Crazy Mama hatte mich mit zu einer Hochzeit genommen, die in der Nähe der Lodge stattfand. Endlich bekam ich Gelegenheit genug Informationen für meinen Bericht sammeln.
Jörg, der in der Lodge geblieben war, erwartete mich schon gespannt von dieser Hochzeit zurück. „Na, wie war es“, war seine erste Begrüßung, als ich spät am Abend in unser Zimmer komme.
„Es war recht beeindruckend“, muss ich schon zugeben. „Wenn Crazy Mama mich auch ein wenig zum Nachdenken brachte“, plappere ich weiter. Irgendwie bin ich zu aufregt von dem Erlebten, als es meinem Jörg verheimlichen zu können.
„Sag schon und lass mich nicht dumm sterben“, frotzelt Jörg. Er kennt mich halt gut genug, um zu wissen, wie sehr mich neue Erlebnisse in Aufruhr bringen können.
„Sie meinte, ich wäre nicht alleine, wenn ich die Lodge wieder verlasse“, gebe ich dann aber das preis, was ich erfuhr, mit dieser Hochzeit aber nichts zu tun hatte. „Nun ja, sicher bin ich nicht alleine, ich habe ja dich.“
„Hm“, sagt Jörg nur. „Wer weiß, was diese Hexe wirklich meinte.“
„Sie sagte noch, es hätte nichts mit dir zu tun. Es wäre etwas, was mich alleine betrifft. Ich wäre, wenn es zurück nach Hause geht, mit mir nicht mehr alleine“, fahre ich fort, „irgendwie sehr mysteriös und rätselhaft.“
„Das könnte doch bedeuten, dass du schwanger sein könntest, wenn wir nach Hause fliegen“, deutet Jörg Crazy Mamas Worte. „Aber rein rechnerisch wäre das nicht möglich. Du bist heute am dritten Tag deines Zyklus. Dann wärst du in etwa zehn Tagen empfängnisbereit. Doch da sind wir bereits wieder im Fotopark in Italien.“
„Hm“, sage nun auch ich nachdenklich. „Du hast recht, rein rechnerisch wäre es nicht möglich.“
Wir überlegen noch einige Zeit hin und her, ohne auf ein akzeptables Ergebnis zu kommen.
„Gehen wir ins Bett“, schlage ich etwas später vor. „Ich bin echt kaputt heute.“
„Auch keine Lust auf was Bestimmtes?“, fragt Jörg.
Ich verdrehe die Augen. „Dass ihr Männer immer nur an das eine denken müssen! Nun ab in die Koje mit uns, ich bin müde“, drängle ich.
Am nächsten Morgen sitzen wir unten in der Lounge beim Frühstück. Einige andere Gäste, die in der letzten Nacht von einer Safari zurückgekommen sind, sitzen mit am Tisch. Wir unterhalten uns angeregt. Unter anderem erzähle ich auch von meinem gestrigen Erlebnis.
Wir sind fast am Ende des Frühstücks, als Ismael dazu kommt. „Pele, da war ein Anruf von Mikel für dich“, sagt er zu mir.
„Warum hast du mich nicht geholt? Vielleicht war es wichtig“, meckere ich mit meinem Bruder.
„Er wird gleich noch einmal anrufen“, beruhigt er mich. „Kommst du bitte gleich mit ins Büro, damit dein Boss nicht warten muss.“
Wir gehen beide dorthin. Kaum waren wir im Raum, da klingelt auch schon das Telefon.
„Marula Treetop Lodge, Ismael Radama am Apparat“, meldet sich Ismael, als er den Hörer abgenommen hat. „Ach, Mikel, du schon wieder. Ja, Pele ist hier. Ich habe ihr eben gesagt, du hättest schon einmal angerufen und gleich einen Anranzer abbekommen, weil ich sie nicht geholt habe. Dabei hat sie noch so tief geschlafen.“
Gespannt höre ich dem Wortgeplänkel zu.
„Nun gib mir schon den Hörer“, drängle ich Ismael, der mir diesen auch gleich überlässt.
„Ich gehe da mal nach draußen, da könnt ihr euch in Ruhe unterhalten“, höre ich ihn noch sagen, ehe er die Tür von draußen zumacht.
„Hey, Mikel, schön, dass du anrufst“, sage ich in den Hörer. „Was gibt es Neues?“
„Neues wollte ich eigentlich von dir hören“, erwidert er etwas atemlos. „Hast du schon Recherchen gemacht?“
„Ja, natürlich habe ich das. Ich werde hier ja nicht faul hier herumsitzen, sondern pflichtgemäß meinen Auftrag erledigen. Ich habe sogar etwas sehr Interessantes herausbekommen. Crazy Mama war mir da sehr behilflich“, antworte ich.
„Crazy Mama? Was ist das denn für ein verrückter Name“, höre ich Mikel am anderen Ende lachen.
„Wer ist das überhaupt.“
„Ach, das ist eine lange Geschichte“, erkläre ich. „Crazy Mama wird auf alle Fälle in meiner Reportage aus Afrika vorkommen. Damit weißt du dann automatisch Bescheid.“
„Wie weit bist du mit dem Schreiben?“, will Mikel wissen.
„Ich will nachher meine Notizen durchgehen und mich dann an die Arbeit machen, die Reportage zu schreiben. Vielleicht kommt auch noch eine geile kleine Geschichte zusammen.“
„Okay, dann mach das mal. Wenn du fertig bist, schicke mir das bitte per E-Mail“, sagt Mikel. „Da kann ich das alles schon in der nächsten Ausgabe des Magazins bringen.“
„Mache ich“, antworte ich. „Wenn du nichts mehr hast, dann setze ich mich jetzt mal an die Arbeit.“
Gerade will ich Adieu sagen, als Mikel mich zurückhält „Pele, warte mal“, höre ich ihn rufen.
„Was denn noch?“, tue ich ein wenig genervt. Mir kribbelt es in den Fingern, das Erlebte endlich in Worte zu kleiden.
„Wann ist die Hochzeit von PH? In zwei Wochen?“, will er wissen.
„Ja, in zwei Wochen. Warum?“
„Ganz einfach. Ich hab jetzt keine weiteren Aufträge für dich, da könntest du doch noch bis kurz vor der Hochzeit bei deinem Bruder bleiben und dann mit ihm zur Hochzeit fliegen. Was hältst du davon?“, lässt Mikel die Bombe platzen.
„Und unsere Rückflugtickets? Ich denke, es ist schon alles gebucht?“, frage ich erstaunt.
„Das wird alles von hier aus erledigt“, antwortet Mikel.
„Wie komme ich denn zu der Ehre?“, will ich wissen.
„Ach, nur so. Du hast mal wieder eine kleine Pause verdient. Und warum nicht das Nützliche mit Urlaub verbinden. Nun sag schon zu.“
„Okay, okay“, rufe ich erfreut in den Hörer. Ich sehe vor meinem geistigen Auge Mikel erschrocken zurückspringen.
„Also bist du einverstanden?“, hakt er nochmals nach.
„Ja, bin ich“, erwidere ich. „Mal sehen, was Jörg dazu sagt. Aber so wie ich weiß, hat er bis zur Hochzeit auch keine anderen Pläne. So kann er getrost auch mit hier bleiben. Vielleicht erfüllt sich dann ja auch die Prophezeiung.“
„Was für eine Prophezeiung?“, fragt Mikel mich.
„Ach, das ist eine lange Geschichte, die ich dir mal erzählen werde, wenn wir Zeit dazu haben. Aber nun will ich endlich an meine Arbeit gehen, damit du deinen Artikel bekommst.“
„Alles klar. Dann wünsche ich euch noch ein paar schöne Tage in der Lodge. Grüße Ismael und seine Frau von mir. Wir sehen uns dann auf der Hochzeit von PH“, sagt Mikel. Ehe ich Auf Wiedersehen sagen konnte, hat er auch schon aufgelegt.
Ich gehe zurück zu den anderen in die Lounge. Jörg sitzt dort immer noch mit den anderen Gästen und unterhält sich mit ihnen.
„Was wollte denn Mikel?“, fragt er mich.
„Das erzähle ich dir, wenn wir in unserem Zimmer sind. Ich muss jetzt erst einmal beginnen, meine Reportage zu schreiben. Mikel hat es irgendwie eilig, den Text zu bekommen“, antworte ich und wende mich der Treppe zu.
„Ich komme mit“, ruft Jörg hinter mir her.
Wir gehen zusammen auf unser Zimmer.
„Nun erzähle schon“, drängelt er neugierig.
„Mikel hat unseren Flug umgebucht. Wir fliegen erst einen Tag vor der Hochzeit in Innsbruck mit Ismael und Mebina zusammen zurück“, offenbare ich ihm.
„Wie kommen wir denn zu der Ehre?“, freut sich mein Liebster. „Das ist ja prima. Ein paar ruhige Tage mehr mit dir. Was wir da alles anstellen können.“
„Tja, das möchte ich auch mal wissen, was in Mikel gefahren ist. Er meinte, er würde mir das erzählen, wenn wir uns zur Hochzeit treffen.“
Ich schaue auf meine Uhr. Es ist schon fast Mittag und immer noch habe ich keine Zeile zu Papier gebracht. „Ich muss was tun“, murre ich vor mich hin, „ wenn du noch irgendwas vorhast, dann tu das jetzt. Ich muss meine Reportage schreiben.“
„Okay, dann lasse ich dich mal alleine“, antwortet er, küsst mich kurz und verschwindet nach draußen zu den anderen Gästen.
An den letzten Tag denkend, an dem ich mit Crazy Mama die Hochzeit besucht habe, sitze ich am Tisch und versuche, meine Gedanken in Worte zu fassen. Immer wieder schaue ich auf die Notizen. Meine Finger klappern unermüdlich auf die Tasten meines Laptops. Nach und nach nimmt mein Geschreibsel Formen an. Ich sehe wieder die junge Frau vor mir, wie sie stolz mit erhobenem Haupt, frisch entjungfert aus der Hütte getragen wurde. Welch Scham das für mich wäre, so kurz nach dem Geschlechtsakt das Zeugnis der Jungfräulichkeit vorzeigen zu müssen. Aber für dieses Volk scheint das ganz normal zu sein. Nach drei Stunden harter Arbeit klappe ich meinen Laptop zu. Heute Abend werde ich den Text nochmals lesen, dann korrigieren und später per Mail an Mikel schicken. Mal sehen, was er dazu sagt.
Etwas später kommt Jörg zurück.
„Bist du schon fertig?“, fragt er mich, als er mich so nachdenklich vor dem geschlossenen Laptop sitzen sieht.
„Ja, ich bin fertig“, antworte ich. „Heute Abend will ich den Text nochmals lesen und dann an Mikel schicken. Was mir jedoch immer noch Gedanken macht, was könnte diese Crazy Mama mit ihrer Prophezeiung meinen? Das geht mir einfach nicht aus dem Kopf.“
„Ach, Liebling. Mache dir doch deshalb nicht so viele Gedanken. Du solltest es doch inzwischen wissen, diese afrikanischen Völker nehmen es mit Orakeln und solchen Kram sehr viel ernster als wir“, versucht Jörg mich abzulenken. „Aber was hältst du davon, wenn wir dem Orakel ein wenig auf die Sprünge helfen und die Prophezeiung erfüllen?“
„Schön wäre es“, murre ich. „Ich blute immer noch, und das schon den dritten Tag. Wir sollten lieber noch ein wenig damit warten. Ich könnte dir allerdings ein wenig Abhilfe schaffen, falls es dir gewaltig drückt.“
Jörg grinst übers ganze Gesicht. Er scheint von meinem Vorschlag sehr eingenommen zu sein. Flugs hebt er mich von meinem Stuhl und trägt mich ins Schlafzimmer. „Tue deine Pflicht“, spielt er den Hausherrn.
Und ich tue meine Pflicht, aber wie … Jörg kann nur noch staunen über so viel Pflichtgefühl.
Drei Tage später
Heute ist es endlich soweit. Ich blute nicht mehr. Dafür bin ich scharf wie Rettich und kann es kaum noch erwarten, dass Jörg von seinem kurzen Ausflug mit Ismael zurückkommt. Erwartungsvoll liege ich auf dem Bett, als er unser Schlafzimmer betritt.
„Bist du krank?“, fragt er besorgt, als er mich da liegen sieht.
„Ja, liebeskrank“, gestehe ich. „Komm her und mache es mir endlich so richtig. Ich kann es kaum erwarten“, sage ich ihm gleich, was mit mir los ist.
„Ach“, grinst er. „Daher weht der Wind.“
„Red nicht so viel und komm“, beginne ich nun zu drängeln.
Jörg ist flugs aus seinen Klamotten und bei mir im Bett. Auch er ist ausgehungert. Es dauert nicht lange und wir sind in einem wahren Liebestaumel. Ich fühle mich wie auf Wolken. Als Jörg dann endlich in mich eindringt, schreie ich meine Lust lauthals hinaus. Dass unser Fenster offen ist und alle es draußen hören können, interessiert mich in dem Moment gar nicht.
Später erzählt mir Crazy Mama, sie hätte zufällig unten gestanden und gehört, was wir da oben treiben. Dabei war ein Grinsen in ihrem Gesicht, das Bände sprach.
„Mädchen“, flüstert sie mir zu. „Die Prophezeiung ist wahr geworden. Du bist nicht mehr allein mit dir.“
Erstaunt sehe ich sie an. „Woher wissen sie das?“, frage ich sie.
„Ich weiß es halt. Ich habe vor meinem inneren Auge ein Baby gesehen, das du im Arm hältst. Es ist dein Baby, ein Junge, die Frucht aus Jörgs und deiner Liebe. Hege den Knaben wie einen Augapfel, versprich mir das. Wenn er irgendwann mal hierher kommen und ich noch leben sollte, werde ich ihm von der Prophezeiung erzählen, aus der er entstanden ist.“
Mein Herz heftig klopft, als Crazy Mama diese Worte zu mir spricht. Ich kann es fast nicht glauben, dass sie jetzt schon sagen kann, dass ein kleiner Junge in mir heranwächst.
Sie drückt mich noch kurz und verschwindet dann so schnell, wie sie gekommen ist.
Etwas durcheinander gehe ich zu Mebina und erzähle ihr, was Crazy Mama mir eben gesagt hat.
„Wenn die so etwas erzählt, dann kannst du beruhigt dran glauben. Frag mich nicht, warum sie das weiß, sie weiß es halt“, beruhigt mich meine Schwägerin. „Genieße noch die paar Tage, die ihr hier seid. Der echte Trubel geht erst in Innsbruck bei PHs Hochzeit wieder los.“
Die wenigen Tage, die uns bis zum Abflug nach Hause noch blieben, vergehen wie im Fluge. Jörg und ich machen Ausflüge in die Umgebung. Dabei versuchen wir immer wieder Crazy Mama nochmals treffen. Sie schien jedoch wie vom Erdboden verschluckt. Erst als wir mit Ismael, Mebina und den Kindern in die kleine Maschine steigen, die uns nach Nairobi bringen soll, sehe ich sie am Rande der Landebahn stehen. Ich winke ihr noch zum Abschied zu, ehe ich ins Flugzeug zu den anderen steige.
Als die Maschine vom Boden abhebt, werfe ich noch einen letzten Blick auf die Umgebung. Dieser Berg von Frau, Crazy Mama steht immer noch an der Landebahn und winkt uns nach.
Mit Bedauern stelle ich fest, dass ich sie wohl vermissen werde. Auch denke ich an die Prophezeiung, die sie gemacht hat. Ob die wohl wahr wird? Warte ich es einfach ab.