Nachdem ich für die nächsten Tage sozusagen außer Betrieb bin, will ich trotzdem nicht untätig bleiben, sondern die Zeit nutzen, um genauere Recherchen über die afrikanischen Hochzeitsriten zu machen. Mikel wollte ja so schnell wie möglich Ergebnisse sehen. So muss ich wohl oder übel tätig werden. Auch wenn ich jetzt viel lieber etwas faul wäre, am Pool zum Beispiel.
Nach dem Frühstück besuche ich stattdessen meinen Halbbruder Ismael in seinem Büro und frage ihn, ob er eine Idee hätte, wie ich an die nötigen Informationen kommen könnte.
Er überlegt nur kurz, dann meint er, da könne mir Crazy Mama garantiert helfen. Sie sei sehr informiert, vor allem, was anstehende Hochzeiten in der Umgebung beträfe.
„Wie kommst du gerade auf Crazy Mama?“, frage ich ihn. „Wer ist das eigentlich? Ich kann mich gar nicht an sie erinnern.“
„Als du das letzte Mal hier warst, hattest du ja auch andere Dinge im Kopf, als dich um die Tochter des inzwischen verstorbenen Schamanen zu kümmern“, lacht Ismael. „Dabei war es ihre Salbe, die deine Wunden am Po gut verheilen ließen, ohne dass Narben zurück blieben“, dabei schaut mich Ismael breit grinsend an. „Du hast doch da keine Narben zurückbehalten?“, fragt er neugierig.
Ich lache laut auf, als ich seinen neugierigen Blick bemerke. „Das würdest du wohl gerne wissen“, foppe ich ihn ein wenig. „Schelm du!“
„Ach menno, da dachte ich, ich bekomme mal den hübschen Arsch meiner Schwester zu Gesicht“, sagt mein Bruder weinerlich und zieht dabei ein Gesicht, als würde er gleich in Tränen ausbrechen wollen. „Aber gut, du brauchst Informationen“, wechselt er das Thema. „Ich werde mich mal auf die Suche nach Crazy Mama machen und euch zusammen bringen.“
„Du bist ein Schatz, Bruderherz“, sage ich lächelnd zu ihm und gebe ihm einen Kuss.
„Ach hier bist du“, höre ich auf einmal von der Tür her. Jörg ist von uns unbemerkt hereingekommen. „Ich habe mich schon gewundert, wohin du schon wieder verschwunden bist. Ich dachte schon sonst was.“
„Du dachtest schon sonst was? Was ist sonst was?“, frage ich schelmisch, weiß ich doch, in welche Richtung seine Gedanken meist gehen.
„Du weißt doch, dass zur Zeit was Bestimmtes tabu ist. Daran halte ich mich auch. Falls doch was passieren sollte, wirst du es garantiert erfahren. So ist unsere Abmachung, an die ich mich immer halten werde“, weise ich Jörg zurecht.
Ismael hört uns interessiert zu. Als er das Wort tabu hört, wird er aufmerksam.
„Was ist derzeit tabu bei euch? Sollte ich da was wissen?“
„Nichts Interessantes. Du wirst es zeitig genug erfahren“, versuche ich abzulenken. In keinem Fall möchte ich ihm jetzt schon Jörgs und meine Pläne verraten. Gut, von der Hochzeit muss er erfahren, denn da soll er unbedingt dabei sein. Aber das andere, das ist noch Geheimnis.
„Mebina erzählte was von einer Hochzeit zum Ende des Jahres“, fängt Ismael wieder an.
„Ach ja, die Hochzeit. Das kommt auch noch auf uns zu. Davon kannst du ja wissen“, gebe ich zu.
„Ist da noch was?“
Neugierig ist dieser Ismael nun gar nicht. Ich lache wieder. Auch Jörg kann sich ein Grinsen nicht verkneifen.
„Da ist nichts mehr“, sagt Jörg beschwichtigend. „Und wenn doch, wirst du es als mein Schwager von mir höchstpersönlich erfahren.“
„Du wolltest doch Crazy Mama holen lassen!“, versuche ich das Thema wieder zu neutralisieren.
„Ja, ja, Ich merke schon, ihr wollt mir nichts weiter erzählen“, schmollt Ismael ein wenig zu auffällig. „Da gehe ich mal auf die Suche“, sagt er noch und geht los, um Crazy Mama aufzustöbern.
„Hat Ismael was gemerkt?“, fragt Jörg ein wenig besorgt. „Womöglich hat ihm Mebina was erzählt.“
„Das glaube ich eher weniger“, antworte ich. „Mebina hält dicht, was die Schwangerschaft angeht.“
Etwa eine Stunde später klopft es an die Tür meines Zimmers. Ich gehe öffnen. Davor steht eine große, recht beleibte schwarze Frau.
„Mich nennt man Crazy Mama“, sagt sie zu mir. „Ismael war bei mir und teilte mir mit, hier würde jemand Hilfe benötigen.“
„Ja, stimmt. Aber kommen sie erst einmal herein“, gebe ich ihr die Türe frei und bitte sie ins Zimmer.
Crazy Mama schaut sich interessiert um. „Du bist also Ismaels berühmte Schwester?“, fragt sie noch, ehe sie sich setzt. „Ihr seid euch gar nicht ähnlich. Ismael ist so schwarzhaarig und du rothaarig.“
„Ja, Ismael ist mein Bruder und Mohammed ebenfalls. Wir haben denselben Vater. Das allerdings jetzt weiter zu erklären, würde den Rahmen sprengen.“
Als ich Mohammed sage, bekommen ihre Augen einen leuchtenden Glanz. „Ach, Mohammed“, lispelt sie. „Das ist ein ganz Lieber.“
Ich gehe nicht darauf ein, irgendwie habe ich die Annahme, dass da mehr ist als sie zugibt. Aber dazu werde ich Mohammed später mal besser selbst befragen.
So setze ich mich ihr gegenüber in einen der Sessel und schaue sie interessiert an. Ihre Statur imponiert mir mächtig, so stämmige Frauen sieht man doch eher selten.
„Ismael erzählte mir, du würdest Genaueres über Hochzeitsriten wissen wollen“, fängt nun Crazy Mama an. Dabei schaut sie mich an, als hätte sie noch etwas auf dem Herzen.
Ich erinnere mich, wie Ismael mir sagte, Bier würde sie ganz besonders gesprächig machen. Für alle Fälle habe ich welches bringen lassen. Ich greife hinter meinen Sessel und zaubere eine Flasche afrikanisches Bier hervor.
Crazy Mamas Augen werden noch glänzender, als sie das sieht. Schnell greift sie zu, öffnet die Flasche und nimmt einen großen Schluck daraus. Ein kleiner, ungenierter Rülpser folgt. Dann schaut sie mich mit ihren dunklen Augen durchdringend an. „Wir haben vor Jahren schon einmal Kontakt gehabt“, sagt sie. „Ich erinnere mich noch gut, dass hier mal ein rothaariges Mädchen mit ihren Eltern da war. Die Kleine war recht aufmüpfig und tat, was sie wollte, anstatt auf ihre Eltern zu hören. Einmal zog die sich bei einer gewissen Tätigkeit sogar Schnittwunden am Po zu.“
Ich erröte, als sie das sagt. „Ja, das war ich“, gebe ich zu. Am liebsten wäre ich in ein Mauseloch gekrochen. Also erinnert sie sich doch daran. Dabei hoffte ich, sie hätte es längst vergessen. Peinlich, peinlich.
Crazy Mama grinst schelmisch. „Da will ich die Sache mal nicht noch peinlicher machen als sie schon ist“, lenkt sie ab. „Nun erzähle mal, was du wissen möchtest.“
„Wie du bestimmt schon von meinem Bruder erfahren hast, arbeite ich für ein Magazin. Mein Chef wünscht sich eine Reportage über afrikanische Hochzeitsriten. Wenn da noch was über Sex dazu kommt, umso besser. Ich soll da eine Geschichte dazu schreiben. Ich habe zwar ein sehr breites Allgemeinwissen, aber afrikanische Hochzeitsriten … Nee. Du, Crazy Mama bist sozusagen meine letzte Rettung.“
„Da bist du bei mir genau an der richtigen Stelle. Wie du vielleicht weißt, bin ich die Tochter des Schamanen, der auch diese Lodge hier einst getauft hat.“
„Ja, das weiß ich. Ismael hat es mir gesagt“, erwidere ich. „Der Zauber wirkt sogar, wurde mir auch mitgeteilt“, meine ich dann grinsend.
„Du hast ein kleines Geheimnis“, sagt sie plötzlich leise zu mir, wohl auch um das Geheimnis auch ein Geheimnis bleiben zu lassen. Sie grinst dabei aber nicht viel weniger als ich selbst.
Erschrocken sehe ich sie an. Woher weiß sie davon? Von Mebina? Nein, das glaube ich nicht.
„Du willst nicht alleine von hier weggehen“, orakelt sie dann auch noch.
„Das weiß ich doch, mein Verlobter Jörg ist doch auch mit hier“, erzähle ich ihr.
„Ich meine damit nicht deinen Jörg, sondern etwas anderes, etwas, das in dir wachsen wird“, klärt sie mich auf.
Nun ist es an mir, keine Worte mehr zu finden.
„Der Zauber der Lodge wird euer Glück sein“, sagt sie weiter. „Aber nun etwas zu den Ritualen“, lenkt sie das Gespräch zum Glück auf den Punkt, weswegen sie hierher gekommen ist.
Sie erzählt mir, übermorgen solle in der Gegend eine Hochzeit stattfinden, zu der sie gehen wird, auch um eventuell dem Paar prophezeien zu können. Ich könne da mitkommen, wenn ich will. Da könne ich ja die Riten, zu denen ich schreiben soll, persönlich beobachten. Das wäre besser als wenn sie mir das alles erzählen würde.
Ich stimme dem gerne zu.
Zwei Tage später steht Crazy Mama wie verabredet vor meiner Tür, um mich zu der Hochzeit abzuholen. Wir müssten ein Stück laufen, ich solle mir bequemes Schuhwerk anziehen, rät sie mir. Ich schaue ihre Füße an: barfuß. Sicherheitshalber gehorche ich jedoch. Ich bin schnell fertig, so kann es gleich losgehen.
Wir laufen einige Kilometer durch den Busch. Für mich sind das Wege, die ich alleine nie zurück finden würde. Aber für Crazy Mama sind sie sehr bekannt. Nicht lange und wir hören in der Ferne Trommelwirbel, der immer lauter wird.
Als wir den Kral erreichen, ist die Lautstärke inzwischen so groß geworden, dass man kaum das eigene Wort versteht. Interessiert schaue ich zu den Männern, die im Takt der Trommel afrikanische Tänze tanzen. Die meisten Tänzer und Trommler sind nur mit Lendenschurzen bekleidet und bunt bemalt. Ich will mir die Sache etwas näher betrachten, doch werde ich von meiner Begleiterin zurückgehalten, da seien Frauen unerwünscht, ich dürfe da nicht hin. Es würde Unglück bringen.
Sie führt mich in eine Hütte am Rand des Krals. Dort kommt lautes Stimmengewirr heraus, junge Stimmen, aber auch ältere. Crazy Mama zieht den Vorhang beiseite und lässt mir den Vortritt in die Hütte, ehe sie diese selber betritt.
Als wir eintreten, verstummt das Stimmengewirr. Ich schaue mich um und entdecke im schummrigen Licht mehrere ältere, die um eine junge Frau herumstehen. Alle Blicke richten sich nun aber auf uns. Sie erkennen Crazy Mama, das Sprechgewirr beginnt wieder. Wir werden begrüßt. Ich werde als ihre Begleitung, auch als total Fremde, sofort in den Trubel aufgenommen.
Crazy Mama erklärt den Frauen in ihrem Kauderwelsch mein Anliegen. Die Frauen hören gespannt zu, dann erschallt Gelächter. Sie könnten es sich nicht vorstellen, dass ich über sie in einer Zeitung berichten werde, wurde mir danach übersetzt. Ich solle mir aber alles genau anschauen, bieten sie mir lachend an.
Die älteren Frauen bilden schnell wieder einen Kreis um die junge Frau, die völlig nackt ist. Ihr Körper glänzt von Schweiß bedeckt. Könnte das Angstscheiß sein, kam mir der Gedanken. Die Frauen beginnen, sie zu rasieren. Jedes noch so kleine Härchen wird entfernt. Sogar das Haupthaar muss dran glauben. Etwas unwillig lässt die junge Frau die Prozedur über sich ergehen. Doch sie weiß, es führt kein Weg an diesem Ritual vorbei, wenn sie verheiratet wird. Danach wird sie mit Ölen eingerieben, dass die Haut noch mehr glänzt. Ein Lendenschurz wird noch angelegt und um den Hals Schmuck gehängt. Nun ist sie für das nächste Ritual bereit.
Der Türvorhang wird beiseite geschoben. Herein tritt ein alter Schwarzer, der Vater des Bräutigams. Er umrundet die Braut und nickt anerkennend mit dem Kopf. Dann nimmt er die Braut an der Hand und führt sie hinaus.
Draußen wird sie von weiteren Männern und Frauen aus der Familie des Bräutigams erwartet. Auch Mitglieder ihrer Familie stehen Spalier, als sie aus der Hütte geführt wird. Der Vater des Mädchens bespuckt sie sogar mit Milch. Andere wieder bewerfen sie mit Kuhdung oder beschmieren sie damit. Doch die Braut verzieht keine Miene, sondern geht mit vor Stolz erhobenen Kopf, ohne sich umzublicken, neben ihrem zukünftigen Schwiegervater aus dem Kral ihrer Familie.
Ich frage leise Crazy Mama, warum die Braut bespuckt und mit Mist beworfen wird.
„Das gilt als Test für die Braut, ob sie auch den Anforderungen einer Ehe bestehen wird. Das Bespucken mit Milch bringt Kindersegen, heißt es“, erklärt sie mir. „Auch darf sich die Braut nicht umdrehen, sonst wird sie zu Stein verwandelt, erzählt eine alte Sage.“
„Das ist ja gruselig“, sage ich leise und schüttele mich insgeheim. Etwas gewöhnungsbedürftig ist das schon für mich, aber andere Länder, andere Sitten. So ist es nun mal.
Wir folgen dem Tross der Braut in den Kral ihres Bräutigams. Dort ist schon alles vorbereitet, auch eine eigene Hütte. Dorthin verziehen sich die Familienmitglieder der Braut, während die Familie des Bräutigams sich im Hof des Krals versammeln.
Der Vater des Bräutigams steht mit der Braut in der Mitte. Sein Sohn, wohl nur wenige Jahre älter als die Braut, tritt auf sie zu und reicht ihr die Hand. Sie nimmt die dargereichte Hand und er führt sie in die neu gebaute, eigene Hütte. Die Familie verlässt diese, während sich einige Mitglieder der Familie des Bräutigams davor versammeln.
Es sei selten, dass der Bräutigam nur wenig älter als die Braut sei, wird mir erklärt. „Hier scheint die Liebe im Spiel zu sein“, meint Crazy Mama leise. „Sonst ist der Mann um vieles älter als die Braut, die oft nicht freiwillig heiratet.“
Die jungen Leute wissen, was nun zu tun ist. In der Hütte wurde inzwischen alles auf das Kommende vorbereitet. Das Lager wurde mit einem weißen Tuch bedeckt. Die Braut legt sich darauf und harrt der Dinge, die nun folgen sollen.
Stille im Kral, auch ich bin gespannt, was nun geschieht. Kurz darauf ertönt ein Schrei aus der Hütte. Ich zucke zusammen.
„Nun sind sie Mann und Frau“, erklärt mir Crazy Mama lächelnd. „Er hat sie entjungfert.“
Der Vorhang der Hütte wird wieder geöffnet. Der junge Mann tritt heraus, in der Hand das Leinentuch, das nun blutbefleckt ist. Gejohle erschallt, die Menge stürmt in die Hütte, wo noch mehr Geschrei erschallt. Gleich darauf wird die Braut herausgetragen. In der Mitte des Krals wird sie herunter gelassen. Frauen mit Krügen voll Wasser kommen aus allen Richtungen und waschen die junge Frau, die nun mit vor Stolz erhobenem Haupt in der Mitte steht.
Nun erst geht das eigentliche Gelage los. Die Männer versammeln sich um das offene Feuer, über dem schon seit Stunden eine Kuh brät. Die Frauen sitzen im Hintergrund unter sich und warten darauf, dass ihnen von dem Fleisch etwas gereicht wird.
Crazy Mama und ich sitzen in der Runde der Frauen. Auch wenn ich Gast bin, ist es mir als Frau nicht erlaubt, mich zu den Männern zu gesellen. So muss ich mich wohl oder übel diesem ungeschriebenen Gesetz beugen. Aber auch von hier aus erfahre ich genug, das ich verarbeiten kann. Zudem sind Frauen sehr viel redseliger als Männer, die meist doch nur anderes im Kopf haben.
Erst spät am Abend verlasse ich mit Crazy Mama den Kral in Richtung Lodge. Ich lasse die Eindrücke auf mich einwirken und sie in Gedanken an mir vorbei ziehen. Ich konnte wirklich viele Stichpunkte in meinem Notizblock aufschreiben, die ich nachher noch verarbeiten werde.
Kurz bevor wir die Lodge erreichen, frage ich Crazy Mama noch einmal, ob sie das, was sie mir letztens prophezeit hat, richtig war.
Sie meint dazu nur, ich solle einfach dran glauben, dann würde es auch wahr werden. Ich wäre aber wirklich nicht mehr allein, wenn ich nach Hause fahren werde. Bis dahin ist noch eine Woche Zeit, wer weiß, was bis dahin noch geschehen wird. Das Wesentliche, wenn mein Wunsch Wirklichkeit werden soll, bestimmt.