Unruhig warf sich Gerold auf dem schmalen Bett hin und her. Sein Gesicht glühte und seine Haare klebten wirr an seinem Schädel. Ab und an stieß er unverständliche Laute aus. Es klang, als würde er über etwas schimpfen. Manchmal konnte Marianna auch ihren Namen verstehen, wenn er im Traum nach ihr rief. In solchen Augenblicken legte sie dem Schmied ihre Hand zur Beruhigung auf die Stirn, was meist auch glückte. Dann schaute er sie mit glasigen Augen an, versuchte ihr etwas mitzuteilen, doch dann fielen ihm vor Erschöpfung erneut die Augen zu.
Marianna saß seit Tagen fast ununterbrochen neben Gerolds Bett, bewachte ihn mit Argusaugen und beobachtete besorgt seinen Gesundheitszustand. Seit sie bei Engelin, der Heilerin, angekommen waren, hatte sich an Gerolds Befinden nichts geändert. Er fieberte, sprach im Wahn und war die meiste Zeit ohne Bewusstsein.
Engelin, die eben aus dem Wald zurückgekommen war, trat neben Marianna.
„Immer noch keine Besserung?“, fragte sie die besorgte Frau, worauf diese nur traurig mit dem Kopf schüttelte.
„Wenn er nicht bald Fortschritte macht, wird er es wohl nicht schaffen“, entgegnete Engelin ernst.
Marianna schniefte, vergebens versuchte sie, die hochkommenden Tränen zu unterdrücken. „Ich gehe mal frisches Wasser holen, damit ich seinen Rücken wieder kühlen kann“, sagte sie zu der Kräuterfrau. Sie brauchte eine kurze Auszeit, um das eben Gehörte zu verkraften. Als sie aufstand, strauchelte sie. Wenn Engelin nicht sofort beherzt zugegriffen hätte, wäre Marianna gestürzt. Froh aufatmend strich sie sich das Haar aus dem Gesicht. Engelin schaute die Freundin an und erkannte, dass deren Kreislauf ein wenig durcheinander war.
„Wann hast du das letzte Mal gegessen?“, wurde die Magd besorgt gefragt.
„Ich habe keinen Hunger“, behauptete Marianna stur. Doch, als ob ihre Lüge sie strafen wollte, knurrte just in dem Moment ihr Magen.
„Nix da, von wegen keinen Hunger“, schimpfte Engelin. „Essen muss sein, auch Trinken. Also los, ab an den Tisch mit dir. Jetzt wird erst einmal gegessen. Du brauchst deine Kraft. Das fehlte noch, dass ich hier noch einen zweiten Patienten habe.“ Energisch griff sie nach Mariannas Arm und führte sie zum Tisch, wo diese sich auf einen Stuhl setzen musste. Engelin holte den großen Topf von der Feuerstelle. Am Morgen hatte sie Getreidebrei gekocht. Dazu stellte sie Becher hin, in die wohlschmeckender Minztee gefüllt wurde. Marianna bekam einen Holzteller vorgestellt, den Engelin mit dem Brei füllte.
„Ich weiß, Getreidebrei ist nicht gerade das, was deine verwöhnte Zunge gerne mag, aber immer noch besser als gar nichts. In der Burgküche gab es bestimmt bessere Gerichte als hier.“
„Wenn du wüsstest“, entgegnete Marianna und nahm den Löffel zur Hand. Einen nach dem anderen schaufelte sie sich in den Mund. Erst jetzt bemerkte sie, wie hungrig sie wirklich war. Engelin hatte recht, der Brei schmeckte nicht sonderlich gut, aber er sättigte.
„Siehst du, geht doch“, sagte die Kräuterfrau lächelnd, als sie sah, mit welchem Hunger ihre Freundin aß. „Ich mache nachher neuen, wenn Gerold aufwachen sollte, damit er auch noch ein wenig davon essen kann. Ein großer und kräftiger Mann braucht zwar etwas anderes, aber…“, Engelin hielt inne. Sie erinnerte sich, dass sie am Morgen, bevor sie in den Wald ging, noch ein geschlachtetes Huhn als Bezahlung von einem Kunden aus dem Dorf bekommen hatte. „Ach was, das Huhn ist besser als Getreidebrei“, sprach sie weiter. „Ich werde das Tier gleich kochen, die Brühe wird Gerold gut tun.“ Sie sprang auf und trat ans Feuer, wo sie einen großen Topf darüber hing und Wasser aus dem Eimer dazu tat. Noch ein paar Kräuter hinein und das Huhn, dann konnte es in Ruhe kochen. Engelin schürte das Feuer, wovon noch ein wenig Glut übrig war. Schnell züngelte sich eine kleine Flamme um das trockene Holz. Einige Scheite wurden noch darauf gelegt und schon konnte der tote Vogel gar werden. Wenig später zog ein verführerischer Duft durch die kleine Hütte.
Allerdings wurde es jetzt auch noch heißer in der Hütte. Gerold, der schon durch das Fieber schwitzte, schwitzte nun noch mehr. Auch Marianna und Engelin rann der Schweiß übers Gesicht.
„Ich gehe nun aber mal wirklich frisches Wasser holen. Es tut Gerold bestimmt gut, wenn ich jetzt seine Stirn ein wenig kühle“, sagte Marianna und nahm den Eimer, um zum Brunnen zu gehen. Engelin sah ihr lächelnd hinterher.
Bevor Marianna zurückkehrte, wollte Engelin nach dem Patienten sehen. Sie trat zum Bett und wollte die dünne Decke, die über Gerolds nacktem Oberkörper lag, richten. Sie zog sie erst ein wenig beiseite, um nach den Wunden zu sehen. Erschrocken schlug sie sich mit der flachen Hand auf den Mund. Beinahe hatte sie aufgeschrien, als sie der rot geschwollenen Haut ansichtig wurde.
„Kein Wunder, dass das Fieber nicht zurück geht“, sprach sie zu sich selbst. Einige der Wunden waren stark geschwollen, Eiter hatte sich gebildet. „Schau dir das an“, sagte sie zu Marianna, als sie zurück in die Hütte kam. „Wir müssen etwas tun, sonst ist alles zu spät.“
Marianna wurde blass. Ängstlich sah sie nach Gerold, der fiebernd dalag und sich nicht rührte. Sein Atem ging nur schwach.
„Was willst du tun?“, fragte sie die Heilerin. „So kann es wirklich nicht weitergehen.“
„Etwas, was dir bestimmt nicht gefallen wird und Gerold erst recht nicht. Ich muss die Verletzungen nochmals öffnen, den Eiter rausdrücken und dann die Wunden ausbrennen“, erklärte Engelin, wie sie weiter vorgehen wollte. „Hänge noch einen großen Topf mit Wasser auf das Feuer, es muss kochen. Lege auch noch ein paar Scheite nach“, trieb sie die Freundin an. „Ich kümmere mich um den Eichensud. Den gebe ich nachher Gerold. Damit will ich seine Schmerzen lindern.“
Eilig legte Engelin die benötigten Mittel in Griffnähe. Sie schaute nach dem Messer, mit dem sie die Wunden öffnen wollte. Ein wenig musste es noch angeschliffen werden, was sie gleich tat. Zum Ausbrennen nahm sie den Eisenhaken, mit dem sie normalerweise das Feuer schürte. Sie schrubbte ihn mit einer Bürste ab, um eventuellen Schmutz zu entfernen und spülte ihn nochmals ab. Lange genug in den Flammen liegend, würde der schnell glühend sein. Sie wusste, das was sie jetzt tun musste, würde Gerold das Leben retten, auch wenn er vorerst höllische Schmerzen leiden und die Wundheilung danach genau so schmerzlich sein würde. Narben würden ihn sein Leben lang zeichnen. Doch das wäre immer noch besser, als ihn zu Grabe tragen zu müssen.
„Das Wasser kocht“, rief Marianna nach einer Weile vom Ofen her. Sie schöpfte gleich etwas ab, das sie in den anderen Topf mit den vorbereiteten Eichenrinden schüttete.
„Tu noch was in einen anderen Topf und lasse ihn über dem Feuer hängen. Wir werden dann noch mehr heißes Wasser brauchen“, bestimmte Engelin. Schnell war noch ein zweiter Topf bereit, Engelin legte das Messer hinein. „Das reinigt das Messer“, erklärte sie. „Darin werden wir auch die Tücher auskochen, die wir zur Wundbehandlung brauchen. Das saubere Wasser nehmen wir für danach.“
Die Heilerin füllte den Eichensud in einen Becher. Sie winkte Marianna zu sich. „Hilf mir, Gerold umzudrehen. Wir müssen ihm den Sud einflößen. Das lindert den Schmerz und er entspannt sich“, sagte sie zu der Magd. „Allerdings werden wir ihn trotzdem anbinden müssen. Er darf sich möglichst nicht bewegen. Das wird das Schwierigste von allen sein. Er ist, obwohl er durch das Fieber so geschwächt ist, kräftig. Ich bezweifle bald, dass wir es zu zweit schaffen, ihn zu bändigen.“
„Wir werden es müssen“, antwortete Marianna ängstlich. Noch nie war sie bei solch einer Behandlung dabei. Bisher hörte sie immer nur aus Erzählungen, wie sehr sich die Kranken dagegen wehrten und nach der Behandlung oft noch unter Schmerzen zu leiden hatten.
Gemeinsam schafften sie es, Gerold umzudrehen. Engelin flößte ihm den Eichensud ein. Angewidert spuckte ihn Gerold wieder aus. „Na na, schön trinken. Es lindert deine Leiden“, erklärte die Kräuterfrau dem Erwachten. Gerold schluckte bereitwillig, als er das hörte. Nichts war ihm lieber, als von den Qualen erlöst zu werden.
Während sie warteten, dass der Sud wirkte, legte Engelin den Eisenhaken ins Feuer. „Er muss richtig glühen“, sagte sie zu Marianna, die sich wieder ums Feuer kümmerte. Über dem Feuer brodelten zwei Töpfe Wasser, in einem das Messer und einige Lappen.
Gerold, der anfangs den beiden Frauen bei ihrer Beschäftigung zugesehen hatte, wurde müde. Er versuchte, dagegen anzukämpfen. Doch der Sud, den Engelin ihm gegeben hatte, begann zu wirken. Er bemerkte, wie die Schmerzen ein wenig erträglicher wurden, aber auch, wie seine Sinne berauscht waren. Schläfrig ließ er seinen Kopf sinken. Er schloss die Augen und dämmerte hinüber ins Traumland.
„Es ist soweit“, erkannte die Kräuterfrau. „Drehen wir Gerold auf den Bauch und fesseln ihn so fest es geht ans Bett.“ Sie legte noch ein Holzstück bereit, das sie dem Schmied zwischen die Zähne schieben wollte, wenn sie mit dem glühenden Eisen an ihm hantierte.
„Ist die Fesselung wirklich nötig?“, fragte Marianna nochmals nach.
„Uns wird nichts weiter übrig bleiben, als ihn anzubinden. Du allein wirst ihn nicht halten können, wenn er sich wehrt“, erklärte Engelin. Sie nahm Seile, die sie in einer Ecke der Hütte hängen hatte. „Komm, hilf mir Gerold umzudrehen“, forderte sie die Magd auf. Marianna tat wie ihr geheißen, auch wenn es ihr dabei nicht wohl zumute war. „Das müsste reichen“, sagte die Heilerin nach getaner Arbeit und besah sich das Ergebnis. „Du gehst mir zur Hand und reichst mir zu“, meinte sie zu Marianna und ging zum Herd, um den Topf zu holen, in dem das Messer und die abgekochten Lappen lagen. „Wir müssen aufpassen, dass nicht wieder Schmutz in die Wunde kommt.“ Der Haken, der im Feuer lag, glühte bereits. Doch noch wurde er nicht gebraucht.
Engelin schaute nach den Wunden, die prall mit Eiter gefüllt waren. Leicht tupfte sie mit einem heißen Lappen daran. Gerold schien es nicht zu bemerken. Sie ließ sich von Marianna das Messer reichen. Gekonnt schnitt sie den ersten Striemen auf.
„Schnell, einen Lappen“, rief sie Marianna zu, die ihr sogleich den ersten gab. Das eitrige Wundsekret war schnell entfernt. Zügig arbeitete die Frau weiter, sie wusste, die Wirkung des Suds würde nicht unbegrenzt lange anhalten. Als alle Wunden offen und gesäubert waren, verlangte sie nach dem glühenden Eisenhaken. „Komm schon, es muss sein“, sagte sie zu Marianna, die jetzt zögerte. Doch dann sah sie es ein, es musste sein.
Nachdem die Heilerin Gerold das Holz in den Mund gesteckt hatte, legte sie den Haken auf die erste Wunde. Zischend fuhr das heiße Eisen ins Fleisch. Es begann nach Verbranntem zu stinken. Gerold fuhr vor Schmerz auf, wollte sich wehren, doch die Fesseln hielten ihn am Bett. Wütend wehrte er sich gegen die Behandlung, doch er musste sie über sich ergehen lassen.
Während der Haken erneut zum Glühen gebracht wurde, kümmerte sich die Kräuterfrau um die behandelte Wunde. Sorgfältig beschaute sie sich die Wundränder und tupfte sie mit einem nun kalten Lappen ab. Als das Eisen wieder richtig rot glühend war, wiederholte sie die Behandlung am nächsten Striemen.
Diesmal schrie Gerold trotz Knebel gequält auf, riss an den Fesseln, die ihn immer noch fest am Bett hielten. Marianna versuchte ihn zu beruhigen. Sie tupfte ihm den Schweiß aus dem Gesicht und redete dabei leise auf ihn ein. Wie wild geworden schaute er sie böse an. Er fletschte die Zähne, wenn sich das glühende Eisen immer und immer wieder in sein gemartertes Fleisch senkte.
Engelin beeilte sich, die Behandlung zu beenden. Unnötig quälen wollte sie ihren Patienten auch nicht. Zum Glück erfasste ihn eine erlösende Ohnmacht, sodass sie ohne weiter Rücksicht nehmen zu müssen, fortsetzen konnte. Nach einer Weile war sie froh, dass sie es geschafft hatte.
„Geh am Brunnen noch mal frisches Wasser holen“, forderte sie Marianna auf, die ihr mutig beiseite gestanden hatte. Die Frauen schwitzten, während Gerold hochrot im Gesicht immer noch in wohltuender Ohnmacht lag und zum Glück vorerst von seinen Schmerzen nichts bemerkte.
Nachdem die beiden Frauen sich um den Bewusstlosen gekümmert hatten und er mit frischem Verband wohlbehütet auf dem Bett lag, konnten sie sich erst einmal ausruhen. Sie saßen wortlos am Tisch. Immer wenn Gerold schnaufte, schaute Marianna mit sorgenvollem Gesicht zu ihm.
„Er wird es schaffen“, versuchte Engelin sie zu beruhigen.
„Aber er hat immer noch Fieber“, erwiderte Marianna ängstlich. „Hoffentlich müssen wir die Prozedur nicht noch einmal wiederholen.“ Sie dachte an das eben Erlebte und wie sehr sich ihr Liebster dagegen gewehrt hatte.
„Das Fieber wird hoffentlich bis heute Abend sinken, danach geht es aufwärts“, erklärte Engelin. „Ich werde ihm dann noch ein wenig Eichensud einflößen, das ist, wie du ja inzwischen weißt, fiebersenkend und schmerzstillend.“ Beruhigend streichelte sie über Mariannas Arm. „Er schafft das schon“, flüsterte sie.
„Ich weiß gar nicht, wie ich dir danken soll“, sagte Marianna zu Engelin.
„Das musst du nicht“, entgegnete diese, „die Hauptsache ist, dein Gerold wird wieder gesund. Alles andere ist Nebensache.“
Seufzend nickte die Magd und blickte Engelin lächelnd an. Gerold war ihr Ein und Alles, mehr brauchte sie nicht. Ohne ihn leben zu müssen, wäre das Schlimmste, was ihr erfahren könnte. Das erkannte sie jetzt, nachdem sie ihn fast verloren hätte. Doch noch war nicht alles überstanden. Dazu brauchte es noch Zeit, die die beiden hatten, zur Genüge – und Engelin würde ihnen dabei zur Seite stehen.