest, dann gib sie lieber mir als Glücksbringer“, meint er ernst, bevor er ironisch hinzufügt: „Im Tempel würde sie mit Sicherheit verschwinden aber wahrscheinlich eher, um als heimlicher Talisman irgendeines Priesters zu enden, denn als Sternbild am Himmel.“
„Dann soll sie lieber dir Glück bringen und dich auf all deinen Reisen begleiten“, erwidere ich verschwörerisch und beschließe, ihm ein Amulett mit einer Locke zu machen, dass er immer bei sich tragen kann. „Doch ich hoffe, dass es noch lange dauert, bis zu deinem Aufbruch?“
„Ägypten ist bestimmt ein angenehmeres Winterquartier als Gallien“, antwortet er bedächtig und sieht mir dabei tief in die Augen.
„Alexandria hat viel zu bieten“, bestätige ich ihm leise und halte seinen dunklen Blick.
„Davon durfte ich mich bereits überzeugen und bin begierig, mehr zu erfahren.“ Und bei diesen Worten erscheint wieder dieses verführerische Funkeln in seinen Augen. Sein Blick gleitet provozierend langsam von meinen Augen zu meinen Lippen und wieder zurück. Und mir wird unwillkürlich heiß.
„Es wäre mir eine Freude, dir die Schönheit Alexandrias zu zeigen, Caesar“, höre ich mich sagen.
„Und diese Einladung nehme ich mit Freuden an, meine schöne Königin.“ Er schenkt mir noch einen amüsierten Blick und lehnt sich dann ein wenig auf der Kline zurück, wodurch er den in der Öffentlichkeit gebotenen Höflichkeitsabstand wieder herstellt.
Doch die Spannung zwischen uns ist nach wie vor da, genau wie die Wärme, die durch meinen Schoß pulsiert. Und plötzlich möchte ich mich am liebsten neben ihm ausstrecken und an ihn schmiegen. Caesars Augen blitzen dunkel, als hätte er meine unausgesprochenen Gedanken gelesen. Wären wir allein, würde er mir über die Wange streicheln, seine Hand in meinen Haaren vergraben und mich küssen. Meine Augen wandern zu seinem Mund, um den nun wieder dieses sinnliche Lächeln spielt und verweilen dort. Oh ja, er hat auch Lust, mich zu küssen und es würde definitiv nicht dabei bleiben. Wären wir allein, würde er mich jetzt streicheln und liebkosen und dann mit seinem Gewicht in die Kissen drücken. Und ich würde ihm voller Leidenschaft entgegenkommen…
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[4] Kyrene war eine Stadt im Gebiet des heutigen Libyens.