Nachdem die Brautentführung durch Jörg erfolgreich beendet worden ist, liege ich wie tot in unserem Bett. Mein Kopf brummt wie ein Brummkreisel und übel ist mir auch noch. Mein Gott, wie viel ich wohl getrunken habe? Genug war es jedenfalls, so wie mich mein Kopf mit wummernden Schlägen an meinen zu hohen Alkoholkonsum erinnert.
Nie wieder Alkohol, nehme ich mir hoch und heilig vor.
Wo nur Jörg ist? Ich erinnere mich, dass er mich daran gehindert hat, in der nächsten Kneipe zu versacken. Dann fuhr er mit uns nach Hause, schleppte mich die Treppe hoch und verfrachtete mich ins Bett. Silvia und Danuta hatten es sich auf dem großen Sofa im Wohnzimmer bequem gemacht, damit ich in Ruhe meinen Rausch ausschlafen konnte, sie mich aber trotzdem im Auge hatten. Das bekam ich gerade noch mit in meinem Tran. Geschlafen habe ich allerdings nicht. Es ging einfach nicht. Der viele Alkohol, den ich intus habe, rauscht durch meine Adern.
Erstaunt schaue ich an mir herunter. Ich trage nur noch die Korsage, die Strümpfe und Unterwäsche. Mein Hochzeitskleid ist ganz zerknittert und liegt achtlos auf dem Boden neben dem Bett. Ich sehe mich nach Danuta und Silvia um, die ich aber nicht entdecken kann. Sind sie sind noch mal in den Bären, um dort mit den anderen Hochzeitsgästen weiterzufeiern? Dass sie im Wohnzimmer schlafen, bemerke ich nicht.
Treulose Tomaten, grummle ich in meinen nicht vorhandenen Bart.
Als ich aufstehen will, knicken mir die Beine weg. Scheiße, denke ich und spreche dieses böse Wort auch gleich laut aus. Doch ich muss mich zusammennehmen, nur keine Müdigkeit vortäuschen. Immerhin ist heute mein Hochzeitstag. Ich schaue an die Uhr, es ist schon nach Mitternacht. Also kein Hochzeitstag mehr. Habe ich fast den halben Abend verpennt? Darüber mache ich mir lieber mal keine weiteren Gedanken, denn erst muss ich einem ganz persönlichen Drang nachgehen. Das stille Örtchen ruft laut nach mir.
Mühsam quäle ich mich wieder hoch. Krampfhaft halte ich mich am Bettpfosten fest und versuche, so gut wie möglich gerade zu stehen. Der erste Schritt gelingt so einigermaßen, der zweite geht gerade noch so. Dann gerate ich erneut ins Straucheln. Meine Füße machen einfach was sie wollen, aber nicht das, was sie sollen.
„Scheiß Alkohol. Das war also mein Hochzeitstag. Dumme Pute, ich. Während die anderen feiern, lungere ich hier betrunken rum“, schimpfe ich nun laut mit mir selbst und versuche, mich weiter in Richtung Badezimmer durchzukämpfen. Nur nicht aufgeben!
Plötzlich höre ich ein Lachen hinter mir.
„Ja, ja, Alkohol saufen wie die Großen, aber vertragen wie die Kleinen. Selber schuld!“
Ich drehe mich um und sehe Jörg in der Tür stehen, immer noch in seinem schicken Hochzeitsanzug.
„Na meine besoffene Maus“, sagt er und kommt zu mir herüber. Als er mich in den Arm nehmen will, wehre ich ihn ab.
„Erstmal für kleine Mädchen“, wimmere ich verzweifelt und versuche, mich in Richtung Bad zu bewegen. Doch meine Füße machen immer noch nicht das, was mein Kopf will.
„Soll ich dir helfen?“, fragt Jörg und will mich fürsorglich am Arm fassen, um mich ins Bad zu führen.
„Ich kann das selber“, antworte ich trotzig und versuche krampfhaft, aufrecht stehen zu bleiben.
„Sturkopf“, sagt mein frisch angetrauter Ehemann nur dazu. Er lässt sich aber nicht von meinem Gemecker abschrecken, sondern fasst mich, hebt mich hoch und trägt mich kurzerhand ins Bad, wo er mich sanft wieder absetzt.
Ungeduldig hüpfe ich von einem Bein auf das andere. Der Drang, die Toilette zu benutzen, wird immer stärker.
„So, nun kannst du“, sagt er zu mir und hilft mir, endlich ohne gleich erneut umzufallen, stehenzubleiben.
Schnell setze ich mich auf die Schüssel und lasse die vielen Schnäpse des Abends ungeniert wieder nach draußen.
„Das ging grad nochmal gut“, sage ich feixend zu Jörg, der im Bad geblieben ist. Scham empfinde ich in dieser Situation gar nicht. Immerhin sind wir nun ja Mann und Frau, die sich auch solch eine Intimität teilen.
„Machst du noch meine Korsage auf?“, frage ich Jörg, als ich fertig war.
„Du gefällst mir so aber auch“, flüstert er mir ins Ohr, nachdem ich ihm meinen Rücken zugedreht habe, damit er an die Häkchen herankommt.
Ein leichter Schauer zieht mir den Rücken hinunter und Gänsehaut bildet sich an meinen Armen. Doch als ich mich erneut zu Jörg umdrehen möchte, durchzieht ein weiterer Schmerz meinen Kopf.
„Aua“, stöhne ich auf. Ich greife mir an die Schläfe und versuche, den Schmerz wegzumassieren.
„Kopfschmerzen?“, fragt Jörg besorgt.
„Ein wenig“, gebe ich zu und versuche, das hämmernde Pochen hinter meinen Schläfen zu ignorieren. Doch so einfach ist das nicht, wie ich gedacht habe. Die kleinen Bergarbeiter, die in meinem Kopf wie verrückt hämmern, sind nicht so einfach davonzuscheuchen. Mir ist es, als würde ich neben einem riesigen Lautsprecher stehen und die Musik ist auf volle Lautstärke gestellt.
„Mein armer Liebling“, versucht Jörg mich zu trösten. Zart küsst er meine Schläfen, so als wolle er den Schmerz wegküssen.
„Ich will ins Bett“, jammere ich wehleidig.
Jörg fällt auf mein mitleiderheischendes Gejammer herein. Er hebt mich hoch und trägt mich zurück ins Schlafzimmer, wo er mich auf dem Bett ablegt.
„Armer Liebling“, sagt er zu mir. Er will wohl den Anschein erwecken, er hat unheimlich viel Mitleid mit mir. Doch sein schelmischer Blick straft ihn Lügen. Nichts ist mit Mitleid für mich.
„Du Schuft“, stöhne ich und versuche Jörg auf mich zu ziehen. Doch er weicht mir aus. So entkommt er meinen Fängen. „Schuft“, brummle ich wieder und will aufstehen. Ein stechender Schmerz fährt erneut durch meinen Kopf und lässt mich schwindelig werden. „Autsch“, sage ich und lasse mich wieder nach hinten in die Kissen fallen.
„Was hast du, mein Liebling?“, fragt Jörg besorgt.
„Nur Kopfschmerzen“, antworte ich und massiere meine Schläfen. „Es war wohl doch ein wenig zu viel Alkohol. Aber da du ja sowieso kein Mitleid mit mir hast, muss ich auch nicht jammern.“
„Nachwehen sind das beste Mittel, es nie wieder zu tun“, meint Jörg fies grinsend und weicht dem Kissen gerade noch aus, das ich mit voller Wucht auf ihn werfe. Er fängt es auf und wirft es zurück. Es trifft mich mit voller Breitseite und wirft mich zurück in die Kissen. Wie ein Maikäfer liege ich auf dem Rücken und strample mit den Beinen. Ich höre sein Lachen, in das ich einstimmen muss, ob ich will oder nicht.
Natürlich will ich den Bugschuss nicht auf mir sitzen lassen. Trotz stechendem Kopfschmerz raffe ich mich auf und werfe das Kissen zurück. Diesmal treffe ich Jörg, der den Gegenschlag nicht erwartet hat. Im Nu ist eine wilde Kissenschlacht im Gange. Unser Lachen zieht Ma und Pa an, die eben aus dem Bären zurückgekommen sind.
„Alles in Ordnung mit euch beiden?“, fragt Ma, die den Kopf zur Tür unseres Schlafzimmers hereinsteckt.
„Alles in Ordnung, Ma“, rufe ich und werfe das nächste Kissen in Richtung Tür, um sie zu vertreiben. „Und nun raus hier, hier findet eben eine wilde Schlacht eines frisch vermählten Ehepaares statt. Oder wolltest du deine Mutter bei der Hochzeitsnacht dabei haben?“
„Bin schon weg“, höre ich Ma eben noch sagen. Da liegt Jörg schon mit voller Länge auf mir. Seine Augen blitzen mir entgegen.
„Hab ich da was von Hochzeitsnacht gehört?“, flüstert er mir ins Ohr, ehe er sich mir noch mehr nähert und mich innig küsst.