SUN CENTER
Das Abendessen zog sich mühsam dahin, und auch die Flasche Wein, die Jack zur Feier des Tages spontan ausgeschenkt hatte, vermochte die eigenartige Stimmung nicht wesentlich aufzulockern.
Während der Doktor sich mittlerweile gezwungenermaßen um eine halbwegs gepflegte Konversation mit seinen neuen Mitbewohnern bemühte, gab sich seine Verlobte eher einsilbig und kleinlaut.
Als endlich alle fertig waren, beorderte Alli die Männer kurzerhand aus der Küche, unter dem Vorwand, gemeinsam mit Selina den Abwasch erledigen zu wollen.
„Das war ja der Knaller des Tages, meine Liebe“, grinste sie, als die beiden Frauen allein waren.
Selina nickte seufzend.
„Wem sagst du das! Wenn ich mit allem gerechnet hätte, aber nicht damit, dass ich hier auf Jason treffe.“ Hilfesuchend blickte sie die Freundin an. „Was soll ich denn jetzt bloß tun? Ich kann doch unmöglich mit ihm unter einem Dach wohnen! Und die ganze Sache rückgängig machen kann ich auch nicht, ohne dass ich Nick einen triftigen Grund dafür nenne. Schließlich war ich es, die das hier alles eingerührt hat.“
Alli nickte.
„Tja, da hast du wohl Recht. Jason war ziemlich verletzt, nachdem er erfuhr, dass du verlobt bist! Nach dem Strandfest hat er sich mit einer Flasche Whisky hier verschanzt und war absolut fertig, als Jack und ich ihn fanden.“
Schuldbewusst blickte Selina zu Boden.
„Das Dumme an der Sache ist nur, ich mag ihn wirklich. Sehr sogar. Mehr als mir lieb ist“, sagte sie leise. „Es tut richtig weh, wenn er mich so anklagend ansieht.“
„Du kannst aber nicht beide haben“, erwiderte Alli gutmütig. „Für den Moment gibt es nur eine Lösung für Jason und dich: Macht das Beste aus der Situation und versucht euch möglichst aus dem Weg zu gehen. Das wird zwar schwierig, aber vielleicht löst sich das Problem irgendwann allein.“
„Schön wär’s! Wenn Nick nicht zu allem Unglück auch noch der neue Chef von Jason wäre! Ich glaube, die beiden können einander nicht ausstehen.“
„Ja, das habe ich schon mitbekommen“, grinste Alli. „Ich hatte nur bisher absolut keine Ahnung, dass es sich bei diesem Dr. Stevenson ausgerechnet um deinen Verlobten handelt.“ Kopfschüttelnd legte sie ihre Hand auf Selinas Schulter.
„Weißt du was? Nimm das alles nicht so schwer. So tragisch die ganze Sache momentan auch scheint, eigentlich ist das alles schon wieder so urkomisch, dass man sich darüber totlachen könnte!“
Im DESTINY NIGHT
„Jen, gieß noch einen Drink ein“, rief Jason wütend und platzierte sein leeres Glas geräuschvoll auf die Theke. „Aber einen richtigen, einen von deinen Bretterknallern!“
Jennifer, die junge Kellnerin in der Tanzbar, zog ungläubig die Augenbrauen zusammen. War das derselbe Mann, der hier ab und an auf ein Bier vorbeikam und mit seiner unverwüstlichen guten Laune alle ansteckte?
„He, dir muss ja eine mächtig große Laus über die Leber gelaufen sein, dass du sie mit so viel Alkohol zu töten versuchst.“
„Ich will meinen Ärger runterspülen“, knurrte er unwillig. Er wusste genau, dass er der routinierten Barfrau nichts vormachen konnte. Demonstrativ warf sie ihr langes blondes Haar zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
„Jason Stone! Ich muss doch bitten! Meine Drinks genießt man und spült damit nicht irgendwelchen Ärger herunter!“ Als sie merkte, dass er für ihre Scherze heute unempfänglich war, grinste sie nachsichtig und beugte sich vertraulich zu ihm über den Tresen. „Ich mach` dir einen Vorschlag, mein Großer. Ich spendiere dir erst einmal ein frisches klares Mineralwasser mit so viel Sprudel drin, dass dir der Kopf davon schwirrt. Und dafür erzählst du mir, wer oder was dir das Leben so furchtbar schwermacht, dass es kaum zum Aushalten ist. Okay?“
Jason starrte sie einen Moment lang ungläubig an, dann schüttelte er schmunzelnd den Kopf.
„Du schaffst es doch immer wieder, einen aus dem Konzept zu bringen. Aber Wasser ist mir heute doch zu dünn. Ich nehme ein Bier.“
„Alles klar.“
Während Jennifer das Gewünschte holte, fuhr sich Jason frustriert mit der Hand über sein kurzes Haar. Er konnte einfach nicht fassen, was vorhin passiert war.
Selina war tatsächlich im SUN CENTER eingezogen, angeblich ohne zu wissen, dass er auch dort wohnte. Natürlich brachte sie ihren Verlobten mit, von dessen Existenz er leider erst erfahren hatte, als er sich schon Hals über Kopf in die junge Frau verliebt hatte. Zu allem Überfluss war Selinas Verlobter auch noch sein neuer Chef, der ihm mit seiner überheblichen lehrmeisterhaften Art derart das Leben in der Klinik zur Hölle machte, dass er sich jeden Tag fragte, womit er das verdient hatte, dass er sich bereits kurz nach Dienstbeginn nach seinem ruhigen Feierabend sehnte. Und nun sollte er diesen Menschen auch noch in seiner Freizeit ertragen, in seinem Zuhause, und obendrein zusehen, wie das glückliche Paar sich miteinander amüsierte.
Das war einfach zu viel des Guten!
„Los, erzähl schon!“
Jennifer schob ihm sein eisgekühltes Bier über den Tresen und blickte ihn erwartungsvoll an. „Was hat die böse Welt dir angetan?“
Etwas zögernd begann Jason zu berichten, und zu seinem eigenen Erstaunen bemerkte er, dass es ihm guttat, mit einer guten Freundin über sein Problem zu reden.
Jennifer erwies sich als geduldige Zuhörerin.
Zum Glück war es um diese Zeit im DESTINY NIGHT noch ziemlich ruhig, so dass niemand sie beide störte.
„Und? Was sagst du?“, fragte Jason schließlich, nachdem er sein Herz erleichtert hatte.
Jennifer maß ihn nachdenklich mit ihren großen blauen Augen.
„Oh Mann, das ist natürlich ein ziemlich unangenehmer Schlamassel“, gab sie schließlich zu. Dann drehte sie sich um, nahm frische Gläser aus dem Regal und goss zwei Drinks hinein. „Jetzt kann ich allerdings verstehen, dass du heute etwas Stärkeres brauchst.“ Sie reichte ihm ein Glas und zwinkerte ihm kumpelhaft zu. „Cheers, Jason! Auf die Liebe und auf alle dummen Zufälle im Leben! Und auf die Zufälle, die richtig weh tun!“
SUN CENTER
„Wo sind denn unsere beiden neuen Mitbewohner?“, fragte Jack, als er Alli und Tom allein unten in der Wohnstube vorfand.
„Sie wollten vor dem Schlafengehen noch einen Strandspaziergang machen“, erklärte Alli und zappte gelangweilt durch die TV-Programme. „Keine schlechte Idee übrigens.“
Jack verstand die Anspielung und lächelte entschuldigend.
„Tut mir leid, aber ich muss noch mal weg. Geschäftlich“, fügte er schnell hinzu, als er ihren erstaunten Blick sah.
„Ich hoffe nur, Jason ertränkt seinen Ärger heute Abend nicht im Alkohol, so wie neulich“, meinte Tom.
Jack nickte.
„Tja, das hat ihn ganz schön getroffen. Aber es konnte ja schließlich keiner ahnen, dass die drei sich auf Umwegen bereits kennen.“
Tom stand auf.
„Ich schau mal im DESTINYS vorbei“, sagte er und nahm seine Jacke. „Vielleicht ist Jason noch dort, und ich kann ein wenig auf ihn aufpassen.“
Jack sah auf die Uhr.
„Ich muss dann auch los. Kommst du allein klar?“
Alli nickte, wenn auch nicht sehr begeistert.
„Na sicher, ich werde schon nicht vor Langeweile sterben, bis Selina und Nick zurück sind.“
Jack lächelte.
„Glaub mir, ich wäre viel lieber mit dir noch zum Strand gegangen. Aber was ich heute vorhabe, kann nicht warten. Zuviel hängt davon ab.“
„Ich hoffe, es ist nichts Gefährliches, was du tust?“
„Wie kommst du denn darauf?“
Sie hob nachdenklich die Schultern.
„Keine Ahnung. Einfach nur so ein Gefühl.“
Er trat zu ihr an die Couch und beugte sich herunter.
„Dass du Angst um mich hast, beweist, dass du mich magst. Das gefällt mir. Sehr sogar“, flüsterte er schelmisch und küsste sie spontan auf die Wange.
„Das ist kein Spaß, Jack“, erwiderte sie mit ernster Miene. „Was auch immer du so Geheimnisvolles tust, bitte pass auf dich auf!“
SUN CENTER
Selina fand in dieser Nacht lange keinen Schlaf. Unruhig wälzte sie sich von einer Seite auf die andere.
Was hatte sie sich da nur eingebrockt! Wie sollte sie hier leben, in einem Chaos von gegensätzlichen Gefühlen?
Einerseits war da Nick, seit nunmehr drei Jahren der Mann an ihrer Seite, den sie zu lieben glaubte, dem jedoch seine Arbeit hier offensichtlich wichtiger war als ihre Beziehung.
Andererseits gab es plötzlich Jason, in dessen Nähe sie jedes Mal Herzrasen bekam, der sie jedoch nun mit Sicherheit hasste.
Sie hörte Schritte aus dem Nebenzimmer. Nick kam herein und setzte sich auf die Bettkante. Seine Hand tastete nach ihrem Kopf und strich zärtlich über ihr Haar.
„Selina? Schläfst du schon?“
Sie rührte sich nicht, starrte nur mit zusammengepressten Lippen in die Dunkelheit, bis sie merkte, dass er aufstand und leise wieder hinausging.
Aufschluchzend drehte sie sich auf die andere Seite.