"Aber der ihm angeborene Tatendrang gestattete Caesar nicht, auf seinen Lorbeeren auszuruhen (...) Es war, als triebe ihn seine Natur rastlos dazu an, sich immer wieder selbst zu übertreffen und durch zukünftige Taten die früheren in den Schatten zu stellen."
(Plutarch, Julius Caesar)
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Caesar betrachtet die versiegelte Schriftrolle in seiner Hand und fasst dann meine Erklärungen zusammen: „Also dieser Psenptah…“
„Psen-PtaH! Du musst das h am Ende stärker hauchen, fast als würdest du ein CH sprechen. Ptah ist der Name des memphitischen Schöpfergottes! Er ist der Gott der Künstler und Handwerker, wie der griechische Hephaistos, aber er kann noch viel mehr.“
„Danke für diesen Hinweis auf die Interpretatio graeca[1].“ Caesar wirft mir einen ironischen Seitenblick zu, wiederholt den Namen dann aber korrekt: „Also dieser Psen-Ptah ist dein Cousin und hat das Testament für dich verwahrt.“
„Ja und er hat es seinem Schwager Psenamounis und der memphitischen Gesandtschaft mitgegeben, die er zum Hohepriester des Serapeums in die Rhakotis[2] geschickt hat, um ihn von meiner Seite zu überzeugen. Und als Apollodorus heute morgen die Nachricht zum Tempel schickte, haben sie erfahren, dass ich in der Stadt bin und um eine Audienz ersucht.“
„Das kommt uns in der Tat gelegen“, räumt Caesar ein. „Ich bin zwar im Besitz der römischen Kopie, aber laut Potheinus ist das ägyptische Original durch einen bedauerlichen Zufall leider nicht auffindbar.“
„Er hat es gewiss vernichtet. Aber es existierten immer drei Ausfertigungen. Eine hat mein Vater mir persönlich anvertraut.“
„Und du bist sicher, dass der Inhalt mit der römischen Kopie aus dem Lager des Pompeius identisch ist? Wir dürfen es erst öffnen, wenn Zeugen dabei sind.“
„Ja, ich habe es damals selbst dem Hohepriester anvertraut und die Siegel sind intakt.“
„Und du vertraust ihm?“
„Ja, unbedingt. Psen-Ptahs Familie hat mich monatelang beherbergt und beschützt, selbst als Ptolemaios uns aushungern wollte, indem er Getreidelieferungen nach Oberägypten bei Todesstrafe untersagte. Der Hohepriester von Memphis will mich auf dem Thron sehen. Er hat sogar meine Armee aus dem Tempelschatz finanziert!“
„Gut. Dann sollte das hier“, er deutet auf die Schriftrolle, „die Legitimität deines Thronanspruchs untermauern. Dann komm jetzt mit, meine Offiziere erwarten uns.“
„Würdest du schon einmal vorgehen?“ Mein pharaonisches Ornat ist zwar königlich und prachtvoll, aber doch eher für den Thronsaal geeignet, als für eine lange Besprechung. „Ich möchte mich vorher umkleiden.“
Caesar blickt zuerst unwillig, aufgrund der nochmaligen Verzögerung. Doch dann erscheint ein durchtriebenes Lächeln auf seinem Gesicht. „Auf einmal so schüchtern? Gibt es da etwas zu sehen, was ich noch nicht kenne?“ Er mustert mich ungeniert und seine Augen blitzen herausfordernd.
„Dann bleib eben!“ Ich zucke gleichmütig mit den Schultern und bedeute Charmion, mir beim Ablegen des opulenten Schmuckes zu helfen. Ich nehme die schwere dreiteilige Perücke samt Krone ab und schüttele mir die Haare aus, bevor ich zum Kamm greife, um sie wieder in Form zu bringen und die Strähnen am Hinterkopf nach ptolemäischer Mode hochzustecken. Unter gesenkten Lidern bin ich mir Caesars Aufmerksamkeit bewusst. Ich könnte die Krone jetzt an Stephanos zurückgeben, aber mir gefällt der Gedanke, sie heute in Caesars Anwesenheit weiter zu tragen. Damit das Diadem auf meinem eigenen Haar passend sitzt, muss ich das hintere Band öffnen und wieder festziehen, mit welchem der goldene Reifen zusammengehalten wird. Charmion hat mir inzwischen eine dezente Kette mit Perlen, Lapislazuli und Karneolen herausgesucht und dazu passende filigrane Ohrringe und Armbänder.
Caesar beobachtet jede meiner schnellen und geübten Bewegungen. Um ihn ein bisschen zu ärgern, greife ich zu einem Nachtkleid aus koischer Seide[3] und begutachte es, als wolle ich es anziehen. Das Gewebe ist so durchscheinend, dass jede Hetäre ihre Freude daran hätte.
„Was hältst du von diesem Gewand hier?“
„Reizend. Aber jetzt würde ich dir raten, etwas Blickdichteres anzuziehen. Ich will dich meinen Offizieren vorstellen!“, entgegnet er trocken.
„Wieso, mache ich dich sonst nervös?“, frage ich betont unschuldig, während ich den Gürtel und die Verschlüsse meines Chitons öffne und mein Gewand mit einer anmutigen Bewegung zu Boden gleiten lasse, bis ich nackt wie Aphrodite vor ihm stehe.
Caesars Obsidianblick wandert über meine Brüste, meine Schenkel, meine mit Goldpuder bestäubte Haut und bohrt sich dann in meine Augen.
„Sehr süß. Aber wenn du mich so verführen willst, musst du noch ein bisschen üben.“
Die Luft zwischen uns knistert, als er langsam auf mich zukommt und mich halb umrundet. Er berührt mich nicht, aber ist mir so nah, dass ich seine Körperwärme hinter mir spüre. Mein Puls schlägt schneller. Er beugt sich zu mir herab, sodass ich seinen Atem an meiner Ohrmuschel fühle.
„Bist du noch wund zwischen den Beinen, meine schöne Göttin?“
Hat er das gerade wirklich gesagt? Vor Charmion! Ich merke, wie mir die Schamesröte in die Wangen schießt.
„Antworte, wenn ich dich etwas frage!“, fordert er leise.
„Ja“, flüstere ich.
„Dann solltest du lieber nervös sein, Kleopatra. Wegen dem, was ich heute Nacht mit dir zu tun gedenke, mein Kätzchen.“ Seine Stimme klingt dunkel und sinnlich. Der bedrohliche Unterton verursacht mir eine Gänsehaut. Ich fühle, wie sich Feuchtigkeit zwischen meinen Beinen bildet. Und er weiß es. Dieser provokante Mistkerl weiß, was er in mir auslöst! Sein selbstgefälliger Blick spricht Bände.
„Und jetzt zieh dich an! Ich warte im Besprechungssaal auf dich!“ Mit einem amüsierten Blick ist er aus dem Raum entschwunden.
Ich stehe immer noch nackt da und blicke ihm nach.
„Das war… ähm…“, Charmion sucht sichtlich nach Worten, um ihre Verlegenheit zu überspielen.
„Das war Julius Caesar“, vollende ich ihren Satz. „Mach dir keine Sorgen. Ich glaube, das ist seine Art, mit mir zu flirten.“ Oder seine Art mir zu zeigen, wer von uns beiden hier das Sagen hat. Oder es macht ihm einfach nur Spaß, mich mit seinen Unverschämtheiten aus der Fassung zu bringen.
„Isis steh uns bei!“, murmelt Charmion, während sie mir hilft, einen weißen Chiton anzulegen und ein purpurnes Himation darüber zu drapieren.
~*~
In Charmions Begleitung betrete ich einige Minuten später Caesars Besprechungsraum.
„Komm herein, meine Liebe.“ Caesar steht am Kartentisch, umgeben von seinen Offizieren und schaut mich erwartungsvoll an. Alle Augen sind auf mich gerichtet, aber ich wende den Blick nicht von ihm ab, während die Gruppe der Männer mit ihren römischen Uniformen und militärischen Abzeichen sich vor mir teilt, um mich zu ihm durchzulassen. Trotzdem registriere ich ihre neugierigen und abschätzenden Blicke, sehe blutrote Umhänge und das glänzende Metall ihrer Brustpanzer. Dicht vor Caesar bleibe ich stehen. Seine dunklen Augen blitzen. Dann wendet er sich an seine Offiziere.
„Meine Herren, Ihre Majestät, Königin Kleopatra Thea Philopator, wird ab sofort als Vertreterin der ägyptischen Krone an unseren Besprechungen teilnehmen. Sie steht unter meinem persönlichen Schutz und vertritt die Belange Ägyptens in dieser Runde, ihr werdet sie mit dem höchsten Respekt behandeln und mit Majestät ansprechen.“ Seinen Worten liegt eine absolut lässige Autorität inne, die ich nur bewundern kann. In bewusst vertraulicherem Ton wendet er sich an mich: „Kleopatra, darf ich dir meine Offiziere und Freunde vorstellen?“
„Es wäre mir eine Ehre, Imperator.“, erwidere ich auf seine rhetorische Frage und blicke die Männer jetzt ebenfalls direkt an. Freundlich aber mit einer gewissen Strenge. Aufmerksam und erhaben. Caesar stellt mir seinen Stab der Reihe nach vor und ich versuche, mir ihre Namen und Gesichter zu merken.
„Das hier ist Aulus Hirtius, er ist nicht nur einer meiner treusten Offiziere, sondern hilft mir auch bei meinen Kriegsberichten und ist so etwas wie mein zweites Gedächtnis.“
„Eure Majestät.“ Aulus Hirtius neigt höflich den Kopf vor mir, während auch ich dem braunhaarigen Mann freundlich zunicke. Er wirkt wie jemand, der sich seinen Teil denkt, aber wenig spricht. Eine durchaus nützliche Eigenschaft. Ich schätze ihn auf Ende dreißig oder Anfang vierzig, wie die meisten der Anwesenden.
„Das neben ihm ist Tiberius Claudius Nero. Er dient mir als Quaestor und ist der Admiral meiner Flotte.“ Während ich ihn begrüße, merke ich seinen abschätzigen Blick, den er aber sofort hinter einer neutralen Miene verbirgt, als auch er mich formell begrüßt.
Das Ganze wiederholt sich bei allen Anwesenden und ich habe Mühe, mir die ganzen Namen, Ämter und militärischen Ränge zu merken.
Rufio kenne ich bereits von gestern Abend, er blickt mir freundlich entgegen und wirkt dabei fast ein bisschen schüchtern. Er ist der Sohn eines Freigelassenen, aber ein sehr fähiger Offizier und Caesar scheint große Stücke auf ihn zu halten.
Euphranor kommandiert die zehn rhodischen Schiffe und hat etwas Verwegenes und Jungenhaftes an sich. Gleichzeitig wirkt er wie jemand, der seine Männer begeistern und motivieren kann.
Domitius Carfulenus wirkt dagegen genauso energisch und militärisch korrekt, wie man sich einen Kohortenführer vorstellt. Und dann sind da noch Faberius, und weitere Sekretäre, die zu Caesars Innerem Kreis gehören und für die Korrespondenz und Weitergabe seiner Befehle zuständig sind. Alles disziplinierte, pflichtbewusste und zurückhaltende Gefolgsmänner, die es gewohnt sind, die anfallenden Arbeiten im Hintergrund zu erledigen.
„Und zuletzt möchte ich dir meinen lieben Cousin Sextus Julius Caesar vorstellen, Er ist Quaestor, Militärtribun und der Jüngste unter meinen Offizieren, aber ich setzte große Hoffnungen in ihn.“ Als ich den jungen gutaussehenden Mann genauer mustere, erkenne ich sogar ein bisschen Ähnlichkeit mit Caesar. Und er ist auch der Einzige, der es wagt, mich frech anzulächeln, während er mich formvollendet begrüßt. Der Charme muss wohl in der Familie liegen, oder kann er sich das herausnehmen, weil er Caesars Verwandter und Protegé ist? Meine Augen huschen zu Caesar und sein scharfer Blick geht mir durch und durch. Ihm entgeht absolut nichts.
„Ich bedanke mich für das in mich gesetzte Vertrauen. Es ist eine Ehre, zu diesem Treffen eingeladen worden zu sein und ich hoffe mit meinen Informationen zum Gelingen von Caesars Plänen beitragen zu können“, bedanke ich mich sehr formal bei der Runde. „Ich möchte die Gelegenheit nutzen, auch meine Begleiterin vorzustellen.“ Ich winke Charmion zu mir, die sich wie selbstverständlich bisher im Hintergrund gehalten hat und nun neben mich tritt. „Das hier ist Charmion, die erste meiner königlichen Hofdamen. Sie gehört zu meinem Inneren Kreis, den ,Freunden der Königin‘. Als meine Vertraute und Ansprechpartnerin wird sie mich stets begleiten.“
Ich suche Caesars Blick und er neigt nachdenklich den Kopf, bevor er sich an Charmion wendet. „Ich weiß deine Ergebenheit für deine Herrin zu schätzen, Charmion. Für heute kannst du gerne bleiben. Aber es mag Treffen geben, die höchster militärischer Sicherheit unterliegen, dann muss ich dich leider bitten, zu gehen.“
Charmion flüstert ein leises „Ja, Imperator“ und zieht sich sichtlich verunsichert zurück. Caesar wendet sich wieder mir zu: „Und keine Angst, meine Königin, du brauchst keine Anstandsdame, solange ich in deiner Nähe bin.“
Und dabei legt sich seine Hand auf meinen Rücken und sein Blick gleitet über seine Offiziere.
„Niemand wird es wagen, sich daneben zu benehmen, selbst wenn ich nicht in der Nähe sein sollte. Nicht wahr, Männer?“, und bei dem markanten Unterton in Caesars Stimme, nicken alle ergeben und beeilen sich, ihre Zustimmung zu murmeln, selbst Sextus, wie ich mit einem leichten Lächeln feststellen muss.
„Gut, da das geklärt wäre, können wir ja anfangen“, ergreift Caesar wieder das Wort. „Zuerst sollten wir uns mit der Versorgung der Legionäre befassen. Tiberius Claudius, du hast das Wort!“
Als Quaestor ist Tiberius für die Kriegskasse und die Soldzahlungen verantwortlich, aber offensichtlich auch für die Organisation, Verpflegung und Unterbringung. Er liefert in seinem Bericht trockene Zahlen. Zahlen, die ich erst einmal verarbeiten muss: Caesar ist mit 3200 Mann Infanterie und 800 Reitern hier in Alexandria. So wenige nur! Ich hatte gehört, dass er mit nur drei Legionen in Alexandria eingetroffen war, aber mir war nicht bewusst, wie extrem ausgedünnt diese Legionen nach der Schlacht von Pharsalos waren. Die Verwundeten hatte er zur Pflege in Griechenland zurückgelassen und nur die kräftigsten Legionäre mitgenommen, um Pompeius schnell einholen zu können. 4000 Soldaten sind viel zu wenig, um Alexandria im Ernstfall halten zu können. Doch Caesar scheint das nicht im Geringsten zu stören. Selbstbewusst, als wäre so eine Lage für ihn völlig normal, erwähnt er nur, dass Verstärkung unterwegs ist. Diese Sicherheit hätte ich auch gerne!
Und weiter geht es mit der Beschreibung der Quartiere, der Verpflegung und Unterbringung, der Wasserversorgung, den sanitären Anlagen, den täglichen Waffenübungen, den Patrouillen in der Stadt und der Zusammenarbeit mit den königlichen Palastwachen. Die Unterhaltung ist zwar auf Griechisch, aber bei militärischen Begriffen wechseln alle zwischendurch ins Lateinische. Ich verstehe nicht einmal die Hälfte und kann nur raten, was gemeint ist.
„Wie ist die Stimmung unter den Männern?“, fragt Caesar nach.
„Die Getreidelieferungen für die Legionäre waren heute morgen wieder zum Teil schimmelig und auch die für die Pferde. Wir konnten das Getreide weder essen noch verfüttern. Das hat natürlich für Unmut gesorgt“, berichtet Rufio.
„Es wird Zeit, Potheinos eine Lektion zu erteilen. Kleopatra, wo bekommen wir vernünftige Verpflegung her?“, spricht Caesar mich direkt an.
„Ich kann Apollodorus anweisen, einige Händler in der Stadt zu beauftragen. Aber die königlichen Speicher lagern kein minderwertiges Getreide und sie können nicht leer sein! Potheinos sabotiert uns mit Absicht.“
Caesar überlegt einen Moment und nickt dann. „Kleopatra, ich möchte, dass du dich ab sofort um die Getreidelieferungen kümmerst. Was benötigst du dafür?“
„Potheinos ist der Dioiketes, der oberste Finanz- und Innenminister. Ihm unterstehen die gesamte Verwaltung, alle Richter und auch die Staatskasse und die Getreidespeicher. Wenn ich für Getreidelieferungen sorgen und dabei seine Befehle widerrufen soll, muss ich offiziell wieder als Regentin anerkannt und eingesetzt werden.“
„Das sollte morgen Abend nach der Testamentsverlesung und Versöhnungsfeier der Fall sein. Was brauchst du, um von hier aus arbeiten zu können?“
„Ein Büro, einige Schreiber und die aktuellen Siegel.“
„Rufio, Du kümmerst dich darum.“
„Ja, mein Caesar.“ Rufio nickt ergeben.
„Was ist mit dem Testament? Werden sie die römische Kopie aus dem Lager des Pompeius anerkennen, wenn das ägyptische Original verschollen ist?“, fragt Hirtius.
„Das hat sich inzwischen geändert. Die Königin ist erschienen und das Testament ebenfalls.“ Caesar sieht mich anerkennend an und ich lächele und schaue dann zu Charmion, die den Kasten aus Ebenholz die ganze Zeit umklammert hält und bewacht.
„Wir werden es morgen vor dem offiziellen Bankett vor Zeugen prüfen und verlesen. Das heißt: in Anwesenheit des Königspaares, des Regentschaftsrates, der Priesterschaft und der Freunde des Königs und der Königin. Unser Freund Potheinos hat die Einladungen heute verschickt und hat es sogar geschafft, mir auf Nachfrage eine Kopie zukommen zu lassen, sehr freundlich von ihm.“ Caesars sarkastischer Ton ist nicht zu überhören. „Kleopatra, bitte überprüfe nachher die Namensliste.“
Ich nicke und wende den Kopf, um mir ein Schmunzeln zu verkneifen, als mich der Blick von Tiberius trifft: „Majestät, darf ich eine Frage stellen?“
„Natürlich.“
„Wie groß ist das königliche Heer, das Achillas in Pelusium befehligt und wie ist dessen Zusammensetzung?“
„Wie sicherlich bekannt sein dürfte, befehligt Achillas rund 20 000 Fußsoldaten und 2000 Reiter, darunter auch die Gabiniani, jene römischen Truppen, die General Gabinius vor sieben Jahren mit nach Ägypten brachte und die sich dem königlichen Heer angeschlossen haben.“
Und dann muss ich mich ihren Fragen stellen, über die Zusammensetzung der ägyptischen Armee, ihre Kommandostruktur und Einzelheiten über die ägyptischen Offiziere. Mir ist klar, dass Caesar diese Informationen bereits aus anderen Quellen erfahren hat. Aber er unterbricht seine Offiziere nicht. Entweder will er mich prüfen oder er erhofft sich von mir Einzelheiten, die über das bisher Erfahrene hinausgehen. Ich beantworte alles nach bestem Wissen und danach auch noch die Fragen zu meiner eigenen Armee vor Pelusium. Schließlich beendet Caesar die Diskussion und kommt auf die verbliebenen Anhänger des Pompeius zu sprechen, und auf dessen Ermordung.
„Hat man die feierliche Bestattung von Pompeius‘ Leichnam veranlasst?“
„Ja, Caesar, seine Überreste werden hierhergebracht und der Scheiterhaufen ist bereits vorbereitet.“, teilt sein Cousin mit.
„Gut. Du wirst die Trauerrede halten, Sextus. Was ist mit Pompeius‘ Militärtribun Lucius Cornelius Lentulus geschehen?“
„Tot. Er wurde gefangengenommen und im Gefängnis ermordet, Caesar!“
„Bedauerlich. Dann veranlasse auch seine Bestattung.“
Dann geht es um die Lage strategisch wichtiger Gebäude in der Stadt und alles wendet sich dem Lageplan Alexandrias auf dem Kartentisch zu. Das Gebäude, in dem wir uns befinden, gehört zu den inneren Palästen im Osten der Stadt und grenzt an das Theater des Dionysos, hinter dem Caesars Reiterei untergebracht ist. Von hier aus ist man sehr nah am Großen Hafen, wo Caesars Schiffe liegen und hat Zugang zur Lochias-Halbinsel, an die der Königliche Hafen angeschlossen ist. Wir befinden uns im königlichen Viertel. Im Grunde grenzt hier ein Palast an den nächsten, unterbrochen nur von Tempeln, Gärten und Pavillons. Jeder meiner Vorfahren hat der Palaststadt eigene Gebäude hinzugefügt. Westlich von uns liegen außerdem das Museion mit der Großen Bibliothek und der Zoologische Garten und südlich von uns befindet sich das Grab Alexanders des Großen. Die Stadt ist kein Sammelsurium von planlos gebauten Häusern, wie Rom, sondern wurde von Alexander genaustens entworfen. Auf dem Plan zeige ich, wo die großen Prachtstraßen und Kanäle sowie die Stadtgrenzen zwischen Rhakotis, Brucheion, Lochias und jüdischem Viertel verlaufen.
Schließlich klopft es an der Tür und ein Bote überreicht Euphranor ein paar Schriftrollen, die er an Hirtius weiterreicht. Der überfliegt die Briefe und fasst dann zusammen: „Gnaeus Domitius Calvinus hat einen Bericht aus Kleinasien geschickt und Mithridates von Pergamon ist bereit, zu uns zu stoßen. Außerdem ist noch ein Brief von Gaius Arsinius Pollio für dich gekommen.“
„Sehr gut. Ich werde nachher einige Briefe aufsetzen, die morgen früh mit einem deiner Schnellruderer abgeschickt werden müssen, Euphranor.“
„Ja, mein Caesar.“
„Gut.“ Und damit wendet er sich an den nächsten Offizier: „Hirtius, wie ist dein aramäisch?
„Nicht wirklich gut, muss ich einräumen. Geht es um die Hilfstruppen, die König Hyrkanos und Antipatros in Aussicht gestellt haben? Antipatros ist römischer Bürger und versteht sicherlich auch lateinische Befehle.“
„Die Feinheiten der Diplomatie, Hirtius! Wenn man schnelle Resultate will, muss man höflich sein. Kleopatra?“
„Ich kann den Brief zusätzlich in aramäisch verfassen, Caesar. Die Hasmonäer und Idumäer legen tatsächlich Wert darauf. Ich unterhalte seit Jahren eine Korrespondenz mit König Hyrkanos‘ Tochter, Prinzessin Alexandra. Vielleicht könnte sie vermitteln?“
„Wunderbar. Ich formuliere die Briefe nachher in Latein, Hirtius überträgt sie ins Griechische und du ins Aramäische!“ Caesars anerkennender Blick verweilt einen Augenblick auf mir und ich strahle innerlich vor Freude. Doch schon wechselt er zum nächsten Thema.
Ich lerne gerade, was römische Effizienz wirklich bedeutet. Caesar stellt Fragen, analysiert Antworten und vergibt Aufgaben im Minutentakt. Wenn ich da an das stundenlange Debattieren im Kronrat denke… Doch halt, im römischen Senat ist es ja noch schlimmer. Es liegt an Caesar und daran, wie er seine Leute im Griff hat. Einschließlich mir, schießt es mir durch den Kopf. Aber irgendwie macht es Spaß, er gibt mir tatsächlich das Gefühl, dazuzugehören.
Wieder klopft es an der Tür.
„Caesar, hier draußen steht ein gewisser Stephanophorus und wartet auf die Königin.“
Den armen alten Mann hatte ich völlig vergessen. Hoffentlich hat er nicht die ganze Zeit vor der Tür gewartet. Caesar winkt Stephanos herein und ich gehe ihm entgegen.
„Mein lieber Stephanos, du kannst dich für heute zurückziehen, die Sitzung wird noch dauern. Ich benötige die Krone morgen früh wieder, sie kann heute Nacht hierbleiben. Lass mir einfach den Schrein bringen und ruh dich aus. Ich werde das Ritual selbst vollziehen.“
„Habt Dank, Majestät“ Der alte Mann verneigt sich, doch bevor er geht, wendet er sich an Caesar: „Verehrter Konsul, erlaubt Ihr mir eine Bitte?“
Caesar ist hinter mich getreten und nickt wohlwollend.
„Wir haben Euch den größten Schatz Ägyptens anvertraut, bitte gebt gut darauf acht.“ Doch die Augen des alten Mannes liegen nicht auf der Krone, als er das sagt, sondern auf mir.
„Ich werde gut auf sie achtgeben“, verspricht Caesar mit leiser Stimme und der alte Mann hat Tränen in den Augen, als er sich abwendet.
Nach einer weiteren halben Stunde beendet Caesar die Besprechung und schickt alle Männer außer Hirtius hinaus, der sich sogleich an einen der Tische setzt und mit dem Schreiben beginnt. Auch ich greife nach dem ersten Papyrusblatt und formuliere eine Nachricht an Apollodorus, die ich Charmion überreiche und sie für heute entlasse. Sie legt die Kiste mit dem Testament vorsichtig auf dem Tisch vor mir ab, verneigt sich noch einmal und zieht sich zurück. Ich greife mir die Einladungsliste, überfliege die Namen und füge noch einige hinzu, bevor ich mich zu Caesar und Hirtius setze.
„Warum holen wir eigentlich keinen Schreiber dazu, es ist ja nicht so, dass du nicht genügend hättest“, frage ich angesichts der komplexen Briefe, die noch auf uns warten.
„Faberius wird das alles morgen früh noch siegeln und verschlüsseln. Aber davon abgesehen: Um manche Dinge kümmere ich mich lieber selbst.“ Er mustert mich vielsagend und fügt dann lakonisch hinzu: „Du weißt doch: drei Männer können ein Geheimnis bewahren, wenn einer davon tot ist.“
„Nun, da wir zwei Männer und eine Frau sind, schaffen wir das vielleicht auch!“, bemerke ich trocken.
Caesar sieht mich überrascht an und auf Hirtius‘ Gesicht breitet sich langsam ein Schmunzeln aus.
„Also fallen diese Briefe hier unter die höchste Sicherheitsstufe?“, frage ich nach.
„Ich muss dir nicht erklären, dass ein paar Legionen mehr nicht schaden würden, um meinen Forderungen hier in Alexandria Nachdruck zu verleihen.“
Ich nicke. „Wolltest du mir nicht einen Brief an meine Armee diktieren?“
Caesar lächelt. „Schreib Ihnen einfach, dass sie die Belagerung aufrechterhalten sollen. Wenn möglich, ohne die Festung zu stürmen. Als kleine Drohung kann das nicht schaden. So ist Achillas an der Ostgrenze beschäftigt und mit ein bisschen Glück bleibt er dort.“
Hirtius blickt von seinem Papyrus auf. „Majestät, könnt Ihr uns Informationen über die Beziehungen Ägyptens zu den benachbarten Nabatäern geben? Würden sie Euch Hilfstruppen zukommen lassen, wenn Ihr sie darum bittet?“
Ich überlege und blicke zu Caesar. „Ich kann es versuchen, aber ich glaube, Caesars Befehl wäre in diesem Fall erfolgversprechender.“
Caesar sieht mich abwägend an. „Ich halte es trotzdem für förderlich, wenn du König Malchos ebenfalls schreibst. Du bist eine Freundin und Verbündete Roms und kannst ihn meines guten Willens versichern.“
„Natürlich, Caesar. Ich kann es versuchen.“ Letztendlich wissen unsere Nachbarn ganz genau, wie diese Freundschaft mit Rom funktioniert. Wir zahlen Tribut und stellen Hilfstruppen und Rom greift uns dafür nicht an. Das hat nichts mit gutem Willen zu tun, sondern ist eine Überlebensstrategie.
„Du wirst die richtigen Worte finden, da bin ich mir sicher, Kleopatra.“
Also übersetze ich das Schreiben an den hasmonäischen Herrscher und auch gleich noch an seinen idumäischen Berater Antipatros, formuliere einen ähnlichen Brief an Prinzessin Alexandra und finde auch noch diplomatische Worte für König Malchus.
Irgendwann ist Hirtius fertig mit seiner Arbeit und verabschiedet sich, während ich weiter an meinen Formulierungen feile. Als ich schließlich den Calamus niederlege, werde ich mir der Stille im Raum bewusst. Auch Caesar hat aufgehört zu schreiben und mustert mich versonnen.
„Du warst ganz vertieft in deine Arbeit.“
„Bist du mit allem fertig geworden?“
„Ja, alles ist auf den Weg gebracht, jetzt können wir nur abwarten. Du siehst heute sehr schön aus, Kleopatra, und du hast mit deinem Wissen viel zum Erfolg der Besprechung beigetragen. Meine Offiziere konnten kaum die Augen von dir lassen. Du hast sie beeindruckt.“
„Deine Männer…“
„Ja?“
„Sie gehorchen dir nicht nur, sie verehren dich. Sie würden alles tun, um dir zu gefallen.“
„Ja. Und sie würden für mich sterben. Viele sind es schon und andere werden es noch.“
„Wie machst du das?“
Er schnaubt. „Die meisten anderen würden fragen: wie kannst du es verantworten, sie für deinen persönlichen Ehrgeiz zu opfern. Cicero, der alte Heuchler, zum Beispiel. Aber du nicht, natürlich nicht. Du bist eher neugierig, es herauszufinden, um es nachzuahmen, nicht wahr?“
Ich zucke die Achseln. „Du brauchst nicht einmal die Stimme zu heben, eine Nuance oder Betonung reicht schon. Ist es nicht erstrebenswerter, auf diese Art zu herrschen, als Angst und Schrecken verbreiten zu müssen?“
„Ich habe in meinem Leben so viel Angst und Schrecken verbreitet, dass es schlicht nicht mehr nötig ist.“
Ja, das hatte er wohl. Die Berichte aus Gallien fallen mir wieder ein und die Grausamkeit, die er dort an den Tag gelegt hatte. Alesia und die Massaker an den gallischen Stämmen. All die Kriege und die hunderttausenden an Toten. Aber nicht nur gegen die Barbaren war er gnadenlos vorgegangen. Erst vor kurzem hatte er die thessalische Stadt Gomphi plündern lassen, um ein Exempel zu statuieren. Es fällt mir schwer, das alles mit diesem charismatischen Mann vor mir in Verbindung zu bringen. Mir gegenüber ist er bisher sehr rücksichtsvoll gewesen, aufmerksam und leidenschaftlich, humorvoll und amüsant. Und seine Männer verehren ihn wie einen Gott.
„Und dennoch folgen sie dir mit Freude, nicht mit Angst.“
„Weil ich das Beste aus ihnen heraushole. Weil ich ihre Fähigkeiten wecke. Weil ich ihr Leben in einen höheren Zusammenhang stelle. Und weil ich mich persönlich dafür einsetze, dass ihre Arbeit honoriert wird.“
Ich stehe auf und gehe zu dem kleinen Schrein, den Stephanos mir überlassen hat. Mit geübtem Griff öffne ich den Verschluss des Diadems und spreche die rituellen Worte an die Göttin, bevor ich das Uräen-Diadem mit den heiligen Schlangen in den Schrein lege und die Türen verschließe. Ich schüttele die Haare aus, bis mir die Strähnen ins Gesicht fallen und sehe Caesar an.
„Du gibst ihrem Leben einen Sinn und das Gefühl, bei etwas Großem mitzuwirken, Caesar. Ist es nicht das, was Götter tun?“
„Eine gefährliche Frage, gestellt von einer Frau, die von Millionen als Göttin verehrt wird.“
„Möchtest du ein Gott sein?“
„Selbst wenn ich es wollte, die menschliche Kraft ist nur allzu begrenzt, Kleopatra.“
„Aber du wagst es, das Unmögliche wahr zu machen, du wagst es, nach der Macht zu greifen.“
„Genau wie du, meine Kleine. Aber das Leben hält auch viele Schicksalsschläge bereit. Nicht jeder hält das durch.“
„Mit dir zusammen kann ich es aushalten, Caesar.“ Ich lächele ihn an.
Er lächelt zurück. „Dann sollten wir möglichst viel Zeit miteinander verbringen. Genug der tiefsinnigen Gespräche für heute. Was ich jetzt brauche, ist Entspannung. Und du auch!“
Was Caesar unter Entspannung versteht, ist mir inzwischen nur allzu bewusst. Und ich genieße es.
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[1] Mit der Interpretatio Graeca (lat. ,griechische Übersetzung‘) setzten antike Autoren ihnen unbekannte nichtgriechische Gottheiten mit griechischen Göttern gleich. Allerdings waren diese Zuweisungen nicht immer eindeutig, denn gerade ägyptischen Gottheiten ließen sich nicht auf bestimmte Zuständigkeiten oder Fähigkeiten begrenzen. Die ägyptische Göttin Isis wurde z. B. mit sehr vielen Göttinnen des griechisch-römischen Pantheons gleichgleichgesetzt, unter anderem: Aphrodite/Venus, Demeter/Ceres, Hera/Juno, Athene/Minerva, Artemis/Diana, Persephone/Proserpina und Fortuna/Tyche.
[2] Das Serapeum war der große Tempel des Gottes Sarapis und der Göttin Isis. Der Tempelkomplex verfügte über eine eigene Bibliothek und befand sich im Bereich der Rhakotis, dem ältesten Stadtteil Alexandrias, der überwiegend von Ägyptern bewohnt wurde.
[3] Koische Seide stammte ursprünglich von der Insel Kos. Das Gewebe wurde aus der Seide der Raupe des Pistazienspinners gewonnen.