Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als sie wieder am Bach ankamen. „Sobald wir die Karte haben, müssen wir durch einen Dorf reisen. Wir brauchen neues Proviant“, sagte Alic und unterbrach die Stille. „Oh nein, erst räche ich mich bei dem Kerl“, murrte Selena. „Na gut. Aber danach“, sagte Alic und sah sich um. Tiara hakte sich bei ihrer Freundin unter. „Und was bitte machst du, wenn du ihn findest?“, flüsterte sie. Ja genau, was würde sie machen? Darüber hatte sie gar nicht nachgedacht. Sie runzelte die Stirn. „Du hast keine Ahnung“, stellte sie fest. „Erdolch ihn aber bitte nicht. Sonst handelst du dir noch mehr Ärger ein“, warf Thea ein, die das Gespräch mitbekommen hatte. „Mir fällt schon was ein.“ „Genau davor haben wir Angst“, sagten Thea und Tiara gleichzeitig. „Ich sage das wirklich nur ungern aber wir müssen uns aufteilen.“ Selena starrte ihren Bruder ungläubig an. „Du willst, dass wir uns aufteilen?“ Dabei betonte sie das Du. „Ja genau. Thea, Tiara und Killian gehen zusammen und du Schwesterchen kommst mit mir. In einer Stunde treffen wir uns wieder hier.“ Die anderen nickten und anschließend trennten sie sich. „Warum wolltest du nicht mit Thea gehen?“, fragte Selena nach einer Weile. „Weil du spontan handelst.“ „Das ist doch kein Argument“, murmelte Selena und kreuzte die Arme vor der Brust. „Nimm es mir nicht übel, aber du durchdenkst das was du tust nie und das kann dich in Gefahr bringen.“ „Vielen Dank auch.“ Danach blieb es still. Bis Selena ein rascheln hörte. Sie sah schnell Alic an. Er hatte es auch gehört. „Wir sollten diesen Kerl schnell finden. Ich will meine Zeit nicht mit Versteck spielen vertrödeln“, sprach Alic weiter. Wer auch immer sie beobachtete, sollte nicht merken, dass sie ihn bemerkt hatten. „Du hast recht.“ Nach wenigen Schritten trat ein breitgebauter Mann hinter einem Baum hervor. Er war größer und breiter als Alic. Alics Kiefer spannte sich an, aber er blieb ruhig. Während Selenas Herz anfing, schneller zu klopfen. „Na sieh mal an, wen haben wir denn da?“ Der Mann hatte eine sehr kratzige Stimme. „Wir wollen kein Ärger, also lass uns durch.“ Selena konnte nicht verstehen, wie Alic so ruhig bleiben konnte. „Nein.“ Er pfiff laut und vier weitere Männer, die genauso breit gebaut waren wie er, traten aus dem Dickicht. „Alic“, flüstere Selena. Alic zog seine Schwester hinter sich. „Ich könnte auf Seite gehen und dich am Leben lassen, falls du uns das Mädchen überlässt.“ Ein widerliches Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus. Woraufhin jegliche Farbe aus Selenas Gesicht wich. Alics Hand ruhte auf dem Heft seines Rapiers. „Nur über meine Leiche“, zischte er. „Wie du willst.“ Der Mann machte eine Kopfbewegung und einer der vier Männer griff mit einem Schrei Alic an. Da Alic schlaksig war, unterschätzte der Mann ihren Bruder, so dass Alic ihn ohne Probleme entwaffnete und ihn zu Boden brachte. Entsetzt verfolgte Selena die Szenario vor ihr. „Sel, dein Bogen“, rief Alic ihr zu. Ihr Körper machte sich selbstständig und sie legte ein Pfeil an die Sehne ihres Bogens. Kurz darauf traf ihr Pfeil, den Arm des Mannes, der Alic angriff. Schreiend ließ er sein Schwert fallen. „Holt sie euch. Der Kleine hier gehört mir“, zischte der Mann und zog sein Schwert. „Wehe, ihr fasst sie an!“, schrie Alic, aber das interessierte keinen von den Männern. Alic parierte den Schlag und sprang zur Seite. Einen Vorteil hatte Alic. Er war schneller und geschickter mit dem Schwert. Er entwaffnete den Mann und trat mit voller Wucht nach ihm. Er taumelte nach hinten und stieß gegen einen Baum. Alic wollte keine Zeit verlieren, drehte ihm den Rücken zu, um zu seiner Schwester zu eilen. Er sah, wie sie einen Pfeil abschoss, der einen der drei Männer zu Boden brachte. Es war keine tödliche Verletzung aber machte den Mann kampfunfähig. Dem zweiten schlug sie ihren Bogen ins Gesicht, der daraufhin zurück taumelte. Sie ging in die Knie und stellte dem Mann ein Bein, sodass er auf den Boden fiel. Alic wollte schon zum Angriff losgehen aber er wurde hinten am Kragen gepackt, herumgewirbelt und das nächste was er spürte, war ein Schmerz an seiner Schläfe. Noch ein Schlag in seine Magengrube und er fiel der Länge nach hin. „ALIC!!!“, schrie Selena aus vollem Halse. Sie wollte zu ihrem Bruder rennen, ihn beschützen, aber der eine Mann, der übrig geblieben war, stellte sich ihr in den Weg. Er schlug ihr den Bogen aus der Hand und hielt sie fest, sodass sie mit ansehen musste, wie der widerliche Mann, seinen Schwert über ihrem Bruder hielt. „Er sagte doch, nur über meine Leiche.“ „Bitte nicht!“ Tränen liefen ihre Wangen runter. Doch der Mann grinste bloß. Selena hatte keine Kraft, sich aus dem Griff des Mannes hinter ihr zu befreien. Es kam ihr wie in Zeitlupe vor, wie er sein Schwert runter bewegte. Doch auf einmal ragte wie aus dem Nichts eine Schwertspitze aus seiner Brust. Selena wurde bei dem Anblick schlecht. Der Mann ließ seinen Schwert fallen. Und als jemand das Schwert hinten aus seiner Brust zog, fiel der Mann hin. So, als hätte man einer Marionette die Fäden abgeschnitten. Seine Augen waren weit aufgerissen. Es war so, als hätte nur das Schwert ihn auf den Beinen gehalten. Sie hob den Blick von dem Mann, der kurz davor gewesen war, ihren Bruder umzubringen und sah denjenigen an, der ihren Bruder gerettet hatte. „Lass sie los“, in seiner Stimme schwang soviel angst einflößendes mit, dass er Selena von sich stieß und weg rannte. Wie benommen nahm sie wahr, dass ihr Retter einen Pfeil an ihren Bogen setzte und ihn abfeuerte. Sie hörte einen Schrei, dann musste sie sich übergeben. Als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte, zuckte sie heftig zusammen. Er nahm sofort die Hand weg. Sie sah ihn nicht an, stattdessen eilte sie zu ihrem Bruder. Sie warf sich auf die Knie und zog Alic auf ihren Schoß. Sie strich ihm die Haare aus dem Gesicht. Seine linke Gesichtshälfte war angeschwollen. Er hatte eine aufgeplatzte Augenbraue und seine Lippe blutete ebenfalls. „Großer Gott.“ Eine Träne rollte ihre Wange herunter und tropfte auf sein Gesicht. Sie hatte Angst, nach seinem Puls zu fühlen. Anscheinend bemerkte dies, ihr Retter. Er kniete sich neben sie, und fühlte nach Alics Puls. Anschließend sah er sie an.