Wahrheiten:
„Werwölfe?“, fragte Karo ungläubig. Jason, der mit dem Rücken an der Tür lehnte, kam ihr wie ein Verrückter vor.
„Ja“, sagte er mit gesenkter Stimme. „In jedem Hotel gibt es Monster. Und hier sind es eben Werwölfe!“
„Es gibt keine Monster!“, fuhr Karo auf.
„Pscht!“, machte Jason eilig.
Sie konnte nicht glauben, dass er ihr dieses Lügenmärchen verkaufen wollte. Sie verschränkte die Arme vor der Brust: „Öffne die Tür!“
Ihre kurzen Haare kitzelten sie am Ohr und verursachten ihr eine Gänsehaut. Unwillig schüttelte sie den Kopf. Sie fürchtete sich nicht!
„Bitte, vertrau mir einfach, ja?“, sagte Jason. Seit er sie einfach so in sein Zimmer gesperrt hatte, war allerdings jede Sympathie für ihn verschwunden.
„Du lässt mich jetzt sofort hier raus, oder ich rufe um Hilfe!“, verlangte sie.
Jason bewegte sich schnell. Sie hörte das Klicken des Schlüssels, der umgedreht wurde, und im nächsten Moment hielt er sie umklammert, eine Hand auf ihrem Mund, sodass sie nicht schreien konnte. Sie wand sich erschrocken und versuchte, ihm auf den Fuß zu treten. Falls sie traf, so kümmerte ihn das nicht.
„Du musst mir zuhören, Karo, bitte! Geh nicht da raus. Es ist zu spät.“
Sie biss in seine Hand und diesmal ließ er sie los.
„Geh mir vom Leib!“, kreischte sie und machte ein paar Schritte zurück.
„Bitte!“, flehte er. Sein Blick huschte zu seinem Bett, wo ein kräftiger Ast lag.
Karo sah ihre Chance, stürmte an ihm vorbei und rüttelte an der Tür. Zu spät fiel ihr ein, dass diese abgeschlossen war. Sie packte den Schlüssel, drehte ihn herum und riss die Tür auf.
„Tu das nicht!“, Jason stand hinter ihr und berührte ihre Schulter. Er hätte sie genauso gut packen können! Karo schüttelte ihn ab, denn seine Berührung ekelte sie plötzlich. Sie floh auf den bunten Gang und hetzte ihn entlang.
„Karo!“, rief Jason ihr mit gedämpfter Stimme nach.
Im nächsten Moment hörte sie ein tiefes Grollen, wie ein aufziehendes Gewitter. Auf dem Gang war es dunkel, doch hinter der nächsten Biegung gab es eine Lichtquelle, vielleicht ein Fenster, durch das der Schimmer von Sternen drang.
Auf der unebenen Wand gegenüber der Kurve zeichnete sich ein Schatten ab.
Karo stieß einen Angstlaut aus und taumelte zurück. Das war kein menschlicher Schatten, dafür war der Oberkörper zu kräftig. Und die Beine waren nach hinten gebogen!
Das Wesen hatte sie gehört und kam um die Ecke. Vor Angst erstarrt blickte Karo in ein längliches Gesicht mit braunem Fell, einem großen Maul mit langen, spitzen Zähnen und ebenso langen und spitzen Ohren, die fast lächerlich klein wirkten. Schräge, gelbe Augen funkelten sie an und sie spürte heißen Atem, der nach Verwesung roch.
Etwas sauste an ihr vorbei und traf das Wesen auf den Schädel. Ein übernatürlich lautes Jaulen erklang, das sofort in ein Knurren wechselte. Ein Arm schlang sich um Karos Taille und hob sie hoch wie ein Kind.
Karo tat nichts, weder wehrte sie sich noch half sie mit, während sie den Gang zurück geschleift wurde. Der Werwolf kam um die Ecke, ein großes Wesen mit menschlichen Konturen, aber beinahe zu groß für den Gang. Ein Sprung, und er hatte die Hälfte des Flures überwunden, schon setzte er zum zweiten Sprung an, die Augen voller Hass auf sie gerichtet.
Sie wurde zur Seite gerissen, die langen, gelben Klauen verfehlten sie nur um Haaresbreite. Dann fiel eine Tür ins Schloss, und wieder warf sich Jason mit dem Rücken dagegen.
Diesmal war das Geräusch des Schlüssels im Schloss eine Erleichterung, aber Karo kroch dennoch rückwärts bis an die Schränke zurück, die die Wand bedeckten.
Draußen fuhren Krallen über das Holz und der Werwolf knurrte rasend.
„Nächstes Mal darfst du mir gerne glauben“, keuchte Jason und wischte sich Schweiß von der Stirn.
„Wo – woher wusstest du das?“, stotterte Karo.
„Ich war schon eine Weile in dem anderen Hotel“, erklärte Jason knapp. „Ich bin leise, aufmerksam und geschickt. Ich weiß, was die Mitarbeiter und die Veranstalter reden.“