Verrat:
Das Rumpeln des kleinen Wagens hatte sie bald in den Schlaf gewiegt. Amy und Luca schliefen lässig aneinander gelehnt. Sam und Mira schienen sich dabei abzuwechseln, und Maya war nur eine düstere Silhouette vor dem schmalen Spalt Licht, der an den Rändern der geschlossenen Tür hindurch schimmerte. Amy merkte allerdings, dass auch ihren Meistern bald die Augen zufielen. Obwohl der Motor laut dröhnte und der Wagen von den Schlaglöchern der Straße durchgeschüttelt wurde, sanken sie immer tiefer in den Schlaf. Wenn Amy versuchte, wach zu bleiben, bekam sie nur Kopfschmerzen.
Sie wurde davon geweckt, dass der Wagen knirschend über Kies rollte und dann anhielt. Der Motor röhrte noch eine Weile und verstummte dann.
Vorsichtig wollte Amy sich aufrichten, aber sie war zu müde. Ein Blick zu den drei anderen zeigte ihr, dass auch Luca, Mira und Sam müde waren – die drei sahen aus wie Zombies, mit schlaffen Gesichtszügen und dunklen Ringen unter den Augen, die Wangen voller Druckstellen von der Wand des Kleinlasters, an die sie sich im Schlaf gelehnt hatten.
Nur Sam riss die Augen weit auf, nur um kurz darauf heftig zu blinzeln. Verwirrt beobachtete Amy die Reaktion. Sam wollte die Müdigkeit abschütteln. Immerhin hatten sie hier einiges zu tun.
Maya bewegte sich plötzlich und klopfte gegen die metallene Hecktür.
Jetzt riss auch Mira die Augen auf und blinzelte danach übermüdet. Amy bewegte sich schwimmend, als sei sie unter Wasser. Entsetzt. Die beiden Meister waren entsetzt.
Träge glitten ihre Gedanken vorwärts.
„Hier drin!“, rief Maya jetzt laut.
„Was … tust du?“, murmelte Amy. Sie war so müde! Fast wäre es ihr egal, was Maya tat. Sie war so unglaublich müde.
„Sie wachen auf“, rief Maya, dann wurde die Tür geöffnet. Helles Licht flutete den kleinen Wagen, davor malten sich die dunklen Figuren von drei Menschen ab. Amy musste die Augen schließen. Nur langsam gewöhnten sie sich an das Licht, während einer der drei Leute vor der Tür, offenbar ein Mann mit dunklen Haaren, Maya aus dem Heck half.
„Verräterin!“, lallte Sam mit schwerer Zunge.
Der Mann kam Amy vertraut vor, aber sie erkannte ihn erst dann, als sie Samira mit breitem Grinsen neben ihm bemerkte. Das war Brandon, der Besitzer des Hotels Waldesruh – und Samiras Bruder. Er wirkte ein wenig dünner als bei ihrem letzten Besuch und sein Bart war gewachsen.
Samira musterte die vier im Heck breit grinsend. Amy merkte langsam, dass sie keiner gewöhnlichen Müdigkeit erlegen war. Sie hätte am liebsten geflucht.
„Betäub sie“, befahl Samira dem dritten in ihrem Team. Derjenige, ebenfalls ein Mann, aber jünger als Brandon, hob sein Gewehr und schoss auf Samstag. Mit einem leisen Ächzen brach der zusammen. Seelenruhig lud der Fremde das Gewehr wieder und legte es auf Mira an. Die versuchte, im letzten Moment zur Seite zu springen, aber sie war zu langsam. Ein gefiederter Betäubungspfeil ragte auf ihrer Schulter.
Als der Junge Luca betäubte, konnte Amy endlich sein Gesicht erkennen. Jetzt riss auch sie die vor Müdigkeit trockenen Augen auf.
„Max … !“
Er schoss, wandte sich ihr zu und lud die Waffe neu, das Gesicht eine Maske aus Stein. Der Pfeil traf Amy am Schlüsselbein und fast sofort breitete sich Wärme in ihrem Inneren aus. Alle Muskeln entspannten sich und vor ihren Augen wurde es schwarz.