Auf dem Pier
Eine Menge Schaulustige umringten erwartungsvoll die Bühne am Ende des Piers. Der Auftritt des Popstars und das angekündigte Live-Interview mit ihm standen unmittelbar bevor. Jeder wollte den Star und seine Band hautnah erleben.
Jack blieb unschlüssig stehen. Er verspürte keine Lust, ein Bad in der Menge zu nehmen. Trotzdem ging er weiter, so als würde ihn eine unsichtbare Macht vorantreiben. Er hatte Alli mit dem Traumfänger in der Hand auf der Bank sitzen gelassen und sich absichtlich nicht umgedreht. Auf diese Art konnte er sich wenigstens einreden, dass sie ihm folgen würde, auch wenn er sich dessen gar nicht so sicher war. Aber was war bei dieser ungewöhnlichen Frau schon sicher?
Nichts, absolut gar nichts…
Jack schlenderte an den sich in Richtung Bühne drängenden Leuten vorbei, als er plötzlich etwas abseits seinen Freund David Edwards stehen sah.
Er ging hinüber zu ihm und klopfte ihm lachend auf die Schulter.
„Was tust du hier so allein? Gestern hattest du einen Engel an deiner Seite!“
„Der Engel arbeitet für einen Sklaventreiber, der zufällig mein großer Bruder ist“, erwiderte David mit einem Augenzwinkern. „Aber ich habe sie für heute Abend freigekauft. In ein paar Minuten wird sie hoffentlich hier sein.“
Jack grinste.
„Wir beide kennen uns nun schon ziemlich lange, und ich muss zugeben, ich habe deine Augen noch nie vorher so leuchten gesehen.“
David schmunzelte.
„Was soll ich sagen, Jack, wenn mir vor ein paar Tagen jemand von der berühmten Liebe auf den ersten Blick erzählt hätte, dann hätte ich ihn ausgelacht. Heute sehe ich das allerdings anders. Aber wem sage ich das.“ Er blickte seinen Freund vielsagend an. „Dich hat es anscheinend auch erwischt. Alli ist eine tolle Frau.“
„Mag sein“, wehrte Jack ab. „Aber zwischen uns läuft nichts. Nicht, dass ich es mir nicht wünschen würde, doch sie scheint kein Interesse an einer Beziehung zu haben. Sie ist sehr zurückhaltend und ungewöhnlich verschlossen, was ihre Vergangenheit betrifft.“
David sah ihn nachdenklich an.
„Soll ich ein paar Nachforschungen über sie anstellen?“
„Auf keinen Fall, Dave! Ich will ihr nicht nachspionieren. Was auch immer sie zu verbergen hat, ich möchte, dass sie mir vertraut und mir dann vielleicht irgendwann selbst alles erzählt.“
David nickte.
„Kann ich verstehen. Sag mir einfach Bescheid, wenn du meine Hilfe brauchst.“
„Wo steckt eigentlich George die ganze Zeit?“, wechselte Jack das Thema. „Hat der Schakal die Höhle verlassen?“
„Er ist ein paar Tage geschäftlich in Mexiko unterwegs“, informierte David Jack über seinen Geschäftspartner. „Irgendetwas Dringendes. Das kam ziemlich überraschend, und ich erwarte ihn nicht vor Wochenmitte zurück.“
Jack lächelte zufrieden. Dann hatte er noch ein paar Tage Zeit für einige weitere diskrete Nachforschungen, ohne dass Carrington ihm in die Quere kommen würde.
Das war gut. Sehr gut!
Auf dem Pier
„Selina, endlich!“ Jason war sichtlich erfreut, sie zu sehen. „Wo hast du bloß die ganze Zeit gesteckt?“
Etwas verlegen blieb sie stehen.
„Ich war... unterwegs“, erwiderte sie hastig und wich seinem Blick aus. „Tut mir leid, wenn du gewartet hast.“
Jasons Lächeln verschwand. Aufmerksam sah er sie an. Irgendetwas stimmte nicht. Sie wirkte irgendwie verändert. Sollte der Kuss neulich sie wirklich so verwirrt haben?
„Tolles Strandfest“, sagte sie gezwungen fröhlich und trat ans Geländer, von wo aus sie auf den Strand hinunter sehen konnte. Ihr Herz schlug heftig in seiner Nähe, und das machte sie glücklich und verunsicherte sie gleichzeitig zutiefst.
Er trat neben sie und lehnte sich an die Brüstung.
„Ja, dieses Fest ist jedes Mal ein toller Erfolg. In diesem Jahr können wir uns glücklich schätzen, dass wir ein paar sehr bekannte Stars live auf der Bühne haben. Ich wette, das wird heute noch eine lange Nacht.“ Er sah sie an und suchte erneut vergeblich ihren Blick. „Es ist schön, dass du da bist.“
Selina starrte hinunter auf die Wellen.
„Ich werde nicht lange bleiben, Jason“, sagte sie leise. „Ich wollte nur einen kleinen Abendspaziergang machen, um den Kopf ein wenig freizubekommen.“
Spontan griff er nach ihrer Hand.
„Okay, dann lass uns gehen!“
„Warte...“
Selina zögerte einen Augenblick, dann drehte sie sich zu ihm um und sah ihm endlich in die Augen. Sie musste ihm die Wahrheit sagen, auch wenn es wehtat. Es gab keine andere Möglichkeit. Sie wusste, sie hatte schon viel zu lange gewartet.
„Ich wollte heute Abend ein wenig allein sein, verstehst du?“, sagte sie leise. „Ich muss über einiges nachdenken.“
„Ausgerechnet heute? An so einem schönen Abend?“
„Ja.“
Er nickte etwas enttäuscht und ließ ihre Hand wieder los.
„Dann sehen wir uns später?“
„Jason...“ Sie presste die Lippen zusammen und es fiel ihr sichtlich schwer, ihm das zu sagen, was jedoch unvermeidlich war. „Es wäre besser, wenn wir uns gar nicht mehr sehen würden.“
„Wie war das?“
Er glaubte zunächst sich verhört zu haben. In seinen dunklen Augen lag Verwunderung und Unverständnis.
„Was ist passiert, Selina? Habe ich etwas Falsches gesagt oder getan? Oder ist es wegen dem Kuss neulich?“, fragte er, nachdem er sich einigermaßen gefasst hatte und fuhr sich verlegen mit der Hand durchs Haar. „Ich dachte, du wolltest es auch!“
„Ja... Nein...“, unterbrach sie ihn hastig, und ihre Stimme klang gequält. „Du bist toll, und ich mag dich wirklich sehr, es ist nur so... Ich bin nicht allein nach Destiny Beach gekommen. Mein Verlobter ist auch mit hier.“
Nun war es heraus.
„Dein... Was?“
Fassungslos über das eben Gehörte starrte er sie an. Ihre Worte waren für ihn wie ein Schlag ins Gesicht. „Und das sagst du mir erst jetzt?“
„Glaub mir bitte, ich habe die ganze Zeit über nach einer Gelegenheit gesucht, es dir zu erzählen“, versuchte sie zu erklären, doch er hob nur abwehrend die Hände und trat einen Schritt zurück.
„Das darf doch nicht wahr sein! Du lässt in aller Seelenruhe zu, dass ich mich in dich verliebe und erklärst mir dann irgendwann so ganz nebenbei, dass es einen Verlobten gibt, der sogar mit hier in der Stadt ist?“ Verständnislos schüttelte er den Kopf, ohne sie dabei aus den Augen zu lassen. „Was zum Teufel ist das für ein mieses Spiel, Selina? Ist es bei euch im Osten vielleicht so Sitte, gewissenlos auf den Gefühlen anderer Menschen herumzutrampeln?“
„Jason... bitte“, versuchte sie verzweifelt einzulenken, doch er wollte nichts hören.
Abweisend blickte er sie an.
„Okay, dann lass uns eines klarstellen, Lady: Du lebst jetzt hier, und es wird sich nicht vermeiden lassen, dass wir uns in dieser Kleinstadt ab und zu begegnen. Aber du hast Recht, wir sollten in Zukunft besser versuchen, uns gegenseitig aus dem Weg zu gehen. Ich wünsche dir noch einen schönen Abend.“
Er drehte sich um und ging davon.
Selina starrte ihm nach, bis er in der Menge verschwunden war. In ihren Augen brannten heiße Tränen, und ihr Herz lag schwer wie Blei in ihrer Brust, als sie sich schließlich langsam auf den Weg zurück ins Hotel machte.
Auf dem Strandfest
Jack stand abseits des lauten fröhlichen Treibens allein am Strand und blickte zum fernen Horizont, hinter dem die Sonne bereits geraume Zeit verschwunden war. Die Dunkelheit brach unaufhaltsam herein und ließ die Konturen zwischen Himmel und Meer langsam miteinander zu einem tiefen Nachtblau verschmelzen. Schon begannen die ersten Sterne wie kostbare Diamanten zu funkeln, während der Mond über den Dächern von Destiny Beach aufgegangen war.
Die gleißenden Lichter, die bunten Lampions und die grellen Scheinwerfer der Bühne rund um die Live-Show verwandelten den in einiger Entfernung liegenden Pier in eine laute, fröhlich schillernde Vergnügungsmeile, die bis weit ins Meer hineinreichte.
Die perfekte Nacht für gute Laune und Romantik.
Jack schien von all dem nichts zu bemerken. Tief in Gedanken versunken starrte er hinaus in die Dunkelheit.
Alli...
Sie war ihm nicht gefolgt, wie er vorhin insgeheim gehofft hatte, als er ihr die Kette mit dem indianischen Symbolanhänger geschenkt hatte, die fast schon so etwas wie eine Liebeserklärung gewesen war. Aber sie hatte wohl einfach kein Interesse an ihm, auch wenn es manchmal so schien. Er hatte sich mit Sicherheit ganz umsonst irgendwelche Illusionen gemacht.
Eigentlich gab er nicht so leicht auf, aber momentan war er an einem Punkt angelangt, an dem er nicht recht weiter wusste. Zu viele Geheimnisse umgaben Alli, und sie hatte kein Vertrauen, nicht zu ihm oder sonst jemandem. Vielleicht nur zu diesem geheimnisvollen Anrufer, John...
Der Sanitäter vorhin hatte sie „Doc“ genannt, was ihr offensichtlich gar nicht gefallen hatte.
Warum?
Und warum konnte sie mit der Waffe umgehen wie ein Profi?
Was waren das für Alpträume, die sie quälten?
Viele Fragen und nicht eine einzige Antwort.
Davids Angebot fiel ihm ein. Vielleicht sollte er doch darauf zurückkommen?
Nein, auf keinen Fall, das wollte er nicht. Wenn sie herausbekäme, dass er ihr nachspionierte, wäre sie wahrscheinlich schneller aus der Stadt verschwunden, als er ihren Namen aussprechen konnte.
Ihr Name... Sofort fiel ihm ihr Telefongespräch mit diesem mysteriösen John wieder ein, das er heimlich belauscht hatte:
„Was heißt hier: Sei vorsichtig, Sam? Ich vergesse ja vor lauter Vorsicht fast zu atmen!"
Wie lautete denn nun ihr Name wirklich? Allison? Oder hieß sie am Ende ganz anders?
Jack starrte weiter in die Dunkelheit und hörte auf das Rauschen der Wellen, als könnten sie ihm Antwort auf seine Fragen geben.
Er wusste nicht, wie lange er dort gestanden hatte, als sich plötzlich eine Hand sanft auf seine Schulter legte.
Erstaunt drehte er sich um und blickte in diese unergründlich dunklen Augen, die ihn derzeit bis in seine geheimsten Träume verfolgten.
Und dann sah er, dass sie den Anhänger trug, sein Geschenk an sie.
„Jack?“ Leise, fast entschuldigend sprach sie seinen Namen aus. „Ich wollte mich bei dir bedanken.“
„Wofür?“, fragte er mit freudigem Erstaunen.
„Für den Traumfänger. Und dafür, dass du für mich da bist. Seitdem ich hier bin, habe ich das erste Mal seit ewig langer Zeit das Gefühl, nicht mehr ganz allein zu sein.“
Jack sah sie ernst an.
„Ich habe dir schon einmal gesagt, solange du hier bist, wirst du niemals allein sein. Es sei denn, du willst es so.“
Sie lächelte. Das Funkeln der Sterne und die Lichter des Piers zauberten einen märchenhaften Glanz in ihre Augen und auf ihr Haar. Jack konnte gar nicht anders, er hob seine Hand und strich zärtlich über ihre Wange. Und dann geschah genau das, was er sich so sehr gewünscht, aber nicht mehr zu hoffen gewagt hatte:
Alli trat dicht an ihn heran und küsste ihn sanft auf die Lippen.
Er war derart überrascht, dass er zunächst überhaupt nicht reagierte, doch als sie sich nach dieser unerwarteten Berührung von ihm löste, legte er blitzschnell die Arme um sie und zog sie erneut an sich.
„Sollte das eben ein Dankeschön für die Kette sein?“, fragte er leise, während sich ihre Blicke nicht mehr losließen.
Sie nickte kaum merklich und er lächelte.
„Dann sollte ich dir vielleicht noch Armband und Ohrringe dazu kaufen!“
Sie erwiderte sein Lächeln.
„Es war vielmehr ein Dankeschön für das, was du gesagt hast. Ich brauchte nur ein wenig Zeit, um mir darüber klar zu werden“, sagte sie leise, und was er in diesem Moment in ihren Augen lesen konnte, machte ihn unsagbar glücklich.
Als sich ihre Lippen ein zweites Mal berührten, war es, als ob für einen Augenblick die Zeit stehenblieb. Sie standen eng umschlungen und spürten beide überdeutlich das Verlangen und die Leidenschaft des anderen in diesem Kuss.
Alli schloss die Augen und schaltete den Verstand aus. Zum ersten Mal seit einer Ewigkeit tat sie etwas, ohne es vorher abzuwägen und darüber nachzudenken. Sie genoss es, sich von einem unberechenbaren Strudel der Gefühle mitreißen zu lassen, bedingungslos und absolut sicher, dass seine starken Arme sie halten würden. Ihre Lippen öffneten sich sehnsüchtig, und sie erwiderte seine Zärtlichkeiten mit einer Begierde, die sie selbst überraschte.
Jack erging es ähnlich. Nie hätte er gedacht, dass ein einziger Kuss ihn derart umhauen könnte. Nicht nach der Sache mit Aileen. Er fühlte sich, als würde er schweben. Plötzlich waren sie beide allein am Strand, inmitten eines gewaltigen Feuerwerkes aus Leidenschaft. Es gab nur sie und ihn, Himmel und Meer. Nichts, was einmal gewesen war, zählte jetzt noch. Er wollte diese Frau, mehr als alles andere.
Zugleich breitete sich ein tiefes Glücksgefühl in seinem Inneren aus. Er hatte sich nicht getäuscht, denn sie empfand anscheinend dasselbe für ihn.
Als sie sich irgendwann voneinander lösten, sahen sie einander sekundenlang an, als wollten sie sich davon überzeugen, dass sie das eben nicht nur geträumt hatten.
Und dann lachte Alli plötzlich übermütig.
„Was ist?“, fragte Jack erstaunt.
Sie warf den Kopf zurück und blinzelte ihn schelmisch an.
„Nach meinen bisherigen Erfahrungen bist du zwar ein lausiger Motorradfahrer, Jack Bennett, aber das eben... mmh… das war Spitzenklasse!“
Als Jack und Alli heimkehrten, zeigte die Uhr bereits weit nach Mitternacht.
Es war ein herrlicher Abend gewesen.
Sie hatten mit Tom und den übrigen Rettungsschwimmern unter dem Lifeguard-Turm zusammengesessen und Wein getrunken, es wurde ausgelassen geschwatzt, gesungen und gelacht, und als sich später auch noch David, Kate und Daniel zu ihnen gesellten, hatten sie zu den Klängen karibischer Musik gemeinsam mit anderen Gästen barfuß im weichen Sand getanzt.
Auf dem Heimweg trug Alli ihre Schuhe in der Hand, und Jack hatte seinen Arm um ihre Schultern gelegt.
„Wie ein Liebespaar“, dachte sie, doch eigenartigerweise machte es ihr nichts aus.
Sie fühlte sich heute Nacht so beschwingt und glücklich wie schon seit Ewigkeiten nicht mehr.
„Bin gespannt, ob bereits jemand zu Hause ist“, meinte sie, als Jack vor der Tür in seinen Hosentaschen nach dem Schlüssel suchte.
„Wer sollte denn da sein?“, lachte er. „Tom war eben noch unten am Strand, und Jason habe ich seit dem Volleyballspiel überhaupt nicht mehr gesehen.“
„Stimmt“, nickte Alli. „Mehr Bewohner sind wir ja gar nicht. Eigentlich schade, dass in dem großen Haus noch mindestens drei Zimmer ungenutzt leer stehen. Du solltest dich unbedingt um zusätzliche Mieter kümmern, sonst zahlst du am Monatsende jedes Mal drauf.“
„Ja, daran habe ich auch schon gedacht“, stimmte Jack zu und hatte endlich den Schlüssel gefunden. „Vielleicht gebe ich eine Annonce im Stadtanzeiger auf.“
Er öffnete die Tür und ließ Alli eintreten.
Im Haus war es fast dunkel, nur der Silberschein des Mondes, der durch die Fenster drang und das fahle Licht der Straßenlaternen erhellten den Raum ein wenig.
Jack schloss die Tür, drehte sich um und hielt fasziniert inne, als er sie da stehen sah. Sie wirkte so anmutig und zerbrechlich und er fand sie wunderschön.
„Möchtest du noch einen Kaffee?“, fragte sie leise.
Er lächelte, sprang leichtfüßig die Stufen hinunter und zog sie in seine Arme.
„An einen Kaffee hatte ich gerade nicht gedacht.“
Zu seiner Überraschung erwiderte sie sein Lächeln.
„Und woran hattest du gedacht?“
Froh darüber, dass sie nicht zurückwich, hob er die Hand und streichelte zärtlich über ihre Wange.
„Eher daran...“ Er beugte sich vor und berührte mit seinen Lippen sehnsüchtig ihren leicht geöffneten Mund.
Sie seufzte und schlang ihre Arme um seinen Hals, während sie seinen Kuss mindestens so leidenschaftlich erwiderte.
War es der Wein oder die besondere Atmosphäre dieser Nacht? Sie hatte plötzlich das Gefühl zu schweben und fühlte sich gleichzeitig wunderbar geborgen in Jacks Armen.
„Vielleicht sollten wir nach oben gehen“, flüsterte er atemlos, während er ihr Gesicht mit Küssen bedeckte, um dann wieder ihre Lippen zu suchen.
„Ja, vielleicht sollten wir das“, hörte sich Alli zu ihrer eigenen Überraschung erwidern.
Das plötzliche durchdringend laut polternde Geräusch aus der Küche holte sie beide schlagartig in die nüchterne Wirklichkeit zurück.
„Was war das?“, fragte Alli zutiefst erschrocken und lauschte angespannt.
„Warte hier.“ Widerstrebend ließ Jack sie los und ging quer durch den Raum zur Küche hinüber. Was auch immer dieses Geräusch gewesen sein mochte, dem Verursacher würde er liebend gern auf der Stelle den Hals umdrehen. Vorsichtig öffnete er die Tür und schaltete das Licht ein.
Jason saß am Küchentisch. Sein Kopf war auf die Tischplatte zwischen mehrere zerknüllte Bierdosen gesunken, und er schnarchte leise. Über den Fußboden rollte eine fast leere Whiskyflasche, die er wohl eben umgestoßen hatte.
„Jason?“ Ungläubig trat Jack näher und rüttelte seinen Freund an der Schulter, wobei dieser beinahe vom Stuhl rutschte. „He, komm schon, Alter!“
Alli trat erstaunt hinzu und verzog angewidert das Gesicht.
„Puh, hier riecht es wie in einer Schnapsfabrik!“
Jason gab einen unartikulierten Laut von sich, hob den Kopf und starrte die Neuankömmlinge aus glasigen Augen an.
„Seid Ihr auch verlobt?“, lallte er zusammenhanglos.
Alli und Jack sahen einander verständnislos an.
„Er ist total betrunken“, stellte Alli kopfschüttelnd fest. „Kommt das bei ihm öfter vor?“
„Nein“, erwiderte Jack ratlos. „Er trinkt sonst kaum etwas!“
Vergeblich versuchte er seinen Freund munter zu bekommen.
„Jason, na los, Mann, hoch mit dir!“
Schließlich gab er auf, hob resigniert die Schultern und wandte sich an seine Begleiterin. „Hat keinen Sinn, wir müssen ihn irgendwie nach oben bringen.“
Mit einiger Mühe gelang es ihnen, Jason die Treppe hinauf in die Dusche zu schleppen, wo Jack ihn auszog und das kalte Wasser aufdrehte, während Alli unten einen starken Kaffee kochte.
Die eiskalte Dusche brachte Jason wieder einigermaßen zur Besinnung.
„Sie hat nur mit mir gespielt, Jack“, schluchzte er zutiefst verletzt. „Erst Sherry, und nun… Die Frauen sind doch alle gleich.“
„Komm schon, Alter, reiß dich zusammen!“ Jack drehte das Wasser ab und half seinem Freund in den Bademantel. „Du hast nur mal wieder die Falsche erwischt!“
„Die war die Richtige, die oder keine!“
Jack klopfte ihm beschwichtigend auf die Schulter.
„Schon klar, Mann.“
Als er es endlich geschafft hatte, Jason ins Bett zu bringen und hinunter in die Küche kam, war Alli verschwunden. Neben einer Kanne voll würzig duftendem Kaffee lag ein Zettel auf dem Küchentisch.
„Danke für den wunderschönen Abend, Jack! Vielleicht ist es besser, wenn wir ihn an dieser Stelle enden lassen. Wir sehen uns morgen. Schlaf gut. Alli“