Schon den ganzen Tag hatte ich ein komisches Gefühl. Am besten wäre es wohl gewesen, wenn ich Zuhause geblieben wäre, aber ich war noch nie der Mensch gewesen, der auf sein Bauchgefühl hört. Meistens führt mich mein Bauchgefühl in die Irre. Aber heute scheint es auf eigenartige Weise Recht zu behalten. Wenn ich nicht so mit der Situation beschäftigt wäre, würde ich Angst haben, dass mein Bauchgefühl krank wäre. Aber das ist wohl ebenso absurd wie die Vorstellung an sich, dass ein Bauchgefühl etwas vorhersagen könnte. Wenn ich schlau gewesen wäre, dann würde ich jetzt auf dem Sofa liegen und eine sinnlose Serie auf Netflix schauen. Stattdessen habe ich mich von meinen Kollegen überreden lassen, dass ich mit ihnen ausgehe. Der Abend war jung und mild und sie haben argumentiert, dass ich sonst für immer alleine bleiben werde. An sich eine gute Argumention, aber ich habe kein Problem mit dem alleine sein. Die meiste Zeit genieße ich die Stille um mich herum. Aber in der Gesellschaft herrscht wohl das Dogma vor, dass alleine sein automatisch bedeutet, dass man einsam sei. Jedenfalls setzten sich meine Kollegen in den Kopf, mir eine passende Frau zu suchen. Wenigens für einen Abend. Vielleicht habe ich mich auch nicht dagegen gesträubt, weil es gar nicht so eine schlechte Idee war. Etwas unter die Leute kommen, reden, flirten. Einfach Mal etwas anderes als jeden Abend vor dem Fernseher. Vielleicht hätte ich verhindern können in dieser Situation zu landen, wenn ich die obligatorische Frage nach einem Freund weiter gefasst hätte. Demnächst sollte ich vielleicht nicht nur nach einem Freund, sondern auch nach einem Mann fragen. Spätestens vor dem Einfamilienhaus hätte ich stutzig werden müssen. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte ich mein Bauchgefühl bereits in Alkohol ertränkt. Ich weiß nicht, ob sie es darauf angelegt hat, dass wir gemeinsam erwischt werden. Nach ihrem Weinen zur Folge, wohl eher nicht. Aber was weiß ich schon über Beziehungen. Vielleicht war ihre Beziehung längst kaputt und das war ihre Art es zu zeigen. In jedem Fall scheint der Mann von der Situation überrascht worden zu sein. Um ehrlich zu sein, tut er mir wirklich leid. Ich wollte nie zu den Menschen gehören, die für Untreue verantwortlich sind und vielleicht tangiert mich dir Situation auch nur so stark, weil ich es selbst kenne. Nicht das betrügen, das betrogen werden. Vielleicht besteht da gar nicht so ein großer Unterschied.
Als ich gehen will, hält mich eine Hand am Arm auf. Die Frau schreit noch immer. Oder sie weint. So genau weiß ich das nicht. Es wundert mich, dass sie diejenige ist, die schreit. Sie trägt schließlich die Schuld. Wobei Schuld ein variabler Begriff ist. Was weiß ich schon über ihre Ehe? Letztendlich habe ich doch nur das Recht über meine eigenen Taten zu urteilen.
Der Blick des Mannes trifft mich und kurz starren wir uns an. Ich bin der Erste, der den Blick senkt. Vielleicht erkennt er die Schuld in meinen Augen. Vielleicht auch nicht. In jedem Fall reicht ihm das, was er in meinen Augen zu erkennen glaubt, um mich gehen zu lassen. Ich fühle mich seltsam leer als ich nach Hause gehe.