Gift:
Sam kam für einen winzigen Moment zu sich. Das Blut rauschte in seinen Ohren und er spürte die Schwäche, die seinen ganzen Körper ergriffen hatte. Er konnte seine Beine und Fingerspitzen nicht mehr spüren, und auch nur verschwommen sehen.
Zitternd wurde ihm klar, dass die Rückkehr seines Bewusstseins nicht als Zeichen der Besserung anzusehen war. Vielmehr war sein Körper erschöpft und hatte es aufgegeben, Sam am Leben erhalten zu wollen. Jetzt blieb ihm nur noch ein wenig Zeit, um vielleicht zu kämpfen. Sein Körper war am Ende. Dies war nur der Versuch, nach einem letzten Strohhalm zu suchen, falls Sam zufälligerweise in der Nähe von Medizin sein sollte.
Allerdings befand er sich in einem Wald. Neben ihm kauerte Tobias, die Beine ausgestreckt und einen Ast in den Händen, der viel zu schwer war. Luca saß ebenfalls auf dem Boden, sein Bein war blutüberströmt, und Amy kniete neben ihm. Bei ihr waren die Hände voller Blut.
Sam blinzelte und sah zum Waldrand. Sie waren nur noch zu viert, und keiner war mehr in der Lage, zu kämpfen.
Am Waldrand schließlich zeigte sich ihr Tod: Samira und Brandon kamen auf sie zu.
Sam riss die Augen auf. Brandon hatte die Gestalt eines schwarzen Wolfes angenommen, zweimal so hoch wie ein Mensch. Samira aber war ein gewaltiger Tiger, weiß am Bauch und feuerrot am Rücken, die Streifen so schwarz wie ihre Seele. Die gelben Augen der Raubtiere glitzerten.
Sam erkannte sie. Wie hatte er nur so blind sein können? Kein Wunder, dass niemand dieser Show entkam. Hätte er gewusst, mit wem sie es wirklich zu tun hatten, er hätte niemanden dieser Gefahr ausgesetzt.
Jetzt wusste er auch, warum die Geschwister die Wächter so gut kannten. Zwei dämonische Halbgeschwister, überheblich, mächtig und dann dieser Drang, mit der Beute zu spielen.
„Nox!“, hauchte Sam. Er spürte, wie die Raubtiere ihn ansahen und grinsten.
Ifrit und Asmodai van Nox, das waren ihre wahren Namen. Sam hätte sich dafür verfluchen könnten, dass er sich immer noch von ihren Tarnungen und falschen Namen täuschen ließ. Eine mächtige Dämonin hatte diese Kinder geboren. Asmodais Vater war ein Werwolf gewesen, Ifrits Vater ein Vampir. Und die Monsterjäger der Wächter hatten die Mischlingskinder damals aufgenommen, nachdem sie die Dämonin getötet hatten, um die Brut als Waffe zu nutzen. Nur, dass Ifrit und Asmodai keine Waffen mehr waren. Sie hatten sich gegen ihre Meister gekehrt, und seit diesem Tag waren sie die gefährlichsten Feinde der Wächter.
Sam merkte, wie er zurück in einen Fiebertraum glitt. Er glaubte nicht, dass er nochmals daraus erwachen könnte. Er spürte das Fehlen des Senders an seinem Handgelenk überdeutlich. Er kam sich nackt vor, schutzlos, wie ein Einsiedlerkrebs ohne Panzer.
Gegen die Dämonen hatten sie keine Chance. Wenn er doch nur Hilfe rufen könnte. Wenn er doch nur Lizzy erreichen könnte ...
Das Gift brannte in seinen Adern, verzehrte ihn von Innen heraus.
Ifrit. Asmodai. Wieso hatte er das bloß nicht gesehen?