„An Soteles, den Hochwohlgeborenen, Strategen und für die Staatseinkünfte Zuständigen von den königlichen Bauern aus dem Dorf Tinteris und von den anderen. Wegen des im Dorf eingetretenen Mangels an Bewässerung (durch den Nil) im laufenden dritten Jahr geschah es, daß alle im Dorf wohnenden Fremden in ihre eigenen Dörfer entwichen und bereit sind, den Staterismos dort zu zahlen, wie sie es auch bei der Umlage zum Geburtstag des Königs gehandhabt haben. Wir ersuchen Dich, ehrwürdiger Stratege, wir die wir uns wirtschaftlich schwächer befinden, da wir sowohl ganz und gar auf wenige zusammengeschrumpft sind als auch diese Steuern von…“
(Bitte der Bauern von Tinteris, bei Herakleopolis in Oberägypten, um Minderung der Steuerlast im Jahr 50 / 49 v. Chr. aufgrund niedriger Nilschwemmen in den letzten drei Jahren, zitiert nach: J. Hengst, Griechische Papyri, S.33-4)
„Potheinos suchte aber auch ganz öffentlich Caesar in jeder Weise zu schaden und sein Ansehen herabzusetzen. Den Soldaten, die immer nur altes und halb verdorbenes Getreide geliefert bekamen, hielt er vor, sie sollten doch zufrieden sein und den Göttern danken, dass sie auf fremde Kosten noch gefüttert werden.“
(Plutarch, Gaius Julius Caesar)
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Nachdem ich Caesar vom Treffen mit Ptolemaios berichtet habe, bleiben mir noch ein paar Stunden, bevor ich mich für die Testamentseröffnung und das Bankett umkleiden muss. Ich besuche also zusammen mit Charmion mein neues Büro.
Die drei Schreiber erheben sich eilig von ihren Stühlen und verneigen sich tief, als ich den Raum betrete. Elegant lasse ich mich auf dem großen Stuhl an der Stirnseite des Zimmers nieder und winke die Beamten zu mir. Einen der Männer kenne ich aus der königlichen Verwaltung und spreche ihn freundlich an: „Seleukos, ich freue mich, dich wiederzusehen. Sag, wie ist es dir in der Zwischenzeit ergangen und welchen Umständen habe ich deine Anwesenheit hier zu verdanken?“
Der angesprochene ältere Schreiber verneigt sich, sichtlich geschmeichelt, dass ich mich seines Namens erinnere.
„Majestät, wie Ihr wisst, habe ich bereits unter Eurem erhabenen Vater, dem allerhöchsten Gottkönig Ptolemaios Neos Dionysos Dienst getan und auch Euch danach untertänigst gedient. Nach Eurer Verbannung versetzte mich der Dioiketes in die Verwaltung der Museionsbibliothek. Gestern habe ich von Eurer Rückkehr erfahren und als ich heute morgen hörte, dass Ihr einige Schreiber für Eure neue Verwaltung sucht, habe ich mich mit meinen beiden Gehilfen Ammonius und Saras freiwillig gemeldet.
Nun treten auch die beiden jungen Männer – Ammonius und Saras – vor und nachdem mich alle noch einmal ihre Ergebenheit versichert haben, nicke ich huldvoll und verteile einige Aufgaben, während mir Charmion aus einer mitgebrachten Karaffe kühles Wasser einschenkt.
Caesar hat mir die Aufgabe übertragen, mich um die Getreidelieferungen zu kümmern. Nun haben 4000 Legionäre einen täglichen Bedarf von mindestens 150 Scheffel[1] Getreide, hinzukommen noch Öl, Salz, Hülsenfrüchte, Gemüse und Fisch, sowie das Futter für die 800 Pferde der Reiterei. Die heutige Lieferung ist zwar durch die privaten Lebensmittelhändler gesichert, darum hat Apollodorus sich gekümmert, doch die Rechnung dafür muss die Finanzabteilung des Dioiketes übernehmen. Und sollte Potheinos sich weigern oder die Angelegenheit auf die lange Bank schieben, werden Caesar und ich es bald mit einem neuen Aufruhr unter den gut vernetzten alexandrinischen Kaufleuten zu tun bekommen. Ich diktiere also entsprechende Anweisungen an das Büro des Finanzministers, mit dem Hinweis, dass die Versorgungsaufwendungen für Caesars Armee einen Teil der Rückzahlungen Ägyptens an Rom ausmachen. Günstiger als der Einkauf bei privaten Händlern wäre natürlich eine Versorgung aus den königlichen Speichern, was Potheinos aber offensichtlich mit seinen minderwertigen Getreidelieferungen sabotiert.
Ich war ein Jahr nicht in der Hauptstadt. Um vernünftig agieren und wirtschaften zu können, brauche ich dringend einen aktuellen Haushaltsplan und eine Übersicht über die Steuereinnahmen des letzten Jahres, sowie die Hochrechnungen für die nächste Ernte. Wir befinden uns mitten in der Achet-Jahreszeit und die Nilschwemme hat ihren Maximalpegel noch nicht erreicht. Der Nil steigt momentan mit jedem Tag an, bringt fruchtbaren Schlamm auf die Felder und füllt die Kanäle und Wasserbassins. Von der Höhe der Überschwemmung hängt jedes Jahr die Menge des bestellbaren Landes und die Höhe der darauf zu veranlagenden Steuereinnahmen ab. Dank der Nilometer in den wichtigen Städten Oberägyptens kann man bereits seit einigen Wochen Aussagen über die Höhe der Erträge treffen. Leider versprechen die Pegelstandsmessungen anhand der Nilometer von Elephantine bis Memphis in diesem Jahr jedoch keine gute Ernte, denn der Nil steigt zu langsam. Wir werden also die Getreidespeicher für die Bevölkerung öffnen müssen.
Normalerweise produziert Ägypten Getreide im Übermaß, so dass wir einen großen Teil der Ernte exportieren können. Die pharaonische Vorratshaltung garantiert trotzdem eine ausreichende Ernährung der Bevölkerung, selbst bei schlechten Ernten im Folgejahr. Normalerweise, aber nicht mit den immensen Schulden an Rom, die unter der Regierung meines Vaters angehäuft wurden. Ich muss die Zahlen sehen und dann muss ich mit Caesar sprechen.
Nachdem die Aufgaben für heute verteilt sind, überlasse ich die Schreiber ihrer Arbeit und begebe mich mit Charmion in meine – und Caesars – Privatgemächer, um vor der Testamentsverlesung und dem Fest noch ein bisschen Ruhe zu finden. Zumindest habe ich das vor, denn als ich auf dem Gang um die Ecke biege, sehe ich Apollodorus, der gerade in eine hitzige Diskussion mit Psenamounis verwickelt ist.
„Du hast ja keine Ahnung, was in der Stadt los ist. Wer von euch Beratern ist denn auf diese grandiose Idee gekommen? Warst du das, Apollodorus oder Mardian?“, höre ich Psenamounis‘ anklagende Stimme.
„Du weißt sehr gut, dass unsere Königin ihre Entscheidungen allein trifft. Also, wenn es dir nicht gefällt, dann sagst du es ihr besser selbst!“, kontert Apollodorus.
„Was soll er mir sagen?“, schalte ich mich in das Gespräch ein. Beide fahren überrascht auseinander und verneigen sich dann ehrerbietig.
„Majestät, ich denke Psenamounis hat ein Anliegen an Euch, das keinen Aufschub duldet.“
„Ist das so?“ Ich fixiere den jungen Priester, bis er leicht errötet und den Kopf senkt.
„Ja, Majestät, wenn Ihr ein wenig Zeit für mich erübrigen könntet.“
Ich seufze und schließe kurz die Augen. „In Ordnung, Apollodorus, du kannst dich weiter um die Vorbereitungen kümmern. Psenamounis, du kommst mit mir.“
Die, von der ganzen Diskussion unbeeindruckt erscheinenden, Wachen öffnen mit militärischer Präzision die großen Flügeltüren, als ich voran gehe, um das Gespräch hinter mich zu bringen. Ich durchquere mit Charmion und Psenamounis den großen Raum mit dem Kartentisch und führe ihn dann in eins der kleineren angrenzenden Zimmer. Hier stehen einige Klinen und Stühle in einem gemütlichen Halbkreis. Genau der richtige Rahmen für eine private Unterredung.
„Ich kümmere mich um ein paar Erfrischungen,“ murmelt Charmion, die darauf zur Tür eilt und den Auftrag weitergibt.
Ich nehme inzwischen Platz und bedeute Psenamounis, sich ebenfalls zu setzen. Der junge Priester zögert jedoch. „Nimm dir einen Stuhl und lass das höfische Gehabe. Du gehörst zur Familie und wir sind unter uns, also: was ist so wichtig, dass es nicht bis morgen warten kann?“, fordere ich den Schwager meines Cousins zum Reden auf.
Der junge Stellvertreter des Hohenpriesters lässt sich vorsichtig auf einem Stuhl mir gegenüber nieder, zögert aber immer noch, etwas zu sagen. Charmion schließt sich uns wieder an, nimmt ebenfalls Platz und schenkt Psenamounis ein aufmunterndes Lächeln.
„Psenamounis, vorhin auf dem Flur hattest du auch kein Problem, Apollodorus die Meinung zu sagen. Also, was ist seit gestern geschehen? Du kannst offen reden!“, ergreife ich von Neuem das Wort.
„Nun gut, wenn du darauf bestehst, Ta Sheri-en-Esi (Tochter der Isis)!“, beginnt er bedächtig.
Ich lächele beim Klang meines ägyptischen Kosenamens, den nur meine Familie in Memphis benutzt: „Ich bestehe darauf, Pa Sheri-en-Amun (Sohn des Amun)!“ erwidere ich, indem ich seinen Namen nicht in der gräzisierten[2] Form, sondern ägyptisch ausspreche.
„Wie du weißt, bin ich im Auftrag des Hohepriesters Pa-Sheri-en-Ptah (Sohn des Ptah) hierhergereist.“ Psenamounis sieht mich pointiert an. Indem er auch für den Namen meines Cousins Psen-Ptah die ägyptische Form benutzt, betont er, dass er ab jetzt als Familienangehöriger zu mir spricht. Wir tragen alle die Namen unserer Schutzgötter und sind als Priester und Priesterinnen in die Mysterien eingeweiht. Trotz meiner Krönung bin ich für meine ägyptische Familie gleichzeitig so etwas wie eine kleine Cousine oder Schwester, obwohl Psenamounis nur wenige Jahre älter ist als ich selbst. Und als kleine Schwester werde ich mir gleich etwas anhören dürfen.
Ich nicke, zum Zeichen, dass ich einverstanden bin.
Damit Charmion nicht mithören kann, wechselt Psenamounis ins Ägyptische: „Sherienesi, wo soll ich anfangen?! Gestern auf dem Rückweg in die Rhakotis sind wir fast in einen Aufstand geraten. Und auf der Agora hat sich heute morgen eine wütende Menge versammelt und sich mit der Stadtwache und einigen römischen Soldaten Straßenkämpfe geliefert. Es hieß, Caesar habe den König unter Hausarrest gestellt, nachdem dieser dich unaussprechlicher Dinge beschuldigt habe. Alexandria ist aufgebracht, überall kursieren Gerüchte über dich und Caesar. Ich traue mich kaum, dich das zu fragen, aber: Was ist davon wahr?“
Ich seufze und fasse für Psenamounis die Ereignisse kurz zusammen: „Es stimmt, ich bin Caesars Geliebte. Und er hat Ptolemaios in der Tat zurechtgewiesen, als der sich deswegen zu einem öffentlichen Wutanfall hinreißen ließ. Inzwischen hat mein Bruder eingelenkt und sich bereit erklärt, sich mit mir zu versöhnen und den Bürgerkrieg einzustellen. Caesar ist als Testamentsvollstrecker Roms hier und vertritt meine Sache.“
Psenamounis atmet einmal tief durch, wohl um diese gebündelten Informationen zu verarbeiten. Dann runzelt er die Stirn und sieht mich scharf an. „Hat Caesar dich dazu gezwungen?“
„Nein“, entgegne ich empört.
„Du hast dich freiwillig darauf eingelassen?“, fragt er ungläubig.
Ich verdrehe die Augen. „Wäre es dir lieber, er hätte mich gezwungen?“
„Nein, natürlich nicht. Entschuldige, so meinte ich das nicht.“ Psenamounis reibt sich irritiert über den Nasenrücken und über seinen kahlrasierten Schädel.
„Aber wie konntest du dich auf so etwas Unverantwortliches einlassen, Sherienesi?! Du als ägyptische Erbprinzessin! Du betrügst deinen Gemahl und gehst mit einem feindlichen Römer ins Bett?! Entschuldige, wenn ich die Dinge beim Namen nenne, aber was in Ptahs Namen hast du dir nur dabei gedacht?“
Ich falle wieder ins Griechische, denn einige Zusammenhänge sind in dieser Sprache einfach leichter auszudrücken und für Charmion ist das alles ohnehin nichts Neues. „Caesar ist nicht unser Feind. Im Gegenteil, er unterstützt meinen Thronanspruch.“
„Ja, aber zu welchem Preis?“, fragt Psenamounis, nun ebenfalls wieder auf griechisch.
„Den Preis zahle ich ganz persönlich, aber ich sichere damit die Unabhängigkeit unseres Landes. Ich dachte, du würdest das verstehen und wärst nicht so engstirnig und kurzsichtig, wie die von sich selbst eingenommenen Alexandriner!“
„Das mag ja sein, aber es ist trotzdem nicht leicht zu verdauen. Vor allem, wie willst du diese Verbindung zu ihm rechtfertigen?“
„Besondere Umstände erfordern besondere Maßnahmen?!“
Wir unterbrechen das Gespräch, als eine junge Dienerin hereinkommt und uns Erfrischungen bringt. Pflichtschuldig kostet sie unter Charmions wachsamen Augen sowohl von dem Wein, als auch von dem Gebäck und Obst, bevor sie sich verneigt und wieder zurückzieht.
„Und was sagt der König dazu?“, ergreift Psenamounis wieder das Wort.
„Ich habe ihm angeboten, sich im Gegenzug eine Nebenfrau zu nehmen, er war einverstanden.“
„Das kann nicht euer Ernst sein! Ihr gefährdet damit den Bestand der Dynastie. Königlicher Inzest ist heilig, das göttliche Blut darf nicht zu oft verwässert werden, sonst schwindet die darin enthaltene göttliche Macht.“
Ich schnaube, verkneife mir aber jeden Kommentar dazu. Dies ist ein Glaubenssatz, den die Priesterschaft verinnerlicht hat. „Wo du gerade von Macht sprichst, Pa-Sheri-en-amun, darf ich dich daran erinnern, dass Julius Caesar momentan der mächtigste Mann der Welt ist!?“
„Das ist mir bewusst“, Psenamounis sieht mich beschwörend an. „Und dennoch ist dies keine Macht für die Ewigkeit, Roms Stärke ist eine vorübergehende Laune der Götter, was ist das schon gegen die drei Jahrtausende, die Ägypten überdauert hat?“
„Genau, das ist der Punkt, Psenamounis! Wenn wir nicht aufpassen, stehen wir vor dem Untergang unserer 3000 Jahre alten Welt! Die Lage war noch nie so ernst. Ich möchte Ägypten wieder aufbauen, es so stark und mächtig machen wie vor Jahrhunderten und mit Caesar als Verbündeten habe ich zum ersten Mal eine reelle Chance, das in die Tat umzusetzen.“
Psenamounis schüttelt zweifelnd den Kopf. „Kleopatra, du bist so klug und ich bewundere deine Visionen und Träume, aber in vielerlei Hinsicht bist du einfach noch so unerfahren. Um nicht zu sagen: naiv. So ein Mann wie Caesar lässt sich nicht beherrschen. Er nimmt alles von dir, er spielt mit dir. Aber nur solange er Interesse an dir hat und du ihm nützlich bist. Er kann dich benutzen und dann fallenlassen. Aber wenn das geschieht, dann verlierst du alles! Ist dir das nicht klar?“
„Er wird mich nicht fallenlassen!“
„Ach ja und das weißt du woher? Kleopatra, du hast keinerlei Erfahrung, wie Männer sein können.“
„Und du bist der Experte oder was? Du hast dein ganzes Leben in einem Tempel verbracht und in heiligen Schriften gelesen. Ich war in Griechenland und Rom und habe gesehen, wie die Welt sich verändert. Begehe nicht den Fehler, mich zu unterschätzen, Psenamounis! Caesar wird mich nicht fallenlassen und sei es nur deswegen, weil er Ägypten braucht. Und ich bin zufällig Ägyptens Königin.“
„Na schön. Angenommen, du schaffst es, Caesars Interesse aufrechtzuerhalten. Er wird Ägypten trotzdem wieder verlassen und die Alexandriner sind jetzt schon unruhig wegen der Gerüchte über euch. Wie kann er dich schützen, wenn er nicht hier ist?“
„Seine Macht wird mich schützen. Caesar ist nicht einfach irgendein Römer, Psenamounis. Er ist der neue Alexander! Hast du die Gerüchte nicht gehört, die Wunder, die vor und nach seinem Sieg bei Pharsalos geschehen sind? In Ephesos und Kleinasien hat man ihn als Gott begrüßt, als den von Ares und Aphrodite abstammenden Theos Epiphanes und Soter der Menschheit.“
„Und als Gott oder zumindest Halbgott hat er Anspruch auf die Tochter des Pharaos?“
„Ist es nicht so?!“ Ich halte seinem Blick stand.
„Doch“, gibt er zu, „aber so etwas gibt es nur in jahrhundertealten Erzählungen und Legenden, so etwas geschah in Zeiten, wo das Land im Umbruch war.“
„Und wie nennst du das, was gerade passiert, Psenamounis? Ich habe von meinem Vater ein bankrottes Land geerbt, das bereits einige Male kurz davor stand, von den Römern annektiert zu werden. Unsere Nachbarn sind genauso ohnmächtig wie wir. Wir machen Schulden bei römischen Geldverleihern, um unsere Schulden an Rom bezahlen zu können, auf Kosten unseres Volkes, während der reiche Adel in Alexandria den Ernst der Lage verkennt und in patriotischen Wunschvorstellungen aus längst vergangenen Zeiten lebt. So ist es doch! Die schwer arbeitenden ägyptischen Fellachen sind ihnen genauso fremd, wie die überlegenen Legionen Roms. Und mein Bruder ist ein verzogenes und unsicheres Kind, das meint in dieser Lage auch noch Krieg spielen zu müssen. Seine Ratgeber machen außenpolitisch gesehen einen Fehler nach dem anderen und ich muss mir jetzt eine Lösung für dieses ganze Dilemma einfallen lassen. Und ich sage dir: Caesar ist die einzige Lösung für all diese Probleme, er ist der neue Alexander! Deshalb habe ich mich auf ihn eingelassen. Und ich bereue es nicht und würde es jederzeit wieder tun! Ist das jetzt verständlich?“
„Gut zu wissen“, höre ich auf einmal eine tiefe und amüsierte Stimme hinter mir. Caesar. Natürlich. Ich schließe die Augen und atme einmal tief durch, während er sich auch schon neben mir auf der Kline niederlässt und seine Hand besitzergreifend auf meinen Oberschenkel legt. Fassungslos sehe ich die ruhige Gelassenheit in Caesars Augen und den Schock in Psenamounis Gesichtszügen. Hier treffen gerade Welten aufeinander.
„Ich hoffe, ich habe euch nicht unterbrochen“, fährt Caesar mit der ihm so eigenen trügerischen Liebenswürdigkeit fort.
„Darf ich vorstellen: Gaius Julius Caesar, Konsul des Senats und Volkes von Rom, legendärer Feldherr, Imperator, Pontifex Maximus und als oberster Priester Roms der Vorsteher der Priesterinnen der Vesta, das ist Psenamounis, Prophet des Ptah und des Min, sowie Stellvertreter des Hohepriesters des Ptah von Memphis, des großen Königssohnes und Herrn der Geheimnisse von Ra-setjau,“ bringe ich die Vorstellung hinter mich.
„Salve.“ Caesar lächelt. „Ja, ich erinnere mich an den jungen Mann, der uns das Testament überbracht hat, wobei er sich gestern noch auf dem Boden vor deinem Thron befand, meine Liebe. Wo wart ihr stehengeblieben?“
„Oh, Psenamounis hier überlegt sich gerade, wie er unsere Beziehung theologisch vor der Priesterschaft und dem ganzen Land rechtfertigen soll.“ Ich zwinkere Psenamounis zu.
„Ave em hotep (willkommen in Frieden), Konsul, Vielleicht solltet ihr das besser mit dem Hohenpriester besprechen?“, versucht Psenamounis sich aus der Verantwortung zu winden.
„Der berühmte Psen-Ptah ist aber leider nicht hier. Deshalb musst du als sein Vertreter eine Lösung finden“, meine ich bestimmt. „Du hast mich doch gerade auf den Ernst der Lage aufmerksam gemacht.“
Psenamounis schnaubt und gibt sich nicht wirklich eingeschüchtert von Caesars Gegenwart. „Du kennst die Lösung, Sherienesi. Als Erbprinzessin, darfst du dich nur mit einem Prinzen, König oder Gott, verbinden. Da ihr das aber offenbar schon getan habt, bleibt als Rechtfertigung nur Hierogamie.“ Er sieht mich beschwörend an und fügt dann nur für meine Ohren auf Ägyptisch hinzu: „Aber es wäre Gotteslästerung, so etwas zu behaupten, wenn es nicht wirklich der Fall wäre.“
„Keine Angst, die Entscheidung ist gerechtfertigt. Isis-Tyche, die das Schicksal lenkt, hat es so bestimmt.“ Zumindest hoffe ich das.
„Hierogamie? Die Himmlische Hochzeit?“, fragt Caesar nach.
„Ja.“ Ich wende mich zu Caesar, der immer noch diesen nachsichtigen Ausdruck zur Schau trägt, als würde er hier mit drei Kindern debattieren, was aus seiner Sicht vielleicht ja auch der Fall ist. „Für Götter sind die menschlichen Moralvorstellungen und Gesetze nicht verpflichtend. Wenn unsere Verbindung einem höheren Zweck dient, wie dem Frieden zwischen unseren Ländern, dann sind wir beide in diesem Fall darüber erhaben.“
„Aber dafür müsste ich hier in Ägypten offiziell als Gott verehrt werden?“ Die Idee ist Caesar ganz offensichtlich nicht unangenehm.
„Ja“, bekräftigt Psenamounis und fügt auf Ägyptisch noch ein gemurmeltes, „es sein denn, der werte Konsul heiratet dich offiziell und wird Pharao von Ägypten“, hinzu.
Ich grinse bei dieser Idee und führe den Grundgedanken weiter aus: „Auch Alexander der Große wurde von den ägyptischen Priestern als Sohn des Amun begrüßt. Caesar, du bist in Ephesos als der von Ares und Aphrodite stammende Theos Epiphanes und Theos Soter (der erschienene und rettende Gott) begrüßt worden. Welchem Gott würde das hier in Ägypten entsprechen, Psenamounis?“
„Wie wäre es mit Ba-Neb-Djed (dem Bock von Mendes)?“, bietet dieser trocken an.
Auf einmal höre ich in der Stille ein Kichern. Charmion, die sich bis jetzt die ganze Zeit ruhig und im Hintergrund gehalten hat, schlägt sich erschrocken eine Hand vor den Mund. „Entschuldigung“, bringt sie mit hochrotem Gesicht heraus. Aber es ist schon zu spät, denn ich kann mein eigenes Lachen nicht länger unterdrücken. Ich weiß, es ist hochgefährlich, diese beiden Männer ohne vermittelnde Diplomatin miteinander sprechen zu lassen, aber ich kann nicht mehr, die Vorstellung ist einfach zu absurd. Ich halte mir selbst die Hand vor den Mund und meine Schultern beben vor Lachen. Nur unter Tränen sehe ich jetzt Caesars Miene, mit hochgezogener Braue und amüsiert-fragenden Ausdruck und Psenamounis‘ fassungslos-erschrockenes Gesicht, was mich zu einem erneuten Lachanfall motiviert. Weil Caesars Schulter mir so nah ist, greife ich danach und lehne mich an ihn, um wieder zu Atem zu kommen. Seine Hand streichelt meinen Rücken und ich ringe nach Luft, während er mich im Arm hält. Langsam beruhige ich mich und zwinge mich, wieder ernst zu werden.
„Was ist so lustig an diesem Gott, Kleopatra?“ Caesar sieht mich fragend an.
„Ach nichts, Ba-Neb-Djed ist ein“, Ziegenbock, „mächtiger Schöpfergott. Er ist einer der Schiedsrichter im Kampf zwischen Horus und Seth.“
„Das würde gut passen“, schaltet sich Charmion hilfsbereit ein. „Caesar ist ja auch der Schiedsrichter im Thronstreit, nicht wahr?“ Sie sieht mich um Beifall heischend an.
„Ja.“ Ich nicke bestätigend. „Außerdem ist er einer der acht großen Urgötter, nicht wahr Psenamounis!?“ Am liebsten würde ich ihn treten.
„Das ist wahr“, fühlt sich Psenamounis nun doch motiviert, zu sprechen, „Ba-Neb-Djed ist der Herr von Mendes und gilt als Aspekt des Osiris. Er wird dort zusammen mit seiner Gemahlin Hatmehit, einer Erscheinungsform der Isis und ihrem Sohn Harpokrates verehrt.“
„Als Osiris entspricht er dem griechischen Dionysos, dem Gott, nach dem mein Vater sich benannt hat,“ füge ich noch hinzu.
„Also ich vermute mal, Neb-Djed bedeutet: Herr von Mendes?“, fragt Caesar. Ich nicke unter seinem dunklen Blick. „Und was ist die Übersetzung von Ba?“
„Widder“ und „Seele“ erwidern Psenamounis und ich gleichzeitig.
„Also Ba bedeutet sowohl Seele, als auch Widder“, setzte ich zu einer Erklärung an. „Der Herr von Mendes wird als Widder“, oder Ziegenbock, „dargestellt und gilt als Seele des Sonnengottes.“
„Der Widder ist auch das heilige Tier der Götter Chnum und Amun“, fügt Psenamounis hinzu.
„Genau und Amun wiederum ist der Verborgene, der König der Götter und Herr der Throne der beiden Länder, als dessen Sohn Alexander verehrt wurde. Deshalb trägt Alexander ja auf manchen Darstellungen auch die Widderhörner“, führe ich das Gespräch wieder zurück zu Alexander dem Großen. „Deshalb würde Amun wunderbar passen, wenn wir über eine Vergöttlichung Caesars hier in Ägypten nachdenken, nicht wahr Psenamounis?!“
Der angesprochene nickt schnell, doch Caesar lässt das Thema Ba-Neb-Djed natürlich noch nicht fallen. „Warum denn nun Amun und nicht der Gott von Mendes?“
„Weil der nicht so bekannt ist.“, wirft Charmion ein, doch Caesar zieht nur eine Augenbraue hoch. „Du kanntest ihn offenbar, Charmion.“
„Naja schon, aber er ist eher eine lokale Gottheit.“
„Und was ist so besonders an ihm?“, hakt Caesar nach.
„Er ist…“, Charmion sieht mich hilfesuchend an „…speziell?“
In Caesars dunklen Obsidianaugen blitzt es übermütig und ich verstehe die Botschaft darin genau: So Kinder, ihr hattet euren Spaß und jetzt habe ich meinen.
„Ich habe auf meiner Reise nach Ägypten übrigens mal wieder im Herodot gelesen“, setzt er an. Wir sind geliefert. „Und ich meine mich an irgend etwas im Zusammenhang mit Mendes zu erinnern. Mendes ist doch eine Stadt im Delta, für was ist dieser Ort noch gleich bekannt?“
„Mendes gehört zum Fisch-Gau, weil die Gau-Göttin Hatmehit mit einem Fisch auf dem Kopf dargestellt wird“, bietet Psenamounis an.
„Der Ba von Mendes ist also mit einer Fischgöttin verheiratet, interessant. Aber ich meine, Herodot hat da etwas anderes erwähnt.“ Caesars Augen blitzen spöttisch.
„Also Herodot ist keine besonders zuverlässige Quelle für die Bräuche in Ägypten, Caesar. Vieles hat er sich entweder ausgedacht, oder falsch erklärt bekommen“, versuche ich zu relativieren.
„Um so schöner ist es ja, dass ich mit Psenamounis endlich einen ausgewiesenen Experten der ägyptischen Religion kennenlerne“, kontert Caesar spöttisch und richtet seine Aufmerksamkeit nun wieder auf den jungen Priester. „Wie war das doch gleich mit dem Bock von Mendes?“ Ich schließe die Augen. Caesar fährt jedoch unbeirrt fort: „Wird er wirklich wie Pan mit Bocksfüßen und Ziegenkopf dargestellt? Und was ist dran an der Geschichte, dass der dort verehrte Ziegenbock öffentlich mit jungen Frauen kopuliert haben soll?“
Man muss Psenamounis zugute halten, dass er nicht die Fassung verliert, sondern ruhig und besonnen antwortet: „Das sind, wie die Königin bereits festgestellt hat, nichts als Verleumdungen und Hirngespinste. Der Ba von Mendes ist ein alter und ehrwürdiger Gott. Er ist in der Tat ein Fruchtbarkeits- und Vegetationsgott, doch dies bezieht sich auf die Fruchtbarkeit des Landes. Er gilt auch als Seele des Sonnengottes und sein heiliges Tier ist der Widder. Da jedoch die alte, mit ihm in Zusammenhang gebrachte Widderrasse[3] mit den ausladenden gedrehten Hörnern allmählich ausstarb und man stets ein lebendes heiliges Tier für den Tempel benötigte, ging man in Mendes dazu über, stattdessen eine Ziegenrasse mit ähnlichen Merkmalen zu züchten. Deshalb kann der Ba von Mendes tatsächlich als Ziegenbock dargestellt werden. Doch das ist auch schon alles, was von Herodots Beschreibung stimmt.“[4]
„Der Vorschlag mit dem Bock von Mendes war also als Ehrenbezeugung gemeint?“, hakt Caesar nach.
Psenamounis‘ Augen huschen einen Augenblick zu mir und ich sehe ihn beschwörend an. „Natürlich, verehrter Konsul“, antwortet er schließlich.
„Das habe ich mir natürlich gedacht, aber du siehst ein, dass ich nachfragen musste“, antwortet Caesar jovial, während seine Hand wie selbstverständlich über meinen Oberschenkel streichelt. „Wenn Vertreter verschiedener Kulturen zusammentreffen, kann es so leicht zu Missverständnissen kommen. Gut, dass wir dieses hier aufklären konnten, nicht wahr, junger Mann!“
Psenamounis nickt ergeben.
„Und wenn ich es mir recht überlege, ist Amun vielleicht ohnehin der passendere Vergleich.“ Und bei diesen Worten gleitet sein Blick wieder zu mir und ein charmantes Lächeln umspielt nun seine Mundwinkel. „Denn wenn der König der Götter und Herr der Throne der beiden Länder sich eine Gefährtin erwählt, dann bestimmt keine Fisch-, sondern eine Liebesgöttin.“
~*~
„Du warst ja so milde zu Psenamounis, ich dachte, du nimmst ihn gleich auseinander.“ Vorsichtig sehe ich Caesar an, als wir wieder alleine sind.
„Das wäre nicht ratsam, schließlich ist er ein wichtiger Verbündeter und scheint dir nahezustehen, oder etwa nicht?“
„Doch, er gehört zu meiner ägyptischen Familie in Memphis.“
„Na siehst du.“
„Caesar, Ich muss mich für Psenamounis entschuldigen, das mit dem Bock von Mendes war mehr als unangemessen. Aber er sorgt sich um mich.“
Caesar lacht leise, „nun immerhin hat er mich mit einem Gott verglichen, wenn auch mit einem sehr merkwürdigen. Von meinen römischen Landsleuten habe ich schon unschmeichelhaftere Vergleiche gehört. Du solltest mal hören, welche Lieder meine Legionäre über mich singen, und selbst das nehme ich mit Humor!“
„Wirklich? Du bist mir nicht böse?“
„Wie sollte ich dir böse sein, meine schöne Göttin? Nachdem du dich so entzückend an mich geschmiegt hast. Durch dein Lachen hast du der Situation darüber hinaus ihren Stachel genommen.“
„Wirklich?“
Caesar schmunzelt. „Ich gebe zu, die Vorstellung entbehrte nicht einer gewissen Komik. Die Blicke des jungen Priesters waren sehr amüsant, du hast unser kleines Blickduell im Rahmen deiner Heiterkeit ja leider nicht mitbekommen, aber er hat recht schnell klein beigegeben. Klug von ihm.“
Caesar betrachtet mich aufmerksam: „Was hat Psenamounis eigentlich zwischendurch auf ägyptisch gemurmelt?“
Ich seufze: „Dass ich dich heiraten muss, zumindest auf göttlicher Ebene. Und falls du kein Gott sein solltest, begehe ich gerade ein Sakrileg.“
„Ich denke, du bist selbst eine Göttin? Wie sollte denn eine Göttin ein Sakrileg begehen können?“, zieht er mich auf.
„Ich bin nur auf einer Ebene eine Göttin, auf einer anderen bin ich Pharaonin und Basilissa – und auf wieder einer anderen nur ein Mensch. Allerdings wird der sterbliche Teil von der göttlichen Kraft überstrahlt.“
„Vielleicht solltest du mir mal erklären, wie das alles genau funktioniert, kommst du nicht manchmal selbst durcheinander bei diesen vielen Ebenen?“
Ich lächele. „Nein, das ist für mich normal. Aber mir ist klar, dass es für jeden, der nicht in Ägypten geboren wurde, verwirrend erscheinen mag. Der Pharao ist ein Mischwesen, zur Hälfte Mensch und zur Hälfte Gottheit. Aber Götter sind ewig und können sich in dieser vergänglichen Welt nur sehr begrenzt materialisieren. Ihre Ba-Seelen und -Mächte sind im Himmel und ihre Körper in der jenseitigen Welt. Die Menschen auf Erden können göttliche Wesen deshalb nur in Form von Bildern und Symbolen erfassen. Doch diese Götterbilder im Allerheiligsten der Tempel sind mit der Wirkmacht ihrer Götter verbunden. Durch sie können die göttlichen Mächte in dieser Welt wirksam werden. Die täglichen heiligen Rituale der Priester und der Glaube meines Volkes halten diese Verbindung seit Jahrtausenden ununterbrochen aufrecht. Solange dies geschieht, herrscht Maat, die ausgleichende göttliche Weltordnung auf Erden, die das Chaos verhindert. Nun sind Götterbilder aber nicht nur aus Gold und Edelsteinen, sondern können sich auch als Tiere manifestieren – oder natürlich als Menschen. Wenn man so will, dann bin auch ich ein solches Götterbild, Caesar. Die irdische Verkörperung der zaubermächtigen Göttin Isis, die durch mich wirken kann.
Caesar schmunzelt: „Kleopatra, wenn ich dich so anschaue und deinen bezaubernden Erklärungen lausche, klingt das beinahe logisch.“
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[1] 150 Scheffel entsprechen in etwa 4 Tonnen Getreide.
[2] Als gräzisiert (griechisch ausgesprochen) bezeichnet man die Wiedergabe und Aussprache einheimischer (hier ägyptischer und lateinischer Namen) mit griechischer Endung und Deklination: So wurde aus Chufu: Cheops, aus Menkaure: Mykerinos oder aus Caesar: Kaisar.
[3] Laut Kees handelt es sich bei dieser ausgestorbenen Schafsrasse um ovis longipes palaeoaegyt. (H. Kees, Götterglaube, Berlin, 1977, S. 80).
[4] Die entsprechende Passage über den Bock von Mendes findet man bei Herodot, Griechische Geschichte, II, 42: „Die Ziegen und Böcke opfern die obengenannten Ägypter aus folgender Ursache nicht: (…) Die Maler und Bildhauer stellen den Pan ebensowohl wie die Griechen mit einem Ziegenkopf und Bocksfüßen vor, sie glauben aber nicht, daß er wirklich diese Gestalt habe, sondern den anderen Göttern gleich sei. Warum sie ihn aber so abbilden ist mir unangenehm zu sagen. Die Mendesier verehren alles Ziegenvieh und sonderlich die Böcke (…) Der Bock sowohl als Pan werden auf ägyptisch Mendes genannt. Es trug sich in diesem Gebiet zu meiner Zeit die seltsame Begebenheit zu, daß sich ein Bock öffentlich mit einer Weibsperson vermischte, welches die Leute als ein Wunderzeichen ansahen.“