31 – Beschissene Selbstzweifel
„Du bist ein Idiot“, murmelte Erik, als er einige Stunden später in ‚seinem‘ Zimmer in ihrer Unterkunft saß.
Der Versuch, irgendein Argument dagegen zu finden, scheiterte kläglich. Den miesen Morgen hatte Erik seiner eigenen Meinung nach nicht zu verantworten. Aber die Begegnung mit dem freizügigen Franzosen hätte den Tag verbessern können. Zumindest hätte es zu der Art von Unterhaltung geführt, von der Erik sich die letzten Tage versucht hatte einzureden, dass er sie unbedingt wollte.
„Gnadenlos gescheitert“, murmelte Erik, darum bemüht, den Kopf nicht gegen die Wand in seinem Rücken zu schlagen.
Nachdem Erik Berger vom Sprungbecken zurück zu den Sonnenliegen gefolgt war, hatte der blöde Lehrer erst einmal kein Wort mit ihm gesprochen. Dabei hätte Erik dem Kerl doch nicht noch deutlicher auf die Nase binden können, dass mit diesem Franzosen nichts gelaufen war. Und das, obwohl es nicht einmal eine Rolle spielen sollte.
„Dämlicher Lehrer“, murmelte Erik finster, während er weiterhin auf den einen dunkelbraunen Fleck in der Holzmaserung der gegenüberliegenden Wand starrte.
„Wohin soll das führen, Erik?“
Bergers Worte vom Sprungbecken gingen ihm einfach nicht aus dem Kopf. Vor allem, da Erik sich selbst nicht sicher war, wie die Antwort darauf lauten sollte. Aber ein Teil von ihm warf weiterhin ein, dass es in fünf Jahren zu etwas geführt haben könnte, was Erik vor Monaten bereits skizziert hatte.
Der Versuch, sich mit einem Blick zu den drei so freizügigen Franzosen abzulenken war leider gescheitert. Primär daran, dass die bei ihrer Rückkehr zu den Liegen bereits verschwunden gewesen waren. Je länger Erik auf der blöden Strandliege lag und wartete, dass sie endlich das verdammte Bad verließen, desto stärker wurde das Gefühl, als müsste Erik von sich selbst enttäuscht sein.
Weil er sich nicht einfach auf einen schnellen, anonymen Fick in der Umkleide einlassen konnte – sich aufführte wie ein unreifes und lächerliches Kind. Aber zeitgleich war da ständig die Frage, ob es denn jetzt wirklich ‚erwachsen‘ gewesen wäre, wenn Erik es einfach durchgezogen hätte.
‚Willst du so sein?‘
Warum eigentlich nicht? Erik kannte genug erwachsene Männer aus dem Rush-Inn, die genau so lebten. Keine unreifen Teenager, keine Studenten Anfang zwanzig, die sich austobten. Gestandene Männer, mit Jobs und Karrieren. Jeden Abend, wenn Erik hinter der Bar stand und Drinks ausschenkte, waren sie da und amüsierten sich.
Die meisten von ihnen waren anständige Kerle. Quasi anonymer Sex, ständig wechselnde Partner – je nachdem, wonach einem gerade der Sinn stand. Der überwiegende Teil dieser Männer schien damit sehr zufrieden zu sein. Der Gedanke sein Leben so zu führen, behagte Erik dennoch nicht.
Vielleicht war das tatsächlich kindisch, verklemmt oder sogar lächerlich. Dabei war Erik klar, dass er mit neunzehn nun wirklich noch keine feste Beziehung vorweisen ‚musste‘. Nicht einmal erwarten durfte, dass überhaupt zu können. Dummerweise war da ebenso diese blöde Stimme, tief in Erik drinnen, die darauf bestand, dass er genau das aber wollte. Und zwar auch noch mit einem gewissen Jemand.
Wenn Erik sich seine Mitschüler ansah, hatten nicht wenige von denen eine Beziehung – behaupteten das zumindest von sich. Konnte also nicht so verflucht schwer sein. Oder sonderlich ungewöhnlich.
„Der Affenkönig bekommt’s ja auch auf die Reihe.“
Wie es aussah, hatte Erik aber wohl ein untrügliches Gespür dafür, sich die falschen Männer auszusuchen. Selbstverliebter Künstler, Beziehungsverweigerer und zu guter Letzt der eigene Lehrer.
‚Mit dem hast du aber nichts.‘
Seufzend schloss Erik die Augen. Mit der Vorstellung, sich ausgerechnet mit einem Lehrer einzulassen, machte er sich vermutlich noch mehr zum Trottel als mit den beiden Fehlgriffen davor. Nicht, dass es im Augenblick den Anschein erweckte, als würde Erik überhaupt jemals so weit kommen, dass man da auch nur von einer Chance auf eine Beziehung reden konnte.
Wie automatisch wartete Erik auf die nervige Bemerkung des mentalen Quälgeistes, Schrägstrich Arschloch, das ihm versicherte, dass er ganz sicher keine Beziehung mit Berger anstrebte. Dummerweise hielt der sich schon den ganzen Nachmittag über sehr dezent zurück.
Keine Stimme mit sarkastischen Bemerkungen, keine anzüglich bis pornografischen Bilder. Nur dieser geradezu wahnwitzige Gedanke, dass dieser verfluchte Aufsatz über Eriks Zukunft in fünf Jahren mehr beinhaltet hatte als eine Herausforderung an den verflixten Deutschlehrer, für den Erik ihn geschrieben hatte. Dass bereits dort drinnen der Funken einer Wahrheit gesteckt hatte, die Erik sich schlicht nicht eingestehen wollte.
„Lässt sich nicht mehr viel dran leugnen“, murmelte er verhalten.
Dieser verdammte Muskel in seiner Brust schlug mal wieder schneller, während Erik förmlich erwartete, dass ihn sein Verstand oder irgendeine dieser bekloppten Synapsenfunken im Hirn darauf hinwies, dass das idiotisch war. Denn schließlich konnte man kein Interesse an jemandem haben, über den man auch nach fast einem Jahr so gut wie nichts wusste.
„Nur Neugier?“
Eriks Blick wanderte zur Zimmertür. Bis dorthin waren es knapp drei Meter, von dort noch einmal so viele quer durch den Flur und eine unbekannte Anzahl, kleiner drei bis zu Berger. Vermutlich. Die Tür zu dessen Zimmer hatte kein Schloss. Wenn Erik jetzt aufstand und dort rüber ging, war da nichts, was ihn davon abhalten konnte, sie zu öffnen und vor Berger zu stehen.
Abgesehen von Eriks eigenem verdammten Anstand.
Diesem beschissenen Ziehen im Bauch und dem Druck in der Brust. Beides bestand darauf, dass es nicht angemessen war, überhaupt so zu denken. Davon, es zu tun, ganz abgesehen. Trotzdem drängte es weiter in Erik danach. Und diese verräterische Stimme in seinem Kopf behauptete schon wieder, dass Berger es ja eh wollen würde. Dass das der Grund war, warum er ihn wegen seiner verfluchten Aufsätze nicht verraten hatte.
„Er hat kein Problem.“
Nun, in diesem Punkt irrte Berger sich. Zumindest falls es in dem Gespräch, das Erik am Vorabend belauscht hatte, tatsächlich um ihn selbst gegangen war. Denn er hatte ja nur zu offensichtlich ein Problem, nämlich seinen verdammten Deutschlehrer.
Erik schloss die Augen und schlug nun doch den Kopf gegen die Wand hinter ihm. Für einen Moment durchzuckte Schmerz seinen Schädel, als er dabei die gleiche Stelle traf, die am Vortag Bekanntschaft mit dem Straßenbelag in den Gassen dieses Kaffs gemacht hatte. Glücklicherweise hatte Eriks Dickschädel ausreichend Härte bewiesen, um den Aufprall unbeschadet zu überstehen.
Seufzend ließ er sich zur Seite fallen. Vielleicht war es keine so blöde Idee, wenn er sich vor der Weinverkostung am späteren Abend noch etwas ausruhen würde.
✑
Das leise Klacken, als die Tür des zweiten Zimmers sich schloss, wäre Erik womöglich entgangen, wenn er nicht bewusst auf jede Bewegung dort draußen gelauscht hätte. Und so waren Eriks Augen bereits offen und er dabei sich aufzurichten, als es an der Tür klopfte.
Für einen Moment zögerte er. Was würde passieren, wenn er nicht antwortete? Würde Berger die Tür öffnen und hereinkommen? Fragen, wo er blieb? Erik könnte sagen, dass er nicht mitgehen, sondern stattdessen hierbleiben wollte. Immerhin war er erwachsen.
Zumindest volljährig. Über andere Begrifflichkeiten waren sein Lehrer und er sich ja augenscheinlich nicht immer einig. Die Vorstellung, dass Berger in der Tat nicht zur Weinverkostung gehen könnte, hatte etwas Verführerisches. Immerhin hatte der Kerl ja die Regeln aufgestellt, nach der Erik nicht allein unterwegs sein dürfte. Von den lächerlichen zehn Metern ganz zu schweigen.
„Erik?“, rief es jedoch bereits verhalten aus dem Flur. „Kommen Sie?“
Wieder war er versucht ‚Nein‘ zu rufen und zu sehen, wie Berger reagierte. Bisher hatte diese verdammte Klassenfahrt immerhin mehr Reaktionen aus dem Eisblock hervorgelockt als alle von Eriks Aufsätzen zusammen.
Trotzdem lief er zur Tür hinüber. Der Rucksack blieb diesmal im Zimmer. Geldbeutel samt Ausweis steckten stattdessen in der Gesäßtasche. Wobei Erik ziemlich sicher war, dass er keines von beidem wirklich brauchen würde. Im Gegensatz zum bisherigen Tag trug er inzwischen lange Jeans und ein frisches T-Shirt. Zwar war es Ende Juli hier am Mittelmeer entsprechend warm, kurze Hose war ihm aber doch etwas zu leger erschienen.
Schließlich wollten sie zu einer Führung durch die Kelterei mit anschließender ‚Weinprobe‘ und nicht zu einer lautstarken Party am Strand. Wobei bei fast dreißig Spätpubertierenden anzunehmen war, dass diese vermutlich normalerweise eher steife Veranstaltung recht schnell in eine feuchtfröhliche Feier umschlagen würde.
Bei dem Gedanken musste Erik ein Seufzen unterdrücken. Selbst auf die Gefahr hin, Pierres Versuchen ausgesetzt zu sein, bei diesem Jean in Ungnade zu fallen, klang Musik am Strand deutlich interessanter. Ein Weintrinker war Erik schließlich noch nie gewesen. An jedem normalen Abend war Bier definitiv sein Gift der Wahl. Wobei das Zeug, das Pierre ihm gegeben hatte, auch nicht schlecht gewesen war.
„Erik?“
War das Besorgnis, die er in Bergers Stimme hören konnte? Sicherlich nicht. Erik atmete noch einmal tief durch und öffnete mit einem erzwungenen Lächeln die Tür. Da war ein kurzes Zucken an Bergers Augenbrauen, als diese dazu ansetzten, die Furchen zwischen ihnen zu vertiefen.
„Können wir?“
‚Ins Bett verschwinden und diese beschissene Fantasien endlich aus dem Kopf bekommen? Natürlich, kein Problem.‘
Aber statt Berger genau das zu sagen, nickte Erik und sagte: „Keine Ahnung, was Sie können. Ich könnte definitiv einen Drink vertragen.“
Anschließend schob er sich an Berger vorbei in Richtung Ausgang und trat vor die Hütte. Langsam stapfte Erik die Stufen hinunter, währen der hörte, wie sein Lehrer hinter ihm abschloss. Ein kurzer Blick nach rechts zeigte keine Handwerker mehr. Vermutlich hatten die inzwischen Feierabend gemacht. Also schlenderte Erik weiter in Richtung Hauptgebäude.
Zunächst hörte er Bergers Schritte noch hinter sich, aber da er selbst sich nicht gerade beeilte, hatte der rasch aufgeholt. „Denken Sie lieber daran, was ich nicht kann“, gab Berger zurück, als er schließlich neben Erik lief.
Etwas verwundert sah er zu seinem Lehrer, wurde aus der Antwort aber nicht schlau. „Wie bitte?“
Das verschmitzte Grinsen, das über Bergers Lippen huschte, als er kurz zu Erik aufblickte, wanderte prompt in seinen Schritt. Scheiße! Warum war er selbst auch immer wieder blöd genug, sich mit dem Kerl anzulegen?
„Es wäre hilfreich, wenn Sie es mit dem Wein nicht übertreiben. Tragen kann ich meinerseits Sie nämlich nicht.“
Ehe Erik bewusst wurde, was er tat, hatte sein Mund mal wieder rausgeprustet, was das Hirn nicht schnell genug bremsen konnte: „Nur weil ich Sie tragen könnte, heißt das nicht, dass ich es machen würde.“
Mit definitiv gespielter Entrüstung drehte Berger sich erneut zu ihm. „Sie würden mich einfach hilflos irgendwo im Straßengraben liegenlassen?“
Erik schnaubte. Als ob Mister Eisblock jemals so weit die Kontrolle über sich verlieren würde. Das war absolut lächerlich. Die Vorstellung eines hilflosen Berger hatte allerdings was für sich. Zumindest insofern der an ein Bett gefess...
‚Fuck! Falscher Gedankengang!‘, versuchte Erik eben jenen zu stoppen.
Aber schon kamen die ersten Bilder auf, während ihm das Blut in den Schritt sackte – um gewisse andere Dinge ebenfalls ‚hoch‘ zu bringen. Verdammt, das war nun wirklich der falsche Zeitpunkt dafür!
„Es ... würden sich bestimmt genug Freiwillige finden, die Sie zurückbringen“, presste Erik deshalb heraus, um irgendwie aus diesem peinlichen Gespräch wieder rauszukommen.
Diesmal antwortete Berger nicht. Als Erik zu ihm schielte, war da aber weiterhin ein verhaltenes Lächeln auf den Lippen seines Lehrers. Eines, das so gar nicht zu den ablehnenden Worten vom Nachmittag passte.
Erst während sie den Gang am Haupthaus entlang in Richtung Durchgang liefen, wurde Erik bewusst, was passieren würde, wenn jemand einen stockbesoffenen Berger ins Bett brachte. Er – oder sie – würde zwangsläufig mitbekommen, wo man sie beide untergebracht hatte. Das hieß, es wäre anschließend kein sonderlich gut gehütetes Geheimnis mehr, dass Erik sich die Hütte mit seinem Lehrer teilte.
Glücklicherweise war nicht wirklich damit zu rechnen, dass Berger tatsächlich die Kontrolle über sich verlieren würde. Dabei würde ein gewisser Teil von Erik nur zu gern sehen, wie der Kerl aussah, wenn er diese verfluchte Selbstkontrolle aufgab.
‚Vielleicht würde es dir ein paar Antworten bringen‘, sagte Erik sich. ‚Und den einen oder anderen, lange ersehnten Anblick.‘
Bevor das Gedankenchaos mal wieder zum Karussell ansetzen konnte, hatten sie den Durchgang erreicht und liefen zum Parkplatz. Erst als sie dort eintrafen, wurde Erik ebenso bewusst, dass er nicht gewartet hatte, damit sie getrennt auftauchten. Unsicher sah er sich um und tatsächlich glaubte er, den einen oder anderen bösen Blick zu sehen.
‚Das bildest du dir ein‘, sagte Erik sich selbst und versuchte, nicht weiter drüber nachzudenken.
Berger lief bereits zur anderen Seite der Gruppe und begann die Anwesenden zu zählen. Nach und nach trudelten die Letzten ein – inklusive ihrer Lehrerinnen. Erstaunlicherweise schafften sie es deshalb, sich diesmal sogar pünktlich auf den Weg zu machen.
Das Weingut befand sich am Rand der Ortschaft. Da der Weg dorthin nicht weit war, gingen sie zu Fuß. Schon nach fünf Minuten hatte sich ihre Gruppe dabei auf einen gefühlten Kilometer verteilt. Erik lief am Ende, zusammen mit Frau Hirvi. Noch mehr böse Blicke von diversen Mitschülerinnen wollte er vorerst nicht riskieren.
Frau Farin sah Erik einige Meter weiter vorn, ungefähr in der Mitte ihrer Gruppe. Berger konnte man nicht sehen. Vermutlich lief der an der Spitze und sorgte dafür, dass sie ohne allzu große Umwege ankamen. Zumindest durfte man darauf hoffen.
Tatsächlich näherten sie sich knapp eine halbe Stunde später einem großen, verwitterten Gebäude. Während der Stadtführung hatte das Kaff ja schon nicht unbedingt mit Moderne punkten können, im Moment kam sich Erik aber vor, als wäre er lockere drei bis fünf Jahrhunderte in die Vergangenheit versetzt worden.
Schnell stieg die Befürchtung in ihm auf, dass bei seinem Glück die Bude noch heute Abend über ihnen zusammenbrechen würde. Die löste sich glücklicherweise aber in Wohlgefallen auf, als sie sich weiter näherten. Bei genauerem Hinsehen war das Gebäude vermutlich innerhalb der letzten fünfzig Jahre mehrmals saniert worden. So waren die Dachziegel noch nicht vollkommen verwittert und auch das Holz des großen Tores, durch das man wohl ins Innere gelangte, war zu hell, um bereits mehrere Hundert Jahre auf dem Buckel zu haben. Die Fassade wirkte allerdings dunkel und schmutzig – und damit zumindest auf Erik wenig einladend.
‚Wäre das ein Horrorfilm, würden kluge Leute weglaufen.‘
Glücklicherweise war das hier kein Film und da für die Führung samt Verkostung bereits bezahlt worden war, würde Erik den Teufel tun und auf den kostenlosen Alkohol verzichten. Schon gleich gar nicht, wenn die Alternative hieß, allein am Strand zu saufen und später ebenfalls ohne Begleitung zurück zur Herberge zu laufen.
Nach dem Fiasko mit dem forschen Franzosen war die Vorstellung, sich stattdessen mit irgendjemandem am Strand zu vergnügen, mehr als unrealistisch. Also würde es am Ende darauf hinauslaufen, dass Erik stundenlang vor dieser dämlichen Hütte wartete, bis Berger irgendwann mitten in der Nacht zurückkam.
Von dem würde Erik sich vermutlich lediglich eine Standpauke anhören dürfen. Wobei der Eisblock ja heute vielleicht doch etwas zu tief ins Glas gucken würde. Ein besoffener Berger, der versuchte Erik anzuscheißen, weil er sich nicht an die Regeln hielt, klang zumindest deutlich amüsanter.
Prompt wanderte Eriks Blick über die Gruppe vor dem Tor. Berger war schnell gefunden, denn er stand natürlich ganz vorn und sprach dort mit einem älteren Herrn, der vermutlich zum Weingut gehörte.
‚Wahrscheinlich musste Berger auf diese Fahrt mit, weil er anständig Französisch kann. Im Gegensatz zum Rest von diesem Sauhaufen.‘
Bei dem Gedanken musste Erik lächeln. Natürlich verwandelte sein mentaler Quälgeist das mal wieder in die übertragene Bedeutung. Allerdings löste das zur Abwechslung tatsächlich nicht mehr als das kurze Lächeln bei Erik aus. Allmählich wurde der Witz reichlich lahm.
Der alte Mann bei Berger nickte und drehte sich zum Tor um. Erst jetzt konnte Erik sehen, dass sich darin noch eine deutlich kleinere Tür befand, die der Alte öffnete, um sie hinein zu lassen.
Da Erik selbst weiterhin am Ende der Gruppe blieb, betrat er als einer der Letzten den Innenhof. Berger stand etwas abseits mit dem Alten und rief immer wieder, dass sie sich einigermaßen geordnet als Gruppe zusammen hinstellen sollten.
Um zumindest guten Willen zu zeigen, trat Erik zu den Übrigen hinüber und sah sich zunächst genauer im Innenhof um. Der Hof war ringsum von mehreren Gebäuden umstellt, die etwas bunt gewürfelt aus diversen Jahrhunderten zu stammen schienen. Zwei hatten ebenso große, hölzerne Tore, wie jenes, durch das sie eben gekommen waren. Diese überragten den Rest der Anlage um mindestens zwei Stockwerke. Die übrigen Gebäude waren deutlich niedriger, lediglich zweieinhalb Etagen. An den Fenstern des einen waren Gardinen mit Blümchenmuster zu erkennen, was eher nach einem Wohnhaus aussah als nach einem Geschäftsbetrieb.
Neugierig drehte Erik sich noch einmal um und sah zurück zu dem Tor, durch das sie gekommen waren. Das war ebenfalls Teil eines Gebäudes, allerdings sah das von dieser Seite noch verfallener aus, als von außen. Da wohnte hoffentlich keiner mehr.
Von weiter weg waren Stimmen zu hören. Kaum dass Erik sich erneut umgedreht hatte, fauchte er sich selbst wütend an, dass er hier derartig leichtfertig tatsächlich einen Anschiss riskierte, und rannte er den Übrigen hastig hinterher. An diesem Abend wollte Erik sich ganz sicher nicht die Blöße geben, dass Berger seine bescheuerte zehn Meter Regel laut herausposaunte.
Wie so oft hatte Erik sich trotz aller Vorsätze ablenken lassen und war kurz davor gewesen, den Anschluss zu verlieren. Er erreichte die Gruppe, bevor die letzten durch die Eingangstür eines der niedrigeren Gebäude betraten.
Kaum hatte er die Tür durchschritten, sah er sich auch schon einem ausgesprochen prüfenden um nicht zu sagen kritischen Blick gegenüber. Erik lächelte, aber Berger drehte sich schweigend um und kämpfte sich zurück durch die Schülerschar an die Spitze der Gruppe. Irritiert sah Erik ihm für einen Moment nach.
Irgendwie hatte er erwartet, dass da zumindest ein sarkastischer Kommentar kommen würde. Oder eine Ermahnung, nicht schon wieder verloren zu gehen. Dass Berger nicht ein Wort gesagt hatte, war ... Erik runzelte die Stirn, weil er sich nicht sicher war, wie er das fand.
‚Enttäuschend?‘, schlug sein mentaler Quälgeist vor, wurde aber von Erik standhaft ignoriert.
Schließlich war es ja ein gutes Zeichen, wenn Berger ihn nicht sofort wegen irgendwas anmachte, das er verbockt hatte.
‚Eine ernst gemeinte Anmache von Berger wäre mal was Neues.‘
Für eine Sekunde war Erik versucht den Kopf gegen die nächste Wand zu schlagen, um das beschissene Arschloch darin zum Schweigen zu bringen. Dabei war er mit dem in letzter Zeit erstaunlich gut zurechtgekommen. Hoffentlich dauerte die Führung nicht zu lange. Die Verkostung klang zunehmend verlockender.