Freundschaft ist so eine Sache. Eigentlich ist sie ziemlich banal. Man mag sich und macht etwas miteinander. Als Kind dachte ich immer, Freundschaft wurde aus nehmen und geben bestehen. Warscheinlich ist da auch etwas dran. Aber nehmen und geben folgt aus einer Freundschaft. Wenn man befreundet ist, gibt man gerne. Es ist nicht so, dass man nimmt und gibt und dieses Konstrukt dann Freundschaft nennt. Glaube ich zumindest. Als ich ein Teenager war, herrschte das Dogma vor, dass Mädchen und Jungen nicht miteinander befreundet sein könnten. Ich habe erst erkannt, wie dumm diese Aussage war, als meine beste Freundin mir gesagt hat, dass sie auf beide Geschlechter stünde.
Erst mit der Zeit habe ich gelernt, was Freundschaft eigentlich bedeutet. Wobei ich die Bedeutung noch nicht ganz erschlossen habe. Freundschaft ist immer anders. Und doch gleich. Ein bisschen wie verschiedene Vorstellungen von Gerechtigkeit. Die einen meinen, Gerechtigkeit sei, dass jeder das erhalte, was er verdiene. Andere sehen Gerechtigkeit als Form von Rechten, die allen zustünden. Und doch beansprucht beides für sich den Begriff der Gerechtigkeit. Freundschaft ist ebenso vielseitig. Jede Freundschaft ist anders.
Bevor ich Lisa kennenlernte, wusste ich nicht, was man unter einer gefährlichen Freundschaft versteht. Ich stellte mir immer vor, dass eine gefährliche Freundschaft mit Gesetzesbruch und Ausnutzung einherginge. Vielleicht auch mit beidem. Vielleicht wäre es an dieser Stelle angemessen, das Wort gefährlich zu charakterisieren. Aber das ist warscheinlich genau so unmöglich, wie Freundschaft oder Gerechtigkeit darzustellen. Es ist ja nicht so, als hätten Worte nur eine Bedeutung. Warscheinlich ist es sogar gänzlich irrational, anzunehmen, dass es einen letzten vernünftigen Grund für alles gäbe.
Also versuche ich es gar nicht erst. Generell erscheint es mir sinnlos, Worte, mit Wörtern zu erklären.
Lisa versteht das Prinzip von Freundschaft nicht. Ein bisschen fasziniert mich das. Wie man so viele Freunde haben kann, und dennoch das Prinzip dahinter nicht verstehen kann. Es ist nicht so, als das Lisa keine Empathie empfinden könnte. Vielmehr sieht sie nicht den Sinn dahinter. Nicht den Sinn hinter der Empfindung der Empathie, sondern den Sinn hinter der Nutzung von Empathie.
Vielleicht ist die Freundschaft zu Lisa auch gar nicht gefährlich. Vielleicht mehr ein Abbild dessen, was die Gesellschaft als gefährlich ansieht. Ein groteskes Abbild, bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt.
Lisa legt es nicht darauf an, dass eine Freundschaft zu ihr als gefährlich empfunden wird. Warscheinlich bin ich sogar die einzige, die das so empfindet. Aber ich bin warscheinlich auch die Einzige, die es hinterfragt. Lisa hat viele Freunde. Die meisten hinterfragen diese Freundschaft nicht. Ich schon. Vielleicht erkenne ich deshalb auch, wie gefährlich sie ist. Gefährlich ist warscheinlich gar nicht die Freundschaft an sich, sondern die ständige Angst, verlassen zu werden. Die Angst davor, eines Tages alleine zu sein Oder wenigens der Illusion beraubt zu werden. Angst hat man nur, wenn etwas gefährlich ist. Aber was sind schon Definitionen? Nichts weiter Worte ohne weitere Bedeutung. Vielleicht sollte ich es anders ausdrücken. Viele Menschen haben Lisa als Freundin. Lisa hat keine Freunde. Denn wer hat behauptet, dass Freundschaft auf Gegenseitigkeit beruhen muss?