43 – Offene Warnung
„Hey, Erik.“
Überrascht drehte er den Kopf zur Seite. „Sophie.“ Was wollte die denn auf einmal?
„Alles klar?“, fragte sie und deutete mit der Hand auf sein bandagiertes Bein, mit dem Erik sich seit inzwischen gut zwanzig Minuten den Berg hinaufquälte. Weniger aufgrund der Verletzung als der Tatsache an sich, dass sie diesen dämlichen See weiterhin nicht erreicht hatten.
Er nickte zögerlich, antwortete jedoch zunächst nicht. Nachdem bisherigen Verlauf der Wanderung waren sie garantiert nicht so flott unterwegs, wie das ursprünglich geplant gewesen war. Trotzdem sprach alles dafür, dass sie nicht weit von dem Nest entfernt, aus dem sie gestartet waren, auf die Straße gestoßen waren.
Erik war müde, der Kratzer am Bein schmerzte allerdings nicht wirklich. Jedenfalls nicht mehr als die kleinen Striemen, die sich über seine Unterarme verteilten. Alles in allem fühlte er sich trotzdem nicht sonderlich gut – was aber womöglich daran lag, dass die Schmerztabletten vom Morgen ihre Wirkung zu verlieren schienen. Momentan waren die allmählich deutlicher werdenden Kopfschmerzen zu ertragen. Eriks Hoffnung, dass das so bleiben würde, jedoch gering.
Er seufzte und erntete dafür von Sophie eine erneute Nachfrage: „Wirklich alles okay?“
Eriks Blick wanderte den Hügel hinauf. Dort stapfte Berger weiter voran, ließ sich augenscheinlich nicht einmal ansatzweise anmerken, wie beschissen es ihm gehen musste.
‚Sturer Esel‘, murrte Erik innerlich, während er sich ein Grinsen abzwang und nickend zu Sophie sah.
„Herr Berger ist mit dem Verbandszeug vorhin etwas ausgetickt, glaube ich. So schlimm, wie es aussieht, ist es sicher nicht.“
Sie kicherte und sah wieder nach vorn. Innerhalb weniger Sekunden verschwand das Lächeln und wurde durch ein leises Seufzen ersetzt. „Ich ... wollte mich schon den ganzen Tag bei dir entschuldigen“, murmelte sie irgendwann. „Gab ... nur nicht so wirklich die Gelegenheit.“
‚War da gestern doch noch etwas, was du vergessen hast?‘, fragte Erik sich prompt, während er Sophie verwundert musterte. Entgegen den kurzen Erinnerungsfetzen, die ihn bisher verfolgt hatten, kam ihm in Bezug auf sie aber rein gar nichts in den Sinn.
„Wenn du nicht für die Planung dieser beschissenen Wanderung verantwortlich bist oder diese dummen Sträucher gepflanzt hast, wüsste ich nicht wofür“, gab Erik kurz darauf zurück.
Das brachte sie erneut zum Lächeln, bevor sie erwiderte: „Ich ... meinte eher, wie ich mich die letzten Tage dir gegenüber aufgeführt habe.“
„Hm“, brummte Erik.
Was konnte er darauf antworten? Er kapierte ja nicht einmal, was das alles sollte. Aber da Erik generell andere Menschen oft nicht verstand, lag es vermutlich an ihm selbst.
„Hab mich zwei Tage vor der Fahrt von meinem Freund getrennt“, murmelte Sophie, scheinbar unbeeindruckt von seiner Nichtantwort. Prompt fragte die Stimme in Eriks Kopf, was ihn das angehen würde, aber bevor er etwas sagen konnte, fuhr sie bereits fort. „Er ist ein Arsch.“
Die Furche auf Eriks Stirn wurde tiefer. Am liebsten hätte er gefragt, warum sie ausgerechnet ihm davon erzählen musste. War ja nicht so, dass er hier als Seelentröster bekannt war. Oder als starke Schulter, an der man sich ausheulen konnte. Prompt hob Erik den Kopf und starrte einmal mehr auf einen Hinterkopf, für den er durchaus ganz gern diese Rolle gespielt hätte. Aber der sture Esel würde ihm dafür wohl doch den Tritt in die Eier verpassen, um den Erik bisher herumgekommen war.
In seiner Brust bildete sich allmählich wieder dieses schwarze Loch, das ihm regelmäßig die Stimmung verhagelte. Okay, vielleicht war es ein Klischee, aber Erik konnte nicht gegen das Gefühl ankämpfen, dass er derjenige hätte sein sollen, der Berger beschützte.
Der Gedanke, dass er dazu nicht in der Lage war, zog ihm den Magen zusammen. Auch wenn Erik nicht sicher war, was er wirklich für den Mann empfand ... da war etwas. Und es bestand darauf, dass es verflucht scheiße war, wenn es Berger nicht gut ging. Dass Erik zusätzlich auch noch für diese Verletzung irgendwie verantwortlich war, machte die Sache entsprechend unerträglich.
Jemanden, der einem wichtig war, musste man doch beschützen. Erik senkte den Kopf. Er fühlte sich lächerlich und wie so oft im letzten Jahr unzureichend.
„Ich bin auch nur ein Idiot“, murmelte er und warf ein gequältes Grinsen in Sophies Richtung. „Frag Sandro, der wird dir das sicherlich bestätigen. Wobei ... der ist definitiv das größte Arschloch hier, also zählt seine Meinung nicht.“
Ein leises Schnauben, das vielleicht ebenfalls ein Kichern hätte werden können, danach schüttelte Sophie den Kopf. „Jerome hat mit irgendeiner Schnepfe aus der Elften gevögelt.“
„Aha.“
Wieder hatte Erik keine Ahnung, was er sonst darauf erwidern sollte. Er hätte nicht mal sagen können, ob er diesen ‚Jerome‘ kennen müsste oder nicht. In ihrem Stammkurs war er schon einmal nicht. Das hieß allerdings noch lange nichts.
„Du hast aber nicht ernsthaft geglaubt, ihm das mit mir heimzahlen zu können, oder?“
„Nein ...“, murmelte Sophie. „Vielleicht eher genau das Gegenteil.“
Erik runzelte die Stirn, da fing er langsam an zu begreifen. „Den nächstbesten Kerl anmachen, damit es dir vorkommt, als würdest du mit deinem Ex gleichziehen? Mit mir, damit du dir nicht so bescheuert vorkommst, wenn du ein ‚Nein‘ kassierst? Liegt dann ja nicht an dir, sondern an mir.“
Sophie zuckte mit den Schultern, antwortete aber nicht. Das Stöhnen, das ihm entkommen wollte, konnte Erik gerade noch unterdrücken. Frauen waren komisch. Diesen Hirngängen zu folgen, war ihm definitiv zu anstrengend. Dass er es überhaupt konnte, erschreckend genug.
„Das ist dämlich“, sagte Erik, nachdem Sophie sich nicht weiter erklärte. „Du hättest am Sonntag einen von den Typen auf der Party abschleppen können. Ihr saht aus, als ob ihr euch gut amüsieren würdet. Da wäre sicherlich kein ‚Nein‘ gekommen. Und auf die Weise hättest du wirklich mit ihm gleichgezogen.“
„Macht ihr Männer das so?“
Erik sah verwundert zu ihr rüber. „Hm?“
„Aus Rache mit irgendjemandem in die Kiste springen? Oder weil euch eben danach ist? Obwohl du genau weißt, dass der, mit dem du eigentlich da liegen willst, gerade mit jemand anderem rummacht?“, murmelte Sophie verhalten, während sie stur auf ihre Füße starrte. „Oder ist das erst recht ein Grund?“
Etwas in Eriks Magen zog sich zusammen. Wenn das für ihn selbst so einfach wäre, hätte er weder Pierre noch Mathis in den Wind geschossen. Wobei sein Problem mit Berger ja weniger darin bestand, dass der sich permanent mit irgendwelchen Kerlen amüsieren würde. Jedenfalls nicht, dass Erik davon wüsste.
‚Du weißt halt gar nichts über den Mann.‘
Gut, der Punkt wäre allerdings auch einer, von dem er lieber nicht zu viel wissen wollte. Dass Berger die Unschuld vom Lande war, die Erik am Anfang des Schuljahres in seinen Aufsätzen überwältigt hatte, daran glaubte er schon lange nicht mehr. Bei dem Gedanken an deren Inhalt verspürte Erik ein leichtes Kribbeln. Aber scheinbar war selbst dafür inzwischen die Müdigkeit zu groß.
„Ich weiß nicht, ob ich da repräsentativ bin“, gab Erik verhalten zurück. „Und ich glaube nicht, dass ich mit dir über mein Sexleben sprechen will.“
Im Grunde genommen, war Erik sich sogar ziemlich sicher, dass er im Augenblick überhaupt nicht mehr mit Sophie reden wollte. Oder mit irgendeinem anderen aus seinem Kurs. Wieder wanderte Eriks Blick nach vorn, suchte den nur zu bekannten schwarzen Haarschopf. Ein Gespräch mit dessen Besitzer wäre jedenfalls erwünschter.
„Du stehst auf Berger, oder?“
Erik war innerhalb der nächsten Millisekunden schlagartig verflucht stolz drauf, dass er weder stockte, noch keuchte oder sonst irgendeinen Laut von sich gab. Stattdessen stapfte er im gleichen Rhythmus weiter. Einer, der mit dem heftigen Schlagen in seiner Brust so überhaupt nicht mithalten konnte. Die Hände tief in die Hosentaschen geschoben, wo man die geballten Fäuste hoffentlich nicht bemerkte, verzichtete Erik auf eine Erwiderung. Obwohl ihm durchaus klar war, dass das ebenso eine Form der Antwort darstellen dürfte.
Noch immer hingen seine Augen an dem schwarzen Haarschopf, der Erik im Verlauf der letzten Monate viel zu vertraut geworden war. Zusammen mit einem netten kleinen Apfelpopo, dem er während des Unterrichts oft genug mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte als den Worten seines Besitzers. Wie aufs Stichwort erreichte der natürlich in genau diesem Moment die Bergkuppe, blieb stehen und sah sich nach hinten um.
‚Endlich einmal anständiges Timing‘, sagte Erik sich und konnte sich ein kurzes Lächeln über diesen Gedanken nicht verkneifen. Dass dieses erwidert wurde, ließ ein Kribbeln seine Wirbelsäule entlangwandern. In den letzten Tagen war der Kerl ihm zwar nicht wirklich entgegengekommen, weggeschickt hatte er Erik aber trotzdem nie.
Die Schüler neben Berger liefen weiter und der setzte daraufhin ebenfalls seinen Weg fort. Zwei Schritte, drei, vielleicht auch vier, danach war er hinter der Bergkuppe verschwunden. Zusammen mit dem verdammten Flattern in Eriks Bauch. Es fühlte sich falsch an, nicht dort vorn zu laufen. Immerhin hatte er den ersten Teil ihres Irrweges ebenso an Bergers Seite verbracht.
‚Du, nicht Hanna oder irgendeine von ihren Weibern.‘
Erik sah über die Schulter nach hinten. Auch dort war die nicht zu sehen. Allerdings zog sich ihre Gruppe inzwischen so weit den Weg entlang, dass er nicht einmal mehr Frau Farin entdecken konnte, die ja eigentlich in der Mitte gelaufen war.
„Steht er auch auf Männer?“
Eriks Kopf fuhr herum und er starrte auf Sophie herab. Er zwang seine Stimme zur Ruhe, während er zurückfragte: „Wer?“
„Berger.“
Prompt raste Eriks Puls weiter in die Höhe. Leider nicht mehr aufgrund des eben noch so angenehmen Kribbelns. Das war bereits verschwunden, ersetzt von einem unguten Grummeln, auf das Erik gut und gern verzichtet hätte. Zumal er keine Ahnung hatte, was er auf diese Frage antworten sollte. Offensichtlich ging Berger damit nicht gerade hausieren. Und obwohl der Vorfall mit dem Franzosen auf der Promenade für Erik ein eindeutiges Indiz darstellte, war es kein Beweis. Auch was es mit diesem Timo auf sich hatte, war zumindest ihm weiterhin unklar.
„Weiß nicht“, sagte Erik, darum bemüht, die Stimme neutral zu halten. „Sollte aber egal sein, oder?“
Das verfluchte Stechen in seinen Eingeweiden wurden stärker. Sophie machte einen netten Eindruck. Nach Eriks eigenen Erfahrungen konnten Fragen wie diese allerdings zu einer Menge Probleme führen. Berger dürfte wenig Interesse daran haben, dass sein Privatleben unter den Schülern diskutiert wurde. Erst recht wenn es darum ging, mit welchem Personenkreis er dieses führte.
„Sollte ...“
Eine miese Vorahnung stieg in Erik auf, die er gerade mit Sophie eigentlich nicht in Verbindung bringen wollte. Allmählich fing das Gespräch an, reichlich unangenehm zu werden. „Wen interessiert’s, was die Lehrer in ihrer Freizeit treiben?“
Sophie sah kurz über ihre Schulter nach hinten. Als Erik ihrem Blick folgte, sah er dafür aber keinen Grund. „Hanna glaubt, du versuchst, Berger anzumachen“, flüsterte sie leise.
Das verfluchte Pochen in Eriks Brust wurde schon wieder stärker. ‚Kann dir egal sein, was die blöde Kuh von dir denkt‘, rede er sich ein. Aber der immer schwerer wiegende Stein in Eriks Bauch schien jeden verfluchten Schritt langsamer und schwerfälliger zu machen.
„Sie ... war vorhin ziemlich wütend, als Berger sie weggeschickt hat.“
„Was geht’s mich an, ob die sauer auf den Kerl ist?“, zischte Erik angefressen. Als Sophie zusammenzuckte, verzog er das Gesicht. „Entschuldige.“
„Du ... du hängst viel mit ihm ab.“
„Na und?“, fuhr Erik diesmal direkt dazwischen. „Ist ja nicht so, als ob irgendjemand im letzten Jahr groß was mit mir zu tun haben wollte. Und wenn dein Jerome nicht fremdgefickt hätte, würdest du vermutlich auch nicht mit mir reden. Oder?“
Sophie fuhr erneut zusammen und für eine Sekunde taten Erik seine Worte sogar leid. Obwohl die Frau ihm genauso egal sein sollte wie Hanna. Zu einer Entschuldigung konnte er sich diesmal allerdings nicht durchringen. Denn obwohl Eriks Worte sicherlich hart gewesen waren, wahr schienen sie zu sein.
„Du hast recht“, gab Sophie nach einigen weiteren Schritten kaum hörbar zu. „Wahrscheinlich hätte ich dich wirklich nicht angesprochen, wenn Jerome nicht ... so ein notgeiler Mistkerl wäre.“
Darauf gab es wohl kaum noch etwas zu sagen. Also hielt Erik weiterhin die Klappe. Vielleicht würde das Sophie ja vertreiben, denn obwohl er sich dieser Wahrheit nur zu bewusst gewesen war, versetzte es ihm trotzdem einen Stich.
„Das war mies von mir. Und ich ... hab mich deshalb ziemlich dämlich aufgeführt. Aber ... ich will nicht so ... bescheuert aussehen wie Hanna“, flüsterte Sophie irgendwann heiser. „Deshalb wollte ich mich ja entschuldigen.
Erik verkniff sich das Seufzen und zuckte stattdessen mit den Schultern. „Okay. Angenommen.“ Einen Moment zögerte Erik, dann fügte er mit einem Grinsen hinzu: „Ich finde übrigens, du siehst besser aus als sie.“
Sophie lachte erneut und knuffte Erik gespielt in die Seite. „Fang bloß nicht an nett zu werden. Das ruiniert dein Image.“
„Ich hab ein Image?“, fragte Erik prompt schnaubend zurück. Sophie verdrehte die Augen und stieß ihn erneut in die Seite. „Ich will gar nicht wissen, wie das dank Sandro aussieht.“
„Also, bis letzten Sommer war es definitiv ein anderes. Aber es ist sicher nicht so schlimm, wie du denkst.“
Wieder liefen sie schweigend weiter, hatten inzwischen beinahe die Bergkuppe erreicht. „Ich weiß, dass ich mich albern aufgeführt habe“, meinte Sophie schließlich. „Und ich nehm’s dir nicht übel, wenn du mir deshalb doch böse bist.“
Erik seufzte und murmelte: „Bin ich nicht.“ Als er aus dem Augenwinkel zu Sophie hinüber sah, konnte er sehen, dass sie lächelte – vermutlich erleichtert. Oder auch nicht.
‚Kann dir egal sein‘, flüsterte es schon wieder in Eriks Kopf. War es aber nicht. Nicht wirklich. Obwohl er gern etwas anderes behauptet hätte.
„Keine Ahnung, was gestern Abend passiert ist“, setzte Sophie ein paar Schritte später erneut an – und versetzte Erik damit prompt einen weiteren verbalen Schlag in den Magen.
‚Du auch nicht‘, tönte es passend dazu in seinem Kopf.
„Aber Hanna ist heute schon den ganzen Tag extra mies drauf.“
Diesmal runzelte Erik die Stirn. „Was meinst du?“
„Na ja ...“ Sophie seufzte und wedelte ziellos mit der rechten Hand, als würde sie nach den passenden Worten suchen. „Ich schlaf mit ihr im gleichen Zimmer. Und beim Aufstehen war sie irgendwie ... depri ... oder so. Aber je länger wir durch den doofen Wald gelaufen sind, desto wütender ist sie geworden.“
Mit einem Grinsen hob Erik den linken Arm und strich über die drei Striemen, die sich dort abzeichneten. „Das dumme Gestrüpp kann einen aber auch aggro machen.“
Sophie hob die Hand vor den Mund, während sie kichernd den Kopf schüttelte. „Wenn’s das nur wäre. Nein, sie ... ist, glaube ich, sauer, weil du mit Berger rumgelaufen bist und die Farin sie immer wieder abgefangen hat.“
Diesmal verkniff Erik sich den Kommentar. Scheinbar war da jemand mit dem Anruf bei Frau Fink noch nicht zufrieden gewesen.
„Du ... kommst zwar manchmal als ziemlicher Stinkstiefel rüber, aber ich glaube, du bist im Grunde ein anständiger Kerl, Erik.“
Er drehte Sophie den Kopf zu und zog die Augenbrauen hoch. „Ich bin nicht nett“, brummte er, um wenigstens nicht ganz so blöd dazustehen. Das brachte ihm ein verhaltenes Lächeln und weiteres Kichern ein.
„Ich sagte anständig, nicht nett.“ Sophie zögerte einen Moment, bevor sie fragend hinzufügte: „Hattest du jemals eine Freundin?“
Erik runzelte die Stirn, während er versuchte, den schon wieder schneller werdenden Herzschlag in seiner Brust im Zaum zu halten. „Wieso fragst du?“
„Abgewiesene Frauen können verdammt ... gefährlich ... werden“, murmelte Sophie neben ihm.
„Ach ja? Falls du konkrete Pläne für deinen Ex hast, halt mich da raus.“
Sie verzog den Mund und schüttelte den Kopf. „So gern ich ihn für den Mist kastrieren würde ... Nein, den Aufwand ist Jerome nicht wert.“
Prompt wanderten Eriks Augenbrauen ein weiteres Mal nach oben. Da taten sich gerade Abgründe auf, die er sicher nicht hören wollte. Entsprechend seufzte Erik und schüttelte den Kopf.
„Warum erzählst du mir das?“
„Na ja, ich ... dachte, es ist nur fair, wenn ich dich warne.“
Verwundert zog Erik die Augenbrauen hoch. „Vor Hanna?“ Sophie nickte. „Sei nicht albern.“
Das gequälte Lächeln während sie antwortete behagte Erik gar nicht: „Hanna mag auf den ersten Blick wie ein unschuldiges, stilles Mauerblümchen wirken, aber ...“
Obwohl er keine Ahnung hatte, ob er dieses merkwürdige Gefasel ernst nehmen sollte, der Stein in Eriks Magen wurde schwerer und schwerer. „Stille Wasser sind tief?“, fragte er zögerlich.
„Und dreckig. Mitunter wirklich sehr, sehr ... dreckig.“
Schweigend liefen sie weiter. Einen Moment lang überlegte Erik, dieses merkwürdige Gespräch zu beenden, bevor er noch Sachen hörte, die er nicht hören wollte. Wenn er ehrlich war, hatte es ihn die letzten Minuten allerdings erfolgreich von einem gewissen Jemand, den er dank des blöden Hügels weiterhin nicht sehen konnte, abgelenkt. Und wenn Erik noch ehrlicher war, stellte Sophie gar keine so schlechte Gesellschaft dar.
Also senkte Erik den Blick und konzentrierte sich stattdessen auf die eigenen Schritte, um die Bergkuppe zu erreichen. Danach noch zu dem blöden See und sie hätten diese beschissene Wanderung hinter sich.
Plötzlich zupfte Sophies Hand an seinem Arm und zwang Erik damit, sie erneut anzusehen, als sie fragte: „Wäre es ... okay, wenn ich den Rest der Woche trotzdem ab und zu am Strand neben dir liege?“
„Hä?“
Ihr Grinsen wurde breiter. „Ach komm schon! Mindestens die Hälfte von uns hat darauf gehofft, dass der Berger blankzieht. Solange der das nicht macht, bist du definitiv der beste Ersatz, was die Optik angeht. Ist ja nicht so, dass außer Hanna irgendjemand ernsthaft Interesse an Berger hätte. Bei dir inzwischen eh nicht mehr. Aber Gucken ist ja deshalb nicht gleich verboten. Oder?“
Mit einer Mischung aus Entsetzen und Unglauben starrte Erik zurück. Für einen Moment war er nicht sicher, was er darauf erwidern sollte – oder auch nur konnte. Doch irgendwann platzte es einfach aus ihm heraus: „Wie zum Geier schaffen Heteros es eigentlich, euch zu verstehen?“
Sophie grinste zunächst. Ein Kichern kam dazu, das recht schnell zu einem Lachen wurde. „Ich bezweifle, dass sonderlich viele das tun“, gab sie glucksend zurück und schüttelte den Kopf.
Schweigend lief Erik weiter. Endlich erreichten sie die Bergkuppe. Automatisch ließ er seinen Blick über die vor ihnen laufenden Schüler wandern, bis er wieder auf Berger traf. Der lief natürlich ganz vorn. Der rechte Arm war leicht angewinkelt. Aber selbst aus dieser Entfernung war Erik sich sicher, dass die Haltung zu steif war, als dass Berger völlig schmerzfrei sein dürfte.
Auch Sophie schwieg, schien aber nicht mehr so bedrückt zu sein. Offenbar hatte sie gesagt, was sie sagen wollte. Und Erik war es recht, wenn sie dieses zunehmend skurriler werdende Thema beendeten.
‚Was genau ist gestern vorgefallen‘, fragte er sich dank Sophies Worten dennoch.
Wie viel von dem, an was Erik sich zu erinnern glaubte, war tatsächlich passiert? Dieses Bild von Hanna, wie sie Berger von hinten geradezu anfiel, erschien ihm immer wahrscheinlicher. Bei der Szene im Flur ihrer Hütte war er sich allerdings weiterhin nicht sicher. Das hätte Berger doch nicht einfach so durchgehen lassen, oder?
Der Weg den Hügel hinunter war zwar nicht kürzer als der hinauf, aber definitiv angenehmer zu laufen. Sie erreichten den Fuß des kleinen Berges in nur etwa fünfzehn Minuten und liefen von dort weiter am See entlang. Die Sonne brannte glücklicherweise weniger stark, dafür schienen immer mehr Wolken aufzuziehen. Bergers Einschätzung dahingehend, dass das Wetter umschlagen könnte, drohte sich mal wieder als korrekt zu bewahrheiten.
Erik sah über die Schulter zurück. Dort sah er jedoch nur vereinzelte Schüler den Berg hinablaufen. Unwillkürlich fragte er sich, wie lange es dauern würde, bis die letzten am Ziel eintrudeln würden. Misstrauisch wanderte sein Blick anschließend zum Himmel, der hinter der Hügelkuppe zu sehen war. Dort wurden die Wolken zunehmend düsterer.
„Was ist los?“, fragte Sophie und sah sich ebenfalls rum.
„Berger hatte mal wieder recht“, murmelte Erik. Da sie ihn voller Unverständnis ansah, grinste er leicht und deutete über die Schulter. „Er meinte, wir sollten zusehen, dass wir zum Ziel kommen, bevor das Wetter umschlägt.“
Noch einmal sah Sophie nach hinten. „Jetzt, wo du es sagst ... die Wolken sehen tatsächlich recht finster aus.“
„Na los“, forderte er sie auf. „Ich hab keine Lust, klitschnass zu werden, falls es anfängt zu regnen. Legen wir einen Schritt zu.“