Dayo ging seit ihrem letzten Treffen jeden Mittag in den Pausenraum.
Am ersten Tag war er enttäuscht, dass Paul sich so offensichtlich abgewandt hatte. Am zweiten Tag war Dayo wütend, dass Paul sich nicht helfen lassen wollte.
Nach drei Tagen brachte Dayo kein Gebäck mehr mit. Am vierten Tag hoffte Dayo, dass Paul wiederkam, in der Hoffnung, dass dieser inzwischen aufgegeben hatte.
Nach fünf Tagen machte Dayo sich Sorgen. Am Montag nach dem Wochenende ging er zu Pauls Büro. Nicht zur Mittagszeit, sondern schon am Morgen. Das Büro war leer.
Am Dienstag begannen die ersten Gerüchte. Die Meisten meinten, dass Paul dort sei, wo er hingehöre. Dayo fragte nicht nach, ob sie das Gefängnis oder die Psychiatrie meinten. Einige wenige meinten, Paul wäre einfach nur krank. Aber jene gaben immer zu verstehen, dass Paul noch nie krank gewesen war. Dass er in all den Jahren nicht ein einziges Mal nicht zur Arbeit gekommen wäre. Dennoch hörte Dayo heraus, dass alle froh waren, ihn nicht mehr sehen zu müssen. Nicht, dass sie ihm häufig über den Weg gelaufen wären. Dayo wusste genau, dass Paul jeden morgen sein Büro betrat und es nur zur Mittagszeit verließ. Den einzigen, den Paul traf, war Dayo. Erstaunlicherweise hatte Dayo Mittags den Pausenraum weiterhin für sich. Niemand betrat den Raum zu Pauls Zeit. Ein bisschen, als sei er gestorben und niemand wollte sein Andenken beschädigen. Aber Dayo wusste, dass die Meisten nur Angst davor hatten, dass Paul zurückkehren würde. Mit jedem weiteren Tag der verging, ohne das Paul Mittags in den Pausenraum kam, würde Dayo unruhiger. Inzwischen stand er selbst am Fenster und rührte ruhelos in seinem Tee herum. Sein Blick war blicklos nach draußen gerichtet, wo der Regen in dichten Schlieren zu Boden fiel, die Wolken keinen Sonnenstrahl hindurchließen und Tropfen niemals endend die Fensterscheibe herunter liefen. Vor einigen Tagen hatte man eine Leiche im Fluss gefunden. Sie war noch nicht identifiziert. Bisher konnte man nur mit Sicherheit sagen, dass es ein Mann war. Anscheinend war niemand als vermisst gemeldet worden. Dayo konnte sich nicht vorstellen, niemanden zu haben, der ihn vermissen würde. Allerdings wusste er gut genug, dass Paul alle Menschen um sich herum erfolgreich abgewiesen hatte. Nach fünf weiteren Tagen, hatte Dayo Angst. Das, was ihm vor einer Woche noch vollkommen unrealistisch vorgekommen war, wurde mit jedem Tag warscheinlicher. Paul fehlte nun bereits fast drei Wochen. Drei lange Wochen, die Dayo jeden Mittag am Fenster stand und in seinem Tee rührte. Obwohl Dayo immer derjenige gewesen war, der geredet hatte, war es aufeinmal zu still um ihn herum. Ihm fehlte keine Antwort von Paul, die hatte er ohnehin nicht erhalten. Im fehlte ein Grund zu erzählen. Ihm fehlte der Mann am Fenster, für den er gerne erzählte. Vielleicht, weil er ihm eine Chance geben wollte, die ihm niemand sonst mehr zugestand. Vielleicht weil er begriffen hatte, das Paul kein Monster, sondern ein Mensch war. Und Menschen brauchten andere Menschen. Jetzt hatte Dayo Angst, nie wieder für Paul etwas erzählen zu können. Dass der leere Mülleimer keine leere Tüte mehr enthalten würde. Dayo hatte Angst, dass der Mann, der in den Fluten ertrunken ist, Paul war.