Gerold erwachte an diesem Morgen sehr viel später als sonst. Blinzelnd und sich die Augen reibend blickte er sich um. Da war doch was? Angestrengt überlegte er. Sich an die Vorkommnisse des letzten Abends zu erinnern, bereitete dem Schmied einige Mühe. Allzu viel Bier hatte er doch gar nicht getrunken, eher das Gegenteil war der Fall. Gerade mal einen Krug konnte er leeren, ehe er… wieder versuchte Gerold, die Erinnerung hervorzukramen. Ja, genau, jetzt kam sie wieder. Er war allein. Seine Bettgefährtin von letzter Nacht war verschwunden. War es nur ein Traum oder Wahrheit? Doch der zarte Geruch Gertrudes, der noch an ihm haftete, sagte ihm, es war kein Traum, den er erlebt hatte. Lächelnd erinnerte sich Gerold wieder an seine lustvolle Begegnung am letzten Abend.
Vom Hof her hörte er die Geräusche der Menschen, die schon dem Tagesgeschäft nachgingen. Es war für ihn längst Zeit, sich ebenfalls ans Werk zu machen. So erhob sich der Schmied und machte sich nach einem kargen Frühstück an seine Arbeit. Im Laufe des Vormittages musste er öfter an Gertrude denken, doch zu Gesicht bekam er sie nicht.
Im Haupthaus der Burg erledigte Gertrude ihre täglichen Pflichten als Kunigundes Zofe. Sie war noch müde, viel zu wenig hatte sie geschlafen. Doch Ritter Siegreich plante bereits seine Abreise, somit auch die seiner Gemahlin und ihre eigene.
„Schade, dass wir schon wieder abreisen müssen. Ich wäre gerne länger geblieben. Schon Gerold zuliebe“, dachte Gertrude wehmütig. Ritter Siegreich stand damit einer weiteren Begegnung mit Gerold im Wege. Von draußen aus der Halle hörte die Magd Stimmen, dann fröhliches Lachen und sich nähernde Schritte. Die Tür zur Kammer wurde aufgerissen. Kunigunde stand im Türrahmen, die Wangen leicht gerötet und freudig lächelnd.
„Stell dir vor, mein Gemahl erlaubt es, dass wir noch bleiben dürfen“, sprudelte Kunigunde heraus.
„Oh, wie schön“, freute sich Gertrude. Die Hoffnung, nun Gerold doch noch einmal begegnen zu können, ließ ihr Herz jubilieren.
„Ich konnte Siegreich überreden“, plapperte Kunigunde einfach weiter, „ich wäre nur allein und würde mich auf unserer Burg langweilen, während er sich wieder auf dem Schlachtfeld herumschlägt. Hier hätte ich meine Freundinnen und Abwechslung."
„Euer Gemahl könnte sich wirklich ein wenig mehr um Euch bemühen, anstatt ständig in den Krieg zu ziehen“, erwiderte Gertrude. Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, erschrak sie ungemein. „Verzeiht, Herrin“, rief sie aus und sank vor Kunigunde auf die Knie, um sie um Vergebung zu bitten. „Es steht mir nicht zu, so über Euren Gemahl zu sprechen.“
„Ist schon gut, Gertrude. Du hast ja recht“, fiel Kunigunde ihrer Magd ins Wort. „Siegreich merkt nicht einmal, wie unglücklich ich über seine ständige Abwesenheit bin.“ Sie lief rastlos in der Kammer hin und her und überlegte. „Was weiß ich, ob mein Gemahl mir treu ist, wenn er nicht auf unserer Burg weilt. Also warum sollte ich ihm treu sein“, sinnierte sie weiter. Sie blieb abrupt stehen und hockte sich vor Gertrude. „Außerdem gibt es hier noch jemanden, dem ich unbedingt begegnen möchte“, sprach sie weiter und lächelte verschmitzt.
„Was meinst du, sollte ich Gerold um ein Stelldichein bitten?“, fragte sie Gertrude um Rat.
„Herrin, warum nicht. Ich habe da eine gute Idee, um von Euch abzulenken. Es soll nicht gleich ersichtlich sein, dass Ihr Euch mit Gerold vergnügen möchtet“, antwortete die Magd nach einigem Überlegen. „Ich werde Gerold um einen Spaziergang bitten und ihn etwas wuschig machen. Ihr folgt uns heimlich und ertappt uns dabei.“ Gertrude redete und redete. Ihr Wortschwall schien kein Ende nehmen zu wollen. Kunigunde hörte interessiert zu.
Als Gertrude endlich geendet hatte, sprach sie zu ihr: „Geh jetzt und eile. Ich kann es kaum erwarten. Inzwischen werde ich mich von meinem Gemahl verabschieden.“
Während Gertrude sich zu Gerold in die Schmiede begab, traf Kunigunde ihren Gemahl in der großen Halle, in der sie gestern zu Abend gespeist hatten. Siegreich trug bereits seine Rüstung und war bereit zur Abreise. Unten im Hof stand schon ein Stallbursche mit Siegreichs Rappen bereit.
„Wir sehen uns in ein paar Wochen, Gemahlin“, sagte Siegreich zu Kunigunde und gab ihr einen Kuss.
„Ich werde euch vermissen, geliebter Ehemann“, säuselte die Angesprochene und erwiderte den Kuss. Es fiel ihr nicht allzu schwer, Abschiedskummer zu heucheln. Dann drehte sie sich schnell weg, damit Siegreich ihre aufkommenden Tränen nicht sehen konnte und floh aus der Halle. Wenig später konnte sie hören, wie ihr Gatte auf seinem Pferd zum Tor hinaus ritt. Winkend stand sie am Fenster und blickte ihm hinterher. Aber innerlich freute sie sich auf die Zeit, die sie hier auf der Burg verbringen konnte, ohne ständig von Siegreichs Getreuen beobachtet zu werden.
Gertrude kehrte nur wenig später zu ihrer Herrin zurück. Sie hatte ein Lächeln auf den Lippen.
„Hat es geklappt?“, fragte Kunigunde aufgeregt. Sie konnte die Antwort ihrer Magd kaum erwarten. „Red schon, was hat er gesagt?“ Als hätte sie Hummeln im Hintern, lief sie in ihrem Gemach von einer Ecke zur anderen.
„Natürlich hat es geklappt. Gerold schien sich sogar zu freuen. Zum Sonnenuntergang treffen wir uns unweit des Haupttores auf einem kleinen, etwas abgelegenen Seitenweg“, äußerte sich Gertrude endlich.
„Dann komm, wir haben bis dahin noch viel zu tun. Meinen Gemahl habe ich eben verabschiedet, uns steht somit nichts mehr im Wege“, freute sich Kunigunde.
Der Tag verging wie im Fluge. Kunigunde lief die ganze Zeit herum wie ein kopfloses Huhn. Je weiter der Tag voran schritt, desto aufgeregter wurde sie. Nur Gertrude nahm sich zusammen, damit man ihr die Aufregung nicht ansehen konnte. Sie gab sich die größte Mühe, ihre Herrin so hübsch wie möglich zu frisieren und anzukleiden. Kunigunde zog ein schlichtes, aber aus edlen Stoffen geschneidertes Kleid an. Sie wollte Gerold gefallen. Auf ein Mieder konnte sie mit ihrer schlanken Figur und den üppigen Brüsten gut verzichten. Nur die breite Schärpe, die sie fest unter ihrem Brustkorb zusammenband, stützte ihren Busen und brachte ihn noch mehr zur Geltung. Sogar ihr Dekolleté erschien viel üppiger als normal.
Die Zeit schritt voran. Der glutrote Ball der Sonne sank am Firmament immer tiefer, die Schatten wurden länger.
„Du musst los“, erinnerte Kunigunde ihre Magd, worauf diese sich ihr Tuch nahm und ihre Herrin verließ.
Wenig später schritt Gertrude mit einem Korb unter ihrem Arm durch das Haupttor der Burg. Der wachhabende Vasall des Burgherrn grüßte sie freundlich.
„Wohin des Weges, schöne Maid. Und auch noch allein um diese Tageszeit“, sagte er zu Gertrude. Schief lächelte er sie an. Dunkel verfärbte Zähne kamen zum Vorschein und ein eklig stinkender Atem schlug der Magd entgegen. Gierig starrte der ungehobelte Geselle auf ihr Dekolleté.
Angewidert wandte Gertrude ihren Kopf ab und zog ihr Tuch vor ihren Busen, um diesen vor den Blicken des Wächters zu schützen.
„Noch schnell ein paar Beeren sammeln. Meine Herrin verlangt nach welchen“, log sie unverschämt. Dann drehte sie sich um, ohne weiter auf den Wachmann zu achten und ging davon.
Beinahe zur gleichen Zeit verließ Gerold durch eine kleine Seitenpforte die Burg. Er blickte sich suchend um und konnte gerade noch sehen, wie Gertrude mit einem Korb in der Hand in den Seitenweg einbog, auf dem sie sich verabredet hatten. Da der Wachmann ihr immer noch hinterher schaute, beschloss Gerold, ihr nicht auf direktem Wege zu folgen. Flink und fast unsichtbar lief er ihr durch den Wald nach, bis es ihm gelang, sie zu überholen.
Erschrocken schrie Gertrude auf, als Gerold vor ihr durch das Gebüsch brach und ihr den Weg versperrte. Erleichterte schnaufte sie aus, als sie ihren Galan erkannte.
„Du bist es! Was erschreckst du mich so?“, fuhr sie Gerold an.
„Entschuldige, das wollte ich nicht“, erwiderte Gerold. „Ich wollte dir auf direktem Wege folgen“, sprach er weiter, „doch der Wachmann sah dir lange hinterher. Da wollte ich sicher sein, dass er dir nicht auch in den Wald folgt.“
„Ist schon gut“, bremste Gertrude Gerolds Redefluss. „Wir wissen doch, weswegen wir hier sind. Also gehen wir und vergeuden nicht noch mehr Zeit. Nicht, dass uns der Wachmann doch noch folgt und uns zusammen sieht.“
Sich nach Gertrude umsehend trat Kunigunde aus der Burg. Sie wusste, ihre Magd trifft sich mit dem Schmied, aber sie wusste den genauen Ort des Stelldicheins nicht.
„Hast du meine Magd gesehen?“, fragte sie den Wachmann am Tor.
„Wenn ihr die Kleine mit dem Korb meint, dann ja“, antwortete der Mann.
„Lass dir nicht jedes Wort aus der Nase ziehen“, fuhr Kunigunde den Wachmann an. „Welchen Weg hat sie eingeschlagen?“
„Entschuldigt, Herrin“, katzbuckelte dieser, „da vorn links den Weg rein. Dort ist sie hingegangen. Aber, entschuldigt bitte nochmals, Ihr solltet um diese Tageszeit nicht allein gehen. Ich werde ein paar Mann als Schutz für euch ordern.“
„Papperlapapp! Ich bin kein kleines Mädchen mehr. Ich kann alleine gehen!“, erwiderte Kunigunde. Damit drehte sie sich um und lief in die gezeigte Richtung.
Am Weg angekommen, lief Kunigunde etwas schneller, um die beiden Turteltäubchen einzuholen. Schon bald hörte sie Gertrudes helles Lachen. Ein Kichern folgte. Dann vernahm sie Gerolds dunkle Stimme.
„Du warst heute Morgen so schnell weg“, sagte er zu Gertrude. „Ich konnte dich nicht einmal richtig verabschieden. So bin ich ganz einsam in meinem Bett aufgewacht.“
„Nun sind wir ja wieder zusammen“, antwortete Gertrude, „ich mag schon wieder schöne Dinge mit dir tun“, gestand sie und griff in Gerolds Schritt. Dort wurde es sogleich rebellisch.
„Da will noch jemand was“, kicherte Gertrude und griff fester zu.
„Gehst du immer gleich so forsch vor?“, fragte Gerold grinsend und zog das willige Weib an sich.
„Nur, wenn mir ein Mann sehr gefällt“, gestand die Frau und bot ihm ihre Lippen zum Küssen an. Doch ehe noch weiteres geschehen konnte, wurden sie gestört.
„Gertrude, du schamlose Person! Was tust du hier?“, hörten die beiden Heimlichtuer plötzlich Kunigundes Stimme. Erschrocken stoben sie auseinander und sahen Gertrudes Dienstherrin scheinbar wutentbrannt am Wegesrand stehen. Kunigunde war es gelungen, den beiden unentdeckt zu folgen. Gertrude wusste zwar, dass sie ihnen folgen wird, aber nicht, wann sie ertappt werden würden. Kunigunde war die Überraschung gelungen.
„Herrin, Ihr hier?“, stotterte Gertrude.
Gerold selbst brachte kein Wort hervor, doch sich vor Gertrudes Herrin zu verbeugen, schaffte er noch.
„Scher dich zurück in die Burg! Wir sprechen uns noch!“, fuhr Kunigunde ihre Magd an. „Wart in meinem Gemach auf mich! Und nun troll dich!“
„Jawohl, Herrin“, flüsterte Gertrude, die sich krampfhaft bemühte, sehr eingeschüchtert zu wirken. Ihr Gesicht glühte rot wie vorhin die untergehende Sonne. Eilig lief sie zurück zur Burg.
Leise jubilierend sah Kunigunde dem Mädchen hinterher. Der erste Teil ihrer Verschwörung war gelungen.