Jörg und ich waren nach einem Kurztrip ins tief verschneite Annaberg-Buchholz wieder zurück in Stuttgart. Der allgemeine Wahnsinn holte uns schneller als gewollt wieder ein.
Allerdings wagten wir es doch noch, ein letztes Mal vor unserer Hochzeit, einen angesagten Klub in Stuttgart heimzusuchen. Das musste einfach sein. Nur ich war gar nicht brav, wie man es eigentlich kurz vor der eigenen Hochzeit sein sollte. Doch kamen nicht nur Jörg und ich auf unsere Kosten, sondern auch der Taxifahrer, der uns nach Hause zurückbringen sollte.
Nur noch ein paar Tage und Jörg und ich würden vor dem Traualtar stehen und uns das Jawort geben. Zum letzten Tag des Jahres sollte es soweit sein. Bis dahin war noch viel zu tun. Also waren Stress und Trubel angesagt.
Die meisten der geladenen Gäste hatten zugesagt. Sogar die Sitzplatzverteilung war geregelt. Immerhin hatte ich keine Lust, mich auf meiner eigenen Hochzeitsfeier mit Streitereien von Verwandten oder Freunden, die sich nicht mögen, abgeben zu müssen. Obwohl ich da diesbezüglich ein wenig anders denke als vielleicht andere Leute. Meinetwegen sollen sie sich doch die Köpfe einschlagen, wenn es ihnen Spaß macht. Da haben die Anderen wenigstens was zu lachen.
Ich selbst bin auch schon aufgeregt. Bisher konnte ich es gut vertuschen. Doch inzwischen war es nicht mehr möglich, meine Aufregung, vor allen Dingen auch vor meiner Ma, zu verheimlichen. Pa bemerkte es zwar ebenfalls, jedoch hielt er sich da raus und schmunzelte nur über meine Unruhe.
Heute Nachmittag war ich nochmals bei Ma, um mit ihr die letzten Kleinigkeiten für die Hochzeit zu besprechen. Jörg drückte sich wieder einmal erfolgreich vor dieser Besprechung. Angeblich musste er noch Dringendes erledigen, so seine Ausrede. Keine Ahnung, was er vorhatte. Wahrscheinlich hatte er irgendeinen Unsinn vor, mit dem er mich überraschen wollte. Somit nutzte ich die gewonnene Zeit, um mit Ma ein sehr persönliches Gespräch zu führen – sozusagen ein Frauengespräch.
„Du, Ma“, beginne ich unsere Unterhaltung, als wir es uns in der Sitzecke in ihrem Wohnzimmer bei einem Glas Wein bequem machen.
„Was hast du auf dem Herzen?“, werde ich gefragt. Sie hat stets einen besonderen Draht dafür, wenn bei mir was drückte. So auch diesmal.
„Weißt du, es ist schon komisch, so kurz vor der eigenen Hochzeit zu stehen. Erst vor wenige Monaten waren PH und seine Rosie die Glücklichen, letztens erst verlobte sich Danuta und nun heirate ich.“
„Ich kann mir gut vorstellen, wie es dir heute geht. Immerhin war ich vor vielen Jahren in derselben Situation wie du. Nur, dass ich ein wenig jünger als du und gerade mit der Schule fertig war“, meint Ma lachend. „Mein Gott, wie lange ist das her. Und nun heiratet meine Große schon. Ich werde alt.“
„Du und alt?“, lache ich nun laut los. „Ma, schau dich mal im Spiegel an. Du siehst nicht wie eine sechzigjährige Frau aus. Sogar Pa hat sich gut gehalten.“
„Ja, klar“, lacht Ma nun schon wieder. „Dafür sind wir schon Oma und Opa. Und das sogar schon mehrmals.“
„Irgendwann werde ich das auch sein, hoffe ich jedenfalls“, sage ich ein wenig wehmütig. Die erst vor gar nicht allzu langer Zeit gewesene Fehlgeburt kommt mir in Erinnerung.
„Ach, Schatz, lass den Kopf nicht hängen“, werde ich von Ma getröstet. „Kommt Zeit, kommt Rat. Heirate erst einmal deinen Jörg und dann seht weiter, was euch die Zeit so bringt.“ Sie schaut mich durchdringend an. „Lass dich bloß nicht verrückt machen. Die Natur wird schon ihren Lauf nehmen“, tröstet sie mich dann noch.
„Vielleicht hat es sogar schon geklappt“, platze ich heraus.
Ma sah mich erstaunt an.
„Wieso das? So schnell nach diesem unglücklichen Ereignis?“
„Nun ja, Jörg und ich haben, als wir in Annaberg-Buchholz waren, ohne Schutz miteinander geschlafen“, gebe ich zu. „Ich glaube, ich war sogar in meinen empfängnisbereiten Tagen. Irgendwie muss ja Crazy Mamas Weissagung wahrwerden.“
„Ist das nicht ein wenig zu zeitig?“, fragt Ma bestürzt.
„Ach, mehr als schief gehen kann es nicht“, erwidere ich. „Aber nun lass uns über die Hochzeit sprechen. Was muss noch erledigt werden?“ Das Thema ist für mich immer noch ein wenig traurig. Noch bin ich nicht darüber hinweg, dass ich mein erstes Baby verloren habe. Allerdings die Aussicht, vielleicht schon wieder schwanger zu sein, lässt mich strahlen.
Ma schaut sich die Liste an, die sie mit mir schon vor meinem Kurzurlaub akribisch abgearbeitet hat. Fast alle Punkte sind erledigt. Bis auf einen: dein Hochzeitskleid.
„Ist der Schneider endlich fertig damit?“, will ich wissen. Ich erinnere mich an die endlos langen Sitzungen beim ihm, bis das Kleid endlich so weit vorangeschritten war, dass es einem Hochzeitskleid auch ähnlich sah. Nun bin ich gespannt, was sich aus den vielen Stücken Stoff entwickelt hat.
„Ich weiß es nicht, bisher hat der Schneider noch nicht angerufen. Dabei wollte er es tun, sobald er mit dem Kleid fertig ist“, antwortet mir Ma. „Ich werde ihn gleich mal anrufen und nachfragen.“ Sie geht zum Telefon und wählt die Nummer unseres Schneiders. Wenig später wissen wir um den Stand der Dinge Bescheid. Das Kleid ist fertig und zu einer letzten Anprobe bereit. So beschließen wir, das gleich zu erledigen.
Zum Glück passt es diesmal wie angegossen und es muss nicht noch einmal etwas geändert werden. Am liebsten hätte ich es gleich anbehalten, doch das geht natürlich nicht. Irgendwie fühle ich mich wie eine Prinzessin in diesem Seidenfummel. Der Schleier, der dazugehört, gefällt mir allerdings nicht so richtig. Das kommt mir kindisch vor, so etwas zu tragen. Der Schneider hat noch eine Art Diadem zur Auswahl, das mir sehr gut gefällt.
Schnell ist alles geklärt, alle sind zufrieden. Ma zückt ihre Kreditkarte und zahlt gleich, sehr zur Freude des Schneiders.
Als wir zurück nach Hause kommen, erwartet uns Jörg, der etwas unruhig im Salon auf und ab läuft.
„Na endlich“, ruft er mir zu, als ich mit Ma zur Tür hereinkomme. „Wo warst du denn so lange?“, fragt er mich. Da entdeckt er den großen Karton, den ich bei mir trage.
„Ist das dein Hochzeitskleid?“, will er wissen. Am liebsten würde er sofort den Karton öffnen und nachschauen.
„Stopp“, kann ich ihn gerade noch so zurückhalten. „Der Bräutigam darf doch das Hochzeitskleid nicht vor der Hochzeit sehen. Das bringt Unglück.“
„Ach du und dein Aberglaube“, lacht Jörg und zieht mich in seine Arme. „Du bist bestimmt die schönste Braut, die ich je gesehen habe“, flüsterte er mir ins Ohr und küsst mich dann.
„Wann kommen denn die ersten Gäste?“, geht Jörg nun allerdings zur Tagesordnung über. Ich würde mich zwar liebend gerne noch weiter küssen lassen, doch das kann man zur Not auf später verschieben.
„Die Ersten kommen morgen im Laufe des Nachmittags an“, antworte ich ihm. „Die Familie wird hier in der Villa unterkommen. Mir ist es lieber, hier alle um mich herum zu haben. Für Freunde und Geschäftspartner, die nach der Feier hier übernachten wollen, haben Ma und Pa in den umliegenden Hotels Zimmer gebucht. Und, was mich ganz besonders freut, Danuta kommt mit ihrem Bogdan.“
„Danuta? Ist das nicht die Polin aus Ratibor, zu deren Hochzeit wir kommen sollten und die junge Frau, welche du verkuppelt hast?“
„Ja, genau die“, antworte ich lachend.
Es freut mich wirklich sehr, dass Danuta es einrichten konnte, mit Bogdan anzureisen. Immerhin hatten sie jetzt die Verantwortung für das Hotel, das ihnen Bogdans Mutter Maria nach der Hochzeit überschrieben hatte.
„Meine Pele ist neuerdings ne Kupplerin“, meint Jörg feixend.
„Spinner“, lache ich ihn nur an.
Der nächste Tag ist noch einmal stressig. Die ersten Gäste sind angereist und mussten in ihre Unterkünfte gebracht werden. Auch ein Teil der Verwandtschaft ist schon eingetrudelt und besiedelt nun unsere Stadtvilla. Trubel über und über. Mir brummt schon der Kopf wie ein Bienenhaus. Ich würde am liebsten meine Ruhe haben, doch durch den Trubel muss ich in den nächsten Tagen wohl durch. Immerhin werden Jörg und ich die Hauptpersonen bei dieser Hochzeit sein.
Danuta und Bogdan sind unter den ersten Ankömmlingen. Ich treffe mich mit meinen beiden polnischen Freunden in deren Hotel und verbringe mit ihnen eine Stunde am Nachmittag. Mehr kann ich leider nicht abknapsen. Ich verspreche Danuta, mich später noch einmal mit ihr und Bogdan zu treffen, was ich allerdings wieder einmal nicht einhalten kann. Die Familie hält mich auf, jeder will etwas von mir, ich bin halt mittendrin im Trubel.
Gegen Abend trifft sich die ganze Familie im großen Salon der Stadtvilla und veranstaltet dort einen kleinen Umtrunk. Pa hat dazu eingeladen. Er will seine Lieben wohl noch einmal in aller Ruhe um sich herum haben. Allerdings war von viel Ruhe nichts zu bemerken. Ismaels und Mebinas Kinder, die auch da sind, sausen wie die Derwische im Salon herum und bringen ersten Trubel in die Meute. PHs und Rosies Sohn, der inzwischen ebenfalls gut zu Fuß ist, lässt sich von seinen zwei neuen Spielgefährten mitreißen und wirbelt mit herum. Die armen Eltern sind später mächtig geschafft, als die Kinder endlich in ihren Betten liegen. Noch lange höre ich das lustige Geplapper meines kleinen Neffen Anton aus dem Nebenzimmer. Bei Ismael und Mebina ging es nicht viel anders zu, erfahre ich am nächsten Tag von ihnen. Jedoch hatten sie etwas mehr Ruhe, da sich eine mitgereiste Nanny um die Kinder kümmerte.
„Irgendwann wird es dir auch nicht anders ergehen, warte nur ab“, war Mebinas Kommentar auf mein Lachen über die jungen Wilden.
Erst kurz vor Mitternacht komme ich zur Ruhe und endlich ins Bett. Die letzte Nacht verbringe ich alleine in unserer Wohnung. Jörg schläft bei einem Freund, von wo aus er morgen auch zur Trauung kommt.
Gleich früh am Morgen wird eine Friseurin kommen, meine Frisur richten und mich schminken. Danuta wird auch da sein und mir beim Ankleiden helfen. Sie wird meine Trauzeugin sein. Kurz vor der Trauung wird mich und Danuta ein Chauffeur abholen. Pa fährt mit uns. Bevor die kirchliche Trauung stattfindet, treffen wir uns auf dem Standesamt, um die Sache offiziell zu machen. Trotz dass es der Silvestertag ist, an dem Jörg und ich heiraten und an so einem Tag eigentlich kein Standesamt geöffnet ist, machte der Bürgermeister eine Ausnahme und erlaubte eine Trauung außerhalb der Geschäftszeiten. In der Johanniskirche wird Pa, mich ganz nach Tradition zum Altar führen und dem Bräutigam übergeben. So wie ich meinen Pa kenne, hat er garantiert wieder einen flotten Spruch auf den Lippen. Da steht er Opapa nicht nach, der auch meist immer irgendwas auf Lager hat, um die Leute in seinem Umfeld zum Lachen zu bringen. Ich erinnere mich da nur an unseren Flug nach Innsbruck zu PHs und Rosies Hochzeit.
Die Nacht ohne Jörg ist langweilig. Ich bin es schon gar nicht mehr gewohnt, alleine zu schlafen. Jörg fehlt mir. Doch eines ist gewiss, die nächste Nacht werden wir auf alle Fälle gemeinsam verbringen. Dann allerdings bereits als Ehepaar. Als mir das so richtig bewusst wird, werde ich ein wenig melancholisch. Wie schnell doch die Zeit verging. Ich erinnere mich daran, wie ich Jörg offenbarte, dass er der Mann meines Lebens ist und wie sehr er sich freute, das zu hören. Und die Liebesnacht mit ihm, die darauf folgte, war phänomenal und voller lustvoller Ereignisse.
Ich liege in meiner letzten Nacht als unverheiratete Frau noch lange wach und lasse meine Gedanken schweifen. Meine Gedanken sind bei Jörg, der wohl genau so schlaflos dem morgigen Tag entgegenfiebert wie ich selbst auch.