Wenn Milo ehrlich zu sich war, hasste er den Winter. Es war viel zu kalt und zu nass und jedes Mal, wenn er mit seinem Hund rausmusste, sogen sich seine Schuhe mit Wasser voll, weil er schon wieder vergessen hatte, Gummistiefel anzuziehen. Dabei half es auch nicht, dass sein Hund sich konsequent weigerte, im Schlamm Sitz zu machen und er so häufig mehrere Minuten auf seinen Vierbeiner einreden musste, bis dieser sich endlich mit einem herrzerreißenden Jaulen im Schlamm niederließ. Dabei hatte er ihm sogar schon einen dieser hässlichen, kleinen Hundemäntel gekauft, von denen er immer dachte, dass sie unglaublich peinlich wären und Hunde schließlich auch in der Natur keinen Mantel hatten. Aber die Tierärztin hatte ihm nach der ersten Erkältung seines Hundes unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass dieser für diese Breitengrade nicht gemacht sei, wo die Rasse doch ursprüngliche auch Ungarn kam. Daher warscheinlich auch der Name Ungarischer Vorstehhund. Den richtigen Namen der Rasse wollte sich Milo nicht merken, weil er wusste, dass er ihn ohnehin nicht aussprechen könnte. Allerdings passte die Beschreibung einen Vorstehhundes so gar nicht zu dem Bild, was sein Hund nun abgab. Vielleicht lag es daran, dass dieser erst sieben Monate alt war, oder dass er nie gelernt hatte, zu bellen. Jedenfalls war er sich sicher, dass sein Hund jederzeit lieber wegrennen würde, als ihn zu beschützen. Aber es war ja auch kein Hütehund, sondern ein Jagthund, was er grade anschaulich unter Beweis stellte, als er einem Kaninchen nachjagte, welches sich bedrohlich über das Feld der Straße näherte.
Milo lief seinem Hund nach und stellte erneut fest, wie sehr er den Winter hasste. Warscheinlich hätte er doch besser früher gehen sollen. Da wäre das Gras wenigstens noch von Raureif überzogen und der Boden etwas gefroren. Jetzt steckte er knöcheltief im Schlamm fest. Zum Glück war sein Hund ebenso wenig zum Jagen, wie zum bellen befähigt, denn schließlich kam er sehr schnell zu Milo zurückgeeilt. Hatte Milo nicht rechtzeitig die Beine geöffnet, würden jetzt nicht nur seine Füße im Schlamm liegen.
Brummend ging er weiter. Normalerweise hörte sein Hund wirklich gut, bloß hatte Milo die Angewohnheit, immer auf Menschen zu stoßen, die ihn gerne anschrien, wenn sein Hund einmal nicht direkt zu ihm kam, um dann zu diskutieren, dass er sich hier nicht in den Schlamm setzten würde.
Aufeinmal trat ein Mensch in sein Blickfeld. Normalerweise interessierte sich sein Hund nicht für Menschen, aber anscheinend roch dieser nach Wurst oder etwas ähnlichen. Natürlich sparte er sich nicht die Mühe, nach seinem Hund zu rufen, auch wenn er jetzt schon wusste, dass er keine Chance gegen Wurst hatte. Aber er wollte wenigstens den Eindruck erwecken, als hätte er normalerweise die Kontrolle über seinen Hund. Fluchend sah er zu, wie sein Hund in einem viel zu dreckigen Mantel an der fremden Person hochsprang und mit seinen noch dreckigeren Pfoten dessen Hose ruinierte. Aber war diese Wurst-Person ja auch selbst schuld, wenn sie so früh am Morgen im Wald war. Generell waren Milo Menschen suspekt, die freiwillig alleine in den Wald gingen. Das waren entweder Psychopathen oder... naja, bisher war Milo keine andere Möglichkeit eingefallen. Umso mehr missfiel es ihm, dass sein Hund sich anscheinend sehr gut mit der fremden Person verstand und sich sogar anstandslos in den Schlamm setzte, nachdem er dem Springen überdrüssig wurde. Obwohl Milo noch weniger Lust dazu hatte, sich bei der fremden Person zu entschuldigen, als überhaupt so früh am Morgen das Haus zu verlassen, tat er das, was ihm die Höflichkeit gebot. Zu seinem Glück war er anscheinend heute morgen nicht an jemanden geraten, der ihn jetzt zusammen schrie. Stattdessen sagte die Fremde Person etwas, was Milo mit den Zähnen knirschen ließ.
"Der hört aber gut."
"Auf Sie."
Milos Stimme war mürrisch und seine Stimmung wurde noch schlechter, als er sah, wie die Person sich ein Lachen verkneifen musste. Generell war sich Milo nicht sicher, ob er es mit einer Frau oder einem Mann zu tun hatte. Mögliche Haare lagen unter einer dicken Mütze verborgen und die Gesichtszüge waren seltsam geschlechtslos. Auch aus der Stimme konnte man nichts ableiten und der Körper lag unter einer so dicken Jacke verborgen, dass mögliche Rundungen großzügig geschluckt wurden. Auf abstrakte Weise empfand Milo die fremde Person als unheimlich attraktiv.
"Er hat halt Geschmack."
Milos Unterkiefer klappte hinunter und es blickte fassungslos zu der Person. Das grenzte nicht nur an Respektlosigkeit, dass war gradezu frech. Zu Milos Enttäuschung roch die fremde Person nicht einmal nach Wurst, aber immerhin war dessen Hose von Schalmm und Pfotenabdrücken verschmiert. Schnell schloss Milo den Mund wieder, als kälte Luft seinen Hals zum Schmerzen brachte.
Er ging an der Person vorbei und rief seinen Hund. Zu seinem Glück folgte dieser. Milo schrak zusammen, als die Person ihm etwas nachrief.
"Vielleicht sieht man sich öfter. Ich bin häufig im Wald."
Milo lief ein Schauer über den Rücken. Eindeutig ein Psychopath. Bestimmt würde er morgen zu einer anderen Zeit mit seinem Hund gehen. Als er sich nocheinmal umdrehte, war die Person verschwunden. Dennoch kreisten seine Gedanken den ganzen Spaziergang um diese rätselhafte Person.