Jan fuhr aus dem Schlaf hoch. Das zweite Mal in dieser Nacht. Der Radiowecker zeigte 4 Uhr. Schon vor einer Stunde war er aus seinem bösen Traum hochgeschreckt. Wieder war sein T-Shirt schweißnass. Diesmal aber konnte er sich zumindest ein bisschen an den Inhalt des Traumes erinnern. Mit einer Hand tastete er zum Nachttisch und knipste das Licht an. Er griff nach der Wasserflasche und nahm einen großen Schluck. In seinem Traum hatte Diana sich den Jungen zurückgeholt. Nicht nur das, sie hatte ihn gewaltsam von ihm weggerissen und war dann mit ihm in einem Boot verschwunden. Mehr bekam er nicht mehr zusammen. Er setzte die leere Flasche ab. Hatte er über Nacht wirklich einen Liter weg getrunken? Kopfschüttelnd stand er auf und zog sich das nasse Oberteil aus. Leise schob er die angelehnte Schlafzimmertür auf und lauschte in die Wohnung. Isabelle hatte sich überzeugen lassen zu bleiben. Keinesfalls wollte er jetzt ihren Schlaf stören. Im Bad trocknete er den feuchten Oberkörper und schlüpfte in ein frisches Oberteil. Sofort fühlte er sich etwas besser. Jan stütze sich am Waschbecken ab und betrachtet sich im Spiegel. Nein, ihm gefiel ganz und gar nicht, was er zu sehen bekam.
Dunkle Augenringe und ein sehr blasses Gesicht sahen ihm entgegen. Er musste unbedingt dafür sorgen, dass er ausreichend Schlaf bekam. Kritisch sah er an sich herunter. Wie viel er wohl seit der Trennung abgenommen hatte? Jeder Bissen kostete ihn unglaubliche Überwindung. Zum Sport hatte er es kaum geschafft, seitdem David wieder bei ihm war. Hatte er sich übernommen? Konnte er Kind und Theater unter einen Hut bekommen? Alleinerziehend mit seinen Arbeitszeiten, ging das überhaupt? Er atmete tief durch. Als erstes sollte er versuchen, noch etwas Ruhe zu finden. Und dann war da ja Isabelle, die mit ihm und David den Sonntag verbringen würde. Jan freute sich darauf. Er trat in den Flur. Im Kinderzimmer war alles ruhig. Wieder schien David durchzuschlafen. Wie sehr er den Kleinen gerade beneidete. Auch die Tür zum Gästezimmer stand einen Spalt offen. Jans Herzschlag beschleunigte sich. Er widerstand dem Drang, hineinzusehen. Womöglich würde sie wach werden und er wusste einfach nicht, ob er dann würde widerstehen können. Er ging zurück in sein Schlafzimmer und kuschelte sich in sein Bett. Während er an Isabelle und den anstehenden Tag dachte, schlief er ein.
Den Geräuschen aus der Wohnung hätte er am nächsten Morgen noch stundenlang zuhören können. Jan begriff in diesen Minuten, was er jahrelang vermisst hatte. Und es trieb ihm die Tränen in die Augen. Bis fast 10 Uhr hatte er geschlafen. Und während er langsam wach wurde hörte er seinen Sohn lachen, irgendeine Kindermusik und dazwischen Isabelles Stimme und klapperndes Geschirr. Kurz zusammengefasst, Jan hörte Familienalltag. Und niemand hatte ihn geweckt, damit der Kleine beschäftigt war. Im Gegenteil, wie er feststellte. Isabelle hatte offenbar irgendwann die Tür geschlossen, damit er noch ein bisschen Ruhe hatte. Als er die Küche betrat, saß David am Tisch und hatte Knete vor sich. Isabelle stand am Geschirrspüler und drehte sich herum. Sie lächelte ihn an und Jan musste sich sehr zügeln, sie nicht einfach vor dem Jungen in seine Arme zu ziehen und zu küssen. In diesen wenigen Minuten hatte er mehr über den miserablen Zustand seiner vorherigen Beziehung verstanden, als jemals zuvor.
„Guten Morgen!“, sagte sie fröhlich. Jan hatte sich an den Türrahmen gelehnt und beobachtete seinen Sohn.
„Morgen.“, antwortete er.
„Ich dachte, ich lass dich was schlafen, nachdem du heute Nacht offenbar öfter wach warst.“, sagt sie und sah ihn fragend an. Verlegen fuhr er sich durch die Haare. Was genau hatte sie mitbekommen?
„Kaffee?“, wollte sie wissen.
Er nickte und setzte sich zu David an den Tisch. Der Kleine erklärte eifrig, welche Tiere er bastelte und Jan unterdrückte ein Grinsen. Erst als David kurz darauf im Kinderzimmer verschwunden war, wandte er sich wieder an Isabelle. Sie beteuerte, dass sie ihn nur leise gehört und nicht verstanden hatte. Ihr Blick war dennoch etwas sorgenvoll, aber sie wechselte rücksichtsvoll das Thema. Sie und David waren schon sehr früh beim Bäcker gewesen und hatten schon gefrühstückt. Sie deutete auf die Bäckertüte auf der Arbeitsplatte.
"Es sind noch Brezeln und Brötchen da. Ich wollte uns noch welche vorbereiten, die wir nachher mitnehmen können."
Jan nahm einen Schluck aus der Tasse.
"Klingt gut.", murmelte er. Sie kam auf ihn zu. Blieb vor ihm stehen, zögerte kurz, dann zog sie sich einen Stuhl heran. Berührte ihn sanft am Knie.
"Vorschlag meinerseits. Du gehst in Ruhe duschen und ich mache dir auch noch was zum Essen. Möchtest du was bestimmtes? Pfannkuchen wie dein Sohn oder vielleicht ein Rührei?" Erstaunt hob Jan den Kopf.
"Du hast David Pfannkuchen gemacht?", hakte er nach. Sie lächelte und zwinkerte fröhlich.
"Er hat lieb gefragt und kann sehr überzeugend sein.", antworte sie. Jan nickte. So kannte er den Jungen.
"Das fand er sicherlich großartig. Du hättest mich ruhig wecken können. Mir reicht im Grunde ein Joghurt mit Obst, das mache ich gerne selbst." Er stand auf und sah sie nochmal an. "Und überhaupt danke, dass du dich um ihn gekümmert hast."
Sie lächelte.
"Geh duschen, Jan. Ich mache dir was und ich habe es von Herzen gerne getan."
Sie hatten einen wunderschönen Tag. David liebte den Spielplatz. Er tobte glücklich mit den anderen Kindern umher und wollte sich am späten Nachmittag kaum von den Hasen im Streichelzoo trennen. Jan lockte ihn schließlich mit einer Portion Pommes, die er am Imbiss gekauft hatte. Nun gingen sie langsam zum Auto zurück, Jan mit David an der Hand und Isabelle auf dessen anderer Seite. David erzählte noch immer pausenlos von den Tieren. Verstohlen sah Jan immer wieder zu Isabelle, der David weiter Fragen stellte. Einmal hatte er ihre Hand genommen. Einen sanften Kuss auf die Stirn hatte er sich nicht verkneifen können. Über den Kopf seines Sohnes lächelte sie ihn an. Beim Auto angekommen, half Jan dem Jungen in seinen Sitz. Längst war er gedanklich beim kommenden Tag. Schon früh musste er los, der Zug nach München ging schon um 8 Uhr. Isabelle hatte ihm angeboten, dass er den Kleinen ganz früh in die Kita bringen konnte.
Jan gab sich einen Ruck und sah ihr über das Autodach hinweg in die blauen Augen. „Ich würde heute Abend gerne noch mal mit dir essen, sobald der Zwerg im Bett ist.“
Sie lachte. Und überlegte nur kurz. „Okay, ich kann bis Neun bleiben, dann muss ich aber wirklich nach Hause.“
Frisch gebadete brachte er David ins Bett, in der Zeit bestellte Isabelle Pizza und deckte den Küchentisch. Mit einem glücklichen Lächeln im Gesicht war David beim Vorlesen eingeschlafen.
Isabelle und Jan teilten sich anschließend die große Pizza und saßen danach im Wohnzimmer. Jan hatte Isabelle zu sich gezogen, sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter. Endlich war etwas Zeit für Nähe.
„Wie geht es dir?“, fragte Isabelle ihn nach einer Weile. Er zögerte.
„Gut. Ich fühle mich sehr wohl wenn du hier bist.“, antwortete er dann. Er grinste verschmitzt und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. Sie genossen die Ruhe und Stille.
Sie seufzte.
„Was ist?“, fragte er leise. Sie antwortete nicht, sah aber zu ihm hoch. Seine Augen ruhten auf ihr, sein Herz schien über zu laufen.
Wie schön sie war. Wie gut sie ihm tat.
Sie legte eine Hand auf seine Wange, streichelte diese kurz. Jan spürte ein Kribbeln in seiner Magengegend, das er schon beinahe vergessen hatte.
Er fuhr mit seiner Hand an ihrer Schläfe und schloss die Augen. Langsam beugte sich zu ihr und suchte ihre Lippen.
Zu seiner großen Freude öffnete sie leicht den Mund um den zarten Kuss zu erwidern. Anders als beim letzten Mal ließ er dies nun aber zu und zog sich nicht zurück. Sein Puls beschleunigte sich, als er ihre Zunge ganz sanft auf seiner Lippe spürte.
Seufzend öffnete er den Mund und seine Zunge berührte die ihre leicht, neckte sie. Ihm schlug das Herz bis zum Hals und eine süße Erregung fuhr wie ein Stromstoß durch seinen Körper. Jan zog sie noch etwas näher und seine Hand glitt von ihrem Gesicht.
Atemlos löste er sich dann aus der Umarmung und sah ihr in die Augen. „Sehr viel besser.“, hauchte sie.
Er nickte nur und griff nach ihren Händen. Er blickte in ihre leuchteten Augen. Was machte er nur? Vor einer Woche hatte er noch Diana hinterher geweint und nun küsste er schon wieder Isabelle? Die ganz offensichtlich auf dem besten Weg war, sich in ihn zu verlieben. Und er? Er wollte ihr doch nichts vormachen, er wollte nicht wie Diana sein.
Erschrocken ließ er die Hände los und rückte ein wenig ab. Doch Isabelle griff nach ihm, legte ihre Hand auf sein Knie.
„Es ist okay Jan.“, flüsterte sie. Rutschte wieder etwas näher. „Ich erwarte jetzt keine Liebesschwüre, keine Sorge. Lass uns doch einfach die Nähe genießen.“ Sie kuschelte sich wieder an ihn und streichelte ihn im Nacken, bis er sich wieder entspannte.
"Und dann?“, wollte er nach einer Weile wissen. Sie lächelte milde. „Keine Ahnung, Jan. Lassen wir uns überraschen.“
Jan hatte die halbe Nacht gegrübelt. Sie war wie angekündigt nach Hause gefahren und er hatte dann ihre Nähe vermisst. Am frühen Morgen brachte er David in die Kita, Isabelle verhielt sich ganz normal und wünschte ihm viel Glück. Auf der Fahrt nach München lenkte er sich ab, versuchte sich auf die Vorsingen zu konzentrieren. Dazwischen telefonierte er kurz mit Jule, die David am Mittag abgeholt hatte. Dort sollte der Kleine auch die Nacht verbringen. Auf dem Rückweg am frühen Abend zum Bahnhof versuchte er Isabelle zu erreichen. Gerne hätte er ihr von seinem Tag erzählt, der ihn völlig geschafft hatte. Außerdem hätte er einfach nur gerne ihre Stimme gehört. Doch Isabelle entschuldigte sich, Tina hatte spontan einen Kinoabend vorgeschlagen. So saß Jan dann allein in der Wohnung und stocherte in einem Salat, den er sich unterwegs gekauft hatte. Morgen würde als endlich Diana aus den Staaten kommen. Ob sie sich daran halten würde, dass sie sich von sich aus melden würde? Jan hatte ein mulmiges Gefühl. Viel Schlaf fand der dann nicht.
Jule hatte schon auf ihn gewartet als er am frühen Morgen bei ihr klingelte. „Dein Sohnemann frühstückt noch.“, meinte sie, als er hereinkam. „Und du siehst aus, als könntest du einen Kaffee vertragen.“, stellte sie knapp fest und schob ihn zur Küche. Dort saßen David und Tom am Tisch und der Kleine begrüßte seinen Vater stürmisch. Die Übernachtung bei seiner Patentante hatte er als Abenteuer verstanden und war entsprechend gut gelaunt. Offenbar hatte Tom ihm Piratengeschichten erzählt. Er trug eine Augenklappe und und beendete jeden Satz mit 'Aye'.
Jule stellte Jan einen Kaffeebecher hin und holte ein weiteres Gedeck. Sie sah kurz zu Tom. Der wandte sich an David.
„So, kleiner Pirat, dann wollen wir mal Hände und Gesicht waschen gehen.“ Tom stand auf und David folgte ihm anstandslos ins Bad.
„Sag mal, schläfst du jetzt gar nicht mehr?“, fragte Jule dann. „Du siehst langsam aus wie der Tod auf zwei Beinen. Wenn du so weitermachst, brauchst du demnächst keine Maske mehr, als Vampir gehst du locker durch “, schimpfte sie. Sie reichte ihm ein Brot und setze sich auf das Sofa. Sie nahm ihr Marmeladenbrot und biss davon ab, ließ ihn dabei nicht aus den Augen.
„Es macht mich einfach wahnsinnig.“, gestand er dann. „Diese ganze Situation macht mich irre. Sie kommt heute wieder. Und ich habe keine Ahnung was sie vorhat.“ Jule lehnte sich zurück.
„Das glaube ich dir, aber du kannst daran jetzt nichts ändern. Du kannst jetzt nur warten und später rufen wir sie an. So wie Alex und ich dir das versprochen haben. “ Tom kam mit David zurück in die Küche.
„Es wird Zeit, ich bringe ihn in die Kita.“ Jan stand auf und verabschiedete sich von Tom. Jule brachte ihn zur Tür und gab ihm Davids Rucksack. Jan half dem Kleinen in die Jacke, sah dann Jule an. „Bis nachher dann.“
Isabelle war noch nicht da, als Jan die Kita wieder verließ, sie fing heute erst später an. Ziellos lief Jan danach durch den Park und sah immer wieder zur Uhr und zum Handy. Mittlerweile müsste Diana gelandet sein. Wohin sie dann wohl ging? Vermutlich zu ihren Eltern. Wahrscheinlich hatte sie noch in den Staaten erfahren, dass Jan ihren Sohn von dort weggeholt hatte. Wo wohnte eigentlich dieser Karsten? Und warum kannte er eigentlich die Adresse des Büros nicht?
Das Klingeln seines Handys riss ihn aus seinen Gedanken. Alex. Seufzend nahm er das Gespräch an. „Alex, guten Morgen.“, begrüßte er seinen Gesprächspartner. Alex wollte hören, wie es ihm am Vortag ergangen war. Jan fasste dies schnell zusammen. „Ich denke Nummer eins lief besser. Aber du weißt ja, wie das oft ist. Man kann auch völlig daneben liegen.“ Er ging jetzt Richtung Wohnung. „Ich weiß ja auch gar nicht ob ich nach München oder Berlin möchte.“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.
„Darüber sprechen wir, wenn es soweit ist.“, antwortete Alex. Jan erreichte währenddessen die Wohnung. „Hast du schon was gehört?“, wollte sein Manager und Freund dann wissen. Jan verneinte. Er versprach sich zu melden und beendete das Telefonat.
Er hielt die Ungewissheit nicht mehr länger aus. Er wählte mehrfach Dianas alte Handynummer, konnte sie aber nicht erreichen.
Das Ticken der Uhr dröhnte fast in seinem Kopf. Warten, nein das lag ihm nicht. Und er wollte gerade Diana nicht so ausgeliefert sein.
Sein Handy klingelte erneut. Isabelle.
Ein Lächeln stahl sich in sein Gesicht. Er hatte sie tatsächlich ein wenig vermisst. Endlich ein Lichtblick.
„Hey Du!“, begrüßte er sie liebevoll. Doch sie war sehr aufgeregt am anderen Ende. “Jan, deine Ex war hier, sie hat David mitgenommen!“
Jule starrte Isabelle mit offenem Mund an.
„Sie ist hier einfach reinspaziert.... ?“, fragte sie dann nochmal nach. Sie saßen in der Kaffeeküche, in der Jan vor einigen Wochen die Nacht mit David verbracht hatte. Jan saß stumm auf seinem Platz. Er hatte überhaupt nicht mehr gesprochen seitdem er Jule angerufen hatte. Isabelle nickte und schenkte beiden Tee ein. „Sie kam hereingestürmt, packte sich David, der übrigens fürchterlich geweint hat, und keifte meine Kollegin an. Innerhalb von fünf Minuten war sie weg.“ Jan kniff die Augen zusammen und konnte dennoch nicht verhindern, dass sich eine Träne davonstahl. Jule seufzte. „Hat sie gesagt wohin sie wollte?“, fragte sie dann. Isabelle schüttelte den Kopf. „Nein, sie hat aber seine Sachen hier gelassen.“ Mit einem Kopfnicken deutete sie Richtung Flur und den Fächern für die Kinder.
„Kristina war jedenfalls auch ziemlich aufgelöst danach.“, ergänzte sie.
„Was habt ihr jetzt vor?“ Isabelle sah Jule fragend an. Diese zuckte mit den Schultern.
„Alex wollte den Anwalt anrufen und sich dann melden. An und für sich waren die Unterlagen für den Vaterschaftstest und für die Übertragung des alleinigen Aufenthaltsbestimmungsrechts ja vorbereitet. Keine Ahnung, wie das jetzt weitergeht. Aber das werden wir ja dann hören. Wir hatten mit dem Büro einen Telefontermin für den Nachmittag, auch das dürfte sich ja erledigt haben.“ Dann wandte sie sich an Jan. „Soll ich dich heimbringen? Isabelle muss ja bestimmt weiterarbeiten.“ Jan schüttelte den Kopf. Entschlossen sah er sie an.
„Ich fahre jetzt zu ihren Eltern. Wo sonst sollte sie mit dem Kind hin sein?“ Er stand auf und ging zur Tür. Jule folgte ihm und sah entschuldigend zu Isabelle.
Wie wild klopfte Jan an die Haustür während er parallel ununterbrochen den Klingelknopf betätigte.
„Verdammt, Diana! Mach die Tür auf!“, schrie er.
Seine Fassungslosigkeit hatte sich in Wut verwandelt.
Jule packte ihn am Arm. „Hey, langsam.“ Sie nahm seinen Finger von der Klingel.
Zögernd öffnete Dianas Mutter die Tür.
„Jan.“, sagte sie knapp.
„Linda, lass mich rein. Ich weiß dass sie hier ist.“ Er funkelte sie an. Sie machte keine Anstalten beiseite zu gehen. Jan machte einen Schritt auf sie zu. Jule zog ihn wieder am Ärmel.
„So erreichst du nichts.... “ Doch er hörte ihr nicht zu. Stattdessen schob er Dianas Mutter aus dem Weg und drängte sich an ihr vorbei ins Haus und rief lautstark nach seiner Ex-Freundin.
Entschuldigend sah Jule die ältere Frau an. Die ließ sie nun wortlos vorbei, so dass Jule Jan direkt folgen konnte. Der wiederum riss jede Tür auf und fand im Wohnzimmer endlich was er suchte
„Verdammt, Diana. Was soll das?“, schrie er. Sie stand von dem Sessel auf, auf welchem sie gesessen hatte. Ihr gegenüber saß ein Jan unbekannter Mann. Jule stolperte dazu und erfasste die Situation mit einem Blick. Sie nickte Diana kühl zu. Jan starrte den Mann, dann Diana an.
„Das ist dann wohl dein Karsten.“, stellte er sachlich fest.
„Was willst du?“, fragte Diana. „Was soll dieser Aufstand bitte?“
Er zwang sich ruhig zu atmen.
„Was das soll?“, er lachte bitter. „Bist du von allen guten Geistern verlassen? Ich will mein Kind zurück.“
Dianal ächelte spöttisch.
„Ach, das Kind, das vielleicht gar nicht deins ist und das du von hier entführt hast?“
Jule zog scharf die Luft ein und beobachtete aus den Augenwinkeln Jan.
„Vorsichtig.“, stieß er hervor.
Wieder lachte sie.
„Droh du mir nur, ich habe ja hier massig Zeugen.“ Herausfordernd sah sie Jule an.
Die versuchte Jans Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Er durfte sich keinesfalls so provozieren lassen.
Irgendwo hörte man den Kleinen weinen.
Jan machte einen Schritt auf sie zu.
„Ich will jetzt sofort zu David!“, brüllt er sie dann an.
Jule griff erneut nach seinem Arm.
Diana blieb gelassen.
„David bleibt hier. Ein Kind gehört zu seiner Mutter.“
Er schnaubte verächtlich.
„Ach, auf einmal? Du wolltest ihn doch gar nicht. Und du hast ihn für dein Vergnügen einfach bei deinen Eltern geparkt. Findest du das etwa besonders mütterlich?“
Diana bedachte ihn mit einem kurzen Blick.
„Das war ja klar, dass du kein Verständnis für meine Arbeit hast.“
Nun lachte er zynisch.
„Arbeit! Dass ich nicht lache.“ Er warf Karsten einen Blick zu, diesem war die Situation sichtlich unangenehm.
„Wenn ich auch mal was sagen dürfte...“, begann der dann.
Jan explodierte förmlich.
„Du hältst dich am besten raus, Du Arschloch!!“
Jule rollte die Augen. „Jan....“, bat sie.
„Was?“, fuhr er sie an.
„Bitte lass Karsten da raus.“, meldete sich Diana.
„Ich wollte das gerne wie zivilisierte Menschen lösen, Jan......“
Er sah sie irritiert an.
„Bitte? Willst du mich... Du lässt mir nichts als diesen Brief zurück, erklärst mir darin, dass du mich jahrelang betrogen hast, nie mehr wiederkommst und als Krönung, dass David vielleicht nicht mein Sohn ist. Nennst du das zivilisiert?“
Sie sah ihn nicht an.
Er ging wieder auf sie zu. Blieb aber mit Abstand vor ihr stehen.
„Hast du irgendeine Ahnung, wie sehr du mich verletzt hast? Hast du irgendeine Ahnung von meiner Liebe zu diesem Kind? Nein Diana, das hast du nicht.“, zischte er.
Wieder hörte er Davids Weinen. Vermutlich war er im Obergeschoss.
Jule sah Diana flehend an.
„David bleibt hier, Punkt.“, blieb diese eisern.
„Willst du einen Test?“, fragte sie dann. Nun rührte sich auch Karsten.
„Auf jeden Fall.... “, meinte dieser schnell.
Ach, dachte Jan.
Er nickte. „Ja, mein Anwalt hat alles vorbereitet. Du musst nur noch zustimmen.“
Diana kaute auf ihrer Lippe. „Ja. Mache ich. Er soll sich melden. Übers Büro.“.
Jans Herz schlug schneller. Wenigstens etwas, dachte er.
Kampflustig sah er sie dann lange an.
„Ich werde dann das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht beantragen. Und dann werde ich David hier rausholen, verlass` dich drauf.“
Sie kommentierte das Gehörte mit einem weiteren knappen Nicken.
„Wenn ich euch dann bitten dürfte.“, sie zeigte zur Tür.
Jan öffnete den Mund, doch Jule zog ihn erneut am Arm. „Jan, lass gut sein für heute. David konnte euch bestimmt hören.“; bat sie. Er zögerte, sah Diana dann nochmal an. „Alles, Diana, alles kannst du mir nehmen. Meinen Stolz, mein Lachen, mein Herz. Aber meinen Sohn, das schwöre ich dir, den nimmst du mir nicht.“, sagte er ruhig. Dann drehte er sich um und verließ das Haus mit eiligem Schritt.
Nein, Diana konnte bleiben wo der Pfeffer wächst.
Aber David, den würde er nicht aufgeben.
Das Kinderzimmer war wie immer. Es sah aus, als wäre David gerade noch hier gewesen und wäre nur kurz herausgegangen. Jan saß auf der Schlafcouch, hielt den Teddy in der Hand und sah sich um. Draußen war es schon dunkel und er hatte aus Gewohnheit das Nachtlicht eingestöpselt. Im Moment war dies die einzige Lichtquelle in der ganzen Wohnung. Jan fühlte sich mutterseelenallein. Und die Panik, die er fühlte seitdem Diana David mitgenommen hatte, lähmte ihn geradezu. Er hatte bittere Tränen vergossen. Der Anwalt hatte ihm geraten, den Jungen nicht wieder in einer Nacht-Und-Nebel-Aktion zu sich zu holen. Morgen früh würde der Antrag gestellt sein und das Familiengericht über die vorläufige Bleibe kurzfristig entscheiden. Lange hatte er mit Alex, dem Anwalt und Jule zusammen gesessen. Alex hatte gar vorgeschlagen, dass sich Jan auf die Möglichkeit vorbereiten sollte, dass dieser Text negativ ausfiel. Eine psychologische Unterstützung hatte er ins Spiel gebracht. Was dachte der denn? Natürlich war David sein Sohn. Was denn sonst? Noch am Nachmittag hatte Jan Blut abgegeben und auch Dianas Probe war unterwegs zum Labor. Aus der grenzenlosen Wut war aber mittlerweile eine große Traurigkeit geworden.
Jan wusste einfach nicht mehr wo oben oder unten war.
So saß er nun schon stundenlang im Zimmer seines Sohnes, als es klingelte.
Er schloss die Augen und hoffte, derjenige würde einfach wieder gehen.
Doch es klingelte wieder.
Schließlich läutete sein Handy.
Isabelle.
Er nahm ab und meldete sich leise.
„Hey, würdest du mich rein lassen bitte?“, fragte sie ihn sanft.
Er zögerte. Er würde an und für sich gerne hier sitzen bleiben.
„Bitte Jan.“ Er seufzte. „Okay.“
Er ging zur Tür, betätigte den Türöffner, ließ die Tür offen stehen und ging ins Wohnzimmer.
Sie betrat leise die Wohnung.
„Jan?“, rief sie und sah sich suchend um. Alles war dunkel.
Isabelle ging am Kinderzimmer vorbei und fand ihn dann auf dem Sofa nebenan. Er hielt immer noch den Teddy in der Hand.
„Oh je.“, entfuhr es ihr.
Sie setzte sich neben ihn, nahm ihm das Stofftier ab und griff nach seiner Hand.