Gerold vergaß nach und nach die Torturen, die er durchleben musste. Auch wenn er noch ein wenig eingeschränkt war, es wurde von Tag zu Tag besser. Bald würde er zusammen mit Marianna die Obhut der Kräuterfrau verlassen können. Doch noch stand die Überlegung an, wohin ihr Weg sie führen sollte.
„Was meinst du, ob wir in der Stadt unser Glück versuchen können“, fragte er seine Liebste, die im Kräuterbeet hockte und Unkraut zupfte. „Ich habe mir überlegt, dass wir das Angebot von Hannes annehmen sollten. Wenn sein Onkel doch so ein einflussreicher Mann sein sollte, wie unser Freund es behauptete, kann uns das sehr weiter helfen.“
„In die Stadt? Ich weiß nicht. Ich habe mir da aber noch keine richtigen Gedanken darüber gemacht. Andere Dinge waren mir bisher wichtiger. Du kennst Hannes besser als ich und weißt, ob du ihm vertrauen kannst“, gab Marianna zu. „Hast du schon eine bestimmte Idee?“
„Ich könnte mich doch in der Stadt als Schmied verdingen und du dich als Magd in einem Haushalt“, gab Gerold zum Besten. Er hatte, nachdem Hannes und Wanda zu Besuch waren, sich viele Gedanken über ihre Zukunft gemacht. „In der Stadt findet sich bestimmt eher etwas als im Dorf. Im Dorf wäre nur etwas über den Sommer und in der Erntezeit, im Winter wären wir auch auf uns allein gestellt und hätten nichts, womit wir Geld verdienen können.“
„Wenn ich so überlege, deine Einwände gegen ein Dorf sind schon richtig“, entgegnete Marianna. „Es gäbe in der Stadt nur ein Problem.“
„Das wäre?“, fragte Gerold.
„Wo kommen wir unter? Im Sommer wäre es kein Problem, außerhalb irgendwo in einem Heustadl oder einer Scheune zu schlafen. Aber was machen wir im Winter?“
„Da hast du recht“, antwortete der Schmied. „Vielleicht könnten wir in einem Gasthaus unterkommen, oder auch bei unserem Dienstherrn“, gab er seine Überlegungen preis.
„Ein Gasthaus wäre gut, nur wir haben kein Geld“, sagte Marianna. „Und wenn wir eine Bleibe bei einem Dienstherrn finden, dann können wir auch nicht zusammen sein. Es würde an Wunder grenzen, wenn wir beide ein und denselben Herrn hätten.“
So wie sie überlegten, sie kamen zu keinem guten Ergebnis.
„Auch wenn wir einen gemeinsamen Dienstherrn finden würden, wir kämen nie und nimmer in einer gemeinsamen Unterkunft unter“, warf Marianna noch ein. „Also bleibt uns doch nur Hannes Oheim.“
Gerold überlegte. „Warum das?“
„Ganz einfach. Wir sind nicht verheiratet“, ließ Marianna die Bombe platzen. „Auf der Burg war das kein Problem, aber im Dorf oder in der Stadt werden die Geistlichen wohl ihre Hand ausstrecken und die Sittlichkeit bewachen. Und ob Hannes Onkel damit einverstanden wäre, dass wir in einer Kammer schlafen, glaube ich eher nicht. Aber wir wären trotz allem zusammen. Was wir dann nachts treiben, muss ja nicht jeder wissen.“, Marianna zwinkerte Gerold schelmisch zu. Er verstand und grinste nur. „Ich möchte aber auch nicht, dass Hannes Onkel der Kuppelei bezichtigt wird“, begründete Marianna ihre Aussage.
„Meinst du, dass wir…“, Gerold wagte es kaum, weiterzusprechen. Bisher kam ihn noch nie in den Sinn, ein Weib zu ehelichen. Er war immer dafür, sein Leben frei zu gestalten, ohne ein Eheweib zu haben.
Marianna lächelte darauf nur, sagte aber nichts. Sie sah es eigentlich zweckmäßiger, als verheiratete Frau durch die Lande zu ziehen. Es wäre für sie auch sicherer. Sie liebte Gerold, jetzt sogar noch mehr als auf der Burg. Seine Ehefrau zu sein, wäre wie der Himmel auf Erden.
Auch Gerold dachte nach. Marianna als Eheweib, das konnte er sich schon vorstellen. Sie war willig und mit ihr das Lager zu teilen, war mehr als er sich jemals vorstellen konnte. Ihre Kochkünste kannte er auch bereits und im Haushalt war sie eine Perle. Ob das ausreichte, um eine gute Ehe zu führen. Gerold ging in sich. War da bei ihm mehr, als er zugeben wollte. Bei Marianna spürte er schon, dass sie ihn mehr mochte und wohl auch gewillt war, ihn zu heiraten. Sie hatte es ihm eben gesagt. Wäre es wirklich besser, als offizielles Paar etwas zu suchen.
„Reden wir heute Abend weiter“, sagte Gerold. Er musste jetzt erst einmal allein sein und über das eben Gesprochene nachdenken. „Ich bin mal eine Weile weg“, teilte er Marianna mit. Kaum hatte er die Worte ausgesprochen, drehte er sich, ohne weiter auf die Magd zu achten, um und verschwand im angrenzenden Wald. Marianna sah ihm nur kopfschüttelnd hinterher. Doch dann wandte sie sich wieder dem Unkraut zu, das sie jäten wollte.
Gerold währenddessen lief immer weiter in den Wald hinein. Er kannte sich aus und musste nicht unbedingt auf den Weg achten. Er dachte an die Zeit zurück, als er noch als Strauchdieb durch die Wälder streifte und mit seinen Kumpanen Leute überfiel und ausraubte. Mehrmals war es beinahe passiert, dass er im Kerker landete. Auf die Hilfe seiner Räuberkumpane konnte er nicht hoffen. Da war jeder sich selbst der Nächste und Gerold war froh, dass er in den kalten Winternächten ab und an mal bei seiner alten Mutter Unterschlupf finden konnte.
Dann sah er Marianna vor sich, wie sie mit dem Korb voll Beeren auf ihn zukam. Zu der Zeit war er zerlumpt, war dreckig und stank nicht viel besser als ein Schwein im Koben. In dem Moment, als er Marianna begegnete, änderte sich sein Leben. Gerold wurde rechtschaffend, sozusagen ein ehrenwerter Bürger. Dass er Marianna auf die Burg folgte, verstand der ehemals so freiheitsliebende Gerold bis jetzt noch nicht. Klar, die quirlige, kleine Magd gefiel ihm vom ersten Augenblick an. Nur war für ihn kein Rankommen an sie. Immer hielt sie ihn auf Abstand. Dass andere Frauen ihm die Wartezeit sozusagen versüßten, das wollte der Schmied am liebsten vergessen. Aber es war nun mal geschehen und nicht mehr auszumerzen.
Nachdenklich setzte sich Gerold unter einen Baum. Die hoch stehende Sonne konnte kaum das dichte Blätterdach durchdringen.
„Was soll ich nur tun?“, fragte Gerold sich selbst. Doch sich selbst eine Antwort geben, das konnte er nicht. Vor seinem geistigen Auge sah er Marianne, wie sie neben Engelins Hütte im Kräuterbeet kniete und Unkraut jätete. Er stellte sich vor, das Beet wäre ihrer beider Eigentum und Marianna würde für das Mittagessen Kräuter zupfen. Plötzlich sah er einige kleine Kinder aus dem Haus rennen, die ihn „Vater“ riefen und ihm lachend um den Hals fielen.
Erschrocken drehte sich Gerold um. Ihm war, als wäre sein Traum wahr. Doch er saß immer noch mitten im Wald und zermarterte sich das Hirn. Sollte diese Vision ein Hinweis auf seine Zukunft sein? Gerold dachte noch angestrengter nach. Er kam immer wieder zum selben Ergebnis: Marianna musste seine Frau werden! Wenn sie es ebenfalls wollte, dann lieber heute als morgen.
Etwa zur gleichen Zeit bei Engelin
Auch Marianna machte sich Gedanken über die Zukunft. Vor allem, ob sie die mit Gerold verbringen sollte oder nicht. Sie war sich fast sicher, er hatte ihren Fingerzeig verstanden, dass sie gerne seine Frau werden wollte. Gerold war in ihren Augen der Mann, dem sie ihr Herz schenken wollte. Vor allem nach der Misere mit dem Knecht Godfrey, der sie schmählich abserviert hatte. Zum Glück war sie bei ihm standhaft geblieben und war seinem Werben, sie in sein Bett zu ziehen, nicht nachgekommen. Wer weiß, dann hätte sie jetzt bestimmt ein uneheliches Kind und wäre mit Makel behaftet. So hatte sie sich erst Gerold hingegeben. Sie liebte den Schmied. Godfrey liebte sie zwar auch, doch den Drang, mit ihm das Bett zu teilen hatte sie nicht. Der Knecht hatte etwas an sich, das sie irgendwie abstieß. Was das genau war, konnte sie sich nicht richtig erklären.
„Na, Liebes, so nachdenklich“, hörte sie plötzlich Engelin hinter sich, die von ihr unbemerkt, an sie herangetreten war. „Was geht dir durch den Kopf? Willst du mir es sagen?“
„Ach, weißt du“, begann Marianna. „Gerold war vorhin hier. Wir haben uns unterhalten, was wir machen sollen, wenn er vollständig genesen ist. Er will in die Stadt ziehen und dort leben.“
„Und was willst du?“, fragte Engelin.
„Ich will mit ihm zusammen sein. Und wenn er es möchte, auch sein Eheweib sein“, bekannte Marianna.
„Und wo liegt das Problem?“, wollte die Kräuterfrau wissen.
„Er hat mich noch nicht gefragt“, erwiderte die Magd. „Ich weiß auch nicht, ob er es überhaupt will.“ Marianna schaute Engelin traurig an. Sie wusste weder ein noch aus.
„Mein Gott, warum machen es sich Verliebte nur immer so schwer?“, entgegnete Engelin. „Ihr beiden gehört zusammen, das sieht doch ein Blinder mit Krückstock! Nimm du einfach das Zepter in die Hand, wenn es Gerold nicht tut.“
„Da muss Gerold aber nicht nur blind sein. Er hat mich noch nicht gefragt, woher soll ich dann wissen, ob er will oder nicht?“ Marianna begann beinahe zu weinen. Frust kam in ihr hoch wie bittere Galle.
„Gibt es einen Grund, warum eigentlich immer der Mann die Frau fragen muss?“, meinte Engelin.
„Du meinst, ich soll…?“, Marianna begriff, was ihre Freundin meinte, ohne dass diese ihren Satz zu Ende gesprochen hatte.
„Genau!“
„Das geht doch nicht! Das sieht dann so aus, als würde ich mich ihm an den Hals werfen wollen!“, befürchtete Marianna entrüstet.
„Stell dich nicht so an“, sagte Engelin lachend. Sie verstand es wirklich nicht, warum sich die Menschen so viele Gedanken um Anstand und Sitte machten. „Ihr liebt euch. Da tut es nicht zur Sache, wer wen fragt, sondern, dass überhaupt gefragt wird. Wenn er es nicht tut, dann musst du es tun. Du willst doch auch wissen, ob Gerold es ernst meint oder nicht!“ Engelin wurde beinahe böse, während sie weiter sprach. „Ich könnte ja als Vermittlerin agieren“, fiel ihr plötzlich ein. „Oder hat Gerold noch einen Vater oder Bruder, der als Brautwerber herangezogen werden könnte?“, fragte Engelin.
„Ich weiß nur von einer Mutter“, antwortete Marianna. „Die ist aber schon sehr alt und wohnt viele Stunden von hier entfernt.“
„Dann mache ich es“, bestimmte die Heilerin einfach.
„Wie? Was?“ Marianna war baff. „Du willst…? Du willst in seinem Auftrag bei meinen Eltern um meine Hand anhalten? Da muss ich dich enttäuschen. Meine Eltern, Gott hab sie selig, sind nicht mehr am Leben.“
„Red nicht so viel!“, fuhr Engelin sie an. „Du brauchst deine Eltern nicht zum heiraten. Wo ist Gerold, ich nehme ihn mir gleich mal zur Brust.“
„Er ging vorhin in den Wald, aber wohin genau, das weiß ich nicht“, gab Marianna Auskunft.
„Ich finde ihn schon“, sagte Engelin darauf und machte sich auf den Weg, den abtrünnigen Liebsten Mariannas zu suchen.
Mit großen Schritten lief Engelin in den Wald. Energisch lief sie voran, als ob sie in den Krieg ziehen wollte. Dabei schaute sie am Boden, ob Spuren Gerold zu finden waren. Hier sah sie einen abgebrochenen Zweig, den kein Tier abgebrochen haben konnte. Da entdeckte sie einen Fußabdruck in einer kleinen Pfütze, die nach dem letzten Regen noch nicht ganz ausgetrocknet war. So lief sie weiter, immer auf die kleinen Hinweise achtend, die Gerold unbewusst hinterlassen hatte.
Engelin musste eine Weile suchen, bis sie Gerold endlich an der großen Linde entdeckte. Er hatte sich zurückgelehnt und blickte in das dichte Blätterdach. Ob er nachdachte? Engelin wusste es nicht. Doch sie würde es bald erfahren. Die Heilerin machte extra lautere Geräusche, als sie sich dem Mann näherte. Nichts war gefährlicher, als jemanden zu erschrecken.
Gerold hörte die Herankommende. Er vernahm knackende Zweige, die unter Engelins Füßen zerbrachen. Neugierig richtete er sich auf und sah in ihre Richtung. Als er die Kräuterfrau erkannte, stand er auf, um ihr entgegen zu gehen.
„Oh, Engelin“, begrüßte er sie. „Bist du wieder zum Kräutersammeln im Wald? Dein Körbchen hast du bestimmt irgendwo liegen lassen. Soll ich dir suchen helfen?“
„Heute bin ich in einer anderen Mission unterwegs“, entgegnete die Heilerin und lächelte verschmitzt.
„Engelin in geheimer Mission“, frotzelte Gerold, „welche sollte das denn sein?“ Er konnte sich partout nicht vorstellen, welche Mission das sein sollte.
„Ich bin im Auftrag der Liebe unterwegs“, erklärte Engelin. „Ich habe da einen besonders schweren Fall zu behandeln.“
Gerold stutzte.
„Gibt es da ein Kraut dagegen?“, fragte er.
„Dagegen nicht, aber dafür“, erwiderte die Kräuterfrau.
In Gerolds Kopf schwirrten tausend Fragen, auf die er keine Antworten fand.
„Mein Gott, Gerold, was bist du nur für ein Depp!“, rief Engelin aus. „Du siehst den Wald vor Bäumen nicht.“
Gerold wollte schon erzürnt antworten, doch die Frau ließ ihn nicht zu Wort kommen.
„Da hast du die Frau, die du liebst, schon Tag für Tag um dich. Sie pflegt dich aufopferungsvoll gesund. Aber du Depp bemerkst nicht, wie sehr sie dich liebt und am liebsten sofort dein Eheweib werden würde“, ließ Engelin nun die Katze aus dem Sack. „Du hast ihr Leid erspart, als ihr Schläge drohten! Da willst du mir doch wohl nicht sagen, da wäre nichts zwischen euch!“ Engelin redete sich ob so viel Dummheit in Rage. Sie konnte sich kaum mehr beherrschen.
Gerold stand vor ihr und wusste nicht, was er antworten sollte. Stattdessen begann sein Kopf rot anzulaufen wie eine Tomate.
„Wie konnte ich nur so dumm sein“, erkannte er nun.
Engelin beruhigte sich. „Weiter, komm… raus damit“, stichelte sie.
„Wie? Was?“, stotterte Gerold.
„Komm, weiter, ich höre!“, wurde die Frau erneut zornig.
„Jetzt wo du es sagst“, sprach Gerold weiter. „Du meinst… Marianna und ich…?“
„Weiter, weiter“, drängelte die Frau.
„Du meinst, Marianna und ich lieben uns“, sagte Gerold endlich.
„Genau! Weiter… denk nach!“
„Ich Dummkopf. Wie konnte ich das nur übersehen?“, schimpfte der Schmied mit sich selber. „Sie hat mich heute fast mit der Nase hineingestupst.“
„Du kommst der Sache immer näher“, stocherte Engelin weiter in der offenen Wunde.
„Mein Gott, ich hab es! Sie möchte, dass ich ihr einen Antrag mache! Ich bin wirklich der Esel der Nation!“ Gerold verstand die Welt nicht mehr! Wie konnte er nur so dumm sein und die kleinen Spitzen seiner Liebsten nicht verstehen.
Erleichtert stöhnte Engelin auf. Endlich hatte es Gerold ausgesprochen. Ihre Mission war erfüllt.
„Siehst du“, sagte sie zu Gerold, „ihr beiden gehört einfach zusammen. Mach ihr einen Antrag. Und dann geht euren Weg gemeinsam. Etwas Besseres kann dir und ihr nicht passieren.“
„Ich werde gleich zu Marianna gehen und sie um ihre Hand bitten“, erwiderte Gerold und wollte sich schon umdrehen, um sich zu der Magd zu begeben.
„Warte“, rief Engelin. „Heute Abend ist auch noch Zeit dazu. Setzen wir uns erst einmal und besprechen alles in Ruhe. Marianna rennt dir bestimmt nicht weg.“
„Erst mich aufmüpfig machen und dann ausbremsen“, knurrte Gerold, ließ sich dann aber neben Engelin im Gras nieder und ließ sich erklären, wie er vorgehen soll. Dass er von den beiden Frauen ausgetrickst worden war, ahnte er nicht. Aber das tat nichts zur Sache. Er liebte Marianna und wollte sie zur Frau nehmen.
So bekam Marianna das, was sie wollte. Gerold bekam sie. Engelin war zufrieden, dass ihr Plan aufgegangen war. Und alle zusammen waren glücklich…