Knapper Prolog
Warum war er eigentlich hier? Dieser dumme Abiball konnte ihm schließlich sonst wo vorbeigehen. Anstatt sich einen gemütlichen Nachmittag zu gönnen, in der Sonne zu liegen und in einem Buch zu schmökern, stand er hier in dieser stickigen, muffigen und viel zu kleinen Umkleide, um ausgerechnet einen Anzug zu kaufen.
Für einen Abiball.
Auf den er nicht einmal gehen wollte.
Aber musste.
Wurde schließlich von ihm erwartet.
„Mist ...“
Seufzend schloss er die Augen und versuchte, den Gedanken daran zu verdrängen, dass er vorher sogar noch diese dumme Abschlussfahrt überleben musste. Vermutlich würde der Abiball danach eine wahre Wohltat werden.
„Nicht so negativ“, ermahnte er sich selbst und zupfte erneut an dem dunkelblauen Sakko herum. Irgendetwas passte daran nicht. Ein prüfender Blick in den Spiegel bestätigte, dass es an den Schultern schlicht nicht richtig saß. „Nächster Versuch.“
Gerade hatte er das Sakko ausgezogen, als ein Handyklingeln die kleine Kabine durchdrang. Hastig kramte er in der auf dem Boden liegenden Jeans und zog gerade noch rechtzeitig das Smartphone heraus, bevor der im Display angezeigte Anrufer aufgab.
„Hey, Milan“, grüßte er mit einem leichten Lächeln auf den Lippen. Schon konnte er bei dem Gedanken, dass sie sich später am Abend treffen wollten, die ersten Anzeichen der Vorfreude verspüren.
„Hallo“, tönte es kurz darauf aus dem Lautsprecher. „Hast du ... gerade Zeit?“
Etwas an Milans Stimme klang merkwürdig. Aber womöglich lag es an der Telefonverbindung. Trotzdem begann schlagartig eine wenig erfreuliche Vorahnung in ihm aufzusteigen. Der Versuch, das schlechte Gefühl zurückzudrängen gelang nur mäßig, egal wie sehr er sich dazu ermahnte, ruhig zu bleiben.
„Ist ... dir was dazwischen gekommen?“, fragte er vorsichtig anstatt auf die eigentliche Frage zu antworten.
Ein kurzes Seufzen war zu hören und ließ das angenehme Gefühl in seinem Bauch endgültig verschwinden. „So ... in etwa“, murmelte Milan verhalten.
Er schloss die Augen. Statt eines wohligen Kribbelns zog sich ein nur zu bekannter Schmerz durch seine Eingeweide. Im Grunde war das der Moment, in dem er auflegen konnte. Denn es war vollkommen klar, was passieren würde. Ein reichlich sadistischer Teil seine selbst schien allerdings darauf zu bestehen, dass er die Worte zunächst hören musste, bevor er jede Hoffnung in den Wind blies.
„Es funktioniert nicht“, kam es prompt aus dem Telefon.
Obwohl sich in diesem Moment die Schwertspitze in seinen Magen bohrte, gab er Milan zumindest ein paar Sympathiepunkte dafür, dass er ehrlich und direkt war. Und sogar bedauernd klang. Leider machte das die Sache nicht besser.
„Was genau?“, hörte er sich selbst fragen, darum bemüht sich den Schmerz und die Enttäuschung nicht anhören zu lassen.
„Keine Ahnung“, gab Milan mit einem weiteren Seufzen zu. „Du. Wir. Alles. Du bist nett, aber ...“
„Es passt nicht“, beendete er den Satz, bevor sein Anrufer es tun konnte.
„Nein. Ich komme damit ... mit dir nicht klar. Tut mir leid. Ich ... hab’s ja versucht.“
Zwei tiefe Atemzüge und der drückende Schmerz auf seiner Brust wurde bereits geringer. Er öffnete die Augen und lehnte sich gegen die Wand der Kabine zurück. Ein weiterer Fehlschlag. Diesmal nach nur zwei Wochen. Die Abstände wurden kürzer. Jedenfalls wenn man von den Zeiträumen absah, in denen er alleine gewesen war.
„Ich kann mich ändern“, flüsterte er verhalten, nicht sicher, warum er es überhaupt sagte. Tief in seinem Inneren war ihm klar, dass es ein Kampf gegen Windmühlen war. „Sag mir, was ich ... ändern muss.“
Milan atmete seinerseits einmal tief durch. Doch diesmal klang es eher resignierend. Das Kopfschütteln konnte man selbst durch das Telefon hören. „Ich will niemanden, der sich für mich verbiegen muss“, antwortete er gleichzeitig.
Er selbst schwieg, denn im Grunde wollte er sich ohnehin nicht ‚verbiegen‘. Sich immer wieder aus diesem Loch kämpfen zu müssen, war allmählich aber keine Alternative mehr. Und offenbar war ja irgendetwas an ihm zu kaputt, dass es nie für längere Zeit hielt – oder sich überhaupt ein Mann für eine langfristige Beziehung mit ihm interessierte.
„Ich bin sicher, du findest irgendwann jemanden, der mit dir klarkommt. Ich ... bin es aber nicht. Tut mir leid.“ Damit legte Milan auf.
Kein weiteres Wort möglich. Eine Entscheidung getroffen, ohne dass er an ihr beteiligt gewesen wäre oder wenigstens eine Chance gehabt hätte sie zu beeinflussen. Betreten senkte er den Kopf. Der nächste gescheiterte Versuch. Mit jedem Weiteren schien der Schmerz an dessen Ende kleiner zu werden. Vielleich würde es irgendwann gar nicht mehr weh tun. Vermutlich zu dem Zeitpunkt, wenn er akzeptierte, dass es dieses Glück nur für andere gab.
Niemand wollte defekte Ware.