Selten hatte sich Jan so geborgen gefühlt. Jedenfalls noch nie in einer Beziehung. Die Couch hatten sie am Samstag kaum verlassen. Noch mehrfach hatten sie sich geliebt, weiter erkundet und innige Gespräche geführt. So war es auf einmal ganz leicht für ihn. Niemand der sie störte, niemand der sie unterbrach oder der ihr Tun kommentierte. Isabelle gab ihm wieder Raum und Zeit, hörte zu, fragte nach und gab ihm das Gefühl, dass er ihr alles anvertrauen durfte. Sie lagen eng beieinander, ihre Nähe beruhigte ihn. Ihr Herzschlag, ihre Wärme und ihre liebevollen Blicke. Sie dösten immer wieder, ignorierten, dass der Tag sich langsam verabschiedete.
Es gab nur sie Beide. Keine Pläne, nichts was zu tun war. Nur sie und ihre Gefühle waren wichtig. Er vertraute ihr an, dass er ein wenig Angst vor der anstehenden Zeit in München hatte. Er gab auch zu, dass er sich im Moment nicht in der Lage fühlte, sich auf die Probe einzulassen. Isabelle wiederum sprach ihm Mut zu. Obwohl sie auch noch nicht wusste, wie sie durch diese Zeit kommen würden, hatte sie nur positiven Zuspruch für ihn. Unter anderem war sie der Auffassung, dass er dringend wieder singen musste. Flüsternd erzählte er ihr schließlich von dem Brief, den er in Gedanken schon für seinen geliebten Großvater formuliert hatte. Sie trocknete seine Tränen danach mit Küssen und hielt ihn lange fest. Wieder nahm er sie danach zärtlich und liebte sie behutsamer als je zuvor. Er konnte sich kaum satt sehen an ihr, wenn sie sich aufgrund seiner Liebesbekundungen gehen ließ. Zitternd klammerte er sich an sie und verschmolz mit ihr. Erst spät in der Nacht zogen sie ins Bett um. Zum ersten Mal seit langem schlief er glücklich ein.
Am Morgen brachte er nach dem Frühstück den Brief zu Papier. Isabelle hatte sich in den Lesesessel zurückgezogen und kraulte beim Lesen Leo, während Mimi Jan auf dem Sofa Gesellschaft leistete. Jan wählte seine Worte mit Bedacht, ließ vieles Revue passieren. Es tat unendlich gut, die Gefühle in Worte zu packen und er wünschte sich so sehr, dass diese seinen Opa hätten erreichen können. Obwohl er das Verhalten seiner Eltern in jener Zeit nachvollziehen konnte, wer weiß, ob er nicht genauso handeln würde, war er zeitgleich erstmals wütend und enttäuscht. Oder anders formuliert, er ließ diese Gedankengänge erstmals aktiv zu. Er liebte seine Eltern sehr, war ihnen dankbar und fühlte sich ihnen eng verbunden. Umso schwerer fiel es ihm.
"Ihr werdet vielleicht darüber sprechen müssen.", hielt Isabelle später fest. Jan nickte mit geschlossenen Augen. Das würde er aber nur persönlich machen wollen. Dennoch hatte er im Moment große Sehnsucht nach Zuhause. Nachdem er über Jahre nur weggelaufen war, spürte er auf einmal, was ihm seine Heimat bedeutete. Dann beobachtete er eine Weile seine Freundin, die wieder in ihrem Buch versunken war. In diesem Moment erschien es ihm perfekt. Es war friedlich, gemütlich und stressfrei. Wieder schloss er die Augen und ließ seine Finger durch das Fell der Katze gleiten. Längst hatte Mimi zu schnurren begonnen und Jan merkte, wie sehr er sich daran gewöhnt hatte. Seufzend warf er dann einen Blick zur Uhr. Vor dem Mittagessen bei Isabelles Eltern wollte er noch David abholen. Er hatte Diana schon geschrieben, dass der Kleine bitte pünktlich fertig sein sollte. Kurz überlegte er, ob er Isabelle mitnehmen sollte, setzte sie aber dann doch erst bei ihren Eltern ab.
David kam ihm schon an der Haustür entgegengelaufen und begrüßte ihn überschwänglich. Diana, die die Tür geöffnet hatte, ließ Jan hinein. Ihre Eltern waren nicht zu sehen. In der Diele stand schon die Reisetasche, der kleine Rucksack lehnte noch offen daneben. Jan nickte Diana nur zu, ehe er vor dem Jungen in die Hocke ging. Er freute sich, den Kleinen zu sehen und herzte ihn ausgiebig. Davids aufgeregtes Plaudern war ein gutes Zeichen.
"Ist alles gepackt?", fragte er Diana kühl und musterte seinen Sohn.
"Teddy dabei? Alle Spielsachen?", fragte er den Jungen mit einem Lächeln.
"Alles in der Tasche. Nur die Autos, mit denen er noch gespielt hat, sind noch im Wohnzimmer.", meinte Diana.
"Dann bring sie bitte, wir müssen los." Jan erhob sich. Gerne hätte er sich David auf die Hüfte gesetzt, aber er traute sich noch nicht so recht. Morgen musste Hanno unbedingt nach der Narbe sehen, dachte er bei sich. Seit der Nacht zog sie wirklich wieder unangenehm.
"Ich dachte, du kommst kurz mit rein.", sagte Diana und deutete den Flur hinunter.
"Nein. Wozu?", gab Jan zurück. Zum ersten Mal sah er nun Diana genauer an. Er runzelte die Stirn, wagte einen zweiten Blick. Um beschäftigt zu sein, griff er nach Davids Jacke und half dem Kleinen hinein.
"Ich dachte, wir reden.", antwortete Diana. Jan verzog angewidert seinen Mund.
"Über was denn?", wollte er wissen, während er Davids Schuhe zu band. Diana hatte sich auf das Schuhbänkchen gesetzt und seufzte.
"Jan, ich liebe dich." Hektisch sah sich Jan nach David um und schickte ihn los, um die Autos einzusammeln.
"Hör zu. Lass es einfach. Wir wissen beide, dass das nicht stimmt. Du brauchst mich, und sonst nichts. Karsten hat dich sitzen lassen und du hast keinen Job mehr. Ich bin nicht völlig bescheuert." Beherzt griff er nach dem Kinderrucksack. "Oder wolltest du mir noch was anderes sagen?", fragte er dann. Nochmal glitt sein Blick über sie. Jetzt, im Sitzen, war es nicht mehr zu übersehen.
Diana sah betreten zur Seite.
"Und du? Hast du mir nichts zu sagen?", fragte sie im Gegenzug. "Was hat sie mit dir gemacht, dass du mir keine zweite Chance gibst? Das ist doch zum Scheitern verurteilt. Ihr kennt euch doch kaum und dann zieht sie bei dir ein? Und was tust du David damit an?"
Kämpferisch hob sie den Kopf. Trocken lachte Jan.
"Das lass mal schön unsere Sorge sein. Und glaub mir, Isabelle und ich kennen uns schon jetzt besser, als wir beide es jemals gekonnt hätten. Die Frage zu David gebe ich dir gerne zurück. Was hast du ihm denn angetan, als du einfach gegangen und zu Karsten gezogen bist? Und jetzt wieder hier her?" Er schüttelte ungeduldig den Kopf.
Wütend erhob sich Diana.
"Nun mach mir nicht zum Vorwurf, dass du mich nie an dich ran gelassen hast.", schleuderte sie ihm entgegen. Kurz brachte der Einwurf Jan aus dem Konzept. War das etwas Wahres dran?
"Darum geht es nicht. Du bist gegangen. Du hast gesagt, dass du mich nie geliebt hättest. Du warst diejenige, die mich betrogen hat. Mehrfach. Also mach jetzt mir nicht zum Vorwurf, dass ich dich nicht zurück möchte. Und sind wir mal ehrlich, seit wann bist du schwanger? Ist Karsten der Vater und hat dir gezeigt, was er von ungeplanten Kindern hält?"
Jan atmete tief ein und aus. Es war ihm schon im Kimono aufgefallen, aber jetzt war er sich sicher. Ihn stresste die Situation ungemein. Wenige Kilometer weiter warteten Isabelle und ihre Eltern auf ihn und jederzeit könnte David zurückkommen.
"Woher weißt du das?" Diana wirkte überrascht und etwas entsetzt. Jan spürte einen innerlichen Triumph.
"War das dein Plan? Mich rumkriegen, mir das Kind unterjubeln und hoffen, dass ich es schlucke?", zischte er. Ja, sie wirkte ertappt, lief rot an.
"Ist auch egal. Sei dir nur sicher, ich lass mich nicht verschaukeln."
Erleichtert, dass David endlich aus dem Wohnzimmer gelaufen kam, sah er sie an. Eifrig verstaute der Kurze alles im Rucksack und schob seine Hand vertrauensvoll in Jans.
"Ich mag mit den Katzen spielen.", verkündete er glücklich. Jan war ihm dankbar, denn er musste einfach lachen. Der Kleine schien die Spannung nicht wahrzunehmen.
"Die freuen sich auf dich, aber jetzt sag der Mama bitte noch auf Wiedersehen." David ließ seine Hand los und verabschiedete sich mit vielen Küsschen von seiner Mutter. Jan griff nach der Tasche und sah Diana nur kurz an.
"Lass uns doch einfach in Ruhe. Du hast doch eigene Baustellen." Dann verließ er mit David eilig das Haus.
Auf dem Weg zu Isabelles Eltern erzählte David von den letzten Tagen. Immerhin war er diesmal nicht durcheinander. Ihre Eltern waren wohl nicht da gewesen. Jan graute es davor, wenn Meisters wieder an dem Jungen herum erziehen würden.
"Papa?", fragte David mit einem Mal. Jan lächelte ihn über den Rückspiegel an.
"Was ist Schatz?"
David zog einen Schmollmund und er überlegte kurz. "Die Mama ist ganz traurig. Sie mag bei uns sein."
Das war klar gewesen. Jan trommelte unruhig auf dem Lenkrad und konzentrierte sich auf die Ampel. Was sollte er dem Kind denn nun nur sagen? Dass hatte Diana wieder prima hinbekommen.
"Das ist schade für die Mama.", antwortete er daher ausweichend. Er konnte regelrecht sehen, wie es in David arbeitete. Vorsichtig fuhr er an.
"Kann die Mama nicht bei mir schlafen?", fragte er Kleine dann. Seufzend parkte Jan das Auto in der Auffahrt. Dann drehte er sich zu seinem Sohn um.
"Nein, Schatz. Das geht nicht. Aber du wirst die Mama ganz oft sehen." Nachdenklich beobachtete er den Jungen.
"Hm.", murmelte dieser schließlich. Jan hoffte, dass das Thema nun zunächst vom Tisch war. Und er betete, dass Diana das Kind nicht instrumentalisieren würde.
Erst auf dem Heimweg erkundigte sich Isabelle, ob bei Diana alles in Ordnung gewesen sei.
"Im Großen und Ganzen.", meinte Jan und sah in den Rückspiegel. David war eingenickt und beachtete sie nicht. Er hatte mit Isabelles Bruder gespielt und der hatte mächtig mit ihm getobt.
"Sie findet deinen Einzug nicht gut und ich befürchte, sie hat David mit ihren Wahrheiten geimpft. Er hat schon gefragt, ob sie nicht wieder einziehen kann.", fuhr er dann mit bekümmerter Miene fort. Schwer seufzend ließ Isabelle ihre Hand über seinen Oberschenkel wandern.
"Das war zu erwarten. Aber wir beide gehören zusammen und das wird auch David spüren." Ergeben nickte Jan. "Sie hat aber nichts verwerfliches versucht?", fragte sie dann leiser. Jan schüttelte wild den Kopf.
"Das dürfte sie verstanden haben. Ich habe ihr gesagt, dass ich ihr Gehabe durchschaut habe." Er warf ihr einen Seitenblick zu, schluckte. "Sie ist schwanger. Was auch erklären dürfte warum Karsten sie hat sitzen lassen und sie mich unbedingt ins Bett bekommen möchte." Nochmal sah er nach hinten, David schlief. Isabelle atmete zischend aus.
"Nicht dein ernst?", fragte sie.
Jan nickte bedauernd und parkte den Wagen gegenüber der Wohnung.
"Was ein Biest.", entfuhr es Isabelle. Dann nahm sie Jans Hand. Es tat unglaublich gut, dass er sie hatte.
Jan behielt seinen Sohn am Nachmittag im Auge. Doch erst als er den Kleinen ins Bett brachte, kam das Thema nochmal auf den Tisch. Er war erledigt, als er zu Isabelle auf das Sofa kam.
"Er wollte wissen, warum ich die Mama nicht mehr lieb habe. Die hätte mich nämlich noch sehr lieb.", erzählte er seufzend und rollte sich auf den Rücken. Isabelle ließ ihren Kopf an seine Brust sinken.
"Was hast du geantwortet?", erkundigte sie sich.
"Dass ich dich lieber habe.", gab er ihr nach wenigen Sekunden zur Antwort. Er spürte ihre Hand, wie sie über seinen Oberkörper wanderte und ihn beruhigend streichelte. "In zwei Tagen hat David das Thema bestimmt wieder vergessen.", munterte sie ihn auf. Scharf zog er die Luft ein, als sie über die Narbe fuhr.
"Hab ich dir weh getan?", fragte sie erstaunt.
"Nein, die Narbe arbeitet schon den ganzen Tag." Dennoch griff er nach ihrer Hand und zog sie beiseite.
"Ich liebe dich.", murmelte sie.
David kränkelte am nächsten Tag. Isabelle hatte aus der Kita angerufen, dass der Kleine gespuckt hatte. Jan, der gerade auf dem Weg zu einer Therapiesitzung war, rief Jule an. Die wie immer gerne half und einsprang. Jetzt saß er bei seiner besten Freundin in der Küche und löffelte von der Suppe, die sie extra für den Jungen gekocht hatte. Noch immer sah man ihr die Schwangerschaft kaum an. Aber sie musste ungefähr so weit sein wie Diana, schätzte Jan. Er verscheuchte den Gedanken wieder. Jule war mit David bei Hanno gewesen, der einen leichten Magen-Darm-Infekt diagnostiziert hatte. Ruhe, viel trinken und Schonkost, hatte er empfohlen. Im Moment schlief der Kleine und auch Jan sehnte sich danach, noch etwas Schlaf nachzuholen. Er war müde von der Nacht und von der Sitzung. Er hatte den Brief an seinen Opa mit der Therapeutin besprochen und das ein oder andere beschäftigte ihn ungemein.
"Du kannst dich gerne hier hinlegen.", schlug Jule vor, als sie den Tisch abräumte. Jan schüttelte den Kopf.
"Danke, aber ich glaube, wir wollen beide nach Hause." Behutsam weckte er den Kleinen, der aber nicht richtig wach wurde. Schließlich warf er alle Bedenken über Bord und nahm den Jungen auf den Arm. David vergrub sein Gesicht direkt in seiner Schulter und murmelte leise.
"Alles gut mein Schatz. Wir fahren jetzt heim und dann schlafen wir beide uns aus.", flüsterte Jan.
"Geht das? Soll ich ihn runter tragen?" Kritisch beäugte Jule die Beiden, doch Jan schüttelte den Kopf. "Danke dir. Hast einen bei uns gut.", sagte Jan und gab ihr einen flüchtigen Wangenkuss.
Problemlos ließ sich David im Kindersitz anschnallen und Jan fuhr die wenigen Kilometer nach Hause. Er freute sich jetzt auf Ruhe und die Couch. Kurz telefonierte er mit Isabelle, die früher nach Hause kommen wollte. David wurde leider wach, als er ihn abschnallte.
"Na, kannst du alleine hoch gehen, Kumpel?", fragte Jan und half ihm aus dem Auto. Wenn es sich vermeiden ließ, wollte er ihn nicht nochmal tragen. Die Narbe hatte sich massiv beschwert. David nickte, griff nach seinem Teddy und schob dann seine Hand in Jans. Gemeinsam überquerten sie die Straße. Als Jan den Schlüssel ins Türschloss steckte, nahm er eine Bewegung links von sich war. Er drückte die Tür auf, ließ David voran gehen und sah dann zur Seite. Er traute seinen Augen kaum.
"Was willst du hier?" Er schob sich etwas vor die Haustür, damit David nichts mitbekam. Diana zuckte mit den Schultern.
"Ich dachte, wir könnten nochmal in Ruhe miteinander reden." Unwirsch schüttelte Jan den Kopf.
"Was gibt es denn noch zu reden, es ist doch alles gesagt." Er warf einen schnellen Blick ins Treppenhaus. David saß mit dem Teddy auf der untersten Treppenstufe und sah hundemüde aus. Diana stand noch immer neben ihm und sah ihn bittend an. Schweren Herzens gab Jan nach.
"Ich muss David hochbringen, er ist krank und gehört ins Bett." Dann drückte er die Tür auf uns ließ sie in den Hausflur.
"Mami!", rief der Kleine überrascht und drückte sich an Diana. Besorgt ging sie in die Knie.
"Mein armer, kleiner Schatz." Knapp schilderte Jan, was ihrem Sohn fehlte, während er den Briefkasten leerte. Diana strich dem Jungen die Haare aus dem Gesicht und wandte sich der Treppe zu.
"Könntest du ihn hochbringen?", bat Jan zögernd. Mit hochgezogenen Augenbrauen nahm Diana ihren Sohn auf den Arm und folgte Jan zur Wohnung.
"Ich mache ihm schnell Tee.", ließ Diana verlauten, als sie David im Kinderzimmer abgesetzt hatte. Der Kleine ließ sich auf den Boden gleiten und sah seinem Vater zu, wie er die Jacken in den Flur brachte. Dann zog Jan David fürs Bett um und studierte den Beipackzettel des Medikaments. Mit ein wenig Überredungskunst konnte er den Kleinen dann davon überzeugen, den Saft zu trinken. Fast gleichzeitig brachte Diana ihm eine von Davids Trinkflaschen. Der trank nur kurz davon und rollte sich dann im Bett zusammen. Jan blieb bei ihm sitzen, bis er eingeschlafen war. Von Herzen wünschte sich Jan, dass er dies nun auch tun könnte. Doch Diana wartete noch immer in der Küche auf ihn. Was hatte ihn nur geritten, sie herein zu lassen?