Ich wusste, dass es vorbei war, nachdem die Tür krachend ins Schloss fiel. Nie wieder wollte ich etwas mit Christian Martens zu tun haben. Diesem Scheißkerl, für den ich nicht mehr war als ein Spielball, den er gewissenlos durch die Gegend kicken konnte. Dass ich eine Stunde zuvor noch geglaubt hatte, wir würden zusammen gehören, kam mir jetzt unsagbar dämlich vor. Bei ihm gab es kein wir, es gab nur ihn und seine hirnrissigen Ideen. Alle anderen waren nur Statisten und Opfer. Ich wünschte mir beinahe, dass man ihn dieses Mal erwischte, damit er erkennen würde, dass er zu weit gegangen war. Ein stechender Schmerz fuhr in meine Schläfe. Würde man Chris mit dem Einbruch in Verbindung bringen, wäre das für mich ebenfalls das Aus. Mit einem Haftbefehl würde man nach mir suchen. Und was würden sie vorfinden?
Verschreckt blickte ich in den langen Flurspiegel, der das Bild einer Person zurückwarf, die mir kaum ähnlich sah. Der viel zu kurze Rock, der gefallsüchtig und billig wirkte, das zerknitterte Oberteil, das schlampig im Bund steckte, und die vom Zorn rotgefleckten Wangen unter den glasigen Augen, aus denen jeden Moment ein Wasserfall herauszusprudeln drohte. Nicht zuletzt das zerzauste Haar, in dem noch Unmengen an Gold- und Silberstaub hing. Das alles waren eindeutige Spuren!
Ich rannte ins Bad, zog hektisch meine Kleider aus, die ich in die Waschmaschine stopfte. Unter der Dusche wusch ich die restlichen Beweise akribisch ab, schrubbte sämtliche Stellen meines Körpers mit der Bürste, solange, bis die Haut übersät von roten Streifen war. Alles musste verschwinden, unwiederbringlich fortgespült werden.
Die Angst aber blieb, haftete sich wie Ölflecken an mich, egal wie lange ich scheuerte. In meinen Kopf verursachte sie einen zunehmenden Druck, der sich anfühlte, als wollte er meine Schädeldecke platzen lassen. Ich schleppte mich in mein leergeräumtes Zimmer, zog mit letzter Kraft Shirt und Schlafhose an und verkroch mich unter unzähligen Decken. Ich musste schlafen, mich beruhigen. Doch im Halbdelirium jagte ein Gedanke den nächsten, spielte den Einbruch wieder und wieder ab, im verzweifelten Versuch, jedes Detail, dass zu meiner Ergreifung führen könnte, hervorzuheben. Vor dem Haus hatten uns keiner der Nachbarn entdeckt, auch im Flur waren wir unerkannt geblieben. Doch was war mit den Spuren in der Wohnung? In Erinnerung sah ich Chris, wie er mit übergestülptem Ärmel die Schubladen aufzog. Fingerabdrücke. Mein Gott, ich hatte alles im Schlafzimmer mit bloßen Händen angetatscht! Was, wenn die Polizei nach denen suchte? Bilder von Kriminalserien und wie sie dort irgendein Pulver ausstreuten und Abzüge nahmen, fluteten meinen Verstand.
Blödsinn, rügte ich mich, die einzigen Fingerabdrücke, die man dir eindeutig zuordnen kann, sind die von der Grundschulwand. Und kein Beamter der Welt wird sich zur Ringgold aufmachen, nur um einen Abdruck mit einem hässlichen Kinderbild zu vergleichen.
Selbst wenn, könnte man mich überhaupt festnehmen? War ich mit vierzehn Jahren strafmündig? Darüber hatte ich bisher nicht nachgedacht. Meine Hand tastete nach dem Smartphone auf dem Nachttisch, zog es zu mir in die Dunkelheit und öffnete den blendenden Internetbrowser. Doch noch bevor ich die Frage eintippte, schleuderte ich es aus meiner Höhle wie eine tickende Zeitbombe. War ich denn total bescheuert?! Wie verdächtig wäre es, wenn man in meinem Googleverlauf diesen Suchbegriff finden würde? Mein Schädel hörte nicht auf zu hämmern.
Du musst dich beruhigen. Die wichtigste Regel lautet: keine Panik.
Wieder wurde ich zornig. Diese blöde Regel kam von Chris. Sicher sitzte der längst in der Fabrik und begutachtete in aller Ruhe seine Ausbeute, während ich wie ein verängstigtes Kind unter der Bettdecke zitterte...
Ein Klicken war zu hören, dumpf, aber eindeutig. Ich zog die Knie ans Kinn. Da waren sie! Sie hatten mich ausfindig gemacht und nun waren sie gekommen, um mich in Handschellen in eine Zelle zu stecken, wie man das mit Kriminellen eben tut. Schritte bahnten sich einen Weg durch den Flur. Die Zimmertür wurde geöffnet. Ich gab keinen Laut von mir, hoffte, sie würden mich nicht unter dem Deckenhaufen vermuten. Meine Ohren lauschten jedem noch so kleinen Geräusch. Vor meinem Bett schien die Person stehen zu bleiben. Ich kniff die Augen stärker zusammen.
Langsam wurde die Decke über meinem Haar heruntergeschoben.