„Er [Alexander der Große] war auch von Natur aus ein Gelehrter und ein Liebhaber des Lesens. Und da er die Ilias als ein Lehrbuch der Kriegskunst ansah und sie auch so nannte, führte er die Fassung von Aristoteles mit sich, die er als Ilias der Schatulle bezeichnete.“
(Plutarch, Alexander, 8,2)
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„Marcus hat erzählt, man kann hier irgendwo Katzenmumien kaufen, wir sollten ihm eine mitbringen.“ Gesprächsfetzen, Gelächter und laute Schritte hallen vom Gang zu uns herunter.
„Die Zeremonie ist offenbar beendet“, bemerkt Caesar trocken. Ich blinzele zu ihm auf. Die Art, wie sich seine Brauen zusammengezogen haben, spricht Bände.
In diesem Moment erscheint auch schon Ptolemaios in der Tür, der sich gerade mit Sextus unterhält: „…ja, der ursprüngliche Sarkophag war aus reinem Gold, aber den hat einer meiner Vorfahren irgendwann eingeschmolzen, weil er Geld für seine Kriege brauchte. Der neue aus Glas ist aber sogar besser, weil man die Mumie dadurch sehen kann…“
Ich wechsele einen Blick mit Caesar. „Lass uns gehen“, murmelt er und reicht mir dann die Hand, um mich die Stufen hinunter zu geleiten.
„Komm mit, ich möchte dir noch etwas zeigen!“, flüstere ich verschwörerisch und ziehe ihn mit mir zu einer der Nebenkammern – weg von meinem Bruder und unseren nun in die Grabkammer strömenden Gefolgsleuten, die sich voller Neugier dem Podest mit dem Sarkophag nähern.
Die uns entgegenkommenden Römer verstummen bei Caesars Ausdruck und senken respektvoll die Köpfe, was die übrigen Besucher jedoch nicht daran hindert, mit ihren Gesprächen fortzufahren. Doch in der mit Gemälden dekorierten Nebenkammer hört man nur ihren leisen Hall. Auch hier haben die Priester Öllampen entzündet, die flackernde Schatten an die Wände zeichnen und die dort angebrachten Kampfszenen mit Leben erfüllen.
„Diese Darstellung der Schlacht von Issos entstand noch zu Lebzeiten Alexanders“, erkläre ich leise und deute auf das monumentale Schlachtengemälde, welches die gesamte Wandfläche einnimmt. „Helena, die Tochter des Timo[1] hat sie angefertigt.“
Caesars Blick gleitet über die Details der Szene und verweilt schließlich auf der lebensnahen Darstellung Alexanders, der auf seinem Hengst Bukephalos gerade dabei ist, den Angriff auf den persischen Großkönig Dareios anzuführen. „Eine Frau hat das gemalt?“, fragt er nach.
„Ja, Helena war damals die bekannteste Malerin in Ägypten und mein Ahnherr Ptolemaios Soter schilderte ihr die Einzelheiten der Schlacht, die er ja selbst erlebt hatte.“ Ich deute auf die Gestalt meines Vorfahren, der im Hintergrund eine Reitereinheit des linken Flügels befehligt. „Ptolemaios war bei der Eroberung des Perserreiches stets an Alexanders Seite. Er war wie ein Bruder für ihn“, füge ich hinzu und drehe mich zu dem auf der gegenüberliegenden Wand angebrachten Gemälde. Im Mittelpunkt steht auch hier der junge Alexander, über dessen Kopf eine 16-strahlige Sonne das makedonische Königshaus der Argeaden symbolisiert. Flankiert wird er von seiner jüngeren Schwester Kleopatra, die bewundernd zu ihm aufblickt und seinem Freund Ptolemaios, den er freundschaftlich umarmt. Auf beiden Seiten der Gruppe sind weitere Gefährten, Heerführer und Familienmitglieder Alexanders dargestellt. Kunstvoll gestaltete griechische Beischriften nennen ihre Namen. Mein Blick gleitet über die Darstellung seiner Mutter, der stolzen Olympias, über die Reihe seiner zahlreichen Halbgeschwister und persischen Ehefrauen bis zu seiner ersten Gemahlin Roxane und seinem kleinen Sohn Alexander Aigos, der ermordet wurde, bevor er das Erbe seines Vaters antreten konnte.
Caesars Augen verweilen indes auf den eindrucksvoll gestalteten Gesichtern der Heerführer. „Sie waren Alexander treu ergeben und sind ihm bis ans Ende der Welt gefolgt, doch kaum war er tot, haben sie sich in endlosen Kriegen gegenseitig geschwächt und sein Reich unter sich aufgeteilt“, kommentiert er die Abbildung und ich höre einen Hauch von Traurigkeit in seiner Stimme.
„Ja, aber sie haben sich auch wieder verbündet, diplomatische Ehen geschlossen und damit das hellenistische Erbe Alexanders bewahrt.“ Ich deute auf die Reihe der abgebildeten Feldherren, „Ptolemaios Soter, Seleukos Nikator[2], Lysimachos[3], Antipatros[4] und Antigonos Monophthalmos[5] – sie sind alle meine Vorfahren, Caesar. In mir fließt das Blut der Diadochen.“
„Das ist mir bewusst, meine schöne Gefährtin.“ Er streicht mir liebevoll über die Wange. „Wolltest Du mir das hier zeigen, Kleopatra?“
„Nein, eigentlich wollte ich dir DAS hier zeigen!“, erwidere ich lächelnd und ergreife eine der Öllampen, um die marmorverkleidete Nische an der Stirnseite des Raumes zu beleuchten, die bisher im Schatten gelegen hat.
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[1] Zur historischen Person der Künstlerin Helena siehe: Michael Pfrommer, Königinnen vom Nil, S. 50-52 und https://de.wikipedia.org/wiki/Helene_(Malerin)
[2] Seleukos I. Nikator (358-281 v. Chr.), Gründer der Dynastie der Seleukiden, über seinen Sohn Antiochos I. wurde er zum Urururgroßvater der ägyptischen Königin Kleopatra I.
[3] Lysimachos (361-281 v. Chr.), König von Thrakien und Makedonien, Vater der ägyptischen Königin Arsinoe I. und 1. Gemahl der späteren vergöttlichten Königin Arsinoe II.
[4] Antipatros (398- 319 v. Chr.), Stammvater der makedonischen Dynastie der Antipatriden. Über seine Tochter Phila wurde er zum Ururgroßvater der ägyptischen Königin Berenike II.
[5] Antigonos I. Monophthalmos (382-301 v. Chr.), Begründer der makedonischen Dynastie der Antigoniden. Über seinen Sohn Demetrios Poliorketes wurde er zum Ururgroßvater der ägyptischen Königin Berenike II.