Wie man ein Phantom fängt:
Sie hatten eine Straße gefunden und wanderten nun im harten Licht der Straßenlaternen an der Leitplanke entlang. Nicht weit von der Straße entfernt begann der Wald, eine undurchdringliche Dunkelheit aus schwarzen Stämmen.
Irgendwo dort mussten die weißen Frauen lauern. Doch so sehr Samstag auch in die Schatten spähte, nirgendwo blitzte etwas weiß auf.
„Sagt mal, kann es sein, dass diese Wesen Angst vor uns haben?“, fragte er.
Mira hinter ihm seufzte. „Das wäre zu schön. Vielleicht wurden sie auch gewarnt. Inzwischen weiß Samira ja hundertprozentig, dass wir da sind.“
„Ja, alles dank Maya“, knurrte Luca.
„Aber warum tut sie dann nichts?“, fragte Amy. Die Frage spukte auch Sam schon eine ganze Weile im Kopf herum. War es Samira egal, was mit den anderen Monsterfamilien geschah? Höchstwahrscheinlich. Machte sie sich keine Sorgen, dass sie bis zum letzten Hotel kommen könnten? Offensichtlich.
Fühlte sich Samira so sicher? Sam hatte gelernt, einen Feind nie, unter keinen Umständen, zu unterschätzen. Und Samira kannte die Wächter und deren Leitsätze. Sie war unter ihnen aufgewachen.
Das Problem war, dass sie im Moment nicht wissen konnten, was Samira vorhatte. Seufzend richtete Sam den Blick auf eine Frage, die sie leichter lösen konnten.
„Wir müssen die Geister anlocken“, sagte er.
„Anlocken?“, wiederholte Amy.
„Ich dachte, weiße Frauen fahren auf Autos ab“, meinte Mira. „Davon haben wir gerade nur keines vorrätig.“
„Ja, aber was sind ihre bevorzugten Opfer?“, fragte Sam und sah Mira auffordernd an. Genug davon, dass sie mit dem Wissen ihrer Schülerin angab. Jetzt durfte sie selbst mal punkten!
„Ähm … junge Männer“, sagte Mira langsam, bevor sie sich erinnerte: „Junge Männer, die ihre Freundinnen betrogen haben!“
„Oder, einfacher gesagt: Angst und Schuldgefühle!“, grinste Samstag. „Wenn wir genug davon verströmen, sollten die Geister angekrochen kommen wie durstige Vampire!“
Die drei anderen sahen ihn zweifelnd an.
„Kommt schon, das wird lustig“, sagte Sam und führte sie in den Wald. „Wir müssen nur vorher überlegen, wie wir die Viecher ausschalten wollen.“
„Das wisst ihr nicht?“, fragte Amy spitz.
„Bei Geistern ist das so eine Sache. Eisen funktioniert häufig“, erklärte Sam. „Eure Messer bestehen aus Eisen und Silber. Versucht es einfach damit.“
Er sah, wie die beiden Schüler einen entgeisterten Blick tauschten, während Mira ihm schicksalsergeben folgte.
Bald hatten sie eine kleine Lichtung entdeckt und setzten sich hin. Sams gute Laune war inzwischen verflogen, denn er wusste, wie er Schuldgefühle hervorrufen musste. Sobald er saß, tauchten die Gesichter seiner toten Schülerinnen vor ihm auf. Tee-jo, Fay, Lily und Wild Child starrten ihn aus der Erinnerung heraus an.
Sam löste die innere Blockade, die solche Erinnerungen von ihm fernhalten sollte, und alles strömte auf ihn ein.