Mila gähnte herzhaft und fragte sich, warum sie niemand geweckt hatte. Es war zwar Montag, doch da sie heute keine Schule hatten, wollte sie mit ihrer Mutter frühstücken. Sie hatten sich gestern Abend nur kurz gesehen und für heute Morgen verabredet. Doch da niemand da zu sein schien, stand Mila auf und trat hinaus in den Flur. „Mutter?", fragte sie von oben hinab in das Wohnzimmer, doch sie erhielt keine Antwort.
Schnell lief sie die die Treppe hinab und fand auf der Kommode einen Zettel. Eine Nachricht, dass sie arbeiten war. Das war nichts Unübliches und Mila war nicht unbedingt traurig darüber. So konnte sie frühstücken, wie sie wollte und es standen noch einige japanische Speisen im Kühlschrank. Diese hatten sie sich gestern bestellt.
Auch wenn Mila sich zwar in gewisser Hinsicht auf das gemeinsame Frühstück mit ihrer Mutter gefreut hatte, so war es doch ein freies Gefühl, im Haus noch mit dem Nachthemd samt Morgenmantel rumlaufen zu können.
Wenn ihre Mutter dagewesen wäre, hätte sie das nicht gekonnt, obwohl sie den seidigen Stoff so gern auf ihrer Haut hatte. Es war auch warm genug im Haus und eigentlich brauchte sie keinen Morgenmantel. Aber da das Nachthemd sehr dünne Träger hatte, bedeckte sie doch lieber ihre Schultern.
Ihr Weg führte sie in die Küche, doch als sie diese erreichte, klingelte es an der Tür, was sie zucken ließ. Wer war denn das?
Das Dienstmädchen hatte heute ausdrücklich frei bekommen, wegen dem freien Tag ihrer Mutter, was hieß Mila dürfte allein zu Hause sein und auch bleiben. Kurzerhand zurrte sie ihren leichten Morgenmantel nochmal fest um ihre Taille, ehe sie sich auf den Weg zum Eingang machte. Als sie die Tür öffnete erblickte sie auch sogleich Elon, der wie selbstverständlich im Türrahmen lehnte, eine kleine Kameratasche über seiner Brust.
„Du schläfst noch? Um die Uhrzeit?", fragte er überrascht und musterte Milas Aufmachung.
Diese zog ihren Morgenmantel ein wenig fester. „Ja, ich bin heute allein", erklärte sie leise und überlegte, ob sie ihn hineinlassen sollte. Allerdings wusste sie auch nicht, was er hier wollte. Er musste doch gesehen haben, dass das Auto ihrer Mutter weg war.
Elon wirkte überrascht, allerdings konnte sie nicht genau sagen ob er erfreut war oder enttäuscht. Sie konnte ihn einfach nicht lesen.
„Also ... nehme ich an, du hast heute nichts vor?", fragte er vorsichtig und hakte einen Daumen in den Gurt der Tasche, die um seine Brust gespannt war.
„Nein, wieso fragst du?", wollte sie wissen und trat dann zur Seite. „Willst du kurz reinkommen? Ich wollte noch frühstücken", erklärte sie leise.
Elon stieß sich vom Türrahmen ab und presste kurz die Lippen nachdenklich aufeinander. „Nein, ich denke das wird nicht nötig sein. Zieh dich an und pack ein paar Ersatzklamotten ein. Am besten schlichte, weiße Kleider oder was Herbstfarbenes, aber schlicht. Ich warte solange hier", erklärte Elon fast schon als wäre es selbstverständlich, dass sie verabredet waren.
Mila legte den Kopf schief. „Was hast du denn vor?", fragte sie, weil diese Aufforderung doch ein wenig seltsam war.
Elon rollte die Augen und setzte sich auf die kleine Bank, auf Milas Veranda. „Keine Fragen, sondern handeln. Denk dran du bist mir was schuldig. Das will ich jetzt einfordern."
Mila seufzte. „Ist ja gut", meinte sie und schloss die Tür, ehe sie in die Küche lief, um das Essen einzupacken und sich, wie Elon gesagt hatte, ein paar Kleider rauszusuchen, die herbstlich waren. Etwa zehn Minuten später war sie wieder bei Elon. Dieses Mal darauf bedacht den Schlüssel auch wirklich mitzunehmen.
Auch wenn sie sagen musste, dass die Hörbuch-Session im sogenannten Fort etwas gehabt hatte. Sie hatte das Buch wirklich lieben gelernt und hatte sich sogar bereits den zweiten Teil angehört.
Zum Glück gab es dieses für das Handy. Das war sehr praktisch und sie musste nicht mit ihrer Mutter streiten, woher das neue Buch kam.
Noch dazu war die Geschichte einfach geradezu romantisch, wenn auch ganz schön gemein der Protagonistin gegenüber. Aber die Nacht in der Hütte war definitiv nicht der einzige Traum geblieben, den sie von dem Highlord gehabt hatte.
Sie fragte sich, wann wohl der dritte Teil endlich auf dem Markt war. Aber das Hörbuch hatte ihr Interesse an weiteren solchen Büchern geweckt. Vielleicht konnte ihr Elon welche empfehlen?
Sie öffnete die Tür und trat in einem orangefarbenen, langärmligen Kleid zu Elon hinaus und schulterte ihre Umhängetasche, in der sie noch ein anderes Kleid und einen Bolero hatte, falls es kalt werden würde. Und das Essen hatte sie auch dabei, für später.
Elon blickte sie kurz mit prüfendem Blick an, bevor er ihr mit einem Kopfnicken deutete ihm zu seinem Wagen zu folgen. „Wir fahren in den Wald", kündigte er an und beeilte sich regelrecht, auf den Fahrersitz.
Mila stieg auf dem Beifahrersitz ein. „Was wollen wir da?", fragte sie ein wenig skeptisch. Wollte er wieder zum Fort oder ihr etwas anderes zeigen?
„Ich ... brauche deine Hilfe", gestand Elon und fuhr gleich los, sobald die Tür geschlossen war. „Ich brauche ein 'Model' für einen Fotowettbewerb ... und ich kenne nicht viele Mädchen, die zu sowas bereit wären."
„Fotowettbewerb?", wollte Mila irritiert wissen. „Und ich dachte, du fängst an mich über mein Date mit Chris auszufragen", lachte sie, war aber gespannt was es mit dem Wettbewerb auf sich hatte.
„Das ... geht mich nichts an. Ich habe nur den Weg geebnet und glaub mir ... ich hab genug für euch beide getan", grummelte Elon sichtlich widerwillig und musste zurück an die Nacht auf der Kuppel denken. Er würde wohl nie wieder auf ein Pferd steigen, dank seines Vaters!
Vor allem tat ihm sein Hintern weh!
„Ich mag Chris", erklärte Mila Unvermittelt. „Aber ist er immer so unruhig und nervös?", wollte sie wissen, während sie beobachtete, wie Elon in den Wald einbog.
„Nein, wenn er sich erstmal an dich gewöhnt hat, dann nicht mehr", versprach er und hielt wieder in einer kleinen Lücke im Wald, von wo aus sie zu Fuß weiter gehen würden.
Mila stieg aus dem Wagen und folgte Elon. „Beruhigend. Ich weiß nicht wie ich mit ihm umgehen soll, wenn er so ist", erklärte sie und sah sich um. Hier war weit und breit niemand zu sehen. „Sag mal", begann sie als ihr das Thema von gestern wieder einfiel. „Dürft ihr nicht über den Sonderunterricht reden?"
Elon, der durch das bunte Laub stampfte runzelte die Stirn, während er den See ansteuerte den Mila bereits kannte. „Nur nicht mit Leuten, die noch nicht wissen, dass es solche Gaben gibt und die wohl selbst welche haben", antwortete Elon ehrlich und kletterte am Ufer auf einige große Felsen, um einen guten Platz zu suchen.
„Aber ist das nicht irgendwo kontraproduktiv?", wollte sie wissen und folgte ihm, bevor sie an den Felsen stehen blieb und darauf wartete, dass er irgendwas sagte.
„Nicht unbedingt. Sieh es als würde jemand eine Amnesie haben", begann Elon und nahm an einem hohen Punkt Platz und blickte über den See in die Ferne. „Du sagst niemandem, dass sein ganzes Leben anders verlaufen ist und alles gar nicht so ist wie er denkt. Die Person muss selbst draufkommen, sonst kann es schnell zu ... Gefühlsausbrüchen kommen. Und sowas ist schlecht für Begabte", erklärte er und klang überraschend ernst.
„Verstehe", murmelte Mila und beobachtete Elon dabei, wie er sich umsah. „Und was soll ich jetzt für dich machen?", fragte sie abwartend, aber neugierig.
„Wir suchen uns jetzt erstmal einen guten Platz mit passendem Lichteinfall", erwiderte Elon abwesend, da er noch immer konzentriert die Gegend absuchte.
„In Ordnung", meinte sie und wartete einfach ab. Elon würde ihr schon noch sagen, was genau er wollte. Aber bis dahin, müsste sie wohl Geduld haben.
„Gibt es irgendwas, was du gar nicht machen möchtest aufgrund von Religion oder so?", fragte er amüsiert und musste grinsen, als er von dem Felsen kletterte und einen Weg um den See herum einschlug.
Mila wirkte über diese Frage sichtlich irritiert. „Ich glaube nicht, solange du nicht erwartest, dass ich mich ausziehe, oder sonstiges, sollte es kein Problem geben", meinte sie und wusste immer noch nicht genau, worauf Elon hinauswollte.
"Schade", erwiderte Elon lediglich seufzend und kämpfte sich einen Weg durch etwas dichteres Gebüsch. Dabei machte er sich nicht die Umstände den Weg für Mila offen zu halten.
Diese wirkte wenig begeistert, folgte ihm aber. „Du willst mir nicht sagen, dass du geglaubt hast, dass ich zulassen, dass du Aktfotos von mir machst?", fragte sie empört.
Elon könnte nicht anders als zu lachen, bei Milas höchst empörten Ausruf. „Vielleicht will ich dich auch nur in Verlegenheit bringen", entgegnete er und Mila verstand nicht so recht ob es eine Frage oder Antwort war.
Er wollte sie also in Verlegenheit bringen. Wieso? Mila konnte es nicht sagen und folgte ihm weiter, in der Hoffnung bald anzukommen. Dieser Wald nervte sie langsam, denn sie hatte sich schon mehrmals an den Zweigen gekratzt.