Die nächste Busfahrt:
In dem Kleinbus, der sie an der Mine abgeholt hatte, herrschte Schweigen. Tobias saß in der vordersten Reihe, den Rollstuhl zusammengeklappt neben sich. Die anderen Gäste, Salim, Ronja, Hannah, Jakob, Manuela und Matthias, sahen aus den Fenstern oder kauten auf ihren Fingernägeln. Und die vier Neuzugänge saßen mit düsteren Mienen auf der Rückbank.
Die vier trugen karierte Holzfällerhemden und raue Hosen, wie sie auch der Besitzer der Waldhütte getragen hatte. Die hochgewachsene Blonde war die Einzige, die die Hemdsärmel nicht hoch rollen musste. Bei den drei anderen wirkte die Kleidung zu groß.
Zuerst hatten die anderen und Tobi geglaubt, dass die Vier von der Tour stammten. Selbst, nachdem Samira offenbar den jüngeren Mann gekidnappt hatte, war er noch bereit gewesen, an eine Show zu glauben. Die Tatsache, dass die vier durchaus zerschlagen wirkten und auch wenig Lust zu verspüren schienen, dem Rest der Gruppe irgendwas zu erzählen, hatte Tobi vom Gegenteil überzeugt.
Denn wenn die vier von der Show wären, hätten sie ihre Geschichte von der versuchten Rettung weiter ausgebaut und sich das Vertrauen der sieben anderen erschlichen.
Tobias war ein wenig entsetzt darüber, wie misstrauisch ihn diese Tour gemacht hatte. Aber seit er selbst dem Feuertod nur so knapp entronnen war, glaubte er nicht mehr, dass es hier mit rechten Dingen zuging. Er hatte die Wesen in den Tunneln gesehen, in den Sekunden, bevor das Feuer sie verschluckte. Unheimlich dürr waren sie gewesen, und dabei so unmenschlich schnell.
Tobias fiel es überhaupt nicht schwer, an Monster zu glauben. Als Kind hatte er auf ein übernatürliches Wesen gehofft, das ihm helfen könnte, ein normaler Junge zu werden. Ein besonderer Freund, wie in den vielen Jugendromanen, die er gelesen hatte. Später hatte er auch an alles andere geglaubt. Aber inzwischen hatte sich eines verändert. Die Existenz des Übernatürlichen hatte keinen lustigen Kitzel mehr, es war nicht mehr nur spannend.
Es war unheimlich. Das Übernatürliche war tödlich, und Tobias war eben doch nur ein Junge, der seine Beine nicht richtig verwenden und deshalb nicht fliehen konnte.
Der Busfahrer schaltete das Radio ein. Aus den Lautsprechern drang nur statisches Rauschen, aber der Fahrer drehte die Lautstärke immer weiter auf.
Tobi sah aus dem Fenster, über das Regentropfen liefen. Einige der Tropfen waren halb gefroren. Der dichte Schneeregen verkürzte die Sicht immer mehr, bis nichts mehr außerhalb ihres Busses zu existieren schien.
Plötzlich erklang eine Gitarre in dem Rauschen. Tobias sah wieder nach vorne. Das Radio leuchtete nicht, so, als wäre es überhaupt nicht eingeschaltet. Allerdings drang jetzt die raue Stimme eines Mannes heraus, der zu der Gitarre sang.
„Well, you're my friend, and can you see?“, die Stimme wurde mit jedem Wort klarer, das Rauschen verschwand. An seine Stelle trat die ruhige, irgendwie melancholische Musik.
„Many times we've been out drinkin', many times we've shared our thoughts, but did you ever, ever notice, the kind of thoughts I got?“
Tobias starrte in den Regen, während das ausgeschaltete Radio weiter klang.
„Well, you know I have a love, a love for everyone I know. And you know I have a drive to live, I won't let go. But can you see this opposition comes rising up sometimes. That it's dreadful imposition, comes blacking in my mind.“
Tobias hörte, wie der ältere Mann aus der Gruppe der Neuen zu fluchen anfing. „Das ist Johnny Cash! Das kann doch kein Zufall sein!“
„Sam, nicht so laut!“, zischte die Blondine. „Vielleicht hat sie uns beobachtet. Na und? Wir wussten von Anfang an, wie gefährlich das hier werden wird.“
„And that I see a darkness. And that I see a darkness. And that I see a darkness“, kam es aus dem Radio. Tobias zog die Hände in die Ärmel seines Pullis zurück, während der Regen laut gegen die Fensterscheibe trommelte.
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Lied: „I see a darkness“ von Johnny Cash