Gut gelaunt schulterte Mila ihre kleine Sporttasche, in der sie ihr Handtuch, etwas zu Essen und ihren Bikini zum Wechseln verstaut hatte. Heute war schönes Wetter und ihre Mutter war nicht da. Außerdem begann die Schule erst morgen und da sie gestern bereits angefangen hatte den Schulstoff zu wiederholen, war sie zeitiger fertig geworden. Jetzt wollte sie sich auf die Suche nach dem See machen, der laut ihrem Nachbarn hier irgendwo war.
Auch wenn ihre Mutter das nicht so gut fand, sie mochte es lieber in einem See zu schwimmen, als in einem Schwimmbad.
Ein Blick auf ihr Handy, auf dem sie sich die Karte der Gegend anzeigen ließ, verriet ihr, dass sie selbst zu Fuß nicht lange brauchen würde.
„Ich bin zum Abendessen wieder da“, verkündete sie der Haushälterin, die damit beauftragt war alle paar Tage hier sauber zu machen und für sie zu kochen. Dann verließ sie gut gelaunt das Haus.
Wenig später erreichte sie bereits den See und nahm die schöne, ruhige Umgebung in sich auf.
Im Gegensatz zur Stadt, in der sie früher gelebt hatte, war die Gegend sehr idyllisch. Kein großes Ding für eine kleine Vorstadt, wie diese hier, aber dennoch eine willkommene Abwechslung. Keine Leute weit und breit und der Fluss, welcher in den See mündete, sorgte zwar für eine minimale Strömung, störte aber nicht sonderlich beim Schwimmen. Jedenfalls hoffte sie das.
Zufrieden mit dem Ort suchte sie sich einen Platz aus, der mit frischem Gras bewachsen war. Dort stellte sie ihre Tasche nieder und holte die Decke hervor, die sie ausbreitete. Dann holte sie ihre Handtücher heraus und zog sich in einer eleganten Bewegung das Kleid über den Kopf. Zum Vorschein kam ein Bikini in Weiß, der einen sehr raffinierten Schnitt hatte und damit ihre Brüste betonte. Ein Geschenk ihres Vaters aus Mallorca.
Nicht gerade die Badeanzüge, welche ihre Mutter ihr immer ans Herz legte, welche die bestmögliche Leistung mit ihrem Schnitt und dem Stoff förderten. Doch Mila hatte schon lange beschlossen, dass das Schwimmen ihr Ding war und nichts was ihre Mutter kontrollieren konnte. Womöglich war das auch einer der Gründe, weshalb sie es so gerne tat. Etwas worüber sie frei verfügen konnte. Das kühle Wasser würde bei der sommerlichen Luft sicher guttun, denn es war wohl nicht allzu warm, um das Wasser richtig aufzuheizen.
Ein Blick in den Himmel verriet ihr, warum so wenige Leute heute hier waren. Es zog sich zu und würde wohl bald regnen. Für Mila nicht schlimm. Sie musste nur ihr Handtuch in Sicherheit bringen, damit es nicht nass wurde. Sie selbst hatte kein Problem damit im Wasser durch Regen nass zu werden. Immerhin war sie es sowieso schon.
Zufrieden mit dem aktuellen Wetter lief sie langsam auf den See zu und stellte sich hinein. Sie wusste, dass sie sich erst langsam an das Wasser gewöhnen musste und so stand sie für einige Minuten einfach nur bis zu den Knöcheln im Wasser. Hier wo es niedrig war, war es noch sehr schön warm. Aber später würde es kälter werden.
Sie war sogar kurz am Überlegen gewesen, ob sie Musik anmachen könnte, wie sie es immer bei sich im Pool getan hatte. Doch hier am See würde sie wohl sowieso nichts davon hören können, da es keinen Halleffekt gab. Doch das würde sie kaum beim Training behindern. Mila ging langsam weiter in das Wasser hinein, bis sie schließlich tief genug war und den Boden unter den Füßen verlor. Der See war recht tief, was eine gute Fläche bot, um sich auszupowern. Also begann sie einige Bahnen zu schwimmen, auch wenn sie nicht ganz gerade schwamm, aufgrund fehlender Grenzen. Doch das war okay. Nach einigen Runden hielt Mila kurz inne und wischte sich einige Male über die Augen.
„Hat das Freibad schon zu?“, hörte sie plötzlich eine Stimme rufen, welche ihren Blick sofort zu ihrem Platz schnellen ließ.
Sie erkannte ihren Nachbarn sofort wieder, mit der grauen Mütze und den blonden Haaren, die nun doch dunkler wirkten als gestern. Er lag dort seelenruhig auf ihrer Decke und schien etwas aus einer Tüte zu knabbern.
Mila betrachtete ihn kurz und musste sich eingestehen, dass sie Hunger hatte. Das Frühstück war zwar gut gewesen, doch leider nicht ganz so reichhaltig, wie sie es für eine Runde Schwimmen gebraucht hätte. Aber sie hatte zum Glück ebenfalls etwas dabei. Sie freute sich schon sehr auf das Sushi, das ihre Mutter gestern Abend noch bestellt hatte. Genug, damit sie auch heute noch etwas davon hatte.
Mila seufzte und begab sich aus dem Wasser raus, um auf ihre Decke und das Handtuch zuzulaufen. „Keine Ahnung, ich war nicht dort. Hier war es ruhiger“, erklärte sie mit einem Unterton, der ihm eigentlich sagen sollte, dass er nicht zwingend erwünscht war. Ihre Mutter hatte immerhin gesagt sie solle keine Zeit mit ihm verbringen. Wobei sie auch nichts dafür konnte, dass sie ihn hier getroffen hatte.
„Ja... ist wirklich ruhig hier“, stimmte er mit demselben Unterton, bei dem Mila am liebsten die Augen gerollt hätte, zu, doch sie hielt sich zurück. Immerhin hatte er doch selbst auf diesen Platz verwiesen! Selbst als Mila vor ihm zum Stehen kam, machte er keine Anstalten sich von ihrem Platz wegzubewegen, was unvorteilhaft war, da er auf ihrem Handtuch lag.
„Würden Sie sich bitte erheben? Ich möchte gern an mein Handtuch“, sagte sie höflich. Immerhin hatte er ihr seinen Namen nicht verraten, daher konnte sie ihn auch nicht damit ansprechen.
Der junge Mann lachte kurz, als würde er nicht ganz verstehen was sie von ihm wollte. „Erheben Sie sich? Echt jetzt?“, fragte er ungläubig nach und blickte auf das Handtuch unter sich, ohne sich zu bewegen. „Bist du die Prinzessin von Monaco?“
„Nein, aber ich kenne Ihren Namen nicht und einfach jemanden zu duzen, den man nicht kennt und von dem man nicht dazu aufgefordert wurde, ist unhöflich“, erklärte Mila. „Und in der Welt, in der ich lebe, legt man viel Wert auf Höflichkeit. Also. Würden Sie sich bitte erheben, damit ich an mein Handtuch komme?“
Der Mann nahm provokant eine Nuss in den Mund und hielt den Blick auf Mila gerichtet. „Ach dieses Handtuch?“, hakte er überrascht nach, auch wenn es nicht wirklich überzeugend klang.
Mila senkte ein wenig die Augenlider. „Was wird das?“, fragte sie lauernd, aber auch ein wenig skeptisch. Sie wusste nicht, wie sie mit dieser Situation umgehen sollte. Noch nie hatte sie jemanden so unhöfliches erlebt. Es war das erste Mal, dass jemand selbst auf ihre höfliche Bitte nicht reagierte.
Der junge Mann zuckte lediglich die Schulter und lächelte schief mit einer unschuldigen Note. „Ich betreibe Konversation. Oder macht ihr das da wo du herkommst auch nicht?“, fragte er nun mit gespielt erstauntem Blick und aß eine weitere Nuss.
„Ich rede nicht mit Leuten, die so unfreundlich sind, sich mir nicht einmal vorzustellen“, erklärte Mila und überlegte, was sie jetzt tun sollte. Er war ihr Nachbar und aufdringlich wie es schien. Eigentlich sollte sie ihre Sachen nehmen, nach Hause gehen und die Polizei wegen Belästigung rufen. Aber sie wusste nicht, ob das vielleicht eine Überreaktion war. „Außerdem ist mir kalt. Ich hätte jetzt gern mein Handtuch, auf dem Ihr liegt.“
Der Mann seufzte ermüdet und legte kurz den Kopf in den Nacken. „Du kannst mich Elon nennen. Und was genau hab ich davon wenn ich aufstehe?“, fragte er nun und nahm Mila nun wieder genauer ins Visier. Seine Augen waren zwar dunkel, doch die blaue Nuance war deutlich zu erkennen.
Mila seufzte. „Hör zu, Elon“, sagte sie langsam. „Ich weiß nicht, wer du bist, oder was du von mir willst. Aber wenn du nicht möchtest, dass ich schon am ersten Tag, an dem ich hier lebe, eine Anzeige wegen Belästigung rausgebe, solltest du dich von meinen Sachen erheben“, erklärte sie, denn langsam wurde es ihr zu bunt. Sie verstand, warum ihre Mutter ihr gesagt hatte, sie solle sich nicht mit diesem Typen treffen.
Elon rollte mit den Augen, erhob sich letztlich allerdings doch, während er sich die Sachen abklopfte.
„Bitte sehr... was erwarte ich auch anderes. So Leute wie du sind doch alle gleich“, erwiderte er und streckte sich ausgiebig, als er die Nusstüte zusammenrollte und in seine Jackentasche packte.
„Dasselbe könnte ich auch über Leute wie dich sagen“, erklärte Mila ungerührt, ehe sie sich hinhockte, um sich endlich das Handtuch um den Körper zu schlingen. Es war doch kühler geworden, als sie angenommen hatte und der Wind hatte nur dazu beigetragen, dass ihr jetzt richtig kalt war. Es war schwer das Zittern zu unterdrücken und sie hoffte wirklich, dass sie nicht krank wurde. Ihre Mutter würde ausflippen, wenn sie wegen dieses Seebesuches eine Erkältung bekam und den ersten Schultag verpasste. Sie würde ihr wohl verbieten je wieder hierher zu kommen. „Ich verstehe nicht, warum ihr mir immer wieder das kleine bisschen Frieden kaputt machen müsst, dass ich versuche mir zu schaffen“, erklärte sie murmelnd, ehe sie ihre Sachen einfach zusammenpackte und Elon nicht einmal mehr eines Blickes würdigte, sondern einfach ging. Wenn ihre Mutter hiervon erfuhr würde sie nie wieder hierherkommen dürfen.
Doch Elon schien es ihr nicht so einfach machen zu wollen, denn sie konnte seine Schritte hinter sich hören, ehe er neben ihr herlief. „Wie bin ich denn? Du scheinst ja richtig Ahnung zu haben. Bist du vielleicht Hellseher oder so?“, fragte er mit überdramatischer Gestikulation, um ihr deutlich zu machen wie lächerlich er ihre Aussage fand.
Mila seufzte. „Du bist ein Flegel, der die Privatsphäre anderer Leute nicht schätzt und ignoriert“, erklärte sie ohne große Umschweife und versuchte an ihm vorbei zu kommen. „Außerdem arbeitest du gerade daraufhin, dass meine Mutter mir verbietet den See zu besuchen. Sie ist eine strenge Frau. Sollte also hiervon irgendwas bei ihr ankommen, kannst du dich darauf einstellen, dass sie dich wegen Belästigung verklagt“, fügte sie leise hinzu. Sie wusste, wie ihre Mutter solche Probleme handhabte.
Elon stieß die Luft aus und schien eher unzufrieden mit ihrer Antwort, ehe sein Gesicht wieder wacher wurde und er sie ein wenig überholte, um vor ihr rückwärts zu laufen, damit er sie ansehen konnte. „Wirst du denn oft belästigt?“, fragte er nun nach und schien lauernd.
Was sollte das? Was wollte er mit dieser Information und besonders mit der Frage erreichen?
Mila seufzte erneut. „Ja, das werde ich. Aber nur selten auf so unhöfliche Weise. Die meisten Männer wissen wenigstens, wie sie sich benehmen müssen“, erklärte sie und fragte sich wirklich, warum sie noch immer mit diesem Mann sprach.
„Bist du deswegen von der Schule geflogen? Hat sich Prinz Charming mit Ken um dich geprügelt? Und das hier ist dein Neuanfang?“, spekulierte er und verengte probeweise die Augen als hätte er sie ertappt.
Bei dieser Feststellung musste Mila laut lachen. „Ich bin noch nie von einer Schule geflogen. Geschweige denn dass sich zwei Jungen um mich geprügelt haben. Ich bin hier weil meiner Mutter diese Schule für Hochbegabte empfohlen wurde. Auch wenn das schwer zu glauben ist.“
Elon stieß mit dem Rücken gegen einen Baum, doch machte lediglich eine halbe Drehung, um wieder neben Mila herzulaufen.
„Und das ist der einzige Grund wieso du hier bist?“, fragte er unverständlich und blickte sie mit ehrlich verwirrtem Blick an. „Hat dir deine Mutter die Schule ausgesucht?“, fragte er nun.
„Wir haben eine Empfehlung erhalten und meine Mutter will die beste Ausbildung für mich. Also ja. Meine Mutter hat sie ausgesucht. Aber ich bin mir sicher, dass sie keine solche... Umgebung... erwartet hätte.“ Mila seufzte. „Für meine Geigen-, Klavier- und Ballettstunden muss ich eine Stunde mit dem Auto fahren. Gut, dass unser Chauffeur hier in der Nähe wohnt.“
Elon schnaubte und wurde langsamer, ehe er stehen blieb und sich auf den Weg zurück in den Wald machte. „Natürlich habt ihr einen Chauffeur“, hörte sie ihn nur noch murmeln, ehe er ihr den Rücken zukehrte. Was auch immer er dort wollte. Immerhin wusste Mila wo er wohnte und es war eindeutig, dass es bald anfangen würde zu regnen.
Diese Aussage ließ Mila ein wenig nachdenklich werden. Sie hatte wirklich nicht erwartet, dass sie in dieser Gegend so schwer Gleichgesinnte finden würde. Sie hoffte nur, dass es in der Schule besser wurde.
Immerhin würde sie so schnell hier nicht wegkommen. Ihre Eltern waren extra wegen ihr hierhergezogen, um ihr die bestmögliche Bildung zu ermöglichen und sie für die kommende Zukunft zu fördern. Das konnte sie sich nicht kaputt machen lassen, von einem solchen Typen.
Also entschied sie sich dazu ihn zu ignorieren und nach Hause zu gehen. Sie würde auch ihrer Mutter nichts sagen. Es war nicht gut, aus einer Mücke einen Elefanten zu machen, auch wenn sie diesen Elon dann vielleicht loswurde. Aber zuerst musste sie sich auf die Schule konzentrieren.