Die Straßen in und um Destiny Beach
Jack rappelte sich ächzend auf und blickte unmittelbar darauf in die Mündung eines Dienstrevolvers.
„Keine Bewegung!“ Der Officer sah nicht aus, als würde er Spaß verstehen. Seine Forderungen waren eindeutig. „Hände auf die Motorhaube! Beine spreizen, Kopf runter! Na los, ein bisschen plötzlich!“
„Aber ich wollte doch nur...“, begann Jack, bekam jedoch sofort einen ziemlichen Stoß seitlich in die Rippen.
„Ich würde tun, was er sagt, Mister“, meinte der andere Polizist und klopfte nachdrücklich mit dem Gummiknüppel auf seine eigene Handfläche. „Ansonsten könnte das sehr unangenehme Folgen für Sie haben.“
Jack fügte sich, wenn auch widerwillig.
„Verdammt, ihr solltet stattdessen den anderen verfolgen! Er ist der Kriminelle“, knurrte er, als ihn der Officer durchsuchte.
„Was haben wir denn da? Eine Waffe?“
„Das ist meine Dienstwaffe!“, verteidigte sich Jack. „Der Waffenschein steckt in meiner...“
„Hey, warte mal, Marces!“, rief der andere dazwischen, der Jacks Brieftasche mit den Papieren durchsuchte. „Das ist doch... Jack Bennett?“ Ungläubig besah er sich den Mann näher. „Na los, nimm den Helm ab!“
Jack kam der Aufforderung nach, und die beiden Streifenpolizisten blickten einander erstaunt an. „Wer hätte das gedacht! Der Sicherheitschef der CEC! Warum sagst du das nicht gleich, Mann?“
„Ihr habt mich ja nicht zu Wort kommen lassen“, knurrte Jack ungehalten. „Und was nun?“ Ungeduldig schielte er nach seiner Maschine, die neben dem Streifenwagen auf der Straße lag. „Ich habe einen Einbrecher verfolgt. Wegen euch ist er inzwischen über alle Berge!“
„Das ist wirklich ärgerlich, aber das konnten wir nicht wissen“, erwiderte Officer Franklin und schob seine Dienstmütze in den Nacken. „Willst du, dass wir eine Fahndung nach dem Kerl einleiten?“
„Nicht nötig, den können wir vergessen. Der ist längst weg.“
Officer Marces hob bedauernd mit den Schultern.
„Sorry Jack, aber es nützt alles nichts, du musst uns aufs Revier folgen.“
„Waaas?“
„Überhöhte Geschwindigkeit, Gefährdung der Öffentlichkeit und eine Kollision mit einer Polizeistreife.“ Der Officer warf einen Blick auf die verbeulte Stoßstange seines Dienstfahrzeuges. „Dazu noch mit Sachschaden. Wir müssen unsere Dienstvorschriften einhalten, und ich fürchte, du wirst um eine Anklage leider nicht herumkommen.“
Jack hob abwehrend beide Hände.
„Hey Jungs, das könnt ihr doch nicht machen! Auf wessen Seite steht ihr eigentlich?“
„Auf der Seite des Gesetzes", belehrte ihn Franklin unbeirrt. „Außerdem habe ich keinen Bock darauf, den Schaden am Dienstwagen aus eigener Tasche zu bezahlen. Du vielleicht, Marces?“
Der Angesprochene verzog das Gesicht, als hätte er auf eine saure Zitrone gebissen.
„Nein, nicht wirklich. Aber zumindest müssen wir ihm keine Handschellen anlegen“. Mit einem fast schon entschuldigend wirkenden Lächeln hielt er Jack die Fahrzeugtür auf. „Mach uns keine Schwierigkeiten, okay?“
Kopfschüttelnd stieg Jack in den Streifenwagen.
„Und was ist mit meinem Motorrad?“, knurrte er frustriert.
„Franklin bleibt hier und ruft den Abschleppdienst. Wo sollen wir es hinbringen lassen?“
„In Brendons Werkstatt.“ Jack lehnte sich in ohnmächtiger Wut zurück und ergab sich seinem Schicksal, während sie zum Destiny Beach Police Department fuhren.
Police Department
Justin Coleman, von seinen Kollegen kurz „Cole“ genannt, betrat den Zellentrakt und kniff ungläubig die eisblauen Augen zusammen.
„Na wen haben wir denn da? Jack Bennett... Warst du mit deiner Braut wieder auf der Spielwiese?“
„Er hat angeblich einen Einbrecher verfolgt, ist von der Straße abgekommen, eine Böschung hinuntergefahren und dann direkt vor unserem Streifenwagen gelandet“, erklärte Marces.
Officer Coleman lachte höhnisch und strich sich mit den Fingern durch sein kurzes dunkelblondes Haar.
„Ah ja, gestern war`s ein lebensmüder Engel mit` nem vorlauten Mundwerk, heute ist es ein Einbrecher. Etwas Originelleres fällt dir nicht ein, oder was?“
„Hören Sie, Officer...“
„Coleman“, fiel ihm Cole grimmig ins Wort. „Ist das etwa so schwer zu merken? Aber kein Wunder, wenn sich der Verstand im Gaspedal verklemmt hat.“
„Jetzt reicht`s aber! Lassen Sie Ihre miese Laune gefälligst nicht an mir aus!“
„Miese Laune? Junge, wenn ich schlechte Laune habe, dann sieht das etwas anders aus. Frag die, die es überlebt haben.“ Er blinzelte Jack ärgerlich an. „Allerdings muss ich gestehen, dass mich dein Verhalten langsam geringfügig reizt. Ich komme am Sonntagnachmittag zum Dienst, während zu Hause mein Mädchen auf mich wartet, und was sehe ich als erstes? Den nervigen Raser von gestern! Und zu allem Überfluss muss ich dann noch einen ellenlangen Bericht über den Blödsinn schreiben, den du auf der Straße verzapfst!“ Er verzog das smarte, etwas kantige Gesicht, als hätte er auf etwas Saures gebissen, während er dicht an das Eisengitter herantrat. „Mal im Ernst, manch einer würde was drum geben, wenn er so eine Freundin hätte wie du! Weißt du wirklich nichts Besseres mit deiner Freizeit anzufangen, als mit ihr die Straßen unsicher zu machen?“
Jack trat ebenfalls näher.
„Klar, Officer. Zu dem Thema fällt mir` ne Menge ein. Deshalb wäre es wirklich nett, wenn Sie mich hier nicht unnötig festhalten würden!“
„Immer schön langsam. Wie kommst du darauf, dass ich heute nett bin?“ Coleman grinste verhalten, und Jack fiel auf, dass man bei seinem Gesichtsausdruck nie sicher sein konnte, ob er etwas ernst meinte oder jemanden nur auf die Schippe nahm. Er wusste nicht wieso, aber auf irgendeine merkwürdige Art war ihm dieser Coleman mit seinem unverkennbaren Südstaatenakzent sogar ein klein wenig sympathisch.
“Okay, ich wäre schon sehr dankbar, wenn Ihre gute Laune wenigstens so weit reichen würde, dass Sie mich endlich den Anruf machen lassen, der mir gesetzlich zusteht.”
Cole pfiff anerkennend durch die Zähne.
„Wow, wir haben es hier mit einem ganz Schlauen zu tun! Marces", rief er seinem Kollegen zu, ohne Jack dabei aus den Augen zu lassen. „Bring mal das Telefon her!“
Ein paar Sekunden später erschien Officer Marces mit dem Diensthandy, das Coleman mit bedeutungsvollem Blick an den Inhaftierten weiterreichte.
„Okay, Jack Bennett, ich hoffe, du bist hier verschwunden, bevor ich meinen Kaffee nebenan ausgetrunken habe. Und halte dich in der nächsten Zeit möglichst fern von Polizeistreifen!“
Hungrig, verärgert und frustriert verließ Jack gegen Mittag in Begleitung von David Edwards das Polizeirevier, nachdem dieser sofort nach dem Anruf seines Freundes hergekommen war und die notwendige Kaution gestellt hatte.
„Was war denn los?“, fragte David, als sie beide in seinen Wagen stiegen und in Richtung SUN CENTER fuhren.
Jack hob ärgerlich die Schultern.
„Ich wollte mich heute Morgen wie verabredet ein wenig in Georges Büro umsehen. Überraschenderweise war schon jemand vor mir da. Der hatte es allerdings mehr auf mein Büro abgesehen. Leider habe ich den Burschen etwas unterschätzt, als ich ihn verfolgte. Der hat sogar auf mich geschossen!“
„Was?“ David sah Jack entgeistert an. „Das gibt’s doch gar nicht!“
„Tja, das habe ich mir heute auch die ganze Zeit über einzureden versucht, als ich in dieser Zelle saß. Ich wüsste gar zu gern, wer diesen Kerl beauftragt hat. Der hatte die Alarmanlage ganz professionell außer Betrieb gesetzt. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich sagen, der kannte den Code.“
„Hast du der Polizei davon erzählt?“
„Wollte ich zuerst, aber die hätten mir sowieso nicht geglaubt. Und dann war ich mir nicht sicher, ob es in diesem Falle klug wäre, sie einzuschalten. Damit machen wir George nur misstrauisch.“
„Du hast Recht.“ Entschlossen startete David den Wagen. „Ich werde dich zu Hause absetzen und dann in der Firma noch einmal nach dem Rechten sehen.“
Jack schüttelte entschieden den Kopf. „Kommt nicht in Frage. Wenn schon, dann sollten wir zusammen hinfahren.“
„Nach diesem Vormittag willst du doch bestimmt nach Hause?“
„Na komm schon, Dave, ich bin nicht aus Watte!“, rief Jack ungeduldig. „Wir schauen uns die Sache jetzt sofort an!“
SUN CENTER
Als Jack sehr viel später endlich nach Hause kam, saßen alle in der Küche beim Abendessen. Alle, außer Alli.
„He Mann, wo warst du denn den ganzen Tag?“, rief Jason kauend. „Arbeitest du jetzt neuerdings auch am Sonntag?“
„Könnte man so sagen“, erwiderte Jack vage und blickte geistesabwesend in die Runde, während er sich ein Glas mit Mineralwasser eingoss. Jason wies auf die Abschürfung auf der Wange seines Freundes.
„Hattest du Ärger?“
„Nur ein kleiner Unfall“, erwiderte Jack kurz angebunden. „Mit dem Bike.“
Seine Mitbewohner starrten ihn erschrocken an.
„Du bist gestürzt?“, fragte Jason sogleich besorgt nach.
„Ich sag doch, nicht der Rede wert.“ Jack nippte an seinem Mineralwasser. „Wo ist denn Alli?“
„Keine Ahnung“, erwiderte Tom. „Sie ist schon seit einer Weile weg.“
„Sie hat sich Sorgen um dich gemacht, glaube ich“, ergänzte Selina, und Jack blieb der leicht vorwurfsvolle Unterton in ihrer Stimme nicht verborgen. „Du hast dich den ganzen Tag nicht gemeldet und auch keine Nachricht hinterlassen, so wie das eigentlich verabredet war.“
„Ich konnte nicht“, erwiderte er schuldbewusst. „Ich hatte etwas Wichtiges zu erledigen, das länger dauerte als geplant.“
„Und was ist mit deinem Bike?“, wollte Tom wissen.
„Ist in der Werkstatt. Wie gesagt, kein Grund zur Sorge, Leute. Ich musste einem Hindernis ausweichen und bin auf der unbefestigten Straße weggerutscht.“ Eine etwas verharmloste Interpretation, die jedoch noch nicht einmal gelogen war.
„Ein Glück, dass dir nichts weiter passiert ist.“ Selina nickte ihm erleichtert zu. „Alli ist vor einer halben Stunde hinunter zum Strand. Wollte ein wenig laufen.“
Jack stellte sein Glas in die Spüle und zwinkerte ihr dankbar zu.
„Danke, Selina.“
Auf dem Pier
Jack fand Alli allein draußen am Ende des Piers. Sie stand am Geländer und blickte gedankenversunken hinaus aufs Meer. Die zahlreichen Touristen, die sich um diese Zeit noch hier aufhielten, um den märchenhaften Sonnenuntergang zu bewundern, schien sie gar nicht wahrzunehmen.
„Hallo Fremde“, sagte er leise, trat neben sie und legte seinen Arm um ihre Schultern. Falls sie überrascht war, so ließ sie es sich nicht anmerken.
„Wieder zurück von deinem Ausflug?“, fragte sie scheinbar uninteressiert.
Er nickte.
„Ich hoffe, du hast dir keine Sorgen um mich gemacht?“
„Ich bin heute Morgen allein aufgewacht. Das hat mich schon etwas gewundert“, gab sie zu und streifte ihn mit einem kurzen Blick. Dabei entdeckte sie die Abschürfungen auf seiner Wange, die er sich bei seinem Sturz vom Motorrad zugezogen hatte.
„Was ist passiert?“
„Ach, das ist nichts... nur ein kleiner Unfall.“
Alli wollte etwas erwidern, besann sich dann jedoch und schaute wieder schweigend aufs Wasser hinaus.
„Bist du sauer auf mich?“, fragte Jack schmunzelnd.
„Wieso sollte ich?“
„Eben, wieso solltest du. Immerhin hast du mir erst kürzlich unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass mich dein Privatleben nichts angeht. Also...“ Er machte eine kurze Pause und blickte sie bedeutungsvoll von der Seite an. „Weshalb sollte dich dann meines interessieren?“
Alli schluckte und starrte weiter geradeaus.
Er sah, wie sie angespannt die Lippen aufeinanderpresste und mit sich zu kämpfen schien. In diesem Augenblick wurde ihm klar, dass sie sich den ganzen Tag lang um ihn gesorgt hatte, aber gleichzeitig wusste er auch, dass sie das niemals zugeben würde.
Lächelnd sah er sie an und hätte sie am liebsten in die Arme genommen, um sie nie wieder losgelassen.
Stattdessen ergriff er ihre Hand.
„Komm, lass uns noch ein Stück am Strand entlanglaufen und diesen herrlichen Abend genießen“, sagte er und zog sie einfach mit sich fort. Widerspruchslos folgte sie ihm.
Wortlos schlenderten sie Hand in Hand den Pier entlang zurück zum Strand. Dort schlugen sie den Weg hinauf zu den Dünen ein und setzen sich in den weichen Sand. Jack hatte erneut den Arm um Alli gelegt und sie lehnte den Kopf an seine Schulter.
Ein leichter Wind hatte sich erhoben, spielte mit den Wellen und wehte den typisch würzigen frischen Duft von Meer und salzhaltiger Luft zu ihnen herüber. Ein paar Möwen kreisten über den Strand und verkündeten laut kreischend das nahende Ende des Tages.
Alli und Jack sahen schweigend hinaus auf den weiten, im Abendlicht golden schimmernden Ozean und hingen ihren Gedanken nach. Sie fühlten beide diese starke Zuneigung, die sich in den letzten Wochen zwischen ihnen entwickelt hatte, aber sie wussten genauso gut, dass eine gemeinsame Zukunft noch sehr vage und unbestimmt in weiter Ferne lag und dass es keine Garantie gab für das, was kommen würde. Es war der Augenblick, der zählte, das Hier und Jetzt.
Wer konnte schon wissen, was morgen sein würde?
Wollte man das überhaupt?
Erst als die Sonne untergegangen war und die Dunkelheit über Destiny Beach hereinbrach, machten sie sich eng umschlungen auf den Heimweg.