Am Strand
Während sie beide die Strandpromenade entlang schlenderten, hörte Alli genau zu, was Jack von der CEC Corporation zu berichten hatte. Ihr Interesse für die Firma und diese Art von Tätigkeit war anfangs nicht allzu groß gewesen, doch je mehr sie erfuhr, desto aufmerksamer wurde sie. Jack hielt auch nicht damit hinter dem Berg, dass sie sich, falls sie den Job annehmen würde, vor George Carrington genauso vorsehen müsse wie vor seiner ihm treu ergebenen Assistentin Brenda, die neben ihrer intensiven Schönheitspflege während der Arbeitszeit auch noch skrupellos für ihren Boss spionierte.
„Also auf Carrington und seine Vorzimmer-Dame bin ich echt gespannt“, quittierte sie Jacks Ausführungen schließlich.
Jack horchte erfreut auf.
„Soll das heißen, du wirst den Job bei David annehmen?“
„Na ja, mal angenommen, ich tue es", erwiderte Alli mit einem diplomatischen Lächeln. „Ich würde dann sicher noch eine Weile hierbleiben müssen.“
„Ja, das wäre eventuell von gewissem Vorteil“, ging Jack auf ihr kleines Spiel ein und grinste verhalten.
"Ich müsste noch länger im SUN CENTER wohnen", spann sie den Faden weiter.
"Kaum auszuhalten."
„Ich könnte nicht mehr bis mittags schlafen, nicht mehr faul am Strand liegen.“
„Tja, das könnte allerdings zu einem mittelschweren Problem werden.“
„Und ich wäre gezwungen, meine gesamte Garderobe umstellen.“
„Wie schrecklich!“
„Jack, mein Leben wäre plötzlich absolut festgelegt!“
„Uuuuh... das klingt grausam und furchtbar spießig.“
„Mach dich nicht über mich lustig!“
Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatten sie beide während ihres kleinen Geplänkels inzwischen den Weg zum Strand eingeschlagen und waren am Pier angekommen. Sie blieben stehen und sahen einander an. Über dem Horizont färbte sich die Sonne bereits glutrot und zauberte einen märchenhaften Glanz in ihre Augen.
„Und nun zu den guten Seiten, die der Job bei David mit sich bringt“, meinte Jack und zwinkerte ihr zu, bereit, das Spiel noch eine Weile weiterzuspielen.
Erneut ging sie darauf ein und verzog scheinbar skeptisch das Gesicht.
„Gute Seiten? Gibt es bei einem Job so etwas?“
„Das will ich meinen. David zahlt dir ein großzügiges Gehalt.“
„Dafür muss ich arbeiten.“
„Wir beide würden uns in der Firma auch tagsüber ab und zu sehen.“
„Zählt das etwa zu den guten Seiten?“
„Auf jeden Fall. Ich muss dich im Auge behalten, denn immerhin arbeitest du für den bestaussehendsten CEO der Stadt.“
„Was nützt mir das, wo er doch schon vergeben ist.“
Jack trat ganz dicht an sie heran und fing ihren Blick ein.
„Das Beste habe ich dir aber noch gar nicht erzählt.“
„Und das wäre?“
„David hat den charmantesten Sicherheitschef von ganz Destiny Beach“, flüsterte er verheißungsvoll.
„Was du nicht sagst“, flüsterte sie scheinbar beeindruckt zurück.
Ihre Blicke tauchten ineinander und ihre Lippen waren nur noch einen Hauch voneinander entfernt...
In diesem Augenblick ertönte vom Lifeguard-Turm her ein kurzes, aber sehr intensives Alarmsignal, das beide erschrocken auseinanderfahren ließ.
„Was war das?“, fragte Alli ganz benommen.
Jack schaute hinüber zum Turm und vermochte einen kurzen Fluch nicht zu unterdrücken, als er das schelmisch grinsende Gesicht dort oben hinter der Fensterscheibe erblickte.
„Jason, verdammt!“
„Was macht er denn um diese Zeit noch hier? Es ist kein Mensch mehr am Strand, er müsste doch längst Feierabend haben“, wunderte sich Alli, nachdem sie sich einigermaßen von dem Schreck erholt und ihre Gefühle wieder unter Kontrolle gebracht hatte.
„Ich bin sicher, er wollte uns nur ein wenig ärgern“, knurrte Jack und nahm sie bei der Hand. „Komm mit, wir statten Mister "Troublemaker" einen kurzen Besuch ab. Ich muss dringend ein paar ernste Worte mit ihm reden!“
Lachend stiegen sie die Stufen zum Turm hinauf.
„Komm raus, Unruhestifter!“
„Uh, mir zittern schon die Knie vor Angst“, ließ sich Jason von oben vernehmen. Aufgrund seines gelungenen Streiches grinste er noch immer übers ganze Gesicht.
„Das kostet dich mindestens eine Runde im DESTINYS“, lachte Alli. „Uns derart zu erschrecken!“
„Das war mir die Sache wert“, erwiderte er zufrieden. „Normalerweise gibt es Alarm, nachdem etwas passiert ist, aber diesmal wollte ich einfach schneller sein und euch warnen, bevor etwas geschieht!“
Jack klopfte ihm kräftig auf die Schulter.
„Danke, Kumpel, wir werden uns bei Gelegenheit ganz sicher revanchieren.“
„Wieso bist du eigentlich um diese Zeit noch hier?“, erkundigte sich Alli, während sie sich interessiert in dem kleinen Büro der Lifeguards umsah.
Jasons Lächeln erstarb. Scheinbar gleichgültig hob er die Schultern.
„Was soll ich im SUN CENTER? Da hockt seit gestern der Feind. Und ins DESTINYS mag ich auch nicht schon wieder gehen. Also verbringe ich meinen Abend hier und erschrecke gelegentlich gewisse Pärchen am Strand.“
„So wie eben, ja?“ Mit einem Seitenblick auf Alli, die sich die Fotos an der Pinnwand betrachtete, raunte er augenzwinkernd: „Hör gut zu, mein Freund, nur weil dein Liebesleben zurzeit brachliegt, musst du meines nicht zwangsläufig auch stören.“
„Ach ja? Ich wusste gar nicht, dass du momentan so etwas hast“, gab Jason grinsend zurück.
„Ich kann euch hören, Jungs“, kam ein diskreter Kommentar aus Allis Richtung. Die beiden Männer fühlten sich ertappt und grinsten. Jason drehte sich rasch zu ihr um.
„Na, was sagst du zu den Bildern?“
„Bist du das hier auf dem Board?“, fragte sie erstaunt.
„Klar, an dem Tag haben wir die Pacific Coast Amateur Championships gewonnen!“
„Wow, Jason, der Surfer! Das muss ich mir bei der nächsten Gelegenheit unbedingt ansehen.“
Der Rettungsschwimmer lachte geschmeichelt.
„Wenn man hier in Kalifornien aufwächst, bekommt man das Surfen sozusagen in die Wiege gelegt.“
„Was du nicht sagst“, meinte Jack trocken.
„Ich für meinen Teil kann nur jeden Einzelnen bewundern, der sich im Wasser auf so einem Brett halten kann und dabei noch eine Super-Figur macht“, schwärmte Alli sichtlich beeindruckt.
Jason grinste von einem Ohr zum anderen.
„Hast du das gehört, Jacko? Du solltest schnellstens surfen lernen, wenn du bei der Lady punkten willst!“
„Und mir dabei den Hals brechen?“ Kopfschüttelnd winkte Jack ab. „Nein, danke. Mein Motorrad ist mir lieber. Außerdem muss ich Alli nicht beeindrucken, sie ist mir auch so schon völlig verfallen.“
„Träum weiter, du Spinner“, lachte seine Begleiterin und knuffte ihn in die Seite.
Jason wies auf eines der Team-Fotos.
„Sind wir nicht eine tolle Truppe? Allerdings könnten wir noch etwas Verstärkung gebrauchen. Wäre das nicht vielleicht ein Job für dich? Ich wette, der knappe rote Badeanzug steht dir ganz hervorragend.“
Sie hob lachend die Hände.
„Ich als Rettungsschwimmer? Ich bitte dich, Jason! Das wäre ein wahrer Albtraum für jeden Verunglückten.“ Mit einem vielsagenden Blick auf Jack fügte sie verheißungsvoll hinzu: „Außerdem habe ich vielleicht einen anderen Job in Aussicht. Einen, bei dem meine Füße trocken bleiben.“
Jason grinste.
„Na dann viel Glück.“ Er drehte sich um und wies nach draußen auf die Aussichtsplattform. „Kommt mit raus, von hier oben kann man den Sonnenuntergang so richtig genießen.“
Sie traten hinaus und beobachteten eine Weile schweigend, wie der glutrot gefärbte Sonnenball langsam am Horizont im Meer versank. Den letzten Rufen der Möwen und dem Rauschen der nimmermüden Wellen lauschend, den würzigen Duft des Ozeans in der Nase und den wohltuenden, lauen Abendwind im Haar, hing jeder von ihnen seinen Gedanken nach, bis das herrliche Schauspiel der Natur schließlich ein Ende fand, und der lange heiße Tag sich in die sanfte Dunkelheit einer sternenklaren warmen Sommernacht verlor.
„Willst du uns nicht doch zum SUN CENTER begleiten?“, bat Alli, als sie und Jack sich schließlich auf den Heimweg machten.
„Vielleicht später“, erwiderte Jason störrisch. „Zur Nachtruhe.“
„Ach komm schon, du und Selina, ihr könnt euch doch nicht ewig aus dem Weg gehen! Irgendwie müsst ihr euch arrangieren, sonst wird das eine Qual für alle Beteiligten.“
„Das ist es bereits, glaub mir.“
„Dass du dich die ganze Zeit verdrückst, ist aber auch keine Lösung“, warf Jack ein.
„Momentan schon“, knurrte Jason. „Ich hoffe, die beiden ziehen bald wieder aus!“
„Vielleicht solltest dich mit Selina noch einmal in Ruhe unterhalten“, schlug Alli vorsichtig vor.
„Und worüber, wenn ich fragen darf?“, schnaufte Jason wütend. „Vielleicht darüber, dass sie ausgerechnet mit dem Kerl verlobt ist, der mir schon jeden Tag in der Klinik das Leben zur Hölle macht? Ich kann euch sagen, heute war er besonders gut drauf! Und dann soll ich mir als Krönung des Tages nach Feierabend das junge Glück noch zu Hause ansehen? Besten Dank auch.“ Er besann sich kurz und nickte Alli entschuldigend zu. „Tut mir leid, ich wollte nicht laut werden, du kannst ja nichts dafür.“ Tief durchatmend griff er nach seiner Jacke. „Vielleicht habt ihr beide ja Recht. Warum soll ich mich verstecken, das SUN CENTER ist mein Zuhause, ich war schließlich zuerst da.“
Er schaltete das Licht aus und verschloss die Tür.
„Also werde ich jetzt mit euch zusammen nach Hause gehen.“
SUN CENTER
Als Nick aus der Klinik kam, hatten alle längst zu Abend gegessen. Die Männer saßen gemütlich im Wohnzimmer beisammen und kommentierten lautstark ein anscheinend wichtiges Footballspiel, das im Fernsehen lief. Lediglich Tom reagierte auf Nicks kurze Anfrage, wo Selina zu finden sei und wies mit dem Daumen in Richtung Küche.
Dort fand er sie dann auch, munter schwatzend mit Alli. Es schien eine Art Modeberatung zu sein, die seine Verlobte ihrer neuen Freundin zukommen ließ, ein Thema, das Nick zu diesem Zeitpunkt am allerwenigsten interessierte. Er war müde, überarbeitet, und seit Stunden knurrte ihm der Magen.
„Kann man hier irgendwo noch etwas Essbares auftreiben?“, erkundigte er sich frustriert und erwiderte Selinas Begrüßungskuss kaum. Sie ging zum Kühlschrank, nahm einen Teller mit köstlich aussehender Lasagne heraus und schob diesen in die Mikrowelle.
„Ich habe extra etwas für dich aufgehoben, Schatz“, sagte sie fürsorglich.
Nick schielte misstrauisch nach dem Teller.
„Wer hat das zubereitet? Doch nicht etwa Jason?“
„Ich habe gekocht.“ erwiderte Selina leicht verärgert, während Alli ihr aufmunternd zunickte und sich dann diskret zurückzog, um die beiden nicht weiter zu stören.
„Du könntest ruhig etwas freundlicher sein“, beschwerte sich Selina, als sie mit Nick allein war. „Vor allem unseren Mitbewohnern gegenüber.“
„Tut mir leid, aber ich hatte einen furchtbaren Tag“, lenkte er ein und griff nach dem Besteck. „Auf dem Freeway war ein schwerer Unfall, und es kamen pausenlos Verletzte rein, ein paar davon sahen ziemlich übel aus. Wir hatten alle Hände voll zu tun.“
„Was ist mit deinem Praktikanten? Er hätte doch sicher auch helfen können“, warf Selina vorsichtig ein. Nick winkte ab.
„Der hatte ja schon eine Doppelschicht hinter sich. Als ich in den OP gerufen wurde, habe ich ihn heimgeschickt, damit er draußen kein Chaos anrichtet.“
„Vielleicht traust du ihm einfach nicht genug zu?“
Nick schnaufte verächtlich.
„Das ist es ja gerade, dem traue ich in seinem Übereifer alles zu! Der muss erst mal lernen, sich meinen Anweisungen unterzuordnen und sich wie ein Praktikant zu benehmen!“
Selina stellte ihm das Essen hin und setzte sich zu ihm an den Tisch. Unmutig zog sie die Augenbrauen zusammen.
„Ich glaube, du tust ihm Unrecht.“
Er blickte verärgert auf.
„Warum verteidigst du diesen Kerl eigentlich immer? Du kennst ihn doch kaum.“
Selina schluckte. Sie kannte Jason besser, als ihr Verlobter je erfahren durfte. Schnell wechselte sie das Thema.
„Dann müssen sie eben noch einen oder zwei Ärzte am Medical Center einstellen, wenn ihr dauernd unterbesetzt seid“, beeilte sie sich zu sagen. „Ihr könnt ja nicht jeden Tag vierundzwanzig Stunden arbeiten.“
„Wem sagst du das“, erwiderte Nick kauend. „Aber nein, anstatt das zu tun, schicken sie mich noch zu einem Fortbildungskurs! Als ob ich so etwas nötig hätte.“
„Fortbildungskurs?“, wiederholte Selina erstaunt. „Wann denn?“
„Ab übermorgen. An die Stanford Universitätsklinik nach San Francisco, für eine Woche.“
„Na toll“, murmelte Selina wenig begeistert. „Und wer macht in der Zeit deine Arbeit in der Klinik?“
„Sie schicken eine Vertretung.“
Der Abend war gelaufen.