„Beide waren von stattlicher Gestalt und gutaussehend, und beide stammten von Jupiter ab, Alexander von Aeacus und Hercules, Caesar von Anchises und Venus. Beide waren ebenso schnell bereit, ihre Gegner zu bekämpfen, wie sie bereit waren, Frieden zu schließen, den Besiegten zu verzeihen und nach der Aussöhnung noch Privilegien zu gewähren; denn es ging ihnen allein um den Sieg.
So weit die Parallelen, auch wenn beide nicht dieselbe Ausgangsbasis hatten, um zur Herrschaft zu gelangen: Alexander stammte aus einer von Philipp gegründeten Monarchie, Caesar begann als Privatmann, zwar hochgeboren und berühmt, aber gänzlich ohne Reichtum.“
Appian, Römische Bürgerkriege, 2.151[1]
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Kurz vor unserem Aufbruch sind meine Brüder doch noch eingetroffen, so dass unser Zug sich wieder in Form einer königlichen Prozession durch die Prachtstraßen Alexandrias bewegt. Caesar hat seinen tiefroten Feldherrnumhang angelegt und reitet mit Sextus und einigen anderen Offizieren voran. Meine Geschwister und ich folgen auf vergoldeten Tragestühlen, die mit geflügelten Göttinnen dekoriert und durch seidene Baldachine vor der Sonne geschützt sind. Meine Sänfte wird neben der meines Bruders getragen, der mit ausdruckslosem Gesicht über den Zug der uns begleitenden Soldaten, Sänftenträger und Höflinge hinwegschaut. Außer einem ,guten Morgen‘, haben wir heute noch kein Wort miteinander gewechselt. Aber immerhin bemüht er sich, seiner königlichen Würde als Pharao gerecht zu werden. Hinter uns folgen Arsinoe und Maios auf ihren Tragestühlen, sowie unsere Hofdamen in ihren Sänften. Als wir das Theater des Dionysos passieren und in eine belebtere Straße in Richtung der Soma[2] – der königlichen Nekropole – abbiegen, zügelt Rufio sein Pferd und gibt einige Befehle, woraufhin die Reihen der uns flankierenden makedonischen Leibwachen mit zusätzlichen römischen Legionären verstärkt werden. Das alles geschieht so reibungslos, dass der Zug sich nicht einmal verlangsamt. Ich schaue kurz zu Apollodorus, der neben meiner Sänfte reitet und ebenfalls ein wachsames Auge auf die Menge hat. Doch er wirkt nicht sonderlich beunruhigt. Hoheitsvoll richte ich meinen Blick wieder nach vorne, wo sich hinter einer Allee aus Granatapfelbäumen bereits die Umrisse des weißen Mausoleums vor dem Blau des Himmels abzeichnen.
Vor dem gewaltigen Eingangsportal der königlichen Nekropole kommen die Sänften und Pferde schließlich zum Stehen. Sofort treten Diener mit kleinen Trittpodesten hinzu, um meinen Geschwistern und mir das Aussteigen zu erleichtern. Charmion und meine übrigen Hofdamen versammeln sich hinter mir, während ich an die Seite meines Bruders trete, der zwar missmutig die Mundwinkel zusammenpresst, sich aber doch dazu durchringt, mir wenigstens zuzunicken.
„Ptolemaios, würdest du heute die Opferzeremonie für unsere Ahnen leiten, während ich Caesar die Grabkammer zeige?“, frage ich leise und deute mit dem Kopf auf die Reihen der Priester und Priesterinnen, die sich zu unserer Begrüßung rechts und links des Eingangsportals versammelt haben.
„Wieso ich? Hatten wir nicht ausgemacht, dass du den rituellen Teil übernimmst, Kleopatra?“
„Du bist der Alexanderpriester!“, rufe ich ihm mahnend in Erinnerung. „Der Titel ist nun einmal an das Königsamt gebunden und daher männlich. Oder möchtest du, dass ich mich darüber hinwegsetzte, wie unsere Urgroßmutter Kleopatra Euergetis?“
„Nein, ganz bestimmt nicht!“ Er strafft sich ein wenig, wohl bei der Erkenntnis welches Ansehen mit diesem Amt verbunden ist, das nur einmal in der Geschichte unserer Dynastie von einer Frau ausgeübt wurde. „Aber was willst du mit Caesar allein in der Grabkammer?“, fragt er misstrauisch.
„Was denkst du denn?! Caesar möchte Alexander nun einmal ungestört und in stiller Verehrung betrachten!“ Und vor allem möchte er sich dabei keine dämlichen Fragen meines pubertierenden Bruders anhören. Ich atme einmal ein und aus und füge dann in besänftigendem Ton hinzu. „Caesar verehrt unseren göttlichen Ahnen sehr, Ptolemaios.“
„Na gut“, meint er mürrisch, „dann viel Spaß in der Gruft!“
Innerlich die Augen verdrehend nicke ich ihm zu und sehe mich dann suchend nach meinem Liebhaber um.
Julius Caesar steht bereits inmitten des geöffneten Eingangsportals und blickt zu der marmornen Ringhalle des Mausoleums hinüber, deren Pyramidendach von einer golden glänzenden Statue Alexanders gekrönt wird. Caesars Gestalt ist selbst in Sonnenlicht getaucht, da er den schützenden Schatten des Portals verlassen hat, wo seine Offiziere noch wartend verharren. So bewegungslos dastehend, wirkt er für einen Moment selbst wie das lichtumflutete Standbild eines mystischen Helden. Aber dann erfasst eine leichte Brise seinen blutroten Umhang und in diesem Moment wendet er sich um und sieht zu mir herüber. Mit fließenden Schritten begebe ich mich an seine Seite. Äußerlich strahlt Caesar die gewohnte überlegene Ruhe des Feldherrn aus, doch in seinen dunklen Augen erkenne ich ein rastloses Feuer. Er ist sichtlich ungeduldig, hier noch länger zu verharren.
„Warum hast du bis heute gewartet, Alexanders Grab zu besuchen?“, frage ich leise.
„Vielleicht habe ich auf dich gewartet, Kleopatra. Vielleicht wollte ich, dass du es mir zeigst“, entgegnet er ebenso leise und für einen Moment huscht ein Lächeln über seine Züge, bevor er seinen Blick wieder auf das Mausoleum richtet.
Meine Hofdamen und Fächerträger sind mir stillschweigend gefolgt, genau wie Ptolemaios mit seinem Gefolge, der nun an meine andere Seite tritt. Die Ahnenpriesterinnen nehmen das als Zeichen, ihren hymnischen Gesang anzustimmen und sich feierlich an die Spitze des Zuges zu setzen, während alle anderen sich hinter uns formieren. Der Prozession der weißgewandeten Priesterinnen folgend, betreten wir den Friedhof der Götter und passieren dabei die Grabtürme der frühen Ptolemäerkönige, deren vergoldete Pyramidendächer sich rechts und links von uns über den Kronen mächtiger Sykomoren erheben. Die Grabmäler meiner Ahnen sind ringförmig um das Mausoleum Alexanders angeordnet und auch entlang des Weges erblickt man Statuen und Denkmäler aus Marmor, Porphyr und Alabaster, die sich anmutig in die Landschaft fügen. Die Nekropole wirkt wie ein verwunschener Garten und ist heute wegen unseres Besuches für die Öffentlichkeit gesperrt. Man sieht nur einige Priester an den Altären, sowie Gärtner, die mit der Pflege der Pflanzen beschäftigt sind und bei unserem Vorüberschreiten auf die Knie sinken. Ein leichter Hauch von Weihrauch liegt in der Luft, vermischt mit dem Duft der blühenden Rosen und Lilien.[3]
„Wurde das Grab Alexanders nach dem Vorbild des berühmten Mausoleums von Halikarnassos errichtet?“, höre ich Sextus‘ Stimme, der sich an der anderen Seite meines Bruders in die Prozession eingereiht hat.“
„Ja, es war eine der Vorlagen dafür. Ursprünglich wurde Alexander nach makedonischer Sitte in einem königlichen Grabhügel bestattet. Aber mein Vorfahre Ptolemaios Philopator[4] hielt das hier für angemessener. Er hat die ganze Anlage geplant“, gibt der König erstaunlich bereitwillig Auskunft und deutet dann auf einen der Grabtürme, der sich zur Rechten des Alexandergrabes erhebt. „Er liegt übrigens dort hinten bestattet, ich bin nach ihm benannt.“
Caesar hat bisher geschwiegen. Doch sein konzentrierter Blick ist weiterhin auf das Alexandergrab gerichtet, das Herzstück der Nekropole, dessen monumentale Größe mit jedem Schritt offensichtlicher wird. Inzwischen kann man bereits die hieroglyphischen Inschriften auf den Obelisken erkennen, die den Vorhof des Mausoleums flankieren – und die erhaben lächelnden Gesichter der Götterstatuen, die von ihren erhöhten Standpunkten zwischen den Säulen in ihrer marmornen Vollkommenheit auf uns herabblicken. Ich kann nur mutmaßen, was gerade in Caesar vorgeht, aber eine innere Stimme rät mir, ihn nicht in seinen Gedanken zu stören. Also ziehe auch ich es vor, für den Rest des Weges zu schweigen.
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[1] Eine englische Übersetzung zu Appians Passage über Julius Caesar und Alexander den Großen findet man hier: https://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Appian/Civil_Wars/2*.html
[2] Die königliche Nekropole Alexandrias wurde auch als Soma (griech.: Körper) bezeichnet, weil dort der Körper Alexanders bestattet war.
[3] Bei den stilisierten Darstellungen von Lilien im Alten Ägypten handelte es sich vermutlich um Iris (Iris albicans) oder Wilder Ingwer (Siphonochilus aethiopicus).
[4] Ptolemaios IV. (244-204 v. Chr.)