Brunhild ging mit weit ausladenden Schritten über den Burghof in Richtung Schmiede, wo Gerold seiner täglichen Arbeit nachging. Im Schlepptau hatte sie ihre Schwester Sieglinde, die ein ganz besonderes Anliegen an den Schmied hatte. Auch wenn ihr es sehr peinlich war, gerade ihn, den sie sich als grobschlächtigen Kerl vorstellte, um Rat fragen zu müssen. Doch sie war sich sicher, dass er ihr aus ihrer Misere heraushelfen könnte.
„Nun komm schon“, drängelte Brunhild. Sie blieb stehen und schaute ihre Schwester an. Die Blässe um ihre Nase war nicht zu übersehen. Die Aufregung über das Kommende stand ihr ins Gesicht geschrieben.
„Ich weiß nicht, ob das richtig ist“, versuchte Sieglinde ihre Schwester von deren Vorhaben abzubringen. „Was wird Walther dazu sagen, wenn er zurück ist und ich den Keuschheitsgürtel nicht mehr trage. Er wird mich bezichtigen, Unzucht getrieben zu haben.“
„Was soll er schon sagen! Ich werde ihm mächtig den Kopf waschen, wie kann er dir nur so was antun, dieser Grobian“, empörte sich Brunhild. „Wer weiß, was er treibt, wenn ihr nicht zusammen sein könnt. Bestimmt jede Maid vögeln, die ihm über den Weg läuft. Aber von dir Keuschheit verlangen!“
Brunhild musste erst einmal tief Luft holen. Der Ärger über ihren Schwager war ihr regelrecht anzusehen. „Mein Arthur würde mir das niemals antun“, fügte sie noch an, um ihre Schwester von ihrem Plan zu überzeugen.
„Ist ja schon gut, reg dich wieder ab“, versuchte Sieglinde Brunhild zu beruhigen. „Du hast ja Recht. Los, gehen wir zum Schmied, und hoffen, der kann mir helfen.“ Entschlossenen ging sie an ihrer Schwester vorbei, zielstrebig der Türe zu, hinter der kräftige Hammerschläge zu hören waren.
Ohne vorher anzuklopfen betraten die beiden Frauen die verrauchte Schmiede. Gerold hatte eben den Hammer beiseite gelegt und stand nun am Feuer, um neues Holz aufzulegen. Ein langes Stück Eisen lag neben dem Amboss und wartete darauf, bearbeitet zu werden.
„Herrin, willkommen in meiner bescheidenen Hütte“, grüßte er die Burgherrin mit einer Verbeugung. Sieglinde selbst, die er noch nicht persönlich kannte, begrüßte er genauso ehrfürchtig.
„Was führt euch an diesen ungemütlichen Ort?“, fragte er verwundert. Er konnte sich nicht erinnern, die Burgherrin jemals hier in diesen Räumen gesehen zu haben.
„Du bist sehr diskret, wurde mir berichtet“, begann Sieglinde einfach, noch bevor ihre Schwester das Wort ergreifen konnte. Unruhig trippelte diese hin und her. Sie konnte es nicht erwarten, endlich von ihrer Qual erlöst zu werden.
„Aber natürlich“, erwiderte Gerold. „Was immer ihr mir anvertraut, bei mir ist es sicher wie in Abrahams Schoß.“
„Sehr gut, das ist genau das, was ich brauche“, sprach nun Sieglinde weiter. „Ich habe da nämlich ein Problem.“ Jetzt errötete sie allerdings, als ihr bewusst wurde, dass sie Gerold, dem sie eben zum ersten Mal gegenüber stand, bald ihr intimes Geheimnis offenbaren musste.
„Sprecht einfach frei von der Leber weg. Vielleicht kann ich euch helfen“, antwortete Gerold. „Aber nehmt doch erst Platz. Im Sitzen redet es sich besser.“ Er führte seine beiden Besucherinnen an den Tisch beim Fenster und rückte beiden einen Stuhl zurecht. Er selbst setzte sich auf den Holzstapel neben der Feuerstelle und wartete gespannt darauf, den Grund für diesen unerwarteten Besuch zu erfahren.
Vorerst herrschte jedoch eine unheimliche Stille. Sieglinde sah betreten zu Boden, während ihre Schwester wie abwesend aus dem Fenster schaute. Erst als sich Gerold räusperte, begann Sieglinde zu sprechen:
„Mir wurde nahegelegt, mit meinem Problem an dich heranzutreten. Meine Schwester versprach mir Hilfe von dir“, begann nun Sieglinde zu erzählen.
„Ich helfe gerne, wenn ich kann“, erwiderte Gerold, „nur Wunder vollbringen, das kann ich nicht.“
„Das wurde mir bereits zugetragen. Brunhild sprach davon, du wärst schon mit Sigurd, meiner Nichte, in einer sehr prekären Lage gewesen.“
Gerold schaute erstaunt auf. Sein Mund öffnete sich dabei zu einem stillen Schrei.
„Woher wisst ihr das?“, stammelte der Ertappte.
„Als Mutter weiß ich immer, was meine Tochter tut“, bekannte Brunhild lächelnd. „Aber keine Furcht. Bei uns ist dieses kleine Geheimnis sicher.“
„Vielen Dank, Herrin“, stammelte Gerold erfreut und sprang auf, um seiner Brotgeberin die Hand zu küssen.
„Lass das“, wehrte diese ab, „höre lieber, was meine Schwester auf dem Herzen hat.“
So setzte sich Gerold wieder auf seinen Holzstapel. Während er kleine Holzstücke zwischen seinen Fingern zerbrach, begann Sieglinde mit ihrem Bericht.
„Ich gestand erst vorhin meiner Schwester, dass ich guter Hoffnung bin“, erzählte nun Sieglinde weiter. Dabei streichelte sie sich über ihren Bauch, dessen leichte Wölbung noch von ihrem edlen Kleid verborgen wurde. „Mein Gemahl Walther und ich, wir freuen uns sehr darüber. In fünf Monaten soll das Kind zur Welt kommen. Doch seit ich in diesem Zustand bin, quälen mich die menschlichen Gelüste ungemein. Wie du weißt, ist mein Gatte seit drei Wochen mit meinem Schwager unterwegs, um unsere Burg Trinsberg zurück zu erobern. Seitdem muss ich darben.“ Sieglinde schnüffelte verlegen in ihr Taschentuch.
„Was habe ich damit zu tun?“, fragte Gerold nach, der sich immer noch nicht vorstellen konnte, welchen Anteil er an diesem Spiel haben könnte.
„Ich hörte, du bist ein Meister in deinem Handwerk, als Schmied und auch als Liebhaber“, kam Sieglinde der Sache in kleinen Schritten langsam näher.
„Man tut, was man kann“, meinte Gerold, dabei süffisant lächelnd. „Ihr wünscht also, so verstehe ich es, meine Dienste in Anspruch zu nehmen?“
Darauf nickte Sieglinde heftig mit dem Kopf.
„Nur eines verstehe ich nicht, was sollten meine Künste als Schmied mit den Künsten als Liebhaber zu tun haben?“
Wieder errötete Sieglinde, ehe sie es wagte, weiterzusprechen.
„Um deine Künste als Liebhaber erfahren zu können, muss als erstes der Schmied Hand anlegen“, sprach nun Sieglinde ohne Scham weiter.
„Das verstehe ich nicht“, entgegnete Gerold, „erklärt es mir.“
„Das Ganze ist so“, sagte Sieglinde, „mein Mann, der Walther, ist sehr eifersüchtig. Ehe er mit Arthur aufbrach, legte er mir einen grausligen Keuschheitsgürtel an. Das ist mein Problem. Ich habe aber eine unheimliche Lust auf einen potenten Liebhaber. Doch der Keuschheitsgürtel verwehrt mir sogar die Freuden, die ich mir durch meine eigene Hand verschaffen kann.“
„Euer Herr Gemahl hat euch einen Keuschheitsgürtel angelegt?“, fragte Gerold nach. Er konnte es nicht glauben, was er eben gehört hatte.
„Ja, es stimmt. Und du bist der Einzige, der mir aus meiner beklemmenden Lage helfen kann“, bestätigte Sieglinde.
„Ich werde mein Bestes tun, um euch zu helfen“, erwiderte Gerold.
„Du wirst mir also zur Hilfe kommen und meine Qualen beenden?“, wollte Sieglinde wissen. Sie sah zu ihrer Schwester, die ihr gegenüber am Tisch saß und regelrecht an Gerolds Lippen hing.
„Natürlich. Es wird mir eine Ehre sein, euch zu Diensten zu sein“, sagte Gerold. Sein Blick ging zur Burgherrin, die sich ertappt fühlte und nun, als wäre nichts gewesen, zum Fenster hinaus auf den Burghof starrte.
„Auch bei meinem anderen Problem?“, fragte Sieglinde nochmals, worauf Gerold nur mit dem Kopf nickte.
„Aber ja. Wann wollen wir zur Tat schreiten?“, kam als nächstes von Gerold, dem es bei dem Gedanken, bald mit der Schwester der Burgherrin das Lager teilen zu können, ganz heiß wurde. Gerade noch konnte er ein Stöhnen unterdrücken. Er wollte ja nicht als notgeiler Hengst angesehen werden. Obwohl er sich schon wie ein Hengst vorkam, so wie die eine der Damen nach seinen Diensten verlangte.
„Sobald du bereit dazu bist“, antwortete Sieglinde. Zu Brunhild gewandt, sagte sie noch: „Brunhild, liebste Schwester, vielen Dank für deine Hilfe und deinen Rat. Ich glaube, ab jetzt komme ich alleine zurecht.“
„Du möchtest, dass ich gehe“, verstand diese sofort und erhob sich von ihrem Stuhl.
„Nochmals vielen Dank“, sagte Sieglinde zu ihrer Schwester. Sie erhob sich ebenfalls, um ihr einen Kuss auf die Wange zu geben.
„Viel Spaß wünsche ich euch“, wehrte Brunhild ab. Sie verließ die Schmiede schnellen Schrittes, ohne sich noch einmal umzudrehen. Sie lief zurück in die Hauptburg, wo sie sich in ihre Kemenate begab. Dort schaute sie nachdenklich zum Fenster hinaus und versuchte sich vorzustellen, was sich in diesen Minuten in der Schmiede wo sich gerade eben zwischen Sieglinde und Gerold wohl abspielte.
„Hoffentlich geht alles gut“, murmelte sie leise vor sich hin. In ihr kam Eifersucht auf, als sie daran dachte, dass ihre Schwester bald den Freuden der Liebe mit dem Schmied frönen wird, während sie selbst alleine hier bleiben und ihre eigenen Lüste unterdrücken musste. Doch was tat man nicht alles für die Schwester, die man liebte wie sein eigen Fleisch und Blut.