TW: Tod
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Manche Dinge tut man, weil man keine Wahl hat. Andere aus Überzeugung. Aber alles hat seinen Preis. Ich bin mir nicht sicher, ob für mich ersteres oder letzteres gilt. In jedem Fall habe ich Angst. Meine Hände zittern und mein Kopf dröhnt, während er gleichzeitig so unglaublich klar ist. Vielleicht wäre es einfacher, wenn ich nicht wüsste, was auf mich zukäme. Aber Dinge, die man weiß, kann man nicht vergessen. Ich erinnere mich an Schokolade, Zigaretten und Alkohol. Viel Alkohol. Ich habe das Gefühl, dass es uns leichter machen soll, es zu ertragen. Vielleicht tut es das tatsächlich. Aber was habe ich schon das Recht auf Angst. Ich habe mich freiwillig gemeldet. Der freie Wille ist so eine Sache. Vielleicht eine Mischung aus Überzeugung und Zwang. Dem Tod ist es egal, ob du dich freiwillig für ihn entschieden hast. Er ist entgültig und schert sich nicht um die Belange der Menschen. Warscheinlich gibt es eine Chance zu überleben. Das sagen sie zumindest. Am Anfang habe ich es geglaubt. Jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher. Sie haben gesagt, wir würden es für unser Vaterland tun. Mit unserem Opfer den Tod vieler Anderer verhindern. Und wer wäre ich, wenn ich nicht das Leben meiner Familie beschützen wollen würde? Meine Hand zittert. Ich höre das Drönen der Motoren. Habe Angst, so beschissen viel Angst, aber denke dennoch, dass ich das richtige tue. Glaube ich. Den Gegner am Heck treffen. So viel ist mir klar. In der Theorie ist es einfach. Die Kabinenhaube schon kurz vor der Attacke öffnen. Nicht sofort den Falschirm ziehen. Zu dünne Luft. Ich liebe das Fliegen. Es schenkt unglaubliche Freiheit. Vielleicht habe ich mich desshalb für den Einsatz gemeldet. Wegen der Freiheit. Aber nicht aus der Freiheit hinaus. Vielleicht will mir meine Angst das aber auch einfach nur einreden. Ich höre die Turbinen als ich starte. Jetzt zittern meine Hände nicht mehr. Wenn ich etwas kann, dann fliegen. Meine Bewegungen sind routiniert. Es ist bald Mittag. Die Tage werden länger, aber die Sonne ist noch weit davon entfernt, senkrecht am Himmel zu stehen. Vielleicht ist das sogar mein letzter Tag. Meine letzte Sonne. Im Funk höre ich ein Lied. Eine Frauenstimme singt. Andere starten mit mir. Fliegen mit mir.
Mein Testerment ist bereits verabschiedet.
Aus dem Funk ertönt eine Stimme. Das Lied verklingt. "Aller Geier und Falken - Angriff frei."
Die Versuchung abzudrehen, ist groß. Aber die Angst vor den Konsequenzen größer. Denn warum sollte man nicht als Held sterben, wenn man die Möglichkeit dazu hat. Und vielleicht, nur vielleicht, hat man Glück. Ich sehe die Bomberschwärme vor mir. Es sind zu viele, als das wir alle Treffen könnten. Es müssen Tausende sein. Aber vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Ich weiß nicht, wie schnell ich bin, aber jetzt kann ich es nicht mehr aufhalten. Ich fliege direkt auf das Heck eines Bombers zu. Jetzt zittern meine Hände wieder. Um mich herum fallen Turbinen, Flugzeugteile. Ich spüre die Kollision, bevor ich sie höre. Mein Körper wird nach hinten Katapultiert. Ich bin mir nicht sicher, ob ich den Schleudersitz betätigt habe. Ich weiß nicht, ob ich die Abdeckung gelöst habe. Plötzlich falle ich. Um mich herrum Metall und Luft und ich kann nicht genau sagen, wo oben und wo unten ist. Vielleicht gibt es das gar nicht mehr. Ich weiß, dass ich den Fallschirm ziehen muss. Nicht zu früh, aber der Boden kommt immer näher. Eigentlich sollte ich mich freuen, dass ich es aus dem Flugzeug geschafft habe, aber ich kann nicht atmen. Ich möchte den Fallschirm öffnen, aber es geht nicht. Ich falle immer schneller. Um mich herrum Flugzeugteile und Angst. Ich werde getroffen. Alles wird schwarz. Vielleicht ist es besser, dass ich nicht mitbekomme, dass ich wie ein Stein vom Himmel falle. Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Es kommt zu keinem Aufprall. Jedenfalls bekomme ich keinen mehr mit. Und auf einmal weiß ich wieder etwas. Der Tod ist gar nicht so fremd. Vielleicht sogar vertrauter als die Freiheit. Ein letzter Gedanke.
Es heißt, der Weg sei das Ziel. Ich habe es erreicht.