Er war am nächsten Morgen vor ihr wach und betrachtete Isabelle, wie sie neben ihm lag. Friedlich, mit einem Lächeln im Gesicht, schlief sie noch. Mit einem warmen Gefühl in der Brust dachte Jan an den Abend. Der Schritt war ihm nicht leicht gefallen, aber es hatte sich in diesem Moment einfach nur richtig angefühlt. Zu gerne hätte er dieses zufriedene und pure Glücksgefühl einfach in sich eingeschlossen. Er war auf dem besten Weg sich nicht nur einfach kopfüber zu verlieben. Jan spürte, dass dies mehr sein könnte.
Sanft hauchte er Isabelle einen Kuss auf die Wange. Ihm war jetzt nach einer Dusche und danach brauchte er Kaffee. Nur im Slip stand er in der Küche und füllte die Kaffeemaschine. Ein ganzer freier Sonntag lag vor ihm und er fühlte sich erstmals seit Langem ausgeruht und entspannt. Während der Kaffee durchlief sah er zum Küchenfenster hinaus. Draußen war es grau und vermutlich kalt. Der November hatte einen kalten Wind mitgebracht. Nur wenige Fußgänger waren zu sehen, die meisten Leute genossen vermutlich die Wärme ihrer Wohnungen. Mit einer Tasse dampfenden Kaffee ging er zurück ins Schlafzimmer und setzte sich auf die Bettkante. Isabelle rekelte sich und öffnete langsam die Augen.
"Guten Morgen schöne Frau", begrüßte er sie und streichelte ihr Gesicht. Freudig strahlte sie ihn an und schnupperte dann.
"Kaffee?", fragte sie. Er nickte und reichte ihr die Tasse. "Oh, daran könnte ich mich gewöhnen", schmunzelte sie, setze sich auf und nahm einen großen Schluck. Dann sah sie ihn an.
"Und, was hast du heute für Pläne?", fragte sie ihn. Er zuckte mit den Schultern und kam zu ihr ins Bett. Sie lehnte ihren Kopf an seine Schulter.
"Draußen ist es grau, kalt und düster", meinte er. "Am besten bleiben wir einfach hier im Bett." Sie lachte und schüttelte dabei den Kopf.
"Klingt nach einer guten Idee, aber ich muss um 12:30 Uhr bei meinen Eltern zum Mittagessen sein", sagte sie.
"Oh", meinte er nur.
"Und vorher sollte ich kurz nach Hause, mich umziehen. Und die Katzen füttern." Dabei warf sie einen Blick auf den Wecker. Er schlang beide Arme um sie und gab ihr einen Kuss.
"Bleib` doch einfach....", murmelte er. Seufzend erwiderte sie seinen Kuss. Dann sah sie ihn an und schüttelte den Kopf.
"Wenn Du magst, dann komm mit zu mir, bis ich los muss. Und ich kann ja gegen Nachmittag wieder zu dir kommen. Dann können wir einen Spaziergang machen oder einen Film sehen? Was meinst du?" Sie lächelte und schlug die Bettdecke zur Seite. Mit einem leichten Schmollmund nickte er. Lachend stieg sie aus dem Bett und ging ins Bad. Jan ließ sich zurück ins Kissen sinken.
Neugierig sah er sich später in Isabelles kleiner Wohnung um. Auf dem Kratzbaum im Wohnzimmer saßen zwei Katzen, die ihn misstrauisch beobachteten. Die Getigerte, so hatte Isabelle kurz erklärt, hieß Leo und die Rote Mimi. Danach war sie direkt ins Schlafzimmer geeilt und suchte sich Klamotten zusammen.
"Ich bin fix im Bad, in der Küche ist Wasser, falls du Durst hast", rief sie ihm zu und er hörte, wie sie die Badezimmertür hinter sich zu zog. An der Wand hinter dem Sofa hingen verschiedene Fotos, die Jan interessiert studierte. Sie zeigten Isabelle, vermutlich mit ihren Eltern beim Wandern, mit Freundinnen auf einer Feier und diversen anderen Ereignissen. Eine der Katzen, Mimi, hatte mittlerweile den Beobachtungsposten verlassen und sprang vor Jan auf das Sofa.
"Na", sprach er sie an und prüfte, ob sie sich anfassen ließ. Mimi ließ sich anstandslos streicheln und schmiegte sich in seine Hand. Von der Tür hörte er ein leises Lachen. Umgezogen kam Isabelle herein.
"Na Mimi, eroberst du wieder alle Herzen?", fragte sich die Katze und berührte Jan kurz am Arm. Er deutete auf ein Bild an der Wand, das sie mit einem jungen Mann vor dem Londoner Tower zeigte.
"Ist das dein Ex?", wollte er wissen.
"Ja, das ist Mike. Das Bild dürfte schon sechs Jahre alt sein; da habe ich ihn öfter in London besucht", antwortete sie. Sie ging in die Küche.
"Ich muss schnell den Katzen noch frisches Futter geben, die haben ja seit gestern nur Trockenfutter gehabt." Er folgte ihr und sah ihr zu, wie sie die Schüsseln füllte.
"Und, gefällt dir mein Reich?", fragte sie ihn. Er nickte.
"Sehr gemütlich." Eilig wechselte sie noch das Wasser für die Tiere und sah dann zur Uhr.
"Sei mir nicht böse, aber ich muss los. Mein Vater ist ein Pünktlichkeitsfanatiker und gerade beim Essen bekommt er gerne schlechte Laune, wenn man es nicht schafft." Zusammen verließen sie die Wohnung und Jan brachte sie bis zu ihrem Auto. Unsicher blieb er dann davor stehen. "Nun schau nicht so." Sie nahm ihn in den Arm. "Ich bin in ein paar Stunden wieder bei dir. Bestimmt kann ich noch Kuchen von meiner Mum mitbringen." Zärtlich küsste sie ihn und öffnete dann die Fahrertür.
"Fahr vorsichtig. Und Grüße unbekannterweise" , antwortete er. Und sah dem Auto nach, wie es kurz darauf aus der Straße fuhr.
Jan fuhr wieder nach Hause, als er Ausschau nach einem Parkplatz an der Straße hielt, erblickte zu seinem Erstaunen Diana, die mit David vor dem Haus stand. Überrascht parkte er ein und blieb im Wagen sitzen.
Was wollte sie denn hier?
Es kribbelte in seinem Magen.
Über die Anwälte war vereinbart worden, dass er morgen den Kleinen von der Kita holen sollte und erst Mittwoch sollte ihn Diana wieder übernehmen. Er sah, dass sie ziemlich gestresst wirkte und David offenbar bockte.
Tief atmete er durch.
Glücklich saß David eine Viertelstunde später im Kinderzimmer und spielte mit seinen Spielzeugautos. Jan lehnt am Türrahmen und sah seinem Sohn dabei zu. Ab und an sah der Kleine zu ihm hoch, so als wollte er kontrollieren, ob sein Vater noch immer da war. Mit dem Vorwand, dass sie noch einige Sachen von sich abholen wollte, hatte Diana ihn gebeten, sie in die Wohnung zu lassen. Offenbar hatte sie nicht mit den ausgetauschten Schlössern gerechnet. Innerlich hatte er Alex für diesen Vorschlag gedankt. Hätte Jan nicht mit Cornelius und Josh die Vereinbarung mit den spielfreien Tagen geschlossen, wäre er ja auch nicht zu Hause gewesen. Ihr war dies sichtlich unangenehm. Keinesfalls hatte sie mit seiner Anwesenheit gerechnet. Wortkarg hatte er sie herein gebeten und nun war sie an ihrem Kleiderschrank beschäftigt. David war seither wie ausgewechselt. Auf der Straße hatte er noch getrotzt und geweint.
Schließlich stand Diana mit ihrem Trolley im Flur.
"Erstmal habe ich alles", meinte sie. Er nickte und sah wieder zu seinem Sohn. Sie räusperte sich.
"Würde es dir was ausmachen, wenn ich ihn schon heute bei dir lasse?", fragte sie dann. Er schloss kurz die Augen.
"Woher der Sinneswandel?", fragte er zurück. Schulterzuckend stand Diana vor ihm.
"Er hatte keine leichte Woche", antwortete sie leise. "Und ehrlich gesagt weiß ich einfach nicht, was ich machen soll. Kein Abend bekomme ich ihn hingelegt, ohne dass es in einem Drama endet und meine Eltern sind ja auch nicht mehr die jüngsten", gab sie dann zu. Mit hochgezogenen Brauen sah er sie an.
"Und dein Lover, ich dachte du wohnst bei ihm?" Diana schüttelte den Kopf. "Karsten hat ja nur das Loft, da ist es mit David etwas unpraktisch." Innerlich spürte er fast einen Triumph. Er ahnte, wohin das führte.
"Lass mich raten, Diana. Du hättest gerne mal einen ruhigen Tag oder Abend mit deinem Typen, aber deine Eltern kommen mit einem unausgeglichenen Kind nicht zurecht. Und nun passe ich wieder ins Konzept."
Diana sah zur Seite. Ungeduldig schob sie den Trolley zur Tür.
"Also, kann er hier bleiben?" Verärgert sah Jan sie an. Er hasste es, dass er hier benutzt wurde, weil sie genau wusste, dass er dies nicht ablehnen würde.
"Natürlich, und das weißt du. Aber sei dir bitte darüber im Klaren, dass es mir dabei ausschließlich um David geht." Sie schlüpfte schon in ihre Jacke. "Also, dann hole ich ihn am Mittwoch von der Kita, wie besprochen", sagte sie. Ohne ein weiteres Wort an ihn oder David verließ sie die Wohnung. "Bitte, gern geschehen", flüsterte Jan resignierend.
Wie sehr sich David dann auch freute, Isabelle zu sehen. Und über den Kuchen freute er sich ganz besonders. Lachend erklärte Jan, dass man mit Schokolade bei ihm nie etwas verkehrt machte. Den Nachmittag verbrachten sie warm eingepackt im Freien. Sie spazierten durch den Park, zum Weiher und weiter zum Spielplatz. David freute sich über die Enten und das Herbstlaub. Fröhlich tobte er durch die Blätter und Isabelle konnte kaum glauben, dass Diana und ihre Eltern solche Probleme mit ihm hatten. Dann dachte sie aber an die Vorkommnisse in der Kita und behutsam erzählte sie auch Jan davon.
"Das sind ganz normale Verhaltensauffälligkeiten von Kindern, die mit Veränderungen in ihrer Umgebung, also auch einer Trennung der Eltern oder einem Umzug, nicht zurecht kommen", erklärte sie ihm. Sie saßen auf einer Parkbank am Spielplatz. David spielte mit einem anderen Kind, dessen Eltern zwei Bänke weiter saßen.
"Ich glaube, dass sich das meiste davon automatisch legen wird, wenn sich David in seinem Leben wieder zurecht findet. Daher wäre natürlich eine Balance zwischen Euch ganz gut", ergänzte sie. Doch Jan war über Dianas Verhalten immer noch sehr verärgert. In seinen Augen behandelte sie den Jungen wir ein Spielzeug, eine Puppe.
"Wann bekommst du denn das Testergebnis?", fragte Isabelle, während sie etwas näher an ihn rückte. Er legte seinen Arm um ihre Schultern und sah zu David.
"Dr. Frey meint, dass wir gegebenenfalls Mittwoch was haben. Das Labor wollte sich beeilen."
Das Paar neben ihnen stand auf und rief ihr Söhnchen zu sich, dann spazierten sie langsam davon. David kam daher zu ihnen und sah seinen Vater fragend an. Der hob ihn auf seinen Schoß und rieb dessen Hände sauber. Der Kleine quengelte etwas und Jan drückte ihn an sich. "Wollen wir heim?", fragte er dann beide. Sowohl David als auch Isabelle nickten.
Ohne besondere Vorkommnisse verbrachten sie den restlichen Tag. Nach dem gemeinsamen Abendessen bot Isabelle an, die Küche aufzuräumen, damit Jan in Ruhe den Kleinen baden und fürs Bett fertig machen konnte.
Noch während Jan im Badezimmer zugange war, machte sie es sich im Wohnzimmer bequem und zappte ein wenig durch das Sonntagabendprogramm. Sie blieb bei einer Doku hängen und musste immer wieder lächeln, wenn sie Jan oder David aus dem Bad hörte. Irgendwann kam David im Schlafanzug herein und sah sie mit großen Augen an. Dahinter tauchte Jan auf, dessen nasses T-Shirt auf eine anstrengende Badeeinheit hinwies.
"Ne, ne, mein Schatz. Falsches Zimmer, für dich ist Zeit fürs Bett." Doch David sah schon fasziniert zum Fernseher, in welchem die Tierdoku gerade von Affen erzählte. Isabelle grinste.
"Soll ich ausmachen?", fragte sie dann.
"Ach, woher", antwortete Jan und nahm seinen Sohn auf den Arm. "Der junge Mann hier sagt jetzt gute Nacht und bekommt noch eine Geschichte." Sie winkte David zu und wünschte ihm eine gute Nacht. Jan verschwand im Kinderzimmer und offenbar diskutiere David noch eine ganze Weile. Sie hatte gerade erst auf die Nachrichten umgeschaltet, als sich Jan endlich mit dem Babyphone neben sie setzte.
"Sorry, ich war schon fast dreimal draußen, aber er hat jedes Mal im letzten Moment doch wieder gerufen." Erschöpft legte er seine Füße auf den Tisch vor ihm und lehnte seinen Kopf an ihre Schulter. "Magst du bleiben?", fragte er. Sie strich ihm die Haare von der Stirn und küsste ihn sanft auf dieselbe. "Meinst du, das ist gut für David?", fragte sie dann. Er seufzte.
"Ehrlich? Keine Ahnung. Aber er mag dich und kennt dich ja schon lange."
Da sie weiterhin zögerte, setzte er sich auf. "Oder ist dir das zu viel?", besorgt sah er sie an und sie sah, wie sich sein Blick veränderte. Beruhigend griff sie nach seiner Hand.
"Nein, Quatsch. Dass du Vater bist, das wusste ich ja vorher." Sie streichelte seinen Handrücken und suchte seine Augen. "Hey, Jan, schau mich an. Alles ist okay. Ich verschwinde nicht einfach wieder. Vielleicht ist es nur nicht so gut für den Kleinen, wenn er mich morgen früh hier sieht. Er ist ja schon ziemlich durcheinander gewesen diese Woche." Zögernd nickte er. Sie küsste ihn liebevoll auf die Nasenspitze. "Aber ich muss ja morgen sehr früh raus, dann sieht er mich ja vielleicht gar nicht", überlegte sie. Jan umarmte sie und hielt sie wortlos fest.
Die Nacht verlief allerdings sehr unruhig. David meldete sich ab Mitternacht beinahe regelmäßig. Beim ersten Mal konnte Jan ihn schnell beruhigen und kam direkt wieder ins Bett. Zwei Stunden später musste er David allerdings waschen und umziehen, da er sich eingenässt hatte. Das hatte es sehr lange nicht gegeben, wenn man von dem Vorfall in der Kita absah. Danach lief er eine Weile mit ihm durch die Wohnung. Kurz vor Fünf fiel ihm nichts anderes mehr ein, als den Jungen mit zu sich ins Bett zu nehmen. Dort schlief David irgendwann erschöpft ein. Als Isabelle sich fertig machen musste, lag Jan wach. Sie kam zum Verabschieden herein und setzte sich kurz zu den beiden.
"Siehst du, der Kleine muss ganz schön viel verarbeiten", flüsterte sie und blickte auf das schlafende Kind in Jans Armen. "Bring ihn ruhig etwas später", schlug sie vor. Besorgt musterte sie auch Jan. "Lass ihn schlafen und du solltest das auch noch wenig." Sie küsste ihn sanft und ließ die beiden dann alleine. Jan schloss seine Augen und lauschte auf die jetzt ruhigen Atemzüge seines Sohnes. Der Kummer des Kleinen setzt ihm zu. Wie gerne er ihn einfach nur beschützen wollte.
Gegen Neun stand Jan dann in der Kita. David wirkte ausgeschlafen und winkte fröhlich. Jan dagegen sah erledigt aus. Isabelle fing ihn an der Tür ab, als er gehen wollte.
"Bist du in Ordnung?" Sie strich ihm über den Arm. Er nickte und sah sich um. Als er sich sicher war, dass niemand auf sie achtete gab er ihr einen schnellen Kuss.
"Müde. Aber das ist nicht schlimm. Werde mich beim Sport gleich ein bisschen pushen. Danach muss ich zu Alex. Er sagt, das könnte länger gehen." Zerknirscht sah er sie an. "Jule wollte David holen, aber sie hat einen eigenen Arzttermin. Notfalls muss ich das bei Alex abkürzen." Er zuckte die Achseln. Alex hatte angedeutet, dass Entscheidungen bei den offenen Positionen gefallen waren, für die Jan vorgesungen hatte. Zudem gab es nach wie vor viel Gesprächsbedarf zur aktuellen Situation.
"Hey, langsam. Wenn es dir hilft, dann lass ihn bis zum Nachmittag hier. Wir haben Krankheitsausfälle", schlug Isabelle vor. Dankbar lächelte er sie an. "Das hilft", flüsterte er. Sie erwiderte sein Lächeln und nahm seine Hand.
"Schau mich an, Jan", bat sie ihn leise. "Da wo ich helfen kann, mache ich es gerne. Du musst nur den Mund aufmachen."
Jan nickte und zog sie schnell in seine Arme. Er war so müde. Ihre Hände strichen über seinen Rücken, dann löste sie sich von ihm. Sie sah ihm in die Augen, strich ihm eine Haarsträhne aus der Stirn und gab ihm einen sanften Kuss auf die Lippen.
Jan lief anschließend durch den Park, hatte die Hände tief vergraben und steuerte den Ausgang an. Ihm war kalt und am Liebsten hätte er sich einfach nur ins Bett gelegt. Aber er hatte keine Wahl. Er musste seine Kraft bündeln. Für den Kleinen, für die nächsten Tage. Er dachte an die letzten Worte von Isabelle. Mach den Mund auf. Wie oft hatte Jule das gesagt? Die Beziehung zu ihr hatte Jan viel bedeutet und dennoch hatte er es damals nicht geschafft. Vielleicht gelang es ihm ja bei Isabelle? Irgendwann. Wenn das alles hier erstmal vorüber war.