Alli war auf den ersten Blick etwas enttäuscht, als Jack sie zu einem ziemlich abgerissen wirkenden Gebäude aus rostroten Ziegeln führte, dessen einziger Schmuck eine bunte Leuchtreklame über der Tür war, die an dem alten Mauerwerk eher kitschig und absolut deplatziert wirkte.
Hier drinnen sollte sich das angesagteste Lokal der Stadt befinden?
Doch als sie beide eintraten, tat sich ihnen eine völlig andere Welt auf.
Stimmengewirr und fröhliche Discomusik klangen ihnen entgegen, während sie gemeinsam die Stufen hinuntergingen, die zur Tanzbar führten.
Das DESTINY NIGHT strahlte durch seine besondere Atmosphäre und die eigens darauf eingestimmte Beleuchtung ein geheimnisvolles und zugleich gemütliches Flair aus. Modern und auf architektonisch perfekt ausgeklügelte Art wirkte es irgendwie verwinkelt und geheimnisvoll.
Alli blieb fasziniert auf den unteren Stufen stehen und griff, ohne sich dessen bewusst zu sein, nach Jacks Arm.
„Wow“, entfuhr es ihr. „Wer hätte das gedacht! Dein Freund David hat wirklich Geschmack! Von oben sieht es eher aus wie ein uraltes, verlassenes Fabrikgebäude.“
„Das war es auch, vor vielen Jahren“, erklärte Jack und nahm ihre Hand. „Eine Schnapsbrennerei, zumindest nach außen hin, aber in der Tiefe unten wurde angeblich kräftig mit dem Zeug geschmuggelt. Man erzählt sich, es hätte einst einen geheimen Zugang vom Meer durch die Felsengrotten zu den Kellerräumen der Fabrik gegeben, aber genau weiß es keiner.“
Alli zog beeindruckt die Augenbrauen hoch.
„Es scheint, als habe Destiny Beach viel mehr Geheimnisse, als man auf den ersten Blick vermutet!“
„Genau wie du...“, dachte Jack in Erinnerung an das Telefonat, dass er gestern mehr oder weniger zufällig gehört hatte. Nur mühsam widerstand er der Versuchung, ihre Hand zu ergreifen oder seinen Arm um ihre Taille zu legen. Würde sie das überhaupt zulassen? Er wollte sie nicht überfordern. Also deutete er auf die großzügige, dezent beleuchtete Bar am anderen Ende des großzügigen Raumes, die aussah, als würde sich hinter ihr der Zugang zu einem riesigen geheimnisvollen Gewölbe befinden.
„Komm mit, wir bestellen uns einen Drink und dann stelle ich dich meinen Freunden vor.“
Er warf ihr einen bewundernden Blick zu, während sie sich gemeinsam einen Weg am Rand der Tanzfläche entlang bahnten.
Alli hatte ihr Haar locker hochgesteckt. Einzelne Strähnchen begannen sich daraus zu lösen und umrahmten weich und vorteilhaft ihr zartes Gesicht.
In dem hellblauen Sommerkleid, das sie trug, wirkte sie noch schlanker und zerbrechlicher als sonst. Die Farbe bildete einen wirkungsvollen Kontrast zu ihren ausdrucksvollen dunklen Augen. Sie hatte ein äußerst dezentes Makeup aufgelegt, doch gerade das gefiel Jack besonders. Nichts an ihr erinnerte momentan an die rasante Motorradfahrerin, die ihn vor wenigen Tagen auf dem Freeway in halsbrecherischer Geschwindigkeit überholt hatte. Alli hatte sich von Kopf bis Fuß in eine hinreißende junge Lady verwandelt.
Jack selbst hatte sich für diesen Abend für eine dunkle Jeans und ein schwarzes Cargohemd entschieden, ein Outfit, das ihn verwegen und trotzdem dem Anlass entsprechend modisch leger aussehen ließ.
Nicht ohne Stolz registrierte er die bewundernden Blicke einiger Gäste, die vor allem der fremden Frau an seiner Seite galten, während sie beide den Raum durchquerten.
Natürlich schafften sie es nicht unbehelligt bis zur Bar zu gelangen, denn bereits nach wenigen Schritten traf Jack auf die ersten bekannten Gesichter, schüttelte Hände und stellte seine Begleiterin seinen anwesenden Freunden und Bekannten als seine neue Mitbewohnerin im Surf Center vor.
„Das war anstrengend“, stöhnte sie lachend, als sie endlich an der Bar angelangt waren und platznahmen. „Kennst du eigentlich jeden in der Stadt?“
„Nur jeden zweiten“, erwiderte er und zwinkerte ihr zu, bevor er sich an den Barmann wandte. „Hi Doug!“
„Jack, freut mich, dich zu sehen!“ Doug nickte auch Alli freundlich zu. „Willkommen im DESTINY NIGHT, schöne Fremde!“
Alli lächelte.
„Danke, es ist wirklich nett hier.“
Doug nickte lachend.
„Das will ich meinen. Heute Abend geht hier mächtig die Post ab! Die Band wird nachher unter Garantie dafür sorgen, dass sich alle prächtig amüsieren.“ Er angelte zwei Gläser hinter dem Tresen hervor. „Was darf ich euch beiden anbieten? Der erste Drink geht aufs Haus!“
„Auf unseren ersten gemeinsamen Abend“, sagte Jack feierlich und hob sein Glas. „Ich hoffe, dass es noch lange nicht der letzte ist!“
Alli warf ihm einen strafenden Blick zu.
„Du fängst schon wieder an!“
„Womit?“, fragte er unschuldig.
„Damit, mir irgendwelche Versprechen abzuringen, die ich dir beim besten Willen nicht geben kann.“
„Einen Versuch war es wert.“
Jack nahm einen Schluck von seinem Drink und betrachtete sie schweigend von der Seite, während sie sich mit Doug unterhielt, der gerade nicht allzu viel zu tun hatte.
Wer war Allison Tyler wirklich? Was hatte sie zu verbergen?
Für ihn war sie vom ersten Augenblick an wie ein „Buch mit sieben Siegeln“, und seit jenem geheimnisvollen Telefonat heute Nachmittag hatte sich dieser Eindruck noch um ein Vielfaches verstärkt.
Sie war schön und intelligent, und seitdem sie bei ihm wohnte, schien sie auch nicht mehr ganz so abweisend wie am Anfang, aber trotzdem wurde er nicht schlau aus ihr.
Warum gab sie so wenig von sich preis? Jedes Mal, wenn ihr irgendwer eine Frage stellte, die ihre Vergangenheit betraf, bemerkte er diesen panischen, gehetzten Ausdruck in ihren Augen, den er sich nicht erklären konnte. Sie wirkte nach außen hin so selbstständig und überlegen, aber er hatte sehr schnell mitbekommen, dass sie in Wirklichkeit zutiefst unsicher und einsam war. Sie schien Angst zu haben, dass ihr jemand zu nahekommen könnte, und gleichzeitig sehnte sie sich nach Geborgenheit. Irgendetwas Schlimmes musste geschehen sein, etwas, vor dem sie geflohen war und alles hinter sich gelassen hatte.
Anscheinend war dieser Mann, den sie „John“ nannte und mit dem sie vorhin telefoniert hatte, der Einzige, dem sie wirklich vertraute. Aber warum hatte er sie mit „Sam“ angesprochen?
War Allison am Ende gar nicht ihr richtiger Name?
„Jack!“
Erschrocken blickte er auf.
Alli musterte ihn irritiert. „Hey, träumst du? Doug hat dich etwas gefragt!“
„Sorry, ich habe eben über etwas Wichtiges nachgedacht.“ Er räusperte sich und straffte die Schultern. „Doug, alter Junge, was hast du auf dem Herzen?“
Der Barkeeper beugte sich vertrauensvoll vor.
„Sag mal... Der Boss und du, ihr seid doch gute Freunde.“
„Das könnte man so sagen.“
„Was weißt du über seine neue Freundin?“
„Neue Freundin?“ Jack verzog überrascht das Gesicht. „Keine Ahnung!“ Er blickte an Alli vorbei in Richtung der Treppe zum Personalbüro und ein breites Grinsen machte sich auf seinem Gesicht breit. „Aber ich werde ihn sofort danach fragen, da ist er nämlich gerade.“ Er sprang von seinem Barhocker und reichte seiner Begleiterin die Hand. „Komm mit, ich möchte dich mit meinem Freund David bekannt machen.“
David Edwards war groß, schlank und dunkelblond, mit einem markanten, schmalen Gesicht, dessen Blickfang unbestritten seine ausdrucksvollen Augen waren, von denen etwas Geheimnisvolles auszugehen schien. Sie waren von einem so intensiven Blau, wie man sie nur selten fand. Auf Außenstehende wirkte David auf den ersten Blick meist etwas verschlossen, doch wer ihn kannte, wusste es besser.
Als er Jack sah, verzog sich sein Gesicht zu einem herzlichen Lächeln, wobei sich zahlreiche kleine Lachfältchen in seinen Augenwinkeln zeigten. Alli konnte sich sehr gut vorstellen, dass ein gezielter Blick aus eben diesen blauen Augen eine bestimmte Zielgruppe von Frauen glatt um den Verstand bringen konnte. Allerdings vermochte sie mit Sicherheit zu sagen, dass sie selbst nicht zu dieser Zielgruppe gehörte. Dem entsprechend unbefangen erwiderte sie sein Lächeln, als Jack sie einander vorstellte.
„Freut mich Sie kennenzulernen, Mister Edwards.“
David hatte einen festen Händedruck, was in Allis Augen sofort auf Charakterstärke schließen ließ. Er blinzelte sie fröhlich an.
„Bitte nennen Sie mich David. Das tun alle Freunde von mir und Jack.“
„Gerne“, nickte sie zustimmend. „Ich bin Alli.“
David beugte sich etwas zu Jack hinüber und seine Lachfältchen vertieften sich.
„Wo zum Teufel findest du derart attraktive Mitbewohner, he?“
Jack grinste.
„Was soll ich sagen? Sie ist mir auf dem Highway begegnet. Sozusagen auf der Überholspur! Mal abgesehen davon, dass sie nicht ganz übel aussieht, sie fährt auch noch Motorrad wie der Teufel und hat mich als Einstand obendrein öffentlich beleidigt.“
„Hey, Moment mal“, protestierte Alli. „Ich konnte gar nicht anders, er ist gefahren wie ein alter Veteran.“
David zog erstaunt die Augenbrauen hoch.
„Jack Bennett? Wie ein… Veteran?“ Er warf seinem Freund einen fragenden Blick zu. „Reden wir jetzt von demselben Mann, der vor nicht allzu langer Zeit häufig an diesen illegalen Motorradrennen unten am Strand teilgenommen hat?“
Jetzt war es Alli, die erstaunt dreinblickte.
„Jack? Du bist Rennen gefahren? Meine Güte, haben sie dir Vorsprung gegeben?“
„Nein, nicht wirklich. Sag es nicht weiter, aber ich habe mein Einstiegssemester damit finanziert“, erwiderte Jack in einem Tonfall, als sei dies die natürlichste Sache der Welt, und David fügte hinzu:
„Er hat jedes Rennen gewonnen.“
„Wow...“ Alli schien sichtlich beeindruckt. „Du steckst immer wieder voller Überraschungen, Jack Christopher Bennett!“
„Tja, was soll ich sagen?“, meinte dieser mit Unschuldsmiene. „Wir haben zuweilen alle unsere kleinen Geheimnisse!“
David legte inzwischen seinen Arm um eine hübsche Brünette, die neugierig näher getreten war.
„Darf ich euch bei dieser Gelegenheit auch noch jemanden vorstellen? Das ist Kate Simmons. Sie ist gerade aus Montana hergezogen und arbeitet als Designerin in der Druckerei meines Bruders Daniel.“
Kate, eine zierliche junge Frau mit kastanienbraunem Haar, das ihr bis ans Kinn reichte, ließ ihre lebhaften braunen Augen von einem zum anderen wandern. Freundlich lächelnd reichte sie Alli und Jack die Hand.
„Nett, euch kennenzulernen. David hat mir schon viel von seinem Freund Jack erzählt.“
Der lachte schelmisch.
„Natürlich nur Gutes, will ich hoffen.“
David grinste.
„Zu den dunklen Seiten kommen wir erst noch.“
Alli musterte Jack mit gespielt prüfendem Blick.
„Du hast tatsächlich auch dunkle Seiten?“
Er lächelte zuckersüß und sah ihr tief in die Augen.
„Ich hoffe, du bleibst lange genug um es herauszufinden.“
Dann wandte er sich wieder an David.
„Ist dein Bruder eigentlich auch hier?“
„Ja“, nickte dieser und wies hinüber zur Bar. „Kommt mit, dann kann ich Alli gleich mit ihm bekannt machen.“
Daniel Edwards hatte nicht nur äußerlich sehr viel Ähnlichkeit mit seinem jüngeren Bruder, er strahlte ebenfalls diese unwiderstehliche Sympathie aus, die wohl bei den Edwards-Brüdern in der Familie zu liegen schien. Sogar Alli ließ sich schnell von seinem Charme anstecken und plauderte unbefangen mit ihm und Kate über Destiny Beach und die Arbeit in der Druckerei.
„Es muss toll sein, etwas Neues zu entwerfen und dann zu erleben, wie es gedruckt wird“, bemerkte sie anerkennend. „Ich an deiner Stelle würde platzen vor Stolz, wenn ich wüsste, dass jeden Tag tausende Menschen meine Entwürfe bewundern.“
„Da hast du Recht“, stimmte Daniel lachend zu und legte kameradschaftlich seinen Arm um Kates Schultern. „Sie ist wirklich ein Naturtalent!“
Kate lächelte etwas verlegen.
„Das liegt sicher daran, dass mir die Arbeit Spaß macht.“
„Ja, das spürt man“, nickte Alli.
„Und was tust du beruflich?“, erkundigte sich Daniel interessiert.
„Ich bin ärztliche Assistentin. Das heißt… Ich war es. Ich möchte mich gern beruflich verändern.“
„Interessant. Und an was hattest du dabei gedacht?“
Alli rührte in ihrem Drink und vermeinte Jacks neugierigen Blick in ihrem Rücken förmlich zu spüren.
„Keine Ahnung. Ich bin noch auf der Suche.“
„Vielleicht finden wir ja in der Druckerei etwas für dich, was dich interessieren könnte“, schlug Daniel spontan vor, doch Alli hob sogleich abwehrend die Hand.
„Oh nein… nein danke, das ist nett gemeint, aber ich glaube, dafür bin ich völlig ungeeignet.“
„Das käme auf einen Versuch an“, meinte Kate und nickte ihr lächelnd zu. „Komm doch einfach irgendwann mal vorbei und schau dir den Laden an. Vielleicht änderst du dann deine Meinung!“
„Sehen wir uns morgen auf dem Strandfest?“, wechselte David, dem Allis Zurückhaltung nicht entgangen war, unauffällig das Thema.
„Aber klar doch“, erwiderte Jack lachend und wandte sich an seine Begleiterin. „Das werden wir uns auf gar keinen Fall entgehen lassen, nicht wahr? Wir haben schließlich noch eine Wette offen!“
Alli nickte.
„Ja, genau. Vielleicht überraschst du mich ja dabei schon wieder!“
Sie wandte sich lächelnd an die anderen, die das Gespräch interessiert verfolgten. „Wir werden ganz bestimmt da sein.“
Jason hatte den ganzen Weg von der Klinik bis zum DESTINY NIGHT schnellen Schrittes zurückgelegt, um wenigstens noch ein klein wenig von der Party mitzubekommen. Diese Anstrengung tat ihre Wirkung, denn die Wut auf seinen Vorgesetzten, die sich während der gesamten Nachmittagsschicht über in seinem Bauch angesammelt hatte, war fast verraucht, als er schweratmend im Tanzlokal ankam.
Erleichtert stellte er fest, dass die Bar um diese etwas fortgeschrittene Zeit noch immer brechend voll war. Er erblickte viele bekannte Gesichter, als er sich zunächst zu Doug an die Bar setzte und seinen Blick suchend durch den Raum schweifen ließ.
Schließlich entdeckte er Trisha, die sich eben von der Tanzfläche aus einen Weg durch die Menge bahnte. Er winkte ihr zu, und sie kam zu ihm herüber.
„Hi Doc“, begrüßte sie ihn scherzhaft und sah kopfschüttelnd auf die Uhr. „Meine Güte, dein neuer Boss ist wirklich nicht zimperlich, was die Arbeitszeiten angeht!“
Jason verdrehte genervt die Augen.
„Wem sagst du das! Ich hatte schon befürchtet, er hängt mir noch eine Nachtschicht an.“
Anerkennend betrachtete er seine junge Kollegin, die er die meiste Zeit eigentlich nur in diesem roten Badeanzug der Lifeguards zu sehen bekam.
„Du siehst phantastisch aus, Trish.“
Sie lächelte geschmeichelt, denn sie hatte an diesem Abend sehr viel Zeit für ihr Äußeres verwendet. Ihr schulterlanges blondes Haar, das sonst immer zu einem praktischen Pferdeschwanz gebunden war, fiel seidig glänzend auf ihre Schultern. In ihrem hellen, knielangen Sommerkleid wirkte sie sehr elegant.
„Ich hoffe, das sagst du nicht nur, damit ich bei nächster Gelegenheit den Sonntagsdienst mit dir tausche“, zog sie Jason auf und wies dann hinüber zu den Tischen.
„Ich muss zurück, mein Freund wartet auf mich. Setz dich doch mit zu uns, Tom ist auch da und Jack mit seiner neuen Freundin!“
Er schüttelte den Kopf.
„Danke, Trish, vielleicht später. Hast du zufällig Selina gesehen?“
Seine Kollegin verzog bedauernd das Gesicht.
„Tut mir leid, aber ich kann dir nur wieder die gleiche Antwort geben wie schon heute Mittag am Strand. Sie ist nicht da.“
Er starrte enttäuscht in den Martini, den Doug ihm eingeschenkt hatte und stürzte das Getränk dann in einem Zug hinunter.
Wo war sie?
Wen konnte er nach ihr fragen?
Wer wusste etwas über sie?
Moment mal...
Hatte er sie nicht gestern Abend, bevor er mit ihr zum Pier gegangen war, mit seiner neuen Mitbewohnerin zusammen am Strand gesehen?
Natürlich!
Vielleicht wusste sie, wo Selina zu finden war!
Jason erreichte Alli, als diese gerade den Waschraum verließ. Bei ihrem Anblick konnte er einmal mehr verstehen, warum Jack von dieser jungen Frau total fasziniert zu sein schien, seit sie vor ein paar Tagen hier aufgetaucht war.
„Meine Güte!“ Er griff spontan nach ihrer Hand und drehte sie spielerisch um ihre eigene Achse. „Wow, ich bin beeindruckt!“
„Schmeichler“, lachte sie und stieß ihn kumpelhaft in die Seite. „Komm, setz dich doch zu uns!“
„Warte einen Augenblick“, hielt er sie zurück und räusperte sich verlegen. „Ich wollte dich etwas fragen.“
„Ja?“.
„Ich suche diese junge Frau. Selina. Ich habe euch gestern zusammen am Strand gesehen und dachte, vielleicht weißt du, wo ich sie finden kann?“
Alli biss sich auf die Lippen. So etwas hatte sie befürchtet.
Jetzt nur nichts Falsches sagen.
„Selina? Nun ja, ich kenne sie noch nicht lange. Sie ist mir letztens fast ins Motorrad gerannt. Sie mir erzählt, dass sie auch erst seit kurzem in der Stadt ist, und wir waren zusammen am Strand.“
„Hat sie dir bei der Gelegenheit auch erzählt, wo sie wohnt?“, fragte Jason hoffnungsvoll.
Alli schüttelte bedauernd den Kopf.
„Nein, da kann ich dir leider auch nicht weiterhelfen. Aber Destiny Beach ist eine Kleinstadt, sicher wird sie dir früher oder später wieder über den Weg laufen.“
„Weißt du sonst irgendetwas über sie?“, bohrte er weiter.
Sie atmete tief durch und sah ihn beschwichtigend an.
„Hör zu, Jason. Selina und ich, wir sind beide neu in der Stadt, und wir haben uns über dies und jenes unterhalten, das ist wahr. Aber wenn du etwas über sie wissen willst, dann solltest du sie schon selbst fragen, finde ich.“
Sie sah ihm die Enttäuschung an, nahm seinen Arm und zwinkerte ihm aufmunternd zu.
„Und nun komm mit, sicher gibt es hier ein paar Leute, die sich freuen werden, dich zu sehen!“
„Dein Freund David ist sehr nett“, meinte Alli etwas später, als sie mit Jack für einen Moment allein am Tisch saß , und fügte schmunzelnd hinzu: „...und sehr verliebt!“
„Verliebt?“, wiederholte Jack überrascht. „Du meinst, diese Kate und er...“
Sie lachte.
„Ich bitte dich, das spürt man doch! Hast du nicht bemerkt, wie er sie angesehen hat, als er sie uns vorstellte? Seine Augen haben richtig geleuchtet!“
„Was du nicht sagst. Das ist mir überhaupt nicht aufgefallen.“
Alli betrachtete ihn skeptisch.
„Wirklich? Eine Frau merkt so etwas sofort!“
`Und warum siehst du dann nicht, wie meine Augen leuchten, wenn ich dich ansehe?`, wollte er schon fragen, konnte sich diese Worte aber eben noch verkneifen. Er war froh, dass sie sich heute Abend etwas mehr aus ihrem Schneckenhaus herauswagte als sonst und sich gut zu amüsieren schien.
Wahrscheinlich musste er einfach Geduld haben.
Die Band bedankte sich für den Applaus und spielte einen neuen Titel.
Alli lauschte beeindruckt.
„Ein wunderschöner Song“, sagte sie leise.
„Er heißt „We belong together“, erklärte Jack und griff nach ihrer Hand. „Würdest du mit mir tanzen?“
„Gerne.“
Mit einer Selbstsicherheit, die sie für einen Moment erstaunte, nahm er sie in seine Arme, und sie bemerkte überrascht, was für ein guter Tänzer er war. Gefangen von der Melodie der einfühlsamen Ballade überließ sie sich seiner Führung und lehnte nach einer Weile träumerisch den Kopf an seine Schulter, während sie sich beide in perfektem Einklang mit der Musik bewegten.
Es schien Ewigkeiten her zu sein, seitdem Alli das letzte Mal getanzt hatte, in den Armen jenes Mannes, der ihre große Liebe war, damals, in einem anderen Leben...
Die vertrauten alten Bilder versuchten sich sofort wieder in ihr Gedächtnis zu drängen - Ihr Lieblingslokal, leise Musik und Andy.
Sie schloss die Augen.
Nein, sie würde es nicht zulassen, diesmal nicht. Für ein paar kurze Augenblicke wollte sie nicht mehr denken, nur noch fühlen, sich davontragen lassen von dem wundervollen Sound dieses Liedes. Sie kannte den Song nicht, hörte ihn zum allerersten Mal, doch er verursachte ihr Schmetterlinge im Bauch, und plötzlich wusste sie, dass sie dieses Lied, wann immer sie es in Zukunft irgendwo zu hören bekam und wo immer sie dann war, an Jack erinnern würde. An ihn und Destiny Beach.
Jack hatte keinen Blick für seine Umgebung. Er fühlte Allis Nähe so intensiv wie nie zuvor, er spürte ihre Wärme und nahm den zarten Duft ihres Haares wahr.
In den letzten Wochen hatte er es bewusst vermieden, solche langsamen, melancholischen Balladen zu hören, weil sie ihn unweigerlich an seine Zeit mit Aileen erinnerten, aber mit den letzten Klängen dieses Songs wurde ihm plötzlich klar, dass die Erinnerung an seine verflossene Liebe ihm nie mehr weh tun würde, denn er hatte sich neu verliebt...