Rache:
Samstag führte seine kleine Gruppe lautlos und rasch durch die klinisch weißen Gänge des Irrenhauses. Er hatte ein gutes Gedächtnis und so fanden sie bald das Gebäude, in dem die Gäste der Show untergebracht waren. Inzwischen war die Sonne untergegangen, es gab also keine Probleme damit, über die Rasenstücke zu huschen, immer außer Reichweite des Lichtes, das durch die Fenster nach draußen fiel.
Die Tür zum Gebäude war nicht ganz unerwartet verschlossen, alle Fenster im Erdgeschoss verriegelt. Sam entdeckte allerdings bald ein kleines Fenster, das auf den Flur führen musste. Es war nicht vergittert und damit vielleicht aufzubrechen.
Mira, einen halben Schritt hinter ihm, folgte seinem Blick und begann schicksalsergeben, zu klettern.
„Ich weiß nicht, ob ich da hinterher komme“, murmelte Amy nervös.
„Mit etwas Glück kann Mira uns die Tür aufmachen“, sagte Sam. Sie sahen zu, wie die junge Frau am Fenster hantierte und dann in der gähnenden Schwärze dahinter verschwand. Es folgten ein paar Minuten Stille. Sam wollte schon nervös werden, da ertönte ein leises Knirschen an der Eingangstür und diese schwang wenig später auf.
„Was hat dich so viel Zeit gekostet? Hast du noch einen Kaffeekranz gemacht?“, begrüßte er Mira.
Sie schüttelte ernst den Kopf. „Erinnerst du dich an den Kult, der hier letztes Mal oben war?“
Sam nickte und bereute seinen Scherz bereits.
„Die sind eben alle nach unten in den Keller gerauscht“, erklärte Mira. „Sie haben irgendwas – oder irgendjemanden – gejagt, sonst hätten sie mich entdeckt.“
„Das Gebäude hat einen Keller?“, wunderte sich Sam. „Dann nichts wie hinterher!“
Es war den anderen hoch anzurechnen, dass sie ihm trotz des Grauens, dass sie erlebt hatten, blindlings in die nächste Gefahr folgten. Mira zeigte ihnen den Weg. Ihre eiligen Schritte erzeugten auf der Treppe ein unregelmäßiges Tapsen, wie von einem Tausendfüßler, der seine Beine verknotet hatte. Sie erreichten einen kahlen Kellerflur, von dem nur wenige Türen abgingen. Die meisten Türen waren aus Metall, hatten aber vergitterte Fenster. Dahinter konnten sie die unheimlichsten Räume erkennen. Ein paar Räume erinnerten noch an Artzpraxen, mit Liegen und einer Auswahl von Gerätschaften, andere schienen OP-Säle zu sein. Je weiter sie kamen, desto stärker schlugen die Räume ihnen auf den Magen.
„Das ist ja furchtbar!“, keuchte Amy bei einem Raum, dessen Boden mit einer dunkelbraunen Pfütze besudelt war.
Zum Glück ging keiner der Türen auf. Sam wollte sich nicht in einen Raum mit den Kreissägen und Eisernen Jungfrauen begeben, die hier eingesetzt wurden. Sicherlich zu medizinischen Zwecken. Immerhin mochte Maya noch unterwegs sein, um sie im nächsten Zimmer einzusperren.
Der Gang führte sie auf eine letzte Tür zu. Diese war aus dunklem Holz und stand einen Spalt breit offen. Sam, Mira, Amy und Luca zückten ihre Messer. Dann schlichen sie näher heran.
Hinter der Tür erklangen leise Stimmen. Dann erklang plötzlich ein panischer Schrei, der selbst Sam das Blut in den Adern gefrieren ließ.
„Nein, lasst ihn los!“, rief eine zweite Stimme, offenbar ein Junge.
Sam warf den anderen einen alarmierten Blick zu und stürmte vor, um durch den Spalt der Tür zu spähen. Auf der anderen Seite erkannte er, im matten Kerzenschimmer nur undeutliche Schatten, die schwarzgekleideten Kultmenschen. Sie hatten einen Kreis um ein auf den Boden gemaltes Pentagramm geschlossen. Einer von ihnen hatte einen Jungen im Nacken gepackt und zerrte ihn aus seinem Versteck hinter einer Truhe hervor. Ein zweiter Junge hatten den ersten am Arm gegriffen und wollte ihn wieder zurück ziehen.
„Die beiden müssen sie gejagt haben!“, zischte Mira neben ihm.
Die Jungen trugen normale Alltagskleidung. Sie mussten von der Tour stammen. Sam wog sein Messer in der Hand, zögerte nicht lange und warf es. Die Klinge zischte durch die Luft und traf den kapuzenverhüllten Mann, der an dem Jungen zog, in den Rücken.
Wie auf ein geheimes Kommando drehten alle anderen ihnen die schwarzen Höhlen der Kapuzen zu.