Hart ruckelte der ungefederte Karren den holprigen Weg entlang. Bei jedem Stoß knurrte Gerold mit schmerzverzerrtem Gesicht. Der Schmied lag bäuchlings auf einer dünnen Schicht Stroh, die die harten Stöße kaum zu dämpfen vermochte. Schmerzwellen durchzogen den gequälten Körper, dessen offene Wunden zudem zahlreiche Fliegen angelockt hatte. So sehr sich Marianna auch bemühte, die lästigen Viecher zu vertreiben, sie kamen immer wieder zurück und schwirrten Unheil verkündend über dem Karren. Sie ahnten wohl ein willkommenes Mahl, das Gerolds offene Wunden boten.
Die Strafe, die der Burgherr von Burghausen für Gerolds regelwidriges Verhalten dem ranghöheren Küchenchef gegenüber auferlegt hatte, war nicht ohne. So viele Schläge gab es bisher noch nie. Dass der Schmied auch noch Mariannes Strafe auf sich nahm, war nicht alltäglich. Er liebte die Frau, die ihm jetzt helfend zur Seite stand und versuchte, seine Leiden zu lindern. Nichts wollte er an Marianna heranlassen, die erst vor Kurzem von Kaspar, dem Koch, auf grausamste Art und Weise misshandelt wurde und noch selber an den Folgen dessen zu leiden hatte.
Gerold versuchte krampfhaft, sich an die letzten Vorkommnisse auf der Burg zu erinnern. Die letzten Schläge nahm er nur in einer Art Dämmerzustand wahr. Er dachte an die Nacht, die er mit der Magd im Kerker verbringen musste und die, trotz ungewissem Schicksal, recht angenehm war. Als nächstes sah er Marianna mit entblößtem Oberkörper auf dem Richtplatz stehen und zitternd ihre Strafe erwarten. Dahinter den Knecht, der zur Übung schon die Peitsche schwang, die kurz darauf auf den nackten Rücken der Frau treffen sollte.
Dann sah er sich selbst, wie er mutig nach vorn drängelte, um seine Geliebte vor der Strafe zu bewahren. Welch ein Glück, dass der Burgherr auf sein Angebot einging und Gerold alles allein erleiden ließ. Dazu kam das fiese Grinsen des Kochs, der sich abgöttisch freute, dass der ihm verhasste Schmied seiner angeblich gerechten Strafe zugeführt und später sein enttäuschtes Gesicht, als Marianna, die seiner Meinung nach an allem Schuld war, verschont wurde.
Nur an Hannes und Wanda erinnerte er sich gern, die ihm am liebsten alle Last abgenommen hätten. Allerdings konnten die nicht helfen, außer ihm in dieser schweren Stunde mit ihrer Anwesenheit beiseite zu stehen. Er musste da allein durch und die Strafe auf sich nehmen, die ihm der Burgherr auferlegt hatte. Ermattet hob der ehemalige Schmied seinen Kopf und versuchte zu erkennen, wo sie sich befanden. Doch die Sonne, die eben hinter den Wolken hervorkam, schien ihm mitten ins Gesicht und blendete ihn, sodass er nichts erkennen konnte.
„Wo sind wir, wo willst du hin?“, versuchte Gerold von Marianna zu erfahren, die mühsam, mit schweißüberströmtem Gesicht den Karren mit seiner schweren Last vor sich her schob. Seine Stimme klang nicht, wie sonst, männlich und kraftvoll, sondern wie das Krächzen einer kranken Krähe. Gerolds Lippen waren aufgesprungen und mit jedem Wort, das er hervorbrachte, schienen sie noch mehr aufzuplatzen. Er hatte Durst und würde am liebsten trinken, doch weit und breit war kein Bach, an dem er sich laben konnte.
„Es ist nicht mehr weit, bald sind wir bei Engelin, der Kräuterfrau. Eine halbe Stunde wird es aber wohl noch dauern, bis wir dort ankommen werden“, erwiderte die Frau. „Halte durch“, ermutigte sie Gerold noch, als sie bemerkte, wie viele Schmerzen ihm der holprige Weg zufügte. Marianna stellte den Karren ab, um ein wenig zu verschnaufen. Sie setzte sich an den Rand des Weges.
Ein Blick auf Gerolds Rücken ließ sie erschauern. Blutende Fetzen hingen an ihm. Das Tuch, das sie zur Kühlung und zum Schutz vor der Sonne darauf gelegt hatte, war längst mit Wundwasser durchtränkt und gab somit das grausame Geheimnis preis. „Hoffentlich kommt kein Wundbrand dazu“, dachte die Magd besorgt über Gerolds Zustand. Zu oft kam es nach solchen Strafen, wie sie der Schmied erleiden musste, zu Wundbrand, den der oder die Gemarterte nicht überlebte. Doch Gerold war stark und würde bestimmt die schlimmsten Tage gut überstehen.
„Gehen wir weiter“, sprach Marianna fast nur zu sich selbst, denn Gerold dämmerte inzwischen wieder vor sich hin. Das war immer noch besser, als wenn er im Fieberwahn liegen würde. Entschlossen schob sie den Karren mit kraftvollen Schritten weiter. In der Ferne konnte sie bald die kleine Hütte der Kräuterfrau am Rande einer Wiese entdecken. Daraufhin schritt Marianna noch schneller voran. Das Ziel und ein vorläufiges Ende der Tortur war in Sichtweite.
„Engelin, bist du da?“, rief Marianna, während sie an die Tür der alten, etwas windschief dastehenden Hütte der Kräuterfrau klopfte. „Engelin“, rief Marianna immer wieder. Doch sie erhielt keine Antwort.
„Sie scheint nicht zu Hause zu sein“, sagte Marianna erschöpft zu Gerold, der vom lauten Klopfen erwacht war. Marianna setzte sich auf die kleine Bank vor dem Haus. „Wir müssen warten“, erklärte sie Gerold, der sie fragend ansah. „Engelin wird bestimmt bald wieder zurück sein.“ Die Magd hoffte, dass sie nicht für mehrere Tage abwesend war, wie sie es sonst tat, wenn sie zu einer Geburt gerufen wurde oder den Markt in der Stadt besuchen wollte. Dann müsste sie sich auf die Suche nach einer anderen Unterkunft machen.
Inzwischen war Mittag, die Sonne stand hoch am Zenit und brannte unbarmherzig auf die beiden Menschen herab, die sich Hilfe suchend an die Heilerin wenden wollten. Gerolds Gesicht färbte sich rot, er schwitzte und fror gleichzeitig. Auch Marianna wurde es immer heißer. Sie blickte zu ihrem Liebsten und erkannte dessen Qualen. Flugs stand sie auf, nahm den blutdurchtränkten Lappen und ging damit zum Brunnen. Sie ließ den Eimer hinab, um frisches Wasser hochzuholen. Dann wusch sie den Flicken aus und holte erneut frisches Brunnenwasser nach oben. Frisch gewaschen und mit kühlem Wasser getränkt, legte sie den Lappen auf Gerolds Wunden. Erleichterte seufzte er auf, die Kühlung tat ihm gut, denn sein Rücken brannte fürchterlich. Er fühlte sich inzwischen ein wenig fiebrig an. Marianna erkannte das, während sie den Verwundeten versorgte.
Auf Engelins Hof stand eine mächtige Eiche, die wohltuenden Schatten spendete. Dorthin schob Marianna den Karren, auf dem Gerold lag. Die kurze Anstrengung ließ sie atemlos werden. Erleichtert stellte sie die Last unter dem Blätterdach ab und setzte sich daneben. Sie lehnte sich an den dicken Stamm. Das schattige Plätzchen und das leise Rascheln der Blätter wirkte beruhigend auf die erschöpfte Frau. Schon bald fielen ihr die Augen zu und ein leichter Schlaf übermannte sie.
Auch Gerold tat der Schatten gut. Sein Körper wehrte sich inzwischen mit höher werdenden Fieber gegen die Wunden, die ihm zugefügt wurden. Die Blutung auf dem Rücken hatte zwar aufgehört, doch die ausgefransten Ränder färbten sich mittlerweile dunkelrot. Eine Entzündung kündete sich an, gegen die Gerolds geschwächter Körper allein kaum ankämpfen konnte. Das Wundfieber schien sogar noch angestiegen zu sein.
Zur gleichen Zeit im angrenzenden Wald
Langsam schlenderte Engelin durch das Unterholz, die Augen immer auf den Boden gerichtet. Sie musste sich nicht groß orientieren, sie kannte sich hier seit ihrer Kindheit bestens aus. Sie wusste alle Plätze, an denen die von ihr so sehr begehrten Heilpflanzen wuchsen. Ihre Großmutter, Gott hab sie selig, brachte ihr schon in jungen Jahren alles bei, was sie als Heilerin wissen musste und wo sie die speziellen Kräuter finden konnte, die sie in ihrem Gärtchen nicht selbst anbauen konnte.
Engelin musste ihren Vorrat ergänzen, der in der letzten Zeit zur Neige gegangen war. Der lange Winter hatte große Lücken in ihren Beständen hinterlassen. In den letzten Monaten kamen viele Hilfesuchende zu ihr, die sie entweder gegen Geld oder Naturalien behandelte, da sie auf die Einnahmen durch ihre Behandlungen angewiesen war. Meist nahm sie aber auch keinen Gegenlohn, wenn arme Leute sie um Hilfe baten. Manchmal kam sogar der Burgherr, um um ihren Rat zu bitten. Der allerdings verlangte oft Kräuter und Tinkturen, die seine Manneskraft stärken sollten. Ob er das nötig hatte, die Heilerin wusste es nicht.
Nachdem Engelin ihr Körbchen mit den gesuchten Kräutern voll hatte, machte sie sich auf den Rückweg zu ihrer Hütte. Langsam schlenderte sie den Waldweg entlang und genoss den schönen Tag, der ihr beschert wurde. Sonnenstrahlen, die durch das dichte Blätterdach drangen, kitzelten ihre Nase. Leise vor sich hin summend lief sie beschwingt weiter. Schon bald war der Waldrand in Sicht und damit die kleine Wiese, an dessen Rand ihr Zuhause stand.
„Hm, Gäste sind da. Wer mag das wohl sein?“, sagte Engelin zu sich selbst, als sie sich ihrer Behausung näherte. Unter der Eiche sah sie schon von Weitem einen Karren, auf dem eine Person lag und eine, die an den Eichenstamm gelehnt, schlummerte. Langsam ging die Frau näher, um die Schlafenden nicht zu erschrecken. Erst als sie vor ihnen stand, erkannte sie den Schmied der Burg und die Magd Marianna.
„Marianna, sei gegrüßt“, sprach Engelin leise die schlafende Frau an. „Marianna, werde wach.“
Langsam rührte sich die Magd. Verwirrt blickte sie die Heilerin an und wusste nicht, weshalb sie hier saß. Verschlafen rieb sie sich die Augen und kam langsam zu sich.
„Was ist geschehen?“, wollte die Kräuterfrau wissen, als Marianna endlich bei klarem Sinne war.
„Gerold, er ist schlimm verletzt…“, stammelte Marianna und zeigte auf die Person, die auf dem Karren lag.
Engelin besah sich dessen Rücken, der inzwischen glühend rot war. Vorsichtig legte sie eine Hand auf die Wundränder. Leise stöhnte Gerold bei dieser Berührung, die ihm noch mehr Schmerz bereitete.
„Er fiebert“, erkannte die Frau, „wir müssen was tun, sonst verlieren wir ihn.“ Sofort kam bei ihr Geschäftigkeit auf, sie wusste gleich, was jetzt zu tun war, um dem Patienten die Qualen zu erleichtern. „Hilf mir, wir müssen ihn schnell in die Hütte bringen“, bestimmte die Kräuterfrau resolut. Marianna tat einfach, was ihr befohlen wurde. Jetzt ging es darum, Gerold zu helfen.
Mit gemeinsamen Kräften schafften es die Frauen, den bewusstlosen Mann in die Hütte zu tragen, in der es trotz Hitze, die draußen herrschte, recht kühl war. Gerold wurde bäuchlings auf die Bettstatt gelegt, auf der erst vor Kurzem Marianna selbst gelegen und die Hilfe der Heilerin benötigt hatte.