Um den Vollstreckungsplatz, der im Burghof eingerichtet wurde, drängten sich sensationslustig beinahe alle Burgbewohner. Für den Burgherrn, dessen Frau und Tochter waren Stühle herbeigebracht worden, von denen aus sie die Züchtigung beobachten konnten. Natürlich hatten sie den besten Platz.
Als die beiden Delinquenten herangeführt wurden, ging ein Raunen durch die Menge. Anstatt die Köpfe hängen lassende Verurteilte, betraten zwei starke Menschen den Richtplatz, die mutig dem Folterknecht, der das Urteil vollstrecken sollte, entgegenschauten. Dann drehten sie sich zum Burgherrn und verneigten sich, was die Menge erneut aufraunen ließ.
„Herr, wir erwarten Eure Strafe“, wandte sich Gerold mit lauter Stimme an den Burgherrn. „Wir beiden nehmen Euer Urteil an.“
„Dann soll es so sein“, rief der Burgherr mit lauter Stimme, dass auch alle es hören konnten. Zum Burgvogt gewandt, sagte er: „Verlese Er nochmals das Urteil.“
Der Burgvogt trat nun vor und tat seinen Dienst. Laut scholl seine Stimme über den Platz, damit auch die Zuschauer in den hintersten Reihen seine Worte vernehmen konnten. Ein Raunen ging durch die Reihen, als die Höhe von Gerolds Strafe verlesen wurde. So viele Hiebe hatte auf der Burg noch niemand erhalten. Schon zwanzig Schläge mit der Siebenschwänzigen waren für einen erwachsenen Mann kaum auszuhalten.
Als der Burgvogt geendet hatte, herrschte Stille. Alle warteten auf das Kommando des Herrn, der bis eben still auf seinem Stuhl gesessen und die Menge beobachtet hatte. Es sah so aus, als wolle er feststellen, ob jemand gegen das Urteil Einspruch einlegen will.
Dann hob er die Hand. „Beginne Er“, rief er dem Folterknecht zu, der daraufhin probehalber die Peitsche pfeifend durch die Luft sausen ließ.
Marianna wurde als Erste von zwei Schergen auf das Podest gebracht. Grob wurde ihr Oberkleid vom Knecht heruntergerissen und sie an ein Gestell gekettet. Nun doch ein wenig zitternd erwartete die Frau die ersten Schläge. Sie sah die Menschen, die um sie herumstanden. Bei einigen meinte sie, ein widerwärtiges Grinsen entdecken zu können, andere wiederum blickten sie mitleidig an. Der Küchenchef, der in vorderster Reihe stand, starrte wie gebannt auf ihre entblößten Brüste, die ohne Schutz den Augen aller ausgeliefert waren. Doch die Blicke des Kochs störten sie nicht. Hasserfüllt schaute sie ihn an, dass er erschrocken den Kopf einzog und beinahe einen Schritt nach hinten gegangen wäre, wenn nicht direkt hinter ihm jemand gestanden hätte.
Da entdeckte Marianna auch noch Wanda, die etwas abseits stand und sie wie gebannt beobachtete. Sie nickte ihr nur kurz zu, wusste sie doch, die Freundin leidet mit ihr. Auch Hannes war da. Dicht stand er neben Wanda und hielt ihre Hand fest. Ein leises Lächeln der Verständnis umspielte Mariannas Lippen. Hatten sich da Zwei gefunden?
Für Gerold war nun die Zeit gekommen, sein Vorhaben auszuführen. „Haltet bitte ein“, hörte Marianna plötzlich laute Stimme des Schmieds. „Herr, ich bitte Euch. Lasst Gnade walten. Lasst Marianna frei, verschont sie. Ich nehme ihre Strafe auf mich!“ Gerolds Stimme klang kraftvoll. Alle um den Richtbock herumstehenden begannen zu murmeln. Viele erstaunte Rufe waren zu hören, aber auch Rufe, Marianna solle endlich ausgepeitscht werden. Die Meute brodelte vor Gier, sich an den Qualen eines Delinquenten zu ergötzen.
„Ruhe“, vernahm sie die herrische Stimme des Burgherrn. „Was willst du? Bist du dir sicher?“, fragte er den in voller Größe vor ihm stehenden Gerold.
„Ja, Herr, das bin ich. Verschont Marianna. Ich bitte um Gnade für die Frau. Sie hat schon genug gelitten. Ich nehme ihre Strafe auf mich. Ich bitte Euch, Herr, seid gnädig.“
Marianna hörte, wie der Burgvogt herbei gerufen wurde. Dann nur noch Stille. Niemand wagte nur einen winzigen Mucks zu sagen.
„Gerold, Liebster, das musst du nicht tun“, rief Marianna dem Schmied zu.
„Lass mich“, wies er die Magd in die Schranken. „Ich liebe dich und will nicht, dass du noch mehr leidest. Das musstest du schon genug.“ Ein erstauntes Raunen ging nun durch die Menge. So etwas hatte noch niemand erlebt. Einige nickten erfreut über Gerolds Mut, andere schüttelten den Kopf darüber und murrten. Sollte ihnen die Freude, zwei Delinquenten leiden zu sehen, genommen werden?
„Ruhe“, brüllte der Burgherr erneut, dass die Leute erschrocken die Köpfe einzogen. „Du willst also wirklich Mariannas Strafe mit auf dich nehmen?“, wurde Gerold vom Herrn gefragt.
„Ja, Herr, das will ich“, wiederholte sich Gerold nochmals. Mit hocherhobenem Kopf schaute der seinem Herrn direkt in die Augen, soweit dies auf die Entfernung hin möglich war. Er las Erstaunen in ihnen, aber auch Respekt vor dem Mut, den er hier an den Tag legte.
„Dann soll es so sein“, bestimmte Arthur von Burghausen. „Lasst die Frau frei“, befahl er dem Folterknecht, der sich eher ungern ans Lösen der Fesseln machte.
Marianna sank zu Boden, ihre Füße schienen sie nicht mehr halten zu wollen. Eilig zog sie ihr Kleid nach oben, um ihre nackten Brüste zu verdecken. Leise aufatmend blickte sie in die Menge und entdeckte wieder den Küchenchef, der sie immer noch lüstern betrachtete. Diesmal war allerdings noch mehr aus seinem Blick zu lesen: Blanker Hass wurde ihr entgegen geworfen. Sie wusste, es sollte noch nicht das letzte Mal gewesen sein, dass sie mit dem Meister aneinander geraten sollte.
Nun trat Gerold auf den Richtplatz. Er half Marianna hoch und hauchte ihr vor aller Augen einen Kuss auf ihren Mund. „Sei ohne Furcht, Liebste“, sagte er so leise zu ihr, dass es außer ihr niemand hören konnte. „Ich erleide die Strafe für dich und ich weiß, der liebe Gott straft diejenigen, die sündigten. Ich sündigte nicht, ein anderer tat es. Für ihn werde ich nun die Qualen auf mich nehmen. Doch auch er wird seiner Strafe nicht entkommen können. Er wird für all seine Untaten sühnen müssen.“
Gerold zog sein Hemd aus und warf es zu Marianna, die eben die wenigen Stufen vom Richtplatz auf den Burghof hinabstieg. Willig ließ er sich an das Gestell ketten und harrte der Dinge, die nun kommen sollten. Als der erste Peitschenschlag seinen nackten Rücken traf, ertrug er es ohne einen Schmerzenslaut auszustoßen. Nur ein Zucken seines Körpers zeigte die Schmerzen, die er ertragen musste.
Jeder Peitschenhieb hinterließ auf Gerolds Rücken große Striemen. Mit jedem Schlag meinte Gerold, die Haut platzt sogleich. Er spürte, wie bereits Blut seinen Rücken hinablief und seinen Hosenbund tränkte. Doch es war kein Blut, das er spürte, sondern nur seine erhitzte Haut. Hieb um Hieb führte der Knecht aus. Die Burgbewohner, die um den Richtplatz herumstanden, wagten kaum, sich zu rühren, geschweige denn, einen Laut von sich zu geben.
Der nächste Schlag brachte Gerold beinahe zur Besinnungslosigkeit. Der immense Schmerz ließ ihn aufstöhnen und zu Boden gehen. Seine Knie knickten einfach weg, ohne dass er etwas dagegen tun konnte. Das Peitschenende schmiegte sich um seinen Oberkörper. Das Ende erreichte sogar seinen Bauch und hinterließ auch dort tiefe Striemen. Als Gerolds Haut auf dem Rücken aufplatzte, spritzte sein Blut bis zum Knecht. Doch der ließ sich davon nicht beirren, sondern tat seine Arbeit einfach weiter. Die letzten zehn Schläge zählte er mit.
Die Menschenmenge um den Richtplatz herum verharrte still. Kein Mucks war zu hören, nur ab und an konnte man Mariannas Schluchzen vernehmen, die der Prozedur ebenfalls zuschauen musste. Sie litt mit Gerold, doch den Schmerz konnte sie ihm nicht ersparen, so sehr sie es sich auch wünschte.
Endlich war es geschafft. Gerold hing halb besinnungslos in den Ketten. Als der Knecht diese löste, fiel der Schmied wie ein nasser Sack zu Boden und blieb schwer atmend dort liegen. Marianna sprang auf und lief zu Gerold. Liebevoll streichelte sie ihm über sein verschwitztes Gesicht. Als sie seine aufgeplatzte Haut auf seinem Rücken begutachtete, begann sie zu weinen.
„Bringt ihn weg“, befahl dann der Burgherr. „Er muss die Burg sofort verlassen und darf sie niemals mehr betreten.“
„Bitte Herr“, bettelte Marianna. „Ihr seht doch, Gerold muss erst zu Kräften kommen.“
„Mein Wort ist gesprochen“, rief Arthur ihr entgegen. „Er hat die Burg zu verlassen. Sofort!“ Die Wahl seiner Worte ließ keinen Widerspruch zu. Marianna hat sich zu beugen
„Herr, dann möchte ich mit ihm gehen“, bat Marianna, ohne sich über die Folgen Gedanken zu machen.
„Dann geh mit. Doch ein Zurück wird es für dich auch nicht geben. Verlässt du jetzt mit ihm die Burg, dann bist auch du hier unerwünscht.“
Die Magd half dem geschundenen Gerold auf. Mit wackeligen Beinen schwankte er die kleine Treppe hinunter. Marianna stützte ihn, so gut es ging. Sie wusste, ihr Weg ging ab sofort gemeinsam mit Gerold weiter. Wohin, das wusste noch niemand von den beiden. Doch erst mussten sie einen Unterschlupf finden, wo sie ungestört Gerolds Wunden pflegen und er wieder zu Kräften kommen konnte.
Als sie die letzte Stufe erreicht hatten, verließ Gerold die Kraft. Hilflos sackte er zusammen, als wären seine Beine aus Gummi. Wanda und Hannes kamen schnell herangelaufen, um dem Freund zu helfen. Sie griffen ihn unter den Achseln und zogen ihn auf die Füße. Schwankend stand der Schmied zwischen ihnen. Langsam setzte er einen Fuß vor den anderen. An ein schnelles Laufen war nicht zu denken. Jeder einzelne Schritt wurde zu einer immensen Qual.
Marianna ging los zu den Stallungen und ließ sich einen Karren geben. Schnell legte sie ein paar Arme voll Stroh als Unterlage darauf, darüber kam Gerolds Hemd. Es war zwar nicht mehr sauber, erfüllte aber für den Anfang seinen Zweck. Sie ging mit dem Karren zurück zum Richtplatz. Vorsichtig betteten sie den Schmied darauf. Ermattet atmete er auf. Er zitterte vor Anstrengung am ganzen Körper, Schweißtropfen standen auf seiner Stirn. Das Blut am Rücken tränkte sein Hemd und das Stroh.
„Wo wollt ihr hin?“, fragte Hannes mit sorgenvollem Gesicht. Wanda hatte Tränen in den Augen. Der unverhoffte und schnelle Abschied von ihrer Freundin nahm sie mit.
„Wir gehen erst einmal zur Kräuterfrau“, antwortete Marianna. „Sie wird uns bestimmt weiterhelfen und erst einmal Gerolds Wunden heilen. Danach sehen wir weiter.“ Nachdem sie ihre Freundin und Hannes zum Abschied in die Arme genommen hatte, sagte sie noch: „Holt morgen bitte den Karren von der Kräuterfrau.“
„Das tun wir. Du willst wirklich mit Gerold gehen?“, fragte Wanda verheult. Tränen rannen über ihr Gesicht wie Wasserfälle.
„Natürlich. Gerold ist die Liebe meines Lebens. Wo er hingeht, werde auch ich hingehen“, entgegnete Marianna. „Komm, Gerold, machen wir uns den Abschied nicht noch schwerer als er schon ist.“ Sie warf Wanda und Hannes noch eine Kusshand zu, Gerold lächelte nur mit schmerzerfülltem Gesicht. Dann wandte sich Marianna ab, nahm die Griffe des Karrens und schob ihn samt Gerold über den Burghof, durch das Tor und dann den schmalen Weg hinab, der zur Kräuterfrau führte. Zurück ließen sie ihre zwei besten Freunde, die ihnen nachdenklich und voller Trauer nachblickten.