Mein Weg führt mich hinaus in die weiße Schneelandschaft. Gestern Nacht hat es geschneit und jetzt ist alles voller weißem Glitzer. Eigentlich habe ich nicht mehr damit gerechnet, dass es scheinen würde diesen Winter. Aber immer wenn man es man wenigsten erwartet, überrascht einen das Wetter dann doch. Der Schnee knirschte unter meinen Schuhen und obwohl ich viel zu alt dafür bin, forme ich mit meinen Händen einen Schneeball und werfe ihn probehalber durch die Luft. Prompt werde ich daran erinnert, warum ich seit den Bundesjugendspielen in der Schule kein Sportabzeichen mehr gemacht habe. Hinter mir ertönt ein Lachen und ich fahre herum. Eigentlich war es nicht geplant, dass mein Nachbar mich dabei beobachtet, wie ich einen Schneeball keine sieben Meter weit werfe. Verlegen verzeihe ich das Gesicht. Seine Augen sind weit aufgerissen und seine Hände sind in seinen Tasche vergraben. Anscheinend will er ebenfalls einen Spaziergang machen und ich frage mich, ob es komisch ist, jetzt gemeinsam in die gleiche Richtung aufzubrechen. Aber noch komischer würde es warscheinlich rüberkommen, jetzt in einigen Abstand zu ihm zu gehen. Also versuche ich es erst gar nicht.
Mein Nachbar kommt näher und stellt sich neben mich. Früher waren wir mal gut befreundet. Grade als ich eingezogen bin, hat er mir viel gezeigt. Aber seit er eine Freundin mitgebracht hat, haben wir uns weniger gesehen. Aber ich weiß aus Erfahrung, wie viel Zeit eine Beziehung in Anspruch nimmt und er sah glücklich aus und hat viel mit seiner Freundin gelacht. Leben entwickeln sich nunmal auseinander.
Aufeinmal spüre ich, wie mein Nacken ganz kalt wird und zucke zusammen. Fassungslos blicke ich meinen Nachbarn an, der nun unschuldig die Hände hinter dem Rücken verschränkt hat, die bestimmt voller Schnee sind. Zuerst möchte ich einen Schmollmund ziehen, überlege es mir dann aber doch anders. Ich bin vielleicht nicht mehr in dem Alter, in dem eine Schneeballschlacht angemessen ist, aber wenn er das so provoziert, dann ist er selbst schuld. Leider kann ich in etwa so gut zielen, wie werfen, weshalb meine Schneebälle leider jedes Mal ihr Ziel verfehlen. Mit der Zeit wird das Lachen meines Nachbarn lauter, bis er sich schließlich leicht zusammen krümmt vor lachen. Jetzt ziehe ich doch einen Schmollmund und wende mich ab. Dann gehe ich halt alleine in den Wald. Meine Reaktion ist warscheinlich genauso kindisch, wie das Spiel mit dem Schnee, aber das ist mir egal.
"Warte doch", ruft mir mein Nachbar nach.
"Hol mich doch ein!"
Meine Schritte werden länger und ich beginne zu laufen. Im Gegensatz zum Werfen bin ich im Laufen relativ gut und in jedem Fall schneller als Jos, mein Nachbar, der durch seine schmächtige Figur eher nicht der Läufertyp ist. Schließlich lasse ich ihn aber dennoch aufholen und er hält schaufend inne.
"Das war unfair."
Sein Atem geht noch immer keuchend und ich ziehe eine Augenbraue hoch.
"War es das?"
Diesmal lache ich. Mir war gar nicht klar, wie sehr ich unsere anfängliche Freundschaft vermisst habe. Vielleicht lag es gar nicht nur an ihm, sondern auch an der Intensität meines Studiums. Zum Glück habe ich momentan ein Praxissemester und somit mehr Zeit für mich. Jetzt steigt Jos in mein Lachen mit ein und klopft mir den verbleibenden Schnee aus dem Nacken.
"Wenn du mir nicht wieder wegläufst, würde ich dich gerne begleiten."
Jos schaut mich fragend an. Er bräuchte mich nicht um Erlaubnis fragen, aber er war schon immer unglaublich höflich. Ich zucke mit den Schultern und nicke dann. Ich habe schließlich nicht vor, eine Sporteinheit aus dem Spaziergang zu machen.
In diesem Moment ziehe ich einen Ast nach unten und beobachte mit Vergnügen, wie eine halbe Schneelawine auf ihn hinab fällt. Ich muss grinsen und diesmal ist Jos es, der einen Schmollmund zieht.
Manchmal entwickeln sich Leben auseinander. Aber zufällige Begegnungen können sie auch wieder miteinander verbinden.