Viel zu schnell verging die Tage. Jan hatte sich ausgiebig Gedanken gemacht und mit Alex telefoniert, ehe sie losgefahren waren. Er brachte zuerst Isabelle nach Hause. Erst am Sonntag würden sie sich wiedersehen, dann fuhr er mit David in die Innenstadt weiter.
Mit seinem Sohn betrat er dann die Agentur. Alex stand gerade an der Anmeldung und begrüßte die beiden.
"Geht`s dir besser?", fragte Alex, als sie in sein Büro gingen. Jan nickte und drückte David ein Spielzeug in die Hand.
Alex schob Papier zurecht und schob dann den kurzen, vorbereiteten Vertrag über den Tisch.
"Also, ich habe dem Theater und Cornelius deine Entscheidung heute morgen mitgeteilt. Es gab keinerlei Probleme. Wir werden dann am Montagnachmittag eine Pressemitteilung veröffentlichen, in welcher wir deinen vorzeitigen Abschied aus persönlichen Gründen mitteilen. Das Theater und der gute Cornelius werden dies bedauern. In einem Anhang, siehst du auf Seite 4, verpflichten wir Cornelius, dass er kein anderes Statement als dieses dazu abgeben darf." Jan überflog die Zeilen.
"Du weißt, dass es so oder so zu Rückfragen, Spekulationen und so weiter kommen wird. Hast du einen Plan, wie du damit umgehen willst?", fragte Alex und reichte Jan einen Kugelschreiber. Ohne zu zögern unterschrieb Jan den Aufhebungsvertrag.
"Noch nicht konkret. Ich habe aber eine andere Bitte an dich, Alex." Überrascht sah dieser ihn nun an.
"Na dann, schieß` mal los." Jan reichte ihm den Vertrag.
"Kannst du für die Konzerttour klären, wie ich David dabei unterbringen kann?" Der Manager sah ihn intensiv an und begann dann zu nicken.
"Das wird kein Spaß mit einem Kleinkind", brummte er dann. "Aber ich kann mal sehen, was sich machen lässt", versprach er dann. "Wann ist denn der Gerichtstermin?", wollte er noch wissen.
"In einer Woche.", antwortete Jan ihm. "Dr. Frey sieht nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir teilen uns weiterhin das Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht oder das Gericht wird eine Entscheidung treffen. Diana jedenfalls hat keinen Antrag auf das alleinige Sorgerecht gestellt", ergänzte er. Alex lachte trocken.
"Sei mir nicht böse, aber das passt."
Jan hatte sich zwischenzeitlich seinen Sohn geschnappt und zog diesem wieder die Jacke an.
"Am Montag will sich das Jugendamt mit mir unterhalten. Drück` mir die Daumen." Alex brachte sie zur Tür und sah Jan kurz an. Dann klopfte er ihm freundschaftlich auf die Schulter.
"Gut, dich wieder so zu sehen. Schönes Wochenende."
Jule saß ihm am nächsten Vormittag in der Küche gegenüber und sah ihn traurig an. Sie traf es, dass Jan vorzeitig das Theater verließ. Jan hatte zwar betont, dass es für ihn in Ordnung ging, aber Jule wurde das Gefühl nicht los, dass irgendwas nicht stimmte. Greifen konnte sie es aber nicht. Aber er konnte ihr nicht in die Augen sehen und wirkte nervös.
"Es war alles ein bisschen viel. Aber die paar Tage Erholung taten gut und die 14 Tage ohne Vorstellung werden ebenfalls hilfreich sein", argumentierte er. Jule nippte an ihrem Tee. Vielleicht machte sie sich tatsächlich zu viele Gedanken. Jans Leben war auf den Kopf gestellt worden. Das brauchte Zeit.
"Du weißt, dass Tom und ich immer ein offenes Ohr haben. David ist jederzeit Willkommen", erinnerte sie ihn. "Wie läuft es mit Isabelle?", fragte sie dann. Endlich huschte der Ansatz eines Lächelns über Jans Gesicht.
"Ich habe sie sehr gern, Jule", meinte er leise. "Ihre Nähe tut gut, ihre Wärme und Ruhe." Wissend nickte Jule. Wie oft hatte sie mit Jan in den letzten Jahren über Diana und ihre vermeintliche Kälte gesprochen? Sie wünschte ihm vom Herzen, dass er bei Isabelle nun endlich das fand, was er immer vermisst hatte. Was auch sie selbst ihm damals nicht hatte geben können.
"Im Moment habe ich aber auch Angst, dass ich schon mehr kaputt gemacht habe als gut für uns ist. Es fällt mir schwer, so schwer."
Er spielte mit seinen Fingern und sah Jule nicht an.
"Sie ist ein lieber Mensch, vielleicht zu gut für mich. Obwohl ich sie immer wieder zurückgewiesen habe, kommt sie immer wieder und baut Brücken.", fuhr er fort. "Sie tut mir gut, aber ich weiß nicht, ob ich gut für sie bin." Jan seufzte und richtete sich auf.
"Wenn du sie magst Jan, dann sei ehrlich zu ihr. Nur, weil du Diana jetzt hasst, heißt das nicht, dass du über das, was sie dir angetan hat, hinweg bist. Und im Moment, sei mir nicht böse, kommst du ja auch gar nicht dazu, dich damit auseinander zu setzen."
Jan kaute auf seiner Unterlippe und gab ihr leise Recht.
Irgendwas lag in der Luft, davon war Jule überzeugt, als Jan kurz darauf ihre Wohnung verließ.
Als Jan an diesem Abend David ins Bett brachte, fragte er den Kleinen, ob er sich denn auf seine Mama freue. Der Kleine hatte am Nachmittag erstmals seit Tagen nach Diana gefragt und Jan hatte ihm erklärt, dass sie ihn am Folgetag abholen würde. David saß mit großen Augen in seinem Bett und schüttelte den Kopf. Dann verzog er seinen Mund weinerlich. Jan zerriss es fast das Herz. Er kuschelte sich an seinen Kleinen und erzählte ihm zur Ablenkung eine lange, lustige Geschichte. Der Junge schlief dabei zwar gut ein, doch nachts holte ihn Jan dann doch in sein Bett. David träumte schlecht und klammerte sich an ihn. Schon am Bodensee hatte er herausgehört, dass David bei seinen Großeltern nicht glücklich war. Diana war offenbar kaum da und die älteren Herrschaften hatten wenig Geduld für Aktivitäten im Freien und besonders Dianas Vater war zudem auch noch sehr streng.
Zu allem Übel musste Jan dann den Jungen auch noch wecken, da Diana ihn pünktlich um 10 abholen wollte. Sie waren beide erst am frühen morgen wieder eingeschlafen. Entsprechend undankbar reagierte der Kleine. Was Jan auch verstehen konnte. Geduldig frühstückte er mit seinem Sohn und half ihm dann auszusuchen, was er an Spielsachen für die Woche mitnehmen wollte. Warme Kleidung hatte Jan schon zusammen gepackt, aber nun machte ihm David bockig deutlich, dass er grundsätzlich lieber hier bleiben würde. Als Diana kurz vor 10 klingelte, waren Jans Nerven schon sehr strapaziert. David saß bitterlich weinend am Boden und warf mit Legosteinen. Frustriert sah Diana Jan an.
"Was ist denn hier los?", fragte sie. David weinte nun lauter und zwischen zwei Schluchzern bekräftigte er, dass er hier bleiben wollte. Entsetzt sah Diana ihn an.
"Hetzt du ihn gegen mich auf?", fauchte sie Jan an.
"Langsam. Niemand hetzt hier. Ich habe ihm nur erklärt, dass er diese Woche bei dir wohnt und sonst gar nichts", antwortete er ruhig. Dann ging er vor David in die Knie und nahm den Kleinen hoch.
"Nein, nein", kreischte der und strampelte wild mit den Beinen, so dass Jan ihn wieder absetzen musste. Er deutete auf die Tasche im Flur.
"Da habe ich frische Wintersachen eingepackt", meinte er. Diana nickte und griff nach der Hand des Kleinen.
"So, jetzt ist Schluss mit dem Theater." Doch der schrie nun wie am Spieß, riss sich los und rannte in sein Kinderzimmer zurück. Jan folgte ihm. David saß vor der Schlafcouch und hatte wieder Legosteine in der Hand.
"Na, geworfen wird damit nicht mein Freund." Jan kam zu ihm herunter und nahm ihm das Lego aus den Händen. David warf sich in seinen Arm und Jan versuchte, ihn zu beruhigen. Diana beobachtete die beiden von der Tür aus.
"Soll das jetzt immer so gehen?", fragte sie genervt und sah auf ihre Uhr. "Das ist dein Kind, Diana. Das betonst du doch so. Das funktioniert nicht wie eine Maschine", sagte er leise, während er David weiter im Arm hielt.
Langsam wurde der Kleine ruhiger. Jan wischte ihm die Tränen aus dem Gesicht und putzte ihm die Nase. Leise schluchzte David nochmal.
"Komm mein Schatz, die Mama nimmt dich jetzt mit und wir sehen uns doch schon ganz bald wieder", versuchte es Jan versöhnlich.
"Nicht zu Opa!", rief David und wieder kullerten Tränen. Jan nahm ihn auf den Arm und griff nach dem Rucksack mit den Spielsachen.
"Vielleicht solltest du mehr Zeit mit ihm verbringen als deine Eltern. Vielleicht würde er sich dann auf dich freuen", raunte Jan ihr im Vorbeigehen zu.
"Ich bring ihn runter, ich nehme an Karsten wartet mit dem Auto?", sagte er dann was lauter. Sie nickte nur, nahm die Tasche mit der Kleidung und folgte ihm dann entnervt.
Kaum, dass Jan die Wohnung verließ, begann David erneut zu weinen und mit jeder Stufe wurde er hektischer dabei. Als sie unten ankamen, stellte Jan ihn auf die Füße und sah ihn bittend an.
"Komm schon Kumpel, mach` es uns doch nicht so schwer." Am liebsten hätte er den Kleinen einfach dabehalten. Ihm tat es in der Seele weh. Er wollte sich gerade zu Diana umdrehen und ihr diesen Vorschlag machen, als er aus den Augenwinkeln Karsten aus dem Auto steigen sah. David griff sofort nach seiner Hand und schluchzte laut auf. Diana kam nun auch aus dem Haus und lächelte ihren Liebhaber an.
"Er ist gerade ein bisschen anstrengend, das legt sich bestimmt gleich", erklärte sie. Karsten nickte Jan zu und sprach dann David an.
"Hey, Großer, nun stell` dich mal nicht so an." Auffordernd hielt er dem Kind seine Hand hin, doch das dachte gar nicht daran, diese zu ergreifen. Stattdessen versuchte David, sich hinter seinem Vater zu verstecken. Diana reichte Karsten die Tasche und griff dann energisch nach David, zog ihm mit einem Ruck hinter Jan hervor.
"Sag` mal", beschwerte sich Jan. Gleichzeitig schrie David auf und sah seinen Vater hilflos an.
"Diana, wenn er so gar nicht will, dann lass` ihn doch einfach hier." Er sah sie bittend an. Merkte sie denn gar nicht, wie der Kleine litt?
Doch sie schnaube nur.
"Das hättest du wohl gerne. Das Theater haben wir doch nur, weil du ihm alles durchgehen lässt." Sie zog David hinter sich her und ging zu Karstens Auto.
"Schau mal David, ich hab sogar einen ganz neuen Kindersitz für dich gekauft", prahlte Karsten. Mit einem beklemmenden Gefühl sah Jan zu, wie Diana versuchte den bockenden David ins Auto zu setzen. Und dann geschah das, womit Jan niemals gerechnet hatte. Diana holte aus und verpasste dem Jungen eine Ohrfeige. Starr vor Schreck stand David da und ließ sich dann ins Auto verfrachten. Jan überquerte die Straßenseite und hielt Diana am Arm fest, ehe sie einsteigen konnte.
"Hast du sie noch alle?", fragte er wütend. Sie schüttelte ihn ab.
"Wie mein Vater schon sagte, eine Ohrfeige hier und da schadet nicht." Mit offenem Mund sah er sie an.
"Er ist völlig durcheinander, verängstigt und weint. Geht es noch?", schrie er sie nun an.
"Halt dich da raus. Wenn er bei dir machen kann was er will, bitte. Bei mir nicht. Und jetzt entschuldige uns, wir müssen." Wütend stieg sie ins Auto und Karsten gab Gas. Jan sah nur Davids erschrockene Kinderaugen, als der Wagen an ihm vorbeifuhr. Fassungslos sah er hinterher.
Rasend vor Wut hatte er versucht Diana auf dem Handy zu erreichen. Doch mittlerweile hatte sie es ausgeschalten. Nun ging er in der Wohnung auf und ab. Vor seinem inneren Auge sah er immer wieder die Wiederholung der Ohrfeige. Dazu David, wie er zusammenzuckte und ihn ängstlich ansah. Dianas bitteren Gesichtsausdruck. Das durfte doch alles nicht wahr sein. Er blieb am Küchenfenster stehen. Sie hatten den Kleinen mit Geborgenheit und Vertrauen aufziehen wollen. Mit Regeln und Konsequenzen, ja, aber keinesfalls mit Ohrfeigen oder dem berühmten Klaps auf den Hintern. Jan selbst war so aufgewachsen. Klar, es hatte auch Stress gegeben und auch sein Vater konnte streng sein. Aber er war ihnen immer dankbar gewesen, dass er und sein Bruder niemals hatten Angst haben müssen. Und genauso wollte es Jan für seinen Sohn. Und Diana doch auch. Gerade, weil bei ihr zu Hause der Klaps auf den Hintern zum guten Ton gehört hatte. Und nun hatte sie diese Grenze überschritten und David verstand mit Sicherheit die Welt nicht mehr. Und jetzt konnte er dem Zwerg nicht mal helfen oder ihn trösten. Hoffentlich sah Diana ihren Fehler ein und entschuldigte sich. Er hatte einfach kein gutes Gefühl bei der Sache. Mit Händen und Füßen hatte sich David gewehrt. Warum hatte er das nicht verhindert? Warum hatte er den Kleinen nicht einfach hier behalten?
Schließlich wählte er die Nummer von Dianas Eltern, doch dort war niemand zu Hause. Wieso hatte er denn immer noch nicht die Adresse von Karsten oder dem Büro? Letzteres fand er zwar online, doch auf das Loft fand er keine Hinweise. Schließlich bat er Diana erneut um Rückruf.
Ihm war klar, dass er irgendetwas tun musste, ehe er durchdrehte. Letztendlich ging er Laufen. Und es tat gut, die negative Energie in etwas sinnvolles umzuwandeln.
Am Nachmittag kam wie verabredet Isabelle vorbei, doch sie blieb nicht über Nacht, da sie am nächsten Morgen früh zur Arbeit musste. Sprachlos hatte sie Jans Erzählung gelauscht und versprochen am nächsten Tag auf David zu achten. Sie riet Jan, den Vorfall beim Jugendamt zu erwähnen.
"Er wird in ein paar Wochen Vier. Ich könnte mir vorstellen, dass das Jugendamt oder das Gericht ihn befragen werden um eure Situation einzuschätzen. Und wie du heute erlebt hast, kann er deutlich machen, was er möchte oder nicht", meinte sie beim Abschied. "Grüble nicht zu viel", bat sie ihn und gab ihm einen Kuss. "Schau, dass du Schlaf bekommst, du hast einen langen Tag vor Dir." Sie sah ihm in die Augen. Er zog sie an sich und versprach es ihr.
Mit dunklen Schatten unter den Augen saß Jan vor Alex. Der Vormittag war anstrengend gewesen. Die beiden Arzttermine und das Gespräch im Jugendamt hatten seine volle Energie gekostet. Nun stütze er den Kopf in seine Hände und rieb sich dann die Augen. Der Tag hatte gut angefangen, berichtete er Alex. Nächste Woche würde Hanno das Attest für München fertig machen. Er wollte dazu nur einen Bericht der Psychotherapeutin abwarten, bei welcher Jan anschließend gewesen war. Das Gespräch dort war intensiv gewesen. Doch Jan fühlte sich deutlich besser, als in der Woche zuvor. Nur die Sorge um seinen Sohn, die hatte zugenommen. Mit allem anderen, davon war er überzeugt, würde er fertig werden.
Irgendwie.
Die Aussicht bald auf der Bühne stehen zu können, gab ihm Auftrieb. Beide Ärzte hatten ihm geraten, die 14 Tage ohne berufliche Verpflichtungen zur Erholung zu nutzen. Frau Dr. Jäger hatte mit einigen Sorgenfalten seinem Bericht über David gelauscht und ihm geraten, die Aussprache mit Diana zu suchen. Ähnliches hatte später die Sachbearbeiterin im Jugendamt vorgeschlagen und einen gemeinsamen Termin angesetzt. Sie hatte ihm klar zu verstehen gegeben, dass ihr Gespräch mit Diana sehr positiv verlaufen sei und sie keinen Anlass zur Sorge sehe. Jans Schilderungen schienen sie zu überraschen.
"Uns geht es immer um das Wohl des Kindes. Nicht darum, wie sie und Frau Meister das sehen. Und kleine Kinder brauchen feste Bezugspersonen, einen Alltag und nach Möglichkeit beide Elternteile", fasste sie kurz und knapp zusammen.
Für den folgenden Tag hatte sie kurzfristig einen Termin gefunden. Jan war das recht. Diana offenbar auch, denn zwischenzeitlich war der Termin bestätigt worden. Zudem wollte Frau Hausmann auch einen Ortstermin, um sich einen Eindruck vor Ort zu verschaffen. Bei Dianas Eltern und offenbar auch bei Karsten war sie schon gewesen. Ihre Miene verriet Jan aber nichts. Er hatte also auch diesem Termin zugestimmt, ebenfalls sehr kurzfristig angesetzt.
Jule hatte ihn dann angerufen und vorgeschlagen, gemeinsam zu essen. Sie wollte ihn bei Alex abholen.
Und da saß er nun und wartete. Alex sah kurz zur Uhr.
"Wir geben die Pressemitteilung gegen 16 Uhr über das Theater heraus. Hast du zwischenzeitlich einen Plan?", fragte er ihn.
Jan schüttelte den Kopf.
"Verlass` die Stadt", empfahl im Alex wieder. Das hatte er Freitag schon vorgeschlagen.
"Ich fahre mit Jule nach dem Essen noch direkt ans Theater und hole meine Sachen aus der Garderobe. Dann sollte ich vor der Bekanntgabe wieder weg sein", meinte Jan leise. Er würde sich davon stehlen wie ein Dieb, dachte er bei sich. Alex nickte. Gleichzeitig klopfte es und Jule kam herein. Jan griff nach seiner Jacke und stand auf.
"Komm` , lass uns gleich los."
Mit seiner Chipkarte öffnete Jan die Tür und ohne Umwege erreichten sie die Garderobe. Viel war es nicht, was er hier noch abholen musste. Jule hatte Sonntag schon ein paar Dinge mitgenommen. Sie sprachen nicht, als sie die zwei Pappkartons füllten. Zum Schluss prüfte Jan nochmal alle Schubladen und legte dann seine Chipkarte auf den Schminktisch. Mit ruhigem Blick sah er sich noch einmal um und atmete dann tief durch.
"Das war es dann wohl", meinte er leise. Jule berührte seinen Arm.
"Denke an die schönen Momente während der Produktion. Die Premiere war ein Hammer und bis das Krankheits- und Verletzungspech euch heimgesucht habt, lief die Show bombig."
Er nickte und griff dann nach dem schwereren Karton. Jule folgte ihm mit dem leichteren in den Flur. Am schwarzen Brett blieb Jan kurz stehen. Neben dem Probe- und Spielplan hing auch ein Zettel, dass sich die Cast zu einer Sonderprobe heute um halb 4 traf. Cornelius hatte alle, ohne Ausnahme, zu dieser Probe verpflichtet. Jan schluckte schwer. Dass war dann wohl der Moment, in dem es die Kollegen erfahren würde.
"Zeit zu gehen", meinte er dann. An der Bühnentür wollte Jule kurz ihren Karton abstellen, um Jan die Tür zu öffnen. Doch die Tür wurde aufgerissen und plötzlich stand Cornelius vor ihnen. Erschrocken machte Jan einen Schritt rückwärts. Doch auch Cornelius war auf diese Begegnung nicht vorbereitet. Jule sah zwischen beiden hin und her. Sie griff nach Jans Autoschlüssel, der aus seiner Hosentasche guckte.
"Ich gehe mal vor", sagte sie und ging zur Tür hinaus. Abwartend sah Jan den Regisseur an.
"Ich wünsche dir alles Gute, Jan", sagte dieser schließlich.
"Danke", antwortete Jan knapp. Cornelius schob sich an ihm vorbei und gab ihm dabei einen Klaps auf die Schulter.
"Du darfst das nicht persönlich nehmen. Ich stand auch in der Kritik und musste irgendetwas tun….." Doch Jan unterbrach ihn wütend.
"Lass` das Cornelius. Das ist Blödsinn. Du hast einen Sündenbock gebraucht und ich habe es dir nicht schwer gemacht. Persönlich hoffe ich nur, dass ich zukünftig mit jemandem arbeiten kann, der uns Künstlern mehr Vertrauen entgegenbringt." Dann verließ auch er das Theater.
Er hatte Jule abgesetzt und gerade als er die Sachen an der Wohnung ausgeladen hatte, klingelte sein Handy. Eine ihm unbekannte Nummer, aber aus dem Stadtgebiet. Kurz zögerte er. Nein, die Pressemitteilung war noch nicht veröffentlicht. Verhalten nahm er ab. Nach einem kurzen Moment erkannte er die Sachbearbeiterin des Jugendamts.
"Prima, dass ich sie erreiche. Könnten Sie im Laufe der nächsten Stunde bei uns vorbeikommen?" Erstaunt suchte Jan nach Worten.
"Ja, das geht. Ist was passiert?"
Frau Hausmann blieb aber unverbindlich.
Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als er sich durch den Nachmittagsverkehr durch die Stadt quälte. Nervös trommelte er auf dem Lenkrad. Dieses ungute Gefühl in der Magengegend, das er seit gestern dauernd versuchte zu ignorieren, gewann wieder die Oberhand. Endlich sprang die Ampel auf Grün und er fuhr langsam an. Während er auf den kostenpflichtigen Parkplatz abbog, kreisten seine Gedanken wie wild. Als er eingeparkt hatte, sammelte er sich kurz, ehe aus dem Auto stieg. Mit einem bangen Blick musterte er das Gebäude. Was ihn darin wohl erwartete?